Archiv

Archiv Ökosex 2012

Beiträge aus dem Jahr 2012 der Kolumne "Ökosex" verfasst von Martin Unfried

Archiv2-web

Zu den aktuellen Beiträgen

Das Klimaschutz παράδοξον

Merkwürdig: Die Bedeutung von Klimaschutz nimmt ab, obwohl die Bedrohung steigt

Das Klimaschutz παράδοξον

Merkwürdig: Die Bedeutung von Klimaschutz nimmt ab, obwohl die Bedrohung steigt

(5. Dezember 2012) Mein Sohn lernt griechisch in der Schule. Das finde ich wichtig, denn damit kann er im Berufsleben später mal mächtig angeben. Ich mache ihm das heute mal vor. Aufgepasst! Ein Paradoxon (griechisch παράδοξον) im hier verwendeten Sinne ist ein Phänomen oder eine Frage, die dem menschlichen Verstand bzw. der Intuition widerspricht. Beispielsweise das bekannte Eierkocherparadoxon: Je mehr Eier ich koche, desto weniger Wasser brauche ich im Topf! Oder: Wenn ein Manager mehr Leute entlässt, verdient er mehr Geld!

Man denkt darüber nach und denkt, uch, ist das Gaga, obwohl der Widerspruch sich natürlich bei näherer Betrachtung auflösen kann.

Heute ein Paradoxon, das ich selbst entdeckt habe. Es ist das Klimaschutzrelevanzparadox, englisch „climate protection relevance paradox“. Wie kam ich zu meiner Eingebung? Das hat mit der spärlichen Medienberichterstattung zum Klimagipfel in Doha zu tun. Der Klimaschutz ist nämlich zur Zeit medien- und relevanztechnisch so out wie Filterkaffee und Röhrenfernseher. Kein Vergleich mit den Zeiten des medialen Al-Gore-Klimakarnevals 2007/2008 als die Klimakanzlerin die EU auf verbindliche Ziele einschwörte. Oder 2009, da wurde der Kopenhagener Gipfel im Fernsehen wie ein Eurovision Songcontest runter und raufgenudelt. Groß war dann allerdings der Kopenhagenblues und dann verloren die Medien irgendwie die Lust an dem leidigen Thema.

Die PolitikerInnen übrigens auch. Keine Partei wird 2013 im Wahlkampf detaillierte Ansagen machen in Sachen langsamer und teurer Autofahren, mehr Häuserdämmen oder weniger Fleisch essen. Und das ist auch im Sinne der Partei gut so. Parteien können nämlich im Moment mit derartigen Grausamkeiten jenseits des üblichen Energiewende-Blablas nur verlieren, aber keinen Klimatopf gewinnen. Eher wohl mit dem Versprechen, Strom, Gas und Sprit würden nach der Wahl endlich wieder billiger.

Das wiederum widerspricht – und jetzt kommt das Paradox – der tatsächlichen Relevanz und Dringlichkeit engagierten Handelns. Ist doch verrückt: die politischen und wissenschaftlichen Gewissheiten sind nämlich heute wesentlich besorgniserregender als noch vor 5 Jahren. Politisch wissen wir heute, dass die internationale Gemeinschaft keine wirklichen Lösungen liefern wird.

Das heißt: wenn nicht einzelne Länder richtig fix vorangehen, wird sich weltweit gar nix tun.

Auch haben wir von der Wissenschaft im Jahr 2012 einige Horrorstories gehört, die wesentlich heftiger sind als noch vor kurzen gedacht: das zwei Grad Ziel ist kaum mehr erreichbar. Selbst die eher zurückhaltende Weltbank spricht in ihrem letzten IPCC Berichten ebenso schneller als gedacht.

Das Merkwürdige ist nun, dass diese neue Faktenlage anscheinend keinen Einfluss auf die gesellschaftliche Bedeutung des Klimaschutzes hat, eher im Gegenteil: das Thema scheint die Gesellschaft langsam zu nerven. Das „Klimaschutzrelevanzparadoxon“ lautet also: Je besorgniserregender die politischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse werden, desto mehr verlieren die Themen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung an medialer und gesellschaftlicher Bedeutung. Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Problems ist also nicht proportional gekoppelt an die gestiegene Bedrohung. Ich muss zugeben, ich habe das nicht wirklich Erfunden. Volker von Prittwitz hat bereits vor vielen Jahren das sogenannte Katastrophenparadox beschrieben. Demnach sind in der Umweltpolitik objektive Belastung und handlungsorientierte Belastungswahrnehmung zwei Paar Schuhe. Gilt eine Bedrohung als heftig und beinah unabwendbar, hat man demnach schon gar keine Lust irgendwas zu versuchen. Pipifax Probleme dagegen werden gern angegangen, weil sie praktisch zu bewältigen sind. Ja, man kann Bierflaschen in der Bahn verbieten. Porsche Cayenne auf der Autobahn eher nicht. In Sachen karbonloser Gesellschaft fehlt nämlich immer noch die Fantasie: wie soll das gehen, radikal weniger oder sparsamer Autofahren? In gedämmten Häusern wohnen? Weniger Ressourcenverbrauch? Da hilft anscheinend nur Problemverdrängung.

Grüne: Claudia Roth strahlt wieder, Postwachstum ungeklärt

Das Denken in Ökosex Kategorien ist nicht nur in Sachen ökologischer Lebensführung hilfreich, sondern natürlich auch beim Beurteilen politischer Parteien.

Grüne: Claudia Roth strahlt wieder, Postwachstum ungeklärt

Das Denken in Ökosex Kategorien ist nicht nur in Sachen ökologischer Lebensführung hilfreich, sondern natürlich auch beim Beurteilen politischer Parteien.

(22. November 2012) Am Sonntag saßen vier Journalisten im Presseclub bei der ARD und diskutierten über die deutschen Grünen, und ob Sie jetzt endlich reif seien für Schwarz/Grün. Ich guckte erst recht gespannt zu, weil nämlich mein großer Bruder dabei saß. Dennoch musste ich nach 10 Minuten gähnen, so langweilig war das. Die Debatte hätte mit ähnlichen Oberflächlichkeiten auch vor Jahren stattfinden können. Es ging schwerpunktmäßig um Antigefühle bei der CDU gegen Jürgen Trittin (Überraschung!). Es wurde festgestellt, dass es keine Fundis und Realos mehr gäbe (Uiih!). Es ging um Grüne, die ihre Ernsthaftigkeit nun beweisen würden durch das haushaltkompatible Durchrechnen ihrer Programme (echt!). Und leider ging es unvermeidlich um das persönliche Schicksal der Claudia Roth und die Mainstreamfähigkeit von Katrin Göring-Eckardt. Mein Fazit: Claudia Roth ist nicht mehr beleidigt, aber die Frage mit dem Postwachstum noch nicht geklärt.

Am meisten erstaunt mich an diesen deutschen Debatten eigentlich immer die völlige Abwesenheit der europäischen Dimension. Da fällt keinem ein, mal zu fragen, warum die deutschen Grünen eigentlich im europäischen Vergleich so stabil und erfolgreich sind. Weil sie nämlich anders als beispielsweise französische oder niederländische KollegInnen tatsächlich überraschend professionelle Regierungspolitiker hervorgebracht haben. Und Jürgen Trittin war einer. Da konnte die BILD Zeitung noch so lange Dosenpfand und Benzinwut brüllen. Heute jedoch muss man von den Grünen Neues erwarten.

Nämlich, dass sie neue Konzepte zur Postwachstumsgesellschaft jenseits von Atomausstieg und Hartz IV vorstellen. Und genau dies wird leider noch nicht wirklich prominent diskutiert. Schade, angesichts der Nachrichtenlage am heutigen Montag: laut Weltbank steuert die Welt auf eine Situation zu, in der die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um vier Grad steigen werde. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung spricht dabei von Risiken außerhalb der Erfahrungen unserer Zivilisation.

Da fällt mir ein, dass Frau Göring-Eckardt sich mal bei mir erkundigt hat, ob ich ökosex-technisch einen Lexus Hybrid als Dienstwagen der BundestagspräsidentInnen sinnvoll finde. Das ist wichtig, reicht aber natürlich noch nicht wirklich um sich als Ikone einer radikal carbonfreien Wirtschaft zu profilieren. Frau Roth steht ja angeblich für die Seele der Partei, damit kann aber das Postwachstum nicht gemeint sein.

Und überraschenderweise war der angebliche Ideologe Jürgen Trittin in Sachen Erneuerbare erstaunlich ideologiefrei. Der wollte sich noch vor Jahren nicht mit der Vision einer 100%igen erneuerbaren Stromversorgung identifizieren.  Leute wie Hans-Josef Fell, vor Jahren noch bei den Grünen als erneuerbare Nervensäge gehandelt, haben den offensichtlichsten Erfolg grüner Politik erst möglich gemacht. Witziger Weise mit Hermann Scheer von der Kohle-SPD, von deren Kandidat Steinbrück man heute alles erwarten kann, aber sicher keine öko-soziale Revolution.

