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Energie-Anwalt Dr. Peter Becker beleuchtet in seinem Buch die Geschichte der deutschen Energieversorger und analysiert ihre derzeitige Lage.

Stromkonzerne: Aufstieg und Krise

„Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne" hat der Energie-Anwalt Dr. Peter Becker sein Buch genannt. Darin beleuchtet er die Geschichte der deutschen Energieversorger und analysiert ihre derzeitige Lage. Die Energiedepesche sprach mit dem Autor.

356 Strommast mit Blitzeinschlag

Energiedepesche: Ihr Buch hat den Untertitel „Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung des Energierechts". Wie ist das zu verstehen?

Becker: Das Energierecht ist historisch so entstanden: Der Staat, der die Stromwirtschaft praktisch als eigene Veranstaltung aufgebaut hatte, wurde insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten zum Umdenken gezwungen. Bis dahin hatte reine Monopolwirtschaft die Energieversorgung gekennzeichnet. Nun musste die junge Bundesrepublik diese erstmals wettbewerbsrechtlichen Regeln unterwerfen, etwa dem Kartell- und Missbrauchsverbot. Im ersten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1956 war allerdings die Energiewirtschaft noch ausgenommen. Sie wurde erst unter dem Druck der Europäischen Kommission im Jahr 1998 liberalisiert. Daraus entstand eine Vielzahl von Prozessen. Für uns Anwälte war die Liberalisierung eine ABM-Maßnahme. Heute sind wir an einer Vielzahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen beteiligt und insbesondere auch als Berater tätig.

Kompliment: Der erste Teil ihres Buches befasst sich mit der historischen Entwicklung der Stromwirtschaft überhaupt und ist äußerst spannend zu lesen. Warum waren Ihnen diese alten Geschichten so wichtig?

1986 veröffentlichte der großartige Journalist Günter Karweina, der zu den Gründungsjournalisten des SPIEGEL gehörte, das Buch „Der Stromstaat". Dieses Buch beschrieb sehr farbig die Entwicklung der Konzerne, die uns allen bekannt sind, Siemens, der AEG mit Emil Rathenau, die allerdings von der Bildfläche verschwunden ist, des RWE, der PreussenElektra etc. Dieses Buch fand ich toll und habe sehr bedauert, dass es keine größere Verbreitung fand. Ich wollte deswegen mit dem ersten Teil Günter Karweina ein Denkmal setzen und habe viele seiner plastischen Formulierungen verwendet. Insofern hat der erste Teil meines Buchs wirtschaftshistorischen Charakter.

Sie haben ein Kapitel „Monopoly mit staatlichem Segen" genannt. Worum geht es da?

Es gab in der Geschichte der deutschen Energiekonzerne immer wieder Fusionen, die die Wettbewerbsbehörde der Europäischen Kommission und das Bundeskartellamt eigentlich hätten verbieten müssen. Dazu gehören die Zusammenschlüsse von RWE/VEW und VEBA/VIAG, genauer der PreussenElektra und des Bayernwerks.

Eine ganz und gar skandalöse Angelegenheit war die Fusion E.on/Ruhrgas, die das Bundeskartellamt untersagt hat, die aber dann mit einer Ministererlaubnis gerettet wurde. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der aus der Energiewirtschaft kam, musste sich allerdings wegen Besorgnis der Befangenheit zurückziehen. Sein Stellvertreter, der frühere Sherpa von Gerhard Schröder in der niedersächsischen Staatskanzlei, Dr. Alfred Tacke, erteilte dann die Ministererlaubnis. Er wurde kurze Zeit danach mit dem Vorstandsvorsitz des Stromerzeugers STEAG belohnt.

Wie sehen Sie die aktuelle Auseinandersetzung um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke?

Im ersten Atomkonsens von Rot/Grün lag eigentlich eine große Weisheit. Die Auseinandersetzungen an der Atomfront waren wegen der absehbaren Endlichkeit der Atomverstromung eingeschlafen. Es war eine Art „Atomfrieden" eingetreten. Ich betrachte es gerade auch unter diesem Aspekt als schweren taktischen Fehler der Stromkonzerne, dass sie den Atomkonsens I gekündigt und die Bundesregierung praktisch gezwungen haben, der Laufzeitverlängerung zuzustimmen. Allein das Verfahren dieser Gesetzesänderungen ist für sich genommen aufschlussreich und ein Beleg für den unglaublichen Einfluss der Lobbyisten auf die Regierung.

