ED 02/10
Konzessionsverträge im neuen Licht Die Gemeinde versorgt ihre Bürger selbst mit Strom und Gas – das hört sich demokratisch und auch gewinnbringend an.

Konzessionsverträge im neuen Licht

Die Gemeinde versorgt ihre Bürger selbst mit Strom und Gas  – das hört sich demokratisch und auch gewinnbringend an. Viele Kommunen haben eine kommunale Energieversorgung. In zahlreichen Gemeinden jedoch gehören die Netze einem überregionalen Energieversorger. Die vier größten Energiekonzerne versorgen immerhin noch 45 Prozent aller Verbraucher.

(1. April 2013) In allen Gemeinden haben die Gemeinden das Wegerecht. Sie können deshalb frei entscheiden, welchem Energieversorger sie das Recht zur Nutzung der öffentlichen Grundstücke für den Betrieb der Leitungen einräumen. Dies geschieht in einem sogenannten Konzessionsvertrag, den die Gemeinden mit einem Versorger ihrer Wahl meist über 20 Jahre abschließen. Der Versorger muss dafür an die Gemeinde Geld bezahlen, das die Verbraucher als sogenannte Konzessionsabgabe aufbringen müssen. Was hat es mit diesen Konzessionsverträgen auf sich?

Netzbetreiber ist nicht der Versorger

Die Welt der Energieversorgung hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend geändert. Früher war der Betreiber des Strom- und Gasnetzes automatisch auch der Strom- und Gaslieferant. Heute kann die Gemeinde zwar bestimmen, wer das Strom- und Gasnetz betreiben darf. Wer aber die Bürger versorgt, das können die Verbraucher selbst frei entscheiden, weil sie ja den Anbieter wechseln können. Der Versorger, der die meisten Kunden in einer Gemeinde versorgt, ist als Grundversorger verpflichtet, jedem Bürger die Versorgung anzubieten. Wenn die Gemeinde ihr Stromnetz von einem Versorger zurückkauft, dann bleiben die meisten Kunden wie zuvor Kunden dieses Versorgers.

Endscheidungsvarianten

Hat die Gemeinde in der Vergangenheit die Konzession einem Versorger übertragen, so kann sie nach Ende des Konzessionsvertrags

  • demselben Versorger einen neuen Vertrag andienen,
  • einen anderen Versorger beauftragen oder
  • selbst die Versorgung übernehmen oder
  • das Netz übernehmen und verpachten.

In den drei letzten Fällen muss der bisherige Netzbetreiber das Netz an den neuen Netzbetreiber übergeben und verkaufen. Ein Streit um einen fairen Kaufpreis ist vorprogrammiert, zumal die gesetzlichen Regeln dafür unklar gefasst sind. Zwei Beispiele zeigen, wie man das Problem der Netzübernahme lösen oder auch daran scheitern kann.

Beispiel 1: Schönau

Die Bürger der kleinen Gemeinde Schönau im Schwarzwald wollten ihr Netz im Jahr 1994 in eigene Regie übernehmen. Der bisherige Netzbetreiber, die Kraftübertragung Rheinfelden (KWR), wollte dies durch einen extrem überhöhten Kaufpreis von 8,7 Millionen DM zum Scheitern bringen.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit reduzierte die KWR die Kaufpreisforderung auf 5,8 Millionen DM. Dieses Geld bezahlten die Schönauer Bürger unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung. Bundesweite Spenden und Kredite erbrachten den Kaufpreis.

Erst im Jahr 2005 bezifferte der vom Gericht bestellte Obergutachter den Wert des Netzes auf lediglich 3,5 Millionen DM, 43 Prozent des ursprünglich verlangten Kaufpreises. Die heutigen Elektrizitätswerke Schönau (EWS) bekamen 1.195.098,76 Euro zuzüglich Zinsen zurücker-stattet.