Interessant wird es also erst, wenn wir uns fragen, was die Grünen eigentlich zu bieten haben, jenseits des christsozialdemokratischen Mainstreams. Natürlich würden Frau Merkel und Herr Steinbrück hübsch zusammen passen in ihrer Prinzipienlosigkeit, die oft mit Pragmatismus verwechselt wird. Zur Erinnerung: beide sahen weder die Finanzkrise kommen, noch haben sie auf die gehört, die schon vor 2008 strikte Bankenregulierung und Transaktionssteuern gefordert hatten. Sven Giegold war einer von denen bei Attac. Heute ist er für die Grünen im EU Parlament. Wär doch mal interessant, wenn wir hören könnten, welche Prioritäten er bei einer Regierungsbeteiligung hätte.

Tatsächlich gibt es nämlich bei den Grünen durchaus Sachverständige: Hermann Ott und Reinhard Loske waren früher Nachhaltigkeitsforscher beim Wuppertal-Institut. Sie gehören zu den Kritikern eines luftigen „Green Deals“, der lediglich grün-angestrichenes Wirtschaftswachstum bedeutet. Wann diskutieren Journalisten mal ernsthaft, was die Grünen zum "Weniger" zu sagen haben? Und auch darüber, warum von Winfried Kretschmann, der mit "weniger Autos" schon mal gut angefangen hatte, da in Zukunft eher weniger zu erwarten ist? Noch weiß nämlich auch bei den Grünen niemand, wie man über weniger Wachstum und weniger Konsum spricht. Weder die Claudia, noch die Katrin, noch der Jürgen wollen nämlich am Wahltag gnadenlos abgestraft werden.

Der große Held dreht sich für mich

Wirtschaft von unten braucht neue Gesetze: Warum ich zuhause bei mir in NL eigenen Windstrom verbrauchen kann und warum das auch in D nötig ist

Der große Held dreht sich für mich

Wirtschaft von unten braucht neue Gesetze: Warum ich zuhause bei mir in NL eigenen Windstrom verbrauchen kann und warum das auch in D nötig ist

(07. November 2012) Hermann Scheer hatte es immer wieder voraus gesagt: Konsumenten werden zu Produzenten, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten verändert werden. Dezentralisierung und Emanzipation von Konzernen fallen eben nicht aus der Luft, sondern müssen politisch gewollt und rechtlich verankert werden. Deshalb ist auch das ganze Generve bei der deutschen Stromdebatte so unglaublich oberflächlich. Es geht nämlich nicht um den abstrakten Preis des Stroms. Mehr noch geht es um die Machtfrage: wer produziert wo, wie, für wen und zu welchem Preis?

Der niederländische Nachhaltigkeitsexperte Jan Rotmans hat gerade ein spannendes Buch geschrieben zum Thema: wie Bürger alle möglichen wirtschaftlichen Aktivitäten aus den Händen der Konzerne nehmen. Das Buch heißt “Im Auge des Orkans” (In het oog van de orkaan) und beschreibt die Niederlande mittendrin in einem spannenden Übergangsprozess dieser Bottom-up Wirtschaft. Der Boom von Energie-Genossenschaften ist auch hier bekannt, Geld abziehen von Großbanken und unterbringen bei kleineren ethischen Banken auch.

Ebenso zündet langsam die Idee der solidarischen Landwirtschaft. Wer einen Hof kennt in der Gegend von Maastricht/Aachen, der melde sich bitte bei mir. Ich würde nämlich auch gerne Blumenkohl vom eigenen Hof verspeisen. Überrascht habe ich sogar gelesen, dass es in NL Initiativen gibt unter Selbstständigen, die sich gegenseitig im Fall von Krankheit unterstützen (www.broodfonds.nl). Das ist eine Art Krankenversicherung im kleinen Kollektiv und eben nicht beim großen Versicherer.

Reden ist Silber, eigenes Geld verschieben in diesem Sinne Gold. Das dachte ich letzte Woche und erweiterte mit großem Spaß mein unternehmerisches Portfolio. Bekanntlich bin ich als Genossenschaftsmitglied bereits Miteigentümer einer deutschen Tageszeitung und einer Energiegenossenschaft. Aber schon seit längerem wollte ich auch meinen Strom zuhause in Maastricht selber machen. Auf meinem Dach ist aber kein Platz mehr für PV wegen der Wärmekollektoren. Da kam der große Held gerade recht. Gucken Sie mal auf die Seite: www.windcentrale.nl/teller. Sie sehen eine toll gezeichnete Graphik von zwei Windmühlen mit vielen bunten Köpfen. Die Mühlen heißen “de grote Geert”, also der große Geert, und  “de jonge Held”, der junge Held. Mir gehören bald zwei kleine Anteile vom jungen Helden, der in 10 000 Teile zerlegt wurde.

Das wäre an sich noch nicht spannend. Viele Leute haben in Deutschland Anteile von Bürgerwindanlagen gekauft. Spannend ist die Windcentrale deshalb, weil ich ab Januar tatsächlich meinen eigenen Windstrom zuhause verbraten kann, obwohl die Mühle woanders steht. Das werden in meinem Fall rund 1000 kWh Strom im Jahr sein, da ich zwei Anteile von je 350 Euro gekauft habe und die ungefähr gut sind für 500 kWh Stromproduktion – je nach Wind. Der Schlüssel zum ganz großen Vergnügen heißt natürlich “Eigenverbrauch”.

Und der ist auch in NL rechtlich gar nicht so einfach zu realisieren. Nun funktioniert das so: Die Windcentrale arbeitet mit einem Ökostromer zusammen, bei dem ich Kunde sein muss und der mir meinen Strom durchleitet. Das Unternehmen gibt mir ab nächstem Jahr pro selbstgemachter Kilowattstunde den Preis zurück, den ich für den reinen Strom (also ohne Steuern und Gebühren) für Strom gezahlt hätte plus Mehrwertsteuer. Das sind im Moment zusammen rund 9 Cent. Logischerweise bezahlen wir natürlich auch für unseren eigenen Strom Netzkosten und lustiger weise auch die volle Stromsteuer. Aber am Ende zahle ich eben für meine Kilowattstunde nicht rund 23 Cent, sondern nur 14 Cent. Und das  reicht mir, um längerfristig besser dazustehen als mit Fremdstrom. Insbesondere wenn der Strompreis steigt. Logischerweise kann ich nur so viele Kilowattstunden selber machen, wie ich auch verbrauche. Es geht eben um Eigenstrom.

2858 Ökosex T-Shirt

ÖKOSEX T-Shirt

Wer es nun schafft, dieses Modell auf Deutschland zu übertragen, bekommt von mir ein Ökosex T-Shirt. Die rechtliche Lage bei der Durchleitung von eigenem Strom ist nämlich höchst komplex. Oder anders gesagt, skandalös unvorteilhaft für den Privathaushalt. Das Modell wäre ein wichtiger Durchbruch: der Einstieg in die Stromproduktion mit 350 Euro pro Anteil ist sehr niedrig und auch für Leute ohne große Ersparnisse möglich. Und es ist wirklich der eigene Strom. Das könnte endlich für viele Mieter ohne Dach der Einstieg sein in die faszinierende Welt der Stromwirtschaft von unten.

Lagerfeld goes Blau

Wieder ein Meilenstein im Kulturkampf: die ästhetische Erhabenheit der Erneuerbaren hat die Haute Couture erreicht

Lagerfeld goes Blau

Wieder ein Meilenstein im Kulturkampf: die ästhetische Erhabenheit der Erneuerbaren hat die Haute Couture erreicht

(21. Oktober 2012) Erst die gute Nachricht. Mein Interesse für Mode ist erwacht. Überraschenderweise kann der ganze Schnickschnack in Paris doch unglaublich interessant sein. Da war in den deutschen Zeitungen dieses spektakuläre Foto von einer Lagerfeld-Show: die Models schwebten auf einem Parkett aus blauen Photovoltaikmodulen. Die sahen wahnsinnig gut aus und glitzerten im Scheinwerferlicht. Leider konnte ich nicht erkennen, um welches PV-Label es sich handelte. Das war nicht alles, was Karl an Schönheit aufzubieten hatte. Die jungen Frauen mit lustigen Blumenmustern auf ihren Kleidchen tänzelten federleicht zwischen herrlichen Miniaturwindturbinen umher. So schön kann Mode sein.

Leider konnte ich nicht entdeckten, welche Windturbinen Karl hatte nachbauen lassen. Aber das Blau des magischen Bodens harmonisierte wunderbar mit dem strahlenden Weiß der Flügel, die erhaben in den Showhimmel ragten. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg ins Nirvana des Erneuerbaren.

Es gibt nämlich auch einen gar nicht so unbedeutenden ästhetischen Kulturkampf. Der wurde noch von Kampfbegriffen wie „Verspargelung“ beherrscht. Selbst das Blau der Dächer gilt in und bei gewissen Greisen, siehe Ex-BUND Mitglied Guttenberg Senior, als Verschandelung gewachsener Dachlandschaften. Da ist es umso bemerkenswerter, dass Karl Lagerfeld, jedweder Ökosex-Schwärmerei unverdächtig, die Ästhetik der solaren Effizienzrevolution entdeckt hat und sich berufen fühlte, ein starkes visuelles Statement abzugeben. Fashion meets Renewables. Dabei dachte ich immer, Lagerfeld interessiere sich nur für barocke Schlösser, antibarocke Körper und komische Handschuhe. Doch der weise Modepapst der Erneuerbaren hat erklärt, er sehe den Wind als Metapher für die frische Brise, die jeweils die Mode erneuere und vorantreibe. Schöner kann man es nicht sagen.

Das ist natürlich viel besser als ein Plädoyer für ein Ende des fossilen Zeitalters. Zwar auch ein schöner Nebeneffekt, aber die wirkliche Stärke der Erneuerbaren liegt in ihrer ästhetischen Superiorität. Atomare Kühltürme und umgegrabene Braunkohlehalden sind modetechnisch out. Das ist wichtig, in einer Gesellschaft, die Schönheiten vergöttert. Und nebenbei mehr Geld ausgibt für unbequeme Schuhe, die nicht getragen werden, als für Essen, Strom und Wärme zusammen.

Das war jetzt unsachlich, ist aber eine hübsche Überleitung zum unvermeidlichen deutschen Thema der Woche: die Stromwut, die in den Straßen von Köln, Berlin und Hamburg kocht. Die deutschen Medien haben Angst, dass breite Teile der Mittel- und Unterschicht am hohen Strompreis elendig zugrunde gehen, in ihren unbeleuchteten Wohnungen. Ich habe zu diesem Thema bereits recht sachliche Gedanken aufgeschrieben, beispielsweise die interessante aber wenig beachtete Berechnung von Professor Uwe Leprich aus Saarbrücken: wegen der allgemeinen Marktsituation und positiver Preiseffekte der Erneuerbaren, müssten Stromlieferanten im Moment nur wenige Zehntel der gestiegenen EEG-Umlage an die Kunden weiter geben. Diese Umlage ist nämlich, anders als in 99,9 % der deutschen Medien behauptet, kein Indikator für den unmittelbaren Anstieg der Preise im Privathaushalt.

Kleiner Tipp: Kommt vom eigenen Stromlieferanten dennoch eine signifikante Preiserhöhung mit dem Argument EEG, dann ist es Zeit „Adele, Tschüssikowski und Auf Wiener Schnitzel“ zu sagen. So einfach ist das.

Da es aber bei der deutschen Kostenkommunikation in erster Linie nicht um Sachlichkeit geht, hier ein paar unsachliche One-Liner für die Debatte im dialektbetonten Bekannten- und Familienkreis.

Onkel Anton: „Die Energiewende frisst ons noa die Hoar vom Koopf!

Richtige Antwort: „Aber, naa. Wenn I seh, wie die Leit mit ihren spritschluckenden Autos das Geld zum Fenster rausschmeißen, do ist der Strompreis noch viel zu niedrig!

Nachbar: „Mir kloine Leit, wir zahlen doch jetzt, dass die Reichen mit ihren PV-Anlagen so viel Rendite kriegen!

Richtige Antwort: „Selber schuld, du Dackel. Schraubst halt selber auch eine aufs Dach!

Schwager Kurt: „Wir Deitschn wir solln doch olles zahln, so ein Strompreis des würdn die anderen in Europa gar net mitmachn, so ein Wahnsinn.

Richtige Antwort: „Jo Kurt, do host recht. In Holland wird’s Gas billiger wegen dem Weltmarkt. Des kriagn die Deitschn gar nicht mit, weil se sich so übern Strompreis aufregn.

folgende Webseite gehen in Bild und Text auf die Lagerfeld-Show ein: kama-s-fashionl.over-blog.de/article-ysl-110810506.html

Liebe Genossinnen und Genossen,

Warum die Idee der Genossenschaft von Friedrich Wilhelm Raiffeisen ganz schön frisch ist

Liebe Genossinnen und Genossen,

Warum die Idee der Genossenschaft von Friedrich Wilhelm Raiffeisen ganz schön frisch ist

(21. September 2012) Heute geht es um Unternehmen, weil ich am Samstag in meiner Rolle als Unternehmer nach Berlin fuhr. Wir Postwachstums- und Regionalwirtschaftsfreaks träumen ja bekanntlich von einer Wirtschaft, in der möglichst viele auf regionaler Ebene an Produktionsmitteln und Wertschöpfung beteiligt sind. Deshalb bin ich seit Jahren Genosse. Genosse Unfried. Klingt etwas merkwürdig. Bitte keine Missverständnisse: ich bin nicht Mitglied der SPD oder einer Neu-Trotzkistischen Vereinigung. Genosse kommt bekanntlich von Genossenschaft, und die Idee der Genossenschaft ist älter als die Parteien.

Wie jeder weiß, hat der legendäre Friedrich Wilhelm Raiffeisen 1862 den "Heddesdorfer Darlehnskassenverein" gegründet. Und auch deshalb feiern die Vereinten Nationen heuer das Jahr der Genossenschaften. Ich finanziere als Genosse also unter anderem eine Tageszeitung, die Berliner taz. Das ist ein tolles Gefühl, wenn einem ein Stück Zeitung gehört. Schreiben die nämlich etwas Gemeines zur Photovoltaik, dann errege ich mich noch mehr als bei anderen Blättern.

Genosse sein macht aber auch demütig: es ging am Samstag in Berlin um Einnahmen, Ausgaben, Rückstände, Gewinne, Verluste. Anders als in der AG hat in der Genossenschaft übrigens jeder eine Stimme. Egal wie viele Anteile er hält. Feindliche Übernahmen kann es als nicht so leicht geben. Das ist dufte. Weniger dufte ist, dass die Unternehmensform Genossenschaft nicht vor der Wirklichkeit schützt. Wie ich am Samstag erfuhr, bezahlt die taz immer noch sehr bescheidene Gehälter. Manche sprechen von Selbstausbeutung der ZeitungsmacherInnen.

Und ich bin als Genosse mitverantwortlich, wo ich doch auch als Postwachstumskapitalist faire Löhne möchte. Meine Ausrede: Bei anderen Zeitungen wird im Moment gerne mal eben verkauft, entlassen, fusioniert und outgesourct. Das wiederum wird es bei der Genossenschaft nicht geben, und nicht nur weil viele Mitarbeiter ebenfalls Genossen sind.

Seit längerem bin ich auch bei einer Energiegenossenschaft dabei mit Wasserkraft und Pipapo. Davon gibt es in Deutschland mittlerweile über 500. Die haben beinahe eine Milliarde investiert in Erneuerbare Energien. So haben sich im Strombereich auch die Besitzverhältnisse gegen den Trend entwickelt. Die Konzerne verlieren in Deutschland Marktanteile. Es gibt schon weit mehr als eine Millionen Solaranlagen in Deutschland und viele Leute haben Anteile an Windparks und Biogasanlagen.

Bei einer Bürgerwindanlage bin ich übrigens Kommanditist in einer Kommanditgesellschaft. Das hat gegenüber dem Genossen einen Nachteil: man kann das Wort kaum aussprechen und die Mitsprache ist etwas eingeschränkter. Als taz Genosse durfte ich am Samstag sogar mit dem Bundesumweltminister diskutieren. Der sehr sympathische Herr Altmaier lobte den Charme der Energiegenossenschaften. Hatte aber Recht, als er sagte, es gäbe auch andere tolle Unternehmen, die professionell Wind- und Solarprojekte entwickeln wie Juwi aus Rheinland-Pfalz.

Peter Altmaier meinte, jetzt kämen schon die Beschwerden von den Genossenschaften, dass Juwi sich clever alle guten Standorte schnappe. Solle man die Energiegenossenschaften nun politisch bevorteilen? Das finde ich nun auch schwierig. Natürlich gibt es auch Energiegenossenschaften, die nicht gut wirtschaften. Wenn das halbe Dorf mit der Genossenschaft Geld verbrennt bei einem schlecht geplanten Windprojekt, ist auch niemandem geholfen.

Zu dieser Komplexität passt, dass mich in Berlin ein Stuttgarter darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Debatte über Konzerne und Bürgerunternehmen im Südwesten sowieso komplett gedreht sei: die ENBW sei ja bekanntlich seit letztem Jahr ein VEB, volkseigener Betrieb, der zu 100% dem Land Baden-Württemberg und einigen Landkreisen gehöre. Milliardenverluste wären da natürlich ein politisches und finanzielles Problem für die Regierung. Also Sonderbehandlung? Und wer regiert dort nochmal?

Schneller rasen mit Tempolimit

Das sind Probleme: in Deutschland wird über ein Moratorium bei den Erneuerbaren nachgedacht, in den Niederlanden die Geschwindigkeit erhöht

Schneller rasen mit Tempolimit

Das sind Probleme: in Deutschland wird über ein Moratorium bei den Erneuerbaren nachgedacht, in den Niederlanden die Geschwindigkeit erhöht

(6. September 2012) Wer denkt in Deutschland seien die Parteien irgendwie komisch drauf, der muss mal zu mir in die Niederlande kommen. Wir sind kurz vor den Wahlen. Ich weiß, das interessiert in Deutschland keinen Hund, aber ich erzähle es trotzdem: in der Nacht zum Sonntag wurde bei uns die Geschwindigkeit erhöht. Freie Fahrt für freie Wähler! Auf der Autobahn dürfen wir jetzt statt 120km/h sensationelle 130km/h fahren. Das war eine Art Geschenk der scheidenden Regierung. “Schrecklich. Das sind fast deutsche Zustände!” beklage ich mich bei meinen niederländischen Freunden. Die zucken mit den Schultern.

Beschleunigt werden zwar dicke Daimler und wuchtige Volvos, nicht aber Erneuerbare und Klimapolitik. Da muss sich die Regierung sogar noch ein paar Emissionsminderungen im Ausland kaufen, um die eh schon schwachen Kioto Ziele zu erreichen. Wind und Sonne kommen nämlich nur schleppend voran. Hier stand die scheidende Regierung eher auf der Bremse. Und deshalb ist sie auch relaxed, denn wir haben Eure “schlimmen” Probleme nicht.

Nein, uns in den Niederlanden frisst dieser rasante Zubau an Solar und Wind nicht die Haare vom Kopf. Denn unser Atomkraftwerk wurde ja auch nicht abgeschaltet! Keine Gefahr: es gibt in Zeeland laut Regierung keine Tsunamis. Merkwürdig ist, dass diese verrückten Pro-Atomparteien keine Stimmen verlieren werden. Klimaschutz, Erneuerbare und Umwelt kommen nämlich im Wahlkampf nicht vor. Interessiert keinen Hund, außer mir. Meine Freunde zucken mit den Schultern.

Angeblich werden ja diese Themen Eure Bundestagswahl 2013 beherrschen. Erstaunt musste ich lesen, dass es in Eurem Photovoltaik-Country sogar ein Tempolimit geben könnte. Fürsorglich meint Umweltminister Altmaier, er müsse jetzt mal den schnellen Zubau an Wind und Solar stoppen. Ganz zu schweigen von der FDP, die ein komplettes Moratorium fordert. Tempolimit und Moratorium in Sachen Erneuerbare: glücklich ist, wer diese Probleme hat. Was mich allerdings irritiert: bei Euch soll angeblich der Strom so teuer sein wegen EEG und so. Merkwürdig: wir haben in NL weder EEG noch Solarboom, aber unser Strom ist genauso teuer. Dabei müsste doch der Haushaltsstrom, wenn wir den EEG Kritikern glauben, hier in jedem Fall 3.5 Cent günstiger sein. Ist er aber nicht. Kann es also sein, dass Konzerne und Regierung auch ohne Förderung der Erneuerbaren gerne etwas drauf packen?

Hauptsache ist, dass wir jetzt schneller von Maastricht nach Amsterdam kommen. Genauer gesagt, so um die acht Minuten, wenn es gut läuft. Das ist der Wermutstropfen an der niederländischen Tempoerhöhung: das Land ist einfach zu klein, um die Früchte zu ernten. Deshalb wurde das auch nicht der ganz große Erfolg der abgetretenen liberal-christdemokratischen Regierung. Gewählt wird bei uns übrigens nur, weil die Partei des Rechtspopulisten Wilders den Stecker aus dem Minderheitenkabinett zog. Die ist so seriös, dass sich die Liberalen und Christdemokraten tolerieren ließen.

Beweis: Wilders Partei ist für ein radikales Tempolimit von 140km/h. Im Wahlprogramm ist übrigens diese Forderung mit Abstand die seriöseste. Verglichen beispielsweise mit dem Tempolimit in Sachen Religionsfreiheit. Der Islam soll nämlich verboten werden. Tempolimit auch bei der Reisefreiheit: Polen, Rumänen und Bulgaren könnten demnach zwar mit 200 km/h durch Deutschland brausen, aber an der Grenze in Aachen wäre Schluss. Schlüssig, dass Wilders den Austritt aus der EU fordert. Aus dem Euro sowieso. Und zur Erinnerung: das ist im Parlament derzeit noch die drittgrößte Partei, die in den letzten Jahren wesentlich die Regierungspolitik mitbestimmt hat. Die sind natürlich auch gegen Windmühlen. Keine einzige Windturbine soll mehr gebaut werden. Nix Moratorium, sondern einfach verbieten, mitsamt den Burkas.

Interrail, Billigflieger und die ökologische Bredouille

Eine Reise durch Europa mit allen Transportmitteln und einem ökologischen Schönheitsfleck.

Interrail, Billigflieger und die ökologische Bredouille

Eine Reise durch Europa mit allen Transportmitteln und einem ökologischen Schönheitsfleck

(28. August 2012) Es ist bekanntlich bei Gruppenreisen gar nicht so einfach, sich auf gemeinsame Reiseziele zu einigen. Ich wollte nämlich wie immer Radfahren. Am besten möglichst weit und lang. “Gähn”, sagte da die Gruppe. Insbesondere ein gewisser Teenager wollte das gar nicht. Eher aus prinzipiellen Gründen, weil er es eben nicht wollte. Er wollte nach Griechenland wegen der originellen Schriftzeichen. Eine Managerin aus der Leitungsebene der Familie wäre gerne nach Kroatien ans istrische Meer gefahren mit dem 3-Liter Lupo. Einfach so zum Chillen und energetisch sehr sparsam. Fand ich auch gut. Aber das war wiederum einer besonders abenteuerlustigen Teenagerin zu langweilig, die etwas ganz Neues, Spannendes erleben und ganz Europa sehen wollte. Am besten auch Metropolen wie Wien, wo “skurrile” Geschäfte sind. Das sind natürlich Interessenskonflikte.

Leicht eingeschränkt wurde die europäische Reiseplanung durch den Umstand, dass wir nie in Urlaub fliegen wegen des ganzen ökologischen Überbaus. Für Teenager auch nicht gerade cool. Die waren nämlich noch nie geflogen, was ein bisschen ungerecht ist, da fliegen an sich ja auch eine aufregende Sache ist. Als wir gar nicht mehr weiter wussten, sagte jemand “Interrail”.

Interrail: Ich hatte ab und zu erzählt, wie wir in den Achtziger Jahren mit der Bahn durch Europa gefahren waren und am Strand, am Bahnhof und auf der Gepäckablage geschlafen hatten. Das wollten die Teenager plötzlich unbedingt. Also radelten wir (mir zuliebe) kurz am Rhein, und stiegen dann in den Zug nach Europa. Natürlich dachte ich auch an Ökosex, wie elegant ökologisch ich den Kindern mit der Bahn den Kontinent zeigen konnte. Und wie ich nebenbei auch noch in meinen Kolumnen mit dieser Ökoreise angeben konnte. Daraus wurde leider nix und ich erzähl gleich warum.

Interrail war großartig: wir schliefen im Nachtzug nach Budapest, im Nachtzug nach Venedig, guckten am Tag auf die Adria von Rimini nach Bari. Wir staunten den Lago Maggiore an auf der Panoramastrecke zwischen Mailand und Lausanne und freuten uns in der Wiener Ringbahn im Angesicht der Hofburg. Dufte: weil es nicht immer Liegewagen für alle gab, konnte ich auch mal wieder im Sitzen schlafen. Da war es am nächsten Morgen, das echte Interrailgefühl. Morgens in Budapest und die Frisur sitzt irgendwie falsch.

Interrail feiert übrigens seinen vierzigsten Geburtstag und wurde etwas renoviert. Wir Alten über 26 dürfen jetzt auch eine Karte kaufen und man wählt aus einem Menü die Anzahl der Länder und gültigen Tage. Wir hatten 22 Tage Gültigkeit für ganz Europa mit dabei 10 Reisetagen. Das macht das Ganze ein bisschen sperrig, da wir natürlich auch rechnen mussten. Und das hatten wir bis Griechenland nicht getan.

Und so guckte ich auf die albanische Küste und steckte in der ökologischen Bredouille. Auf Korfu entdeckten wir nämlich, dass wegen der Krise die Fähren nach Bari stark reduziert waren und nicht mit unserer Ferienwohnung – Interrail für Senioren – korrespondierten. Überhaupt haben sich die Preise heftig verteuert mit lustigen Hafengebühren und Spritzuschlägen. Viele Urlauber haben sogar wegen der hohen Preise der Fähren ganz abgesagt. Doch anders als in den achtziger Jahren der langsamen Post, eröffnet heute das Internet ganz andere Planungsmöglichkeiten in der Krise.

Da fand nämlich die Teenagerin einen Flug von Korfu nach Mailand, der zu unserem Schema passte und billiger war als die Fähre zurück nach Italien. So hatte mich im Urlaub die Problematik der nicht internalisierten ökologischen externen Kosten voll eingeholt. Also genossen wir den ersten Familienflug in vollen Zügen und wir verbrieten 330 kg CO2 pro Person, was wiederum bei “atmosfair.de” 9 Euro Kompensation kosten würde. Wir werden wohl in neue Photovoltaik investieren. Bleibt die Frage, um wie viel besser es tatsächlich gewesen wäre wieder mit Fähre und Intercity nach Mailand zu kommen. Kennt jemand die CO2-Bilanz von Fähren?.

Abspeichern: Wind zu Gas

Auf einer Speicherreise: Wie ich bei Prenzlau mein Speicherglück fand.

Abspeichern: Wind zu Gas

Auf einer Speicherreise: Wie ich bei Prenzlau mein Speicherglück fand

(27. August 2012) In diesem Sommer des langen Wartens auf die Sonne gehen doch noch Wünsche in Erfüllung: mein Webmaster Armin hat schon lange genervt, ich soll doch mal was über Speicher schreiben. Speicher seien das große Thema der Energiewende. Nicht etwa Leitungen, obwohl viele Journalisten den Leitungsbau zum Megaproblem hochblasen. Armins Wunsch geht hiermit in Erfüllung, denn auch ich hatte unverschämten Massel. Ich durfte nämlich zufällig eine Speicherreise machen.

Das kam so: ich hatte beruflich mit einer Gruppe Koreanischer Ministerialbeamter in Maastricht zu tun, die Allgemeines zur europäischen Klimapolitik wissen wollten und Spezielles zur deutschen Energiewende. Also reisten wir erst nach Brüssel und dann nach Berlin. Was ich nicht wusste: „Energiewende“ ist bereits wie Kindergarten und Blitzkrieg ein deutscher Begriff, der international verwendet wird1),2). Das meinte ein hoher Beamter aus dem Umweltministerium, der international für sie wirbt.

Und international sind nicht nur die Südkoreaner heftig interessiert, wie die Deutschen das hinkriegen wollen. Die Welt schaut nämlich auf die „German Enertschiewände“ und in Berlin schauten die koreanischen Beamten erst mal auf die Dreifachverglasung des renovierten Gebäudes des Ministeriums in der Stresemannstraße. Das befindet sich in der Nähe des Potsdamer Platzes und wurde nach dem Passivhausstandard renoviert. Dreifachverglasung ist auch in Deutschland noch nicht wirklich ein Megathema, hat aber schwer mit Speichern zu tun. Damit lässt sich warme und kühle Luft länger im Haus speichern. Was ich nicht zu hoffen wagte: Dreifachverglasung wird laut Bundesumweltministerium bald der Standard der deutschen Fensterbauer, weil es sich eben bald nicht mehr lohne noch eine andere Produktionslinie zu fahren.

Zum Vergleich: in Großbritannien wird die Zweifachverglasung von vielen Hausbesitzern noch als unnötiger Luxus der Moderne betrachtet. In den Niederlanden haben einige Fensterbauer mit denen ich sprach immerhin bereits von drei Gläsern gehört. Merke: Enertschiwände heißt vor allem auch Energiesparen in Gebäuden. Bei der Gelegenheit hatten wir auch eine Tour durch „das solare Regierungsviertel“ gebucht. Das gibt es wirklich. Beim Umzug nach Berlin hatten nämlich einige solare Politiker so lange genervt bis in Ministerien, Reichstag und Bundestagsgebäuden tatsächlich ein Konzept mit Solar, Effizienz und allem Pipapo verwirklicht wurde. Mit Speichern? Ja, einige Gebäude speichern auch saisonal Wärme und Kälte tief im Boden, die dann je nach Jahreszeit zum Heizen oder Kühlen des Reichstages verwendet werden.

Und dann ging es raus nach Adlershof zur Firma Younicos, die große Speichersysteme mit Batterien entwickeln. Wir standen andächtig in einer Halle, wo sie Produktion und Verbrauch einer portugiesischen Insel ohne Festlandanschluss simulieren. Dazu braucht man Riesenbatterien, um die Schwankungen der Erneuerbaren (Wind und Sonne) im Netz auszugleichen. Die Südkoreaner nahmen amüsiert zur Kenntnis, dass einige der besten Komponenten aus Südkorea stammen. Nur nebenbei: die Südkoreaner investieren viel in Greentech und eine umgekehrte Reise lohnt sich bestimmt.

Von der gezeigten Solartankstelle waren sie daher natürlich nicht überrascht. Eher wiederum von der Dreifachverglasung, die es auch in Adlershof gab. Am Nachmittag dann das Highlight: mit dem Bus ins tiefste Brandenburg in die Umgebung von Prenzlau, wo viele Windturbinen stehen. Dort betreibt Enertrag, die selbst rund 500 Windturbinen am Laufen haben, den größten Knaller unserer Reise: die Wind-to-Gas Anlage, wo überschüssiger Windstrom in einer Halle mit Hilfe der Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt wird. Da stehen neben einer Biogasanlage große, weiße Wasserstoffspeicher. Dieser Wasserstoff kann dann dem Biogas beigemischt werden.

In Prenzlau sahen wir und die Koreaner also, wie eine wichtige Option der Speicherung in Zukunft aussehen könnte: die Umwandlung in Wasserstoff  bzw. in einem zweiten Schritt, die Umwandlung des Wasserstoffes in Methan. Ist zwar mit Verlusten verbunden, ein unschätzbarer Vorteil ist aber die Fähigkeit der Langzeitspeicherung und die vorhandene Infrastruktur. Das Erdgasnetz ist da und hat eine unglaublich große Speicherkapazität. Und genau die braucht die Energiewende. Insbesondere das habe ich auf meiner Speicherreise gelernt: nur mit Batterien oder Pumpspeichern kommen wir da nicht besonders weit.

1)Die britische Wochenzeitschrift "The Economist" titelt zum Beispiel am 28.07.2012: "Energiewende | German plans to cut carbon emissions with renewable energy are ambitious, but they are also risky" | www.economist.com/node/21559667

2)Die britische Tageszeitung "The Guardian" schreibt zum Beispiel am 30.05.2012: "The ambition of Germany's change of direction, universally called the Energiewende – energy transformation – is huge." | Quelle: Germany's renewable energy revolution leaves UK in the shade | The country expects renewables to contribute 35% electricity by 2020 – no matter what the cost | www.guardian.co.uk/environment/2012/may/30/germany-renewable-energy-revolution

Die Welt ist keine Bank, sie wird auch nicht gerettet

Nachhaltige Ernüchterung nach der Rio-Konferenz: warum uns einfache Sprüche nicht weiter bringen

Die Welt ist keine Bank, sie wird auch nicht gerettet

Nachhaltige Ernüchterung nach der Rio-Konferenz: warum uns einfache Sprüche nicht weiter bringen

(3. Juli 2012) Der Spruch klingt erst mal nicht schlecht:  „Wenn die Welt eine Bank wäre, hättet ihr sie schon längst gerettet.“ Ja, das gefällt ihnen wahrscheinlich in ihrem Post-Rio-Selbstmitleid. Aber hier kommt keine Regierungsschelte, sondern als Gegengift zum Rio-Blues eine kleine provokative Textanalyse. Was uns nämlich nicht weiterhilft sind Stammtischparolen. Was möchte der unbekannte Demo-Poet sagen? Wohl, dass im Turbo-Kapitalismus die Sicherung des Kapitals der Kapitaleigner wichtiger ist, als die Sicherung der Lebensgrundlagen vieler Menschen auf diesem Planeten. Danach sah es in Rio tatsächlich aus: angesichts fehlender politischer Beschlüsse und konkreter Verpflichtungen für Nachhaltigkeitsziele und gleichzeitiger neuer EU Milliarden für spanische Banken.

Aber gäbe es die Option, einfach die Welt und nicht die Banken zu retten? Leider ist die komplex und alles miteinander verknüpft: auch der Zusammenbruch von Euro, europäischen Banken und anschließender Wirtschaftskrise wäre für die Ärmsten dieser Welt katastrophal. Was in Europa vielleicht weniger bekannt ist: gerade die Armen haben global unter Lehman und der letzten Wirtschaftskrise 2008/2009 am meisten gelitten. Millionen hatten in Afrika und Asien ihre Jobs verloren und rutschten in eine Armut, die man sich auch in Griechenland nicht vorstellen kann. Bankenretten „ja oder nein“ ist also eher eine Lose-Lose Situation.

Das gilt übrigens auch für die Abschaffung der gigantischen Subventionen für Kohle und Öl. Auch dies könnte nicht nur die Multis, sondern unmittelbar auch die Armen dieser Welt treffen. So braucht es eben leider keine Einfalt, sondern wirklich schlaue Instrumente, um von der Unnachhaltigkeit weg zu kommen. Insofern sind auch solche Sprüche etwas für schlichte Gemüter, die gerne Freund und Feind kennen.

Am selbstgerechtesten ist natürlich das „Ihr“ von „hättet ihr sie längst gerettet“: es steht für die politisch-wirtschaftlichen Eliten, die angeblich als Knechte des Kapitals agieren. Das ist geradezu schäbig. Es nimmt nämlich feige das „ich“ - also uns, die Guten - vom kapitalistischen Treiben aus.

Doch sind wir nicht alle ein bisschen Bank, Mobiltelefon, Computer, Sportschuh und Erdöl? Noch merkwürdiger: die Schuldzuweisung auf das „Ihr“ nimmt uns sogar die Verantwortung für die Leute, die sich in Rio getroffen haben. Dabei sind das unsere Leute. Zumindest in demokratischen europäischen Staaten haben wir die gewählt. Das macht den Rio-Blues eher noch schlimmer. Ich habe nicht gelesen, dass Angela Merkels Wahlchancen 2013 gesunken sind, weil sie nicht in Rio bei der Konferenz war.
Und wenn wir schon dabei sind: noch was stimmt an dem Sponti-Spruch nicht. Das mit der Banken und der Euro-Rettung klappt ja gar nicht so toll. Deshalb gilt: „Wenn die Welt ein Euro wäre, würde sie vermutlich trotzdem abschmieren.“ Richtig ist auch: „Wenn die Nachhaltigkeit eine Bank wäre, wäre sie von Moody’s nach der vergeigten Konferenz in Rio heftig abgewertet worden“. Wahrscheinlich auf Ramschniveau.

Auch richtig ist: „Wenn die Rettung der Welt eine Europameisterschaft wäre, hätte sie 100 Stunden Primetime im Ersten.“ Und Scholl würde kommentieren. Und: „Wenn es nachhaltige Banken auf dieser Welt gäbe, hättet Ihr schon längst gewechselt!“ Ach nein, das stimmt nun nicht. Denn es gibt ja nachhaltige Banken und „Ihr“ habt immer noch euer Geld beim Kapitalisten um die Ecke. Womit wir bei der versteckten Botschaft dieses Textes wären: „Wenn nach der Lektüre dieser Zeilen nur ein Mensch seine Bank wechselt, dann ist die Welt ein besserer Place.

Kosten-Tsunami frisst Haare vom Kopf

Die Energiewende führt in die Verelendung, die Armen sitzen im Dunkeln, was hilft, ist ein Tempolimit für Erneuerbare

Kosten-Tsunami frisst Haare vom Kopf

Die Energiewende führt in die Verelendung, die Armen sitzen im Dunkeln, was hilft, ist ein Tempolimit für Erneuerbare

(13. Juni 2012) Lese ich in diesen Tagen deutsche Zeitungen, spüre ich die heftigen Emotionen. Warum nur hassen so viele Spiegel und FAZ Redakteure die Erneuerbaren? In den letzten Tagen haben diese angeblichen Leitmedien mal wieder die hysterischen Jammerlappen gegeben und nachgeplappert, was die altbekannten Gegner der Energiewende – Brüderle, Kauder, Rösler etc. - vorgekaut hatten: „Energiewende gescheitert! Leitungsbau kommt nicht voran! EEG viel zu teuer!“. Viele Atomfreunde von früher werden hier witziger Weise zu Technikskeptikern, die sich schwer tun, an den technischen Fortschritt in Sachen Erneuerbare, Speicherung und dezentrale Netze zu glauben.

Dahinter lauert ein hanebüchener Mythos: ohne Energiewende wäre alles locker und easy und wir hätten keine Kosten und gesellschaftliche Konflikte. Das ist natürlich völliger Quatsch: die Leitungsinfrastruktur muss sowieso erneuert werden, weil die Konzerne jahrelang zu wenig in den Bau investiert hatten. Und natürlich wäre ein weiterer jahrzehntelanger Kampf um Kohlekraftwerke und Atom wesentlich heftiger gewesen. Da sind die lokalen Debatten um Windmühlen eher überschaubar.

Noch ein weiterer Mythos steckt hinter der heutigen Energiewende-Hysterie: demnach wäre es sowieso locker und easy, altersschwache Atomkraftwerke jahrzehntelang sicher zu betreiben. Das ginge ohne Störfälle und ungeplante Abschaltungen und wäre super preisgünstig. Daraus folgt: „Erst die Energiewende frisst uns die Haare vom Kopf!“ Ich muss zugeben, dieser Spin wurde in den letzten Monaten sehr erfolgreich gestreut.

Noch toller ist, was seit letzter Woche plötzlich als Gemeingut gilt: es seien die Erneuerbaren Energien, die schnurstracks zur Verelendung der deutschen Haushalte führen. Sogar die Tagesschau hat mit einem Bericht über Stromabschaltungen bei Hartz IV Familien kräftig mitgemischt. „Rettet die sozial Schwachen vor der Energiewende!“ riefen nämlich die Beschützer der Armen und Waisen. Merkwürdig nur, dass die Koalition erst noch im Jahr 2011 die Heizkostenkomponente beim Wohngeld wieder abgeschafft hatte, heute aber ihre Protagonisten behaupten, der hohe Strompreis führe Hartz IV Bezieher direkt ins Verderben.

Diese kleinen Ungereimtheiten haben in den letzten Tagen beim medialen Erneuerbare-Bashing nicht gestört. Auch nicht der Blick auf eine verhältnismäßig reiche Gesellschaft als Ganzes, die für ihre Neuwagen im Schnitt 25 000 Euro ausgibt. Natürlich können sich die meisten Privathaushalte bisher die Stromerhöhungen leisten. Dass diese im Vergleich zur Industrie ungerecht hoch ausfallen wegen der technischen Berechnungsgrundlage der EEG-Umlage ist ein anderes Thema.

Aber eine allgemeine Stromarmut in Deutschland? Die Energiewende in Zusammenhang mit Stromabschaltungen verschuldeter Haushalte zu bringen ist ziemlich abgezockt, das sagen sogar die Verbraucherverbände. Höhepunkt der Geschmacklosigkeit: Es komme ein „Kosten-Tsunami“ auf uns zu, meldet FAZ online. Kosten-Tsunami? Das Bonmot stammt von einem „seriösen“ Berater der Bundesregierung, Professor Justus Haucap, Chef der Monopolkommission und Gegner des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

Die Wortschöpfung ist interessant beim Verständnis des Kulturkampfs, den die Skeptiker der Energiewende im Moment führen. Herr Haucap missbraucht also die Opfer des Tsunamis, um die „echte“ Katastrophe auszumalen. Die rollt nämlich durch die Förderung der Erneuerbaren Energien auf Deutschland zu. Ein solches Hijacken von Begriffen nennt man glaube ich Guerilla-Kommunikation. Das zischt nicht schlecht. Energiekommissar Oettinger verwendete letzte Woche ebenfalls einen bereits eingeführten Begriff und deutete ihn um. Er sprach sich für ein Tempolimit aus. Allerdings nicht auf der deutschen Autobahn, sondern beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das fand ich fast noch origineller.

Gebäckträger und Radlerkasten

Warum die Form der nachhaltigen Funktion folgen und das Design von Getränkekisten endlich der Fahrradgesellschaft dienen sollte

Gebäckträger und Radlerkasten

Warum die Form der nachhaltigen Funktion folgen und das Design von Getränkekisten endlich der Fahrradgesellschaft dienen sollte

(15. Mai 2012) Fahrräder ohne Gepäckträger sind wie französische Filme ohne Juliette Binoche. Sie machen keinen Sinn. Dennoch, und das hat mich bei meiner letzten Deutschland Reise sehr schockiert: sie sind schwer in Mode. Erst waren es die doofen Mountainbikes, die bei euch sogar in den Städten gerne gefahren wurden, obwohl der Rollwiderstand ähnlich schlecht ist wie der eines Schützenpanzers. Und jetzt im Moment sind eher diese alten Rennräder hipp: dünne Rennradreifen, abgesägte Lenker und fehlende Schutzbleche.

Was für ein Quatsch: besonders bei Kopfsteinpflaster, Regen und nach einem Großeinkauf. Da stellt mancher Hipster nämlich fest: mit ultracoolen Bikes kann man nicht mal die kleinste Kekspackung transportieren, weil diese nämlich keinen Gebäckträger haben. Und deshalb haben viele junge Leute einen Rucksack dabei, der allerdings heftig den Rücken belastet. Kein Wunder, dass eine ganze Generation später in die Rückenschule muss.

Meine These: Räder ohne Gepäckträger sind eine Einbahnstraße auf dem Weg ins Nirvana der Nachhaltigkeit. Hier wird in übler Weise die Funktion wegen lächerlicher Form Liebhabereien beschädigt. Wie kann man nur einen Gepäckträger aus Designgründen weglassen? Das raubt dem perfekten Produkt Fahrrad sein bestes Stück. Mit Gepäckträger kann ich beispielsweise als nachhaltiger Gastgeber mühelos Bierkästen mit dem Fahrrad transportieren.

Das geht bei uns in den Niederlanden ganz locker und easy: da gibt es eine besondere Technik. Bierkasten auf den Gepäckträger und dann wird dieser mit einer Hand hinten festgehalten, die andere bleibt am Steuer. Dabei hilft uns das zeitgenössische Bierkastendesign. Nach dem Motto „form follows function“ haben die niederländischen Bierkästen nämlich extra einen Griff in der Mitte, den es von oben zu bedienen gilt. Das klappt hervorragend.

So sind Getränkekisten nur ein Beispiel dafür, wie pfiffigeres Design viele Produkte des Alltags für die Nachhaltigkeit fit machen könnten. Bisher sind diese leider komplett für die Autogesellschaft konzipiert. Beispiel: der Drive-In von Fast-Food Ketten. Wie blöd sieht das denn aus, wenn man da mit dem Fahrrad in der Reihe steht. Insbesondere wenn es regnet. Hier wäre ein Tunnel ins Gebäude rein und eine gesonderte Spur im Restaurant an der Kasse vorbei nicht schlecht.

Anderes Beispiel: feine Anzüge für besonders schicke Business-Gelegenheiten. Auch in diesem Fall ist die Berufskleidung des Politikers und Bankers auf die Benutzung einer klimaschädlichen Limousine zugeschnitten. Wer jemals mit einem Anzug mit Hemd und Krawatte auf einem Rad mit Kettenschaltung einen Berg bei Hagel hinauf fuhr, der weiß, dass Ökologie und Mode noch zwei Welten sind. Ich warte immer noch auf den ersten Business-Bike Anzug, der die Seriosität des gepflegten Auftritts mit der Eleganz der klimafreundlichen Fortbewegung verbindet.

Zurück zum Bier: da hätte ich sogar einen Geheim-Tipp für Brauereien, womit diese steinreich werden können. Es gibt ja schon tolle Kästen, die man in der Mitte teilen kann. Da wäre es natürlich super pfiffig, wenn die Bierkastenhälften mit Haken versehen wären, die links und rechts wie Satteltaschen am Gepäckträger eingehängt werden könnten. Weil heute Norbert Röttgen in NRW verloren hat, stelle ich diese grandiose Ökosex-Design-Idee dem Bundesumweltminister und den deutschen Brauereien kostenlos zur Verfügung. Sozusagen als Gemeinleergut. Das ganze könnten wir „Radlerkasten“ nennen und natürlich sollten wir erst mal mit dem Vertrieb von Radler beginnen.

Garagen zu solaren Wärmespeichern

Nehmen was da ist: Wir sollten vorhandene Infrastruktur öfter umwidmen

Garagen zu solaren Wärmespeichern

Nehmen was da ist: Wir sollten vorhandene Infrastruktur öfter umwidmen

(04. Mai 2012) Das Etschtal ist an sich schon spektakulär genug. Alles voller Weinberge und Apfelplantagen und dann geht es links und rechts rockig bergauf. In Rovereto, zwischen Verona und Trento, überrascht auch noch eine in die Brennerautobahn integrierte Photovoltaik-Anlage. Als ich gestern vorbeifuhr schien die Sonne herrlich auf sie herab und  blau glänzten die Module in der alpinen Frühlingssonne. Das sind natürlich echte Glücksmomente. Das war Urlaub und Bildungsreise in einem. Also eine Art Doppelnutzen, um den es heute geht.

Photovoltaik an oder auf Lärmschutzwänden ist ja an sich nichts Neues. Diese hier war aber eine eigens konzipierte PV-Lärmschutzwand, mit einem eleganten Knick im oberen Bereich. Sah recht gut aus und leuchtet in der Alpensonne in einem Tal, das mit dem Lärm des Verkehrs kämpft. Nicht nur der Autobahn. Auch die Bahnstrecke kreischt, wenn Güterzüge vorbeirauschen. Da bedeuten PV-Lärmschutzwände eben echten Doppelnutzen.

Was ich in den letzten Tagen der Entschleunigung ebenfalls gesehen habe: solare Heustadl und Carports in Südtirol. Der Solarcarport ist für mich das Symbol des Fortschritts im 21sten Jahrhundert an sich. Das hängt mit dem Erbe der unnachhaltigen Moderne zusammen. Von allen Gebäuden der Moderne sind nämlich Autogaragen mit Abstand die Dämlichsten. Viele Siedlungen in Deutschland sind durch grässliche Betonkisten entstellt. Warum? Damit unsere Autos nicht nass werden. Das ist alles andere als Mehrfachnutzen.

Wie jeder weiß, leben wir ja leider noch lange nicht in einer Öko-, sondern immer noch in einer Garagendiktatur. Der Gesetzgeber schreibt vor, wie viele Garagen pro Wohnung zu bauen sind. Da wäre eine klare gesetzliche Ansage ein Innovation: Garagen zu Solarports. Oder noch besser: Auto auf die Straße stellen und die Garage zum riesen Wasserspeicher umbauen für die saisonale Wärmespeicherung. Natürlich bei Bedarf auch zum Proberaum für die Rockband der Kinder des Autobesitzers. Man stelle sich vor, es gebe in Deutschland eine gesetzlich vorgeschriebene Proberaumbewirtschaftung. Was hätten wir für tolle Bands!

Ähnlich eindimensional war bisher die Verwendung der Autobahn. Soviel Fläche versiegelt, soviel viel Lärm, soviel tote Streifen am Rand und in den Auffahrten. Und eigentlich brummen darauf nur Motoren hin und her. Was könnte man damit nicht alles anstellen? Ich habe mal vor Jahren in einer Kolumne mit der deutschen A7, der Magistrale von Nord nach Süd, angedacht, was die Kombination Erneuerbare und Autobahn bedeuten könnte. Hermann Scheer hatte die Idee politisch vorgestellt und heute versucht die Hermann Scheer-Stiftung mit einer Projektplattform die Idee zu kommunizieren.

Und tatsächlich sind neben Autobahnen oder an Schnellstraßen insbesondere in Bayern in den letzten Jahren einige große Photovoltaik-Freiflächenanlagen entstanden. An der A3 gibt es in der Aschaffenburger Gegend eine sogenannte „Einhausung“, also eine komplette Überbauung, auf die PV montiert wurde. In Rheinland-Pfalz stehen an der A 61 im Hunsrück ziemlich viele Windkraftanlagen. Zugegeben, das ist bisher alles sehr konventionell und spielt sich eher auf den Flächen neben und nicht so sehr direkt an der Autobahn ab.

Was fehlt, sind Ideen für die echte Energieautobahn, die auf der eigenen Fläche Autobahnenergie produziert. Module im Mittelstreifen, Energiepflanzenanbau auf den Grünstreifen daneben oder Energiespeicherung an der Autobahnraststätte. Solche Sachen eben. Im Internet habe ich auch die Idee einer kompletten PV-Überdachung gesehen, die könnte an Stellen mit Gefälle im Winter nebenbei Staus und Unfälle vermeiden. Klingt erst mal schräg und das soll es auch. Was es wohl braucht, sind Konzepte, die jeder erst für bekloppt hält.

Es gibt einen belgischen Professor, der den Ansatz der konsequenten Verwendung vorhandener Infrastruktur propagiert. Kleine Windturbinen in vorhandenen Strommasten und so was. Die Strommasten stehen tatsächlich nur so in der Gegend rum. Genauso wie die vielen Straßenlaternen. Insbesondere in Belgien, womit wir wieder bei der Autobahn wären. Belgien sollte uns in diesen Dingen Hoffnung machen. Da kam einer vor 50 Jahren mit der schrägen Idee, die ganzen Autobahnen zu beleuchten und dafür Hundertausende von Masten aufzustellen. Und? Die Belgier haben das damals tatsächlich gemacht. Wegen des Doppelnutzens nämlich. Vordergründig ging es natürlich um Verkehrssicherheit, aber nebenbei konnten sie auch noch ihren nächtlichen Atomstrom versenken . . .

Gutmensch oder Gutleber?

Wer Fußball liebt ist ein Fußballfan. Wie aber heißt jemand, der das gute Leben lebt?

Gutmensch oder Gutleber?

Wer Fußball liebt ist ein Fußballfan. Wie aber heißt jemand, der das gute Leben lebt?

(20. April 2012) Wieder war ich Montag Abend bei einer Anhörung meines Stadtrates in Maastricht, wieder zum Thema Windpark in Stadtnähe. Wieder sprach ich als einziger Bürger für und 16 andere gegen die Turbinen. Wieder wurde mir von erregten Mitbürgern vorgeworfen, ein schlechter Mensch zu sein, weil ich die Gesundheitsrisiken des tiefen Schalls für die Bewohner angesichts anderer Risiken für akzeptabel hielte. Ich ein Schlechtmensch? Das war eher unschön. Aber emotional sehr anregend.

Diffamieren würde ich meine Beleidiger dennoch  nicht, da sie sich zu recht um ihren Schlaf und den Wertverlust ihres Hauses sorgen. Leider wurden einige so wütend, dass von einem offenen Diskurs im Habermaschen Sinne, nicht wirklich gesprochen werden konnte. Aber, die Maastrichter Windenergiegegner sind deshalb noch lange keine „Wutbürger“. Denn Wutbürger ist ein mieser, diffamierender Begriff, der normales gesellschaftliches Engagement verunglimpft.

Heut will ich mal einige Begriffe klären, die im Kulturkampf der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen. Der mieseste Kampfbegriff ist bekanntlich „Gutmensch“. Das ist genial ausgedacht. Dadurch wird soziales und ökologisches Engagement mit einem Handstreich als naives, egoistisches, verlogenes Geheuchel weggeputzt. Natürlich habe auch ich bei „Gutmensch“ die wütenden, aufgebrachten Diskutanten im Ohr, die ihre absolute Moral dem Andersdenkenden entgegen kreischen. Die waren insbesondere früher im links-alternativen Milieu zahlreich, werden aber weniger.

Hier in den Niederlanden haben die Rechtspopulisten übrigens einen ebenso genialen Kampfbegriff geprägt: „die linke Kirche“. Das verbindet nun zwei Dinge, die auf den ersten Blick gar nicht zusammen passen wollen. Gemeint ist erst mal eine dominierende, rigide Ideologie, die anscheinend das Land lange beherrschte. Damit ist lustiger weise alles gemeint vom Klimaschutz über die Menschrechte, von der Integrationspolitik bis zur Theatersubvention. Alles eben verquere „Gutmenschen Ideologie“. Und jeder, der diese Dinge noch für wichtig hält, ist gleich in der Verteidigung. Auch ein toller Kommunikationscoup. Wer möchte schon ein Gutmensch sein und zur linken Kirche gehören?

Vielleicht wäre es an der Zeit, mal einen Wettbewerb auszuschreiben für ähnliche Kampfbegriffe in die andere Richtung: „Autoheilige“ vielleicht oder „Bankenknechte“. Das sind dann eben  Leute, die gut zu Autos und Banken sind. Oder „Wachstumsflüsterer“. Das sind Leute, die an das Märchen glauben, Wirtschaftswachstum im heutigen Stil führe bei uns zu mehr Wohlstand. Oder anders gesagt: der jetzige Wohlstand habe unmittelbar etwas zu tun mit dem „gutem Leben“. Ums gute Leben stritt ich am Samstag beim taz-Kongress im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Und da fiel mir auf, dass uns im Deutschen ein wesentliches Wort fehlt. Wie heißt einer, der das gute Leben einfach lebt? Mit einfach ist hier nicht gemeint, dass dies wirklich einfach ist. Das fängt wie gesagt beim Begriff an.

Da hilft nämlich der französische „Bon Vivant“ nicht weiter. Der passt zu Gaulloise, Rotwein und Käse, ist aber in der Übersetzung als deutscher Bonvivant eine Spur zu hedonistisch. Ich meine ein prima wirtschaftlich nachhaltiges, soziales und doch auch kulturell-materiell anregendes Leben im Sinne einer ganz neuen europäischen Ökosex-Vision. Ist das ein Lohas? „Huuuih“, würde sich der durchschnittliche taz-Kongress Besucher erregen: der Lohas ist doch wie der Bankenknecht und der Wachstumsflüsterer jemand, der an Kapital und Produktion nicht wirklich zweifelt. Der will doch nur ein bisschen mit Fairtrade und Bio spielen, um sich gut zu fühlen!

Ich überzeichne natürlich. Richtig ist, gut fühlen ist was anderes als gut leben. Und gut kaufen reicht natürlich auch nicht. Nicht weinen liebe Lohas, auch „Ökosexfreund“ ist als Begriff natürlich viel zu einseitig auf grün gerichtet. Wahrscheinlich brauchen wir was ganz unverbraucht Schlichtes: jemand, der gut lebt, ist ein „Gutleber“. Weiblich die „Gutleberin“. Ich weiß, das klingt ein bisschen nach guter Leber, aber etwas Besseres habe ich im Moment nicht im Angebot. So möchte ich den Begriff „Gutleber“ heute offiziell in den deutschen Diskurs einführen. Dazu wird Euch/Ihnen, also dem Schwarm, ein besserer Schmarrn einfallen. Ich bitte um Wortmeldungen, liebe Lohas, Gutmenschen und Bankenknechte

4:2 gegen die Nachhaltigkeit

Kurze Zwischenbilanz im Kulturkampf: Was fühlt der Mainstream und gibt es ihn überhaupt noch?

4:2 gegen die Nachhaltigkeit

Kurze Zwischenbilanz im Kulturkampf: Was fühlt der Mainstream und gibt es ihn überhaupt noch?

(04. April 2012) Bei einem Vortrag letzte Woche in Berlin habe ich versucht einem internationalen Publikum zu beschreiben, wie es in Sachen Nachhaltigkeit in Deutschland steht. Und zwar nicht politisch, sondern gefühlsmäßig. Fazit: immer noch 4:2 für die Anti-Nachhaltigkeitslobby. Und das hat viele Ausländer überrascht, die dachten die Deutschen seien doch irgendwie „crazy green“. Wie Martin Tillich auf Utopia zu recht analysiert hat, feiert im Moment eher das Öko-Bashing ein Comeback. Das zeigt: die heiße Phase im Kulturkampf um ökologisch-soziale Herzen hat erst begonnen.

Wie komme ich auf 4:2?

In Sachen Atom ist das einfach: die gesamtgesellschaftliche Emotion war nach Fukushima so überdeutlich, dass Angela Merkel aussteigen musste. Atom ist in Deutschland uncool (0:1). Dagegen helfen selbst keine Horrorbilder von Kosten und Stromausfall, die überlebende Atommummies immer wieder kommunizierten. Deutschland hat sich hier eher dem Mutterland der Atomabneigung angenähert. Dies ist bekanntlich Austria, wo die Bevölkerung beim Gedanken an tschechische und bayerische Reaktoren seit Jahren Hitzewallungen bekommt.

Eine weitere recht positive Gefühlslage habe ich für Biolebensmittel festgestellt. Die ehemals exotische Vorliebe bärtiger Sandalenträger ist insbesondere auch bei gutverdienenden Meinungsmachern populär geworden. So richtig gegen Biolebensmittel ist niemand mehr (0:2). Auch Vegetarier sind nicht mehr skurril, sondern okay. Allerdings ist auch die Bratwurst immer noch sehr wichtig. So führt auch anders als erwartet die Akzeptanz von Bio nicht wirklich zu einem massiven Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft. 94% der Anbaufläche in Deutschland ist immer noch konventionell. Die Schweine stapeln sich in Niedersachsen (1:2). Der Bioanteil steigt zwar, betrug am Umsatz aller Lebensmittel Ende des Jahrzehnts immer noch unter 4 Prozent. Die Zahl hat mich erschüttert. In Dänemark ist es fast doppelt so viel. Dies zeigt wiederum, dass Konsumentengefühle das eine sind, intelligente Politik das andere.

Wie steht es in Sachen