Verschiedene Bundesländer wollen gegen diese Atomgesetznovellen klagen, weil sie ohne Beteiligung des Bundesrats verabschiedet wurden. Welche Aussichten hat diese Klage?

Auch damit habe ich mich in dem Buch auseinandergesetzt. Aber sehr intensiv konnte ich darauf nicht eingehen, weil unsere Kanzlei voraussichtlich die Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt. Da muss man sich doch etwas zurückhalten, auch wenn viele Argumente längst durch Gutachten geklärt sind. Eines dieser Gutachten stammt übrigens von dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, der es im Auftrag des Bundesumweltministers Röttgen geschrieben hat: Eine eigentlich sehr auffällige Entscheidung. In zwei Jahren wissen wir mehr.

Sie beschreiben eine Krise der Stromkonzerne. Wo sehen Sie die Ursache für den Niedergang der Energieversorger?

Aus meiner Sicht ist es die sich verändernde Welt: Die Gewinne der Konzerne kommen aus der Stromerzeugung in Großkraftwerken. Diese Gewinne wollen sie mit Zähnen und Klauen verteidigen; deswegen das Pushen der Laufzeitverlängerung. Aber der unaufhaltsame Aufstieg der erneuerbaren Energien führt dazu, dass immer neue Investoren in diese Form der Stromerzeugung investieren. Damit tritt ein Machtwechsel ein. Dazu kommt die Entscheidung der Konzerne, ihre Höchstspannungsnetze zu verkaufen, die ich für einen schweren strategischen Fehler halte. Die Netze werden auch für die Erneuerbaren gebraucht und könnten beispielsweise auch die notwendigen Speicher anschließen. Aber den Konzernen passt nicht, dass sie durch die Regulierung schlechtere Renditen erwirtschaften und investieren müssen. Da fehlt schlicht der Weitblick.

356 Buch Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne

Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne, Dr. Peter Becker, Taschenbuch, 332 Seiten, Ponte Press Verlags GmbH, ISBN 392-0328574, 24,80 Euro

Wenn die Großkonzerne am Ende sind, wer wird die Verantwortung übernehmen?

Die Antwort liegt auf der Hand: Die Erzeugung wird auf – weitgehend – neue Investoren übergehen. Darunter werden auch viele Verbraucher sein, die sich Photovoltaik und Solarthermie aufs Dach bauen. Kräftig in diese Technologie investieren werden auch die Stadtwerke. Damit kommen wir immer mehr zu Hermann Scheers visionärer Energieautonomie. Eigentlich eine begeisternde Entwicklung, die die Konzerne nur verzögern, aber nicht vollständig aufhalten können.

BBH vertritt vor Gericht auch Stadtwerke, die gegen Protestkunden klagen. Diese Klagen gehen allerdings weit überwiegend verloren. Offenbar wird hier der Rechtsapparat missbraucht zur Durchsetzung unberechtigter Forderungen. Hat der Wandel der Rechtsprechung etwas mit der Krise der Stromkonzerne zu tun?

In der Tat klagen viele Verbraucher auch gegen Stadtwerke, um eine Billigkeitskontrolle ihrer Strom- und Gaspreise durchzusetzen. Dabei kürzen sie auch Rechnungen. Das wiederum zwingt Stadtwerke dazu, die Kürzungen einzuklagen – und hier springt BBH als Prozessvertreter ein. Das ist legitim. Und man muss sehen, dass die Klagen, soweit sie auf die Billigkeitskontrolle gestützt waren, auf Basis der - versorgerfreundlichen - Rechtsprechung des 8. Zivilsenats beim BGH nicht sehr erfolgreich waren. Das gilt aber nicht für die Angriffe auf Preisanpassungsklauseln. An dieser Stelle hilft die Rechtsprechung in der Tat überwiegend den Verbrauchern. Ich selbst bemühe mich als Chefredakteur der Zeitschrift für Neues Energierecht um eine faire Übersicht über die Entwicklung der Rechtsprechung.