Beispiel 2: Bonn

Für die Bonner Stadtteile Beuel und Bad Godesberg liefen die Konzessionsverträge mit der Stadt Bonn Ende 2011 aus. Die Stadt Bonn wollte das Netz selbst übernehmen. Monatelang wurde darum gerungen, welche Anlagen im Detail zum Netz gehören und die RWE verlangte als Kaufpreis 40 Millionen mehr, als aus Sicht der Stadt angemessen ist. Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde Jahre dauern und die RWE will das Netz zwar weiter ohne Vertrag betreiben, ab 2014 aber keine Konzessionsabgaben mehr zahlen. Weil sich die Stadt diesen Mittelausfall nicht leisten kann, wurde ein geheimer Vertrag zwischen RWE und Stadt geschlossen: Die Stadt verpflichtet sich darin, weder Klage einzureichen, noch die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde einzuschalten und bekommt dafür weiter die Konzessionabgabe bis zur zeitlich unbestimmten Netzübernahme. Der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber (SPD): RWE erpresst und missbraucht seine Marktmacht. Kelber ist in der Bundestagsfraktion unter anderem für Energiepolitik und Verbraucherschutz zuständig.

Darf die Kommune frei entscheiden?

Ein Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung über den Konzessionsvertragspartner eine durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützte, grundsätzlich eigenverantwortlich mit Blick auf die berührten Selbstverwaltungsangelegenheiten zu treffende Entscheidung der Gemeinde sei. Dabei sei es der Gemeinde auch nicht verwehrt, die Kriterien ihrer Auswahlentscheidung so zu wählen, dass sie zu einer bevorzugten Berücksichtigung eines gemeindeeigenen Energieversorgungsunternehmens führen; es könne sachlich einleuchtende Gründe (insbesondere Interesse an verstärkten Steuerungsmöglichkeiten sowie fiskalische Interessen) hierfür geben, die zulässigerweise zugrunde gelegt werden dürften.

Zielkonflikt: Gewinn oder günstige Preise?

Welche Möglichkeiten hat eine Gemeinde, über einen Konzessionsvertrag eigene energiepolitische Ziele durchzusetzen? Zum Beispiel wollen viele Gemeinden erneuerbare Energien beschleunigt ausbauen. Es gibt auch widersprüchliche Ziele: Politisch will man einerseits günstige Strom und Gaspreise für alle Bürger und zugleich auch hohe Gewinnabflüsse in die Gemeindekasse. Hohe Gewinne basieren jedoch auf hohen Preisen für die Bürger und lassen sich mit günstigen Bezugsbedingungen für die Bürger nicht vereinen. Auf die Versorgung kann man mit dem Konzessionsvertrag keinen Einfluss nehmen. Denn er regelt nur den Betrieb des Netzes und hat nichts mit der Energieversorgung, Energiebeschaffung, Preisen und Gewinnen zu tun.

Musterkonzessionsvertrag der Grünen

Es gibt einen Musterkonzessionsvertrag der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Er wird in einem Gutachten rechtlich bewertet und erläutert. Der Mustervertrag geht in wichtigen Punkten über die bisher üblichen Konzessionsverträge hinaus. Er verdeutlicht dadurch die großen Spielräume, die jede Gemeinde beim Abschluss eines Konzessionsvertrags hat.

Regelungen des Musterkonzessionsvertrags

Folgende Regelungen sieht der Mustervertrag vor:

