ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)
4,5 Millionen Betroffene

Wachsendes Problem Energiearmut: 4,5 Millionen Betroffene

Erschreckende Zahlen brachte der Monitoringbericht vom 19. Dezember 2013 der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes zutage: 321.539 Stromsperren im Jahr 2012. Diese unglaubliche Zahl wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dahinter verbergen sich rund 800.000 Einzelschicksale. Die Betroffenen schweigen schamhaft.

(15. September 2014) Ein Fernsehfilm der Redakteurin Anne Hinder von Report München hat erstmals eines der vielen Hundertausende Einzelschicksale öffentlich sichtbar gemacht.

2416 report München

Der Monitoringbericht der Bundesnetzagentur zeigt die unakzeptabel hohe Zahl von Stromsperren. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der durchgeführten Stromsperren sogar angestiegen: von 312.059 im Jahr 2011 auf 321.539 Sperren im Jahr 2012. Die den Verbrauchern berechneten Sperrkosten lagen zwischen 0 und 155 Euro, durchschnittlich bei 31 Euro. Im Schnitt wurde die Sperre bei einem Rückstand von 114 Euro angedroht. Die Zahl der Sperrandrohungen lag sogar bei 5,7 Millionen.

Expertenstatement

Auch das Expertenstatement zur Energiewende untersuchte das Problem der Energiearmut: Derzeit sind demnach fast fünf Millionen Haushalte (entspricht zehn bis zwölf Prozent) in Deutschland von Energiearmut bedroht. Schwierig stellt sich die Situation vor allem in Haushalten dar, die keine Grundsicherung beziehen, aber über geringes Einkommen verfügen. Etwa ein Fünftel der Beschäftigten arbeitete 2010 in Deutschland für einen Niedriglohn mit in den vergangenen Jahren stark steigender Zahl. Die Energiepreissteigerungen werden im Niedriglohnsektor über steigende Löhne und Gehälter nicht vollständig ausgeglichen. Auch über die Sozialsysteme findet für Niedriglohnempfänger keine signifikante Kompensation statt. Der Situation ärmerer Haushalte und allgemeiner sozialer Folgen sollte bei der Ausgestaltung der Energiewende zukünftig größere Aufmerksamkeit zukommen.

Messung der Energiearmut: 4,5 Millionen Betroffene

16 Prozent der Haushalte in Deutschland fallen laut dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht unter die Armutsrisikoschwelle. Die ärmsten Haushalte wenden einen gut doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für Strom auf wie wohlhabende Haushalte. Aufgrund einer am ZEW-Institut durchgeführten Analyse (Peter Heindl, Disc. Paper Nr. 013-046) diskutieren die Experten die unterschiedlichen Messverfahren für Energiearmut. Favorisiert wird der von Hills in Großbritannien entwickelte HCLI-Ansatz: Ein Haushalt ist danach von Energiearmut gefährdet, wenn seine Ausgaben für Energie überdurchschnittlich hoch sind, während sein Einkommen unter der Armutsgrenze liegt. Nach diesem Maßstab sind in Deutschland 4,5 Millionen Haushalte (rund elf Prozent) von Energiearmut betroffen.

Das üblicherweise verwendete Zehn-Prozent-Maß (mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens müssen für die Energieversorgung aufgewendet werden) überschätzt nach Meinung der Experten die Energiearmut: sie liegt nach diesem Maß bei knapp 25 Prozent oder 10,1 Millionen Haushalten. Besonders betroffen von Energiearmut sind Alleinerziehende (Anteil energiearmer Haushalte in dieser Gruppe 20,7 Prozent), gefolgt von Paarhaushalten mit Kindern.

Sozialtarif in Frankreich

In Frankreich zahlen 1,2 Millionen Einwohner einen um 94 Euro verringerten Strompreis und einen um 109 Euro verringerten Gaspreis, getragen vom Staat. Unter einem bestimmten Einkommensniveau erhalten die Betroffenen automatisch diese Vergünstigung. Die Finanzverwaltung übermittelt allen Versorgern in einem Gebiet die Namen der Personen, die aufgrund ihres geringen Einkommens den Sozialtarif erhalten. Die seit 2013 bestehende Regelung zu Sozialtarifen wurde durch eine Verordnung im April 2014 ausgeweitet, so dass künftig vier Millionen Haushalte davon profitieren können. Ein Gesetz von 2013 verbietet Strom- und Gassperren zwischen dem 1. November und dem 15. März.

Weitere Informationen enthält der Bericht der französischen Schlichtungsstelle Energie.

letzte Änderung: 22.01.2024