Wie wird der Streit zwischen Protestkunden und Energieversorgern enden?

Geschäftsführer von Stadtwerken und ihre Juristen, die die Entscheidungen lesen, werden erkennen, dass sie auf die Verbraucher zugehen und sich einigen müssen. Allerdings sind Stadtwerke nicht die eigentlichen Ansprechpartner: Die Strom- und Gaspreissteigerungen werden im Wesentlichen von den Konzernen provoziert, nicht von den Stadtwerken. Auch Stadtwerke klagen inzwischen gegen Konzerne.

Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Dr. Peter Becker

356 Dr. Peter Becker

Er kennt das deutsche Energierecht wie kein anderer: der Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Becker. 20 Jahre lang hat er sich hauptsächlich mit energierechtlichen Fragen beschäftigt, seit er 1991/92 insgesamt 146 ostdeutsche Städte vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat. Anlass war eine erste Rekommunalisierungswelle: Die erste demokratische Volkskammer hatte im Jahr 1990 kurz vor der Einigung die gesamte ostdeutsche Stromwirtschaft mit den sogenannten Stromverträgen an die westdeutschen Energieriesen verkauft – wohl, weil sie Bauchschmerzen wegen der völlig überalterten und die Umwelt verpestenden Braunkohleverstromung hatte. Die Rechtslage war kompliziert, doch Becker organisierte eine Stadtwerkskonferenz, auf der beschlossen wurde, vor dem Bundesverfassungsgericht für die kommunalen Rechte zu streiten. Im Oktober 1992 schlug das Bundesverfassungsgericht bei seiner ersten auswärtigen Verhandlung in Stendal einen Vergleich vor, der im Dezember tatsächlich unterschrieben wurde. Die ostdeutschen Städte verdanken Peter Becker also ihre Stromversorgungen. Dieser Historie widmet Becker ein ganzes Kapitel. „Man muss resümieren, dass die westdeutschen Konzerne und die Bundesregierung Hand in Hand den ostdeutschen Kommunen ihr Vermögen weggenommen haben. Erst das Bundesverfassungsgericht hat das alles mit Hilfe rechtsstaatlicher Herangehensweisen repariert", sagt Becker heute über diese Episode.

Aus dieser Tätigkeit ist über die Jahre die führende energierechtliche Kanzlei Deutschlands und wohl auch auf der europäischen Ebene entstanden, mit Niederlassungen in Berlin, München, Köln, Stuttgart und Brüssel. Die Kanzlei mit der Bezeichnung BBH (Becker Büttner Held), hat inzwischen über 350 Beschäftigte. Seine Marburger Niederlassung hat Peter Becker allerdings aufgegeben – aus Altersgründen, denn er ist gerade 70 geworden.

Zuvor hatte er ganz andere Rechtsbereiche betreut: Weil er beim ersten Anlauf durch das Erste Juristische Staatsexamen gefallen war, befasste sich Becker mit dem Prüfungsrecht und schrieb seine Dissertation darüber. Als Referendar hatte er einen Prozess zu bearbeiten, bei dem ein arabischer Student durch das Volkswirtschaftsexamen gefallen war. Doch es existierte kein Protokoll der mündlichen Prüfung – ein Skandal. So entstand ein Aufsatz zu den rechtsstaatlichen Vorgaben für Prüfungsverfahren. In dieser Zeit war er vielen Marburgern bekannt als „Numerus clausus-Anwalt": „Das klingt jetzt vielleicht arrogant, aber mir verdanken Tausende medizinischer Studienbewerber ihre Studienplätze", erzählt Peter Becker heute.

Peter Becker ist ein passionierter Klavierspieler, seine Interpretation der chromatischen Fantasien und Fugen von Bach ist Legende. Er ist aktiv in der deutschen Sektion der Anwälte gegen Atomkrieg und hat gerade ein Buch herausgegeben über die Rolle des Völkerrechts für den Weltfrieden. Er ist verheiratet und hat drei Kinder und einen Enkel.

letzte Änderung: 07.12.2021