  • Der Netzbetreiber wird zu einer transparenten Abrechnung der Konzessionsabgaben verpflichtet.
  • Die Erdverkabelung neuer Leitungen wird vorgeschrieben, soweit sie wirtschaftlich zumutbar ist. Dafür trägt der Netzbetreiber die Beweislast.
  • Die geplanten Arbeiten am Stromnetz werden ein Jahr im voraus zwischen Netzbetreiber und Gemeinde abgestimmt. Die Gemeinde kann dadurch Arbeiten am Stromnetz mit anderen anstehenden Baumaßnahmen an Straßen, Abwasser, Wasser oder Gasversorgung koordinieren.
  • Die Gemeinde und der Netzbetreiber verpflichten sich gemeinsam, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung voranzubringen. Dafür wird gemeinsam ein Konzept erarbeitet und umgesetzt.
  • Wenn es beim Netzanschluss Probleme gibt, dann dürfen sich die Bürger an eine Schlichtungsstelle in der Gemeinde wenden, die Gemeinde und Netzbetreiber gemeinsam einrichten und betreiben.
  • Die Gemeinde stellt öffentliche Flächen auf Dächern für Bürgersolaranlagen zur Verfügung.
  • Der Netzbetreiber und die Gemeinde erarbeiten ein Konzept zur Elektromobilität und die Einrichtung von öffentlichen Stromsteckdosen.
  • Der Netzbetreiber unterstützt die Gemeinde bei der Erstellung eines Energiekonzepts, stellt dafür Daten zur Verfügung und trägt die Kosten zur Hälfte.
  • Der Netzbetreiber unterrichtet die Verbraucher über Einsparmöglichkeiten.
  • Der Netzbetreiber verringert die Leitungsverluste im Netz entprechend dem Stand der Technik und der Wirtschaftlichkeit.
  • Die Gemeinde kann den Konzessionsvertrag nach zehn und 15 Jahren kündigen mit einer Frist von zwei Jahren.
  • Wenn sich die Eigentumsverhältnisse beim Netzbetreiber ändern, er zum Beispiel von einem Konzern aufgekauft wird, dann hat die Gemeinde ein außerordentliches Kündigungsrecht.
  • Der Netzbetreiber muss der Gemeinde alle wichtigen Daten des Versorgungsnetzes übermitteln wie zum Beispiel das Alter und den Anschaffungspreis wichtiger Netzbestandteile.
  • Der Konzessionsvertrag verpflichtet den Netzbetreiber zu einer problemlosen Übergabe des Versorgungsnetzes nach Auslaufen des Konzessionsvertrags. Nach Beendigung des Konzessionsvertrags darf die Gemeinde das Netz selbst übernehmen oder an ein anderes Unternehmen übergeben. Dafür erarbeiten Gemeinde und Netzbetreiber ein Entflechtungskonzept.
  • Der Netzbetreiber trägt die Kosten der Herauslösung des Netzes der Gemeinde aus den Netzteilen, die der Netzbetreiber weiter betreibt.
  • Als Kaufpreis wird der Ertragswert des Netzes vereinbart.

Der Vertragsentwurf räumt der Gemeinde deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten ein als andere Vertragsmodelle.

Chancen oft verpasst

Seit 2007 wurden über 60 Stadtwerke neu gegründet und 170 Konzessionen von Kommunen und kommunalen Unternehmen übernommen.

Aber viele Kommunen haben bereits neue Konzessionsverträge abgeschlossen und dabei zum Schaden ihrer Bürger auf viele Möglichkeiten der Einflussnahme verzichtet, die ihnen der Vertragsentwurf der Grünen einräumen würde. Das ist bedauerlich.

In Hamburg und Stuttgart haben die Städte nicht die Netze übernommen, sondern städtische Energieversorgungsunternehmen gegründet. Und in Thüringen kaufen 400 Kommunen gemeinsam die E.on-Tochter Thüringer Energie.

Das kleine Dorf in Gallien

Ist die Stadt Bad Hönningen am Rhein das kleine Dorf in Gallien, das der Belagerung Stand gehalten hat? Alle umliegenden Gemeinden haben bereits mit der örtlich dominanten RWE-Tochter SÜWAG neue Konzessionsverträge abgeschlossen. Bad Hönningen verhandelt nach bereits erfolgter Ausschreibung auf der Basis der Gestaltungsmöglichkeiten aus dem Konzessionsvertrag der Grünen mit potenziellen Partnern.

1673 Diskussion: Armin Lorig, Aribert Peters, Guido Job

Diskussion über den Konzessionsvertrag von Bad Hönningen, Armin Lorig (Ingenieur), Aribert Peters (Verein) und Guido Job (Bürgermeister)

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letzte Änderung: 18.06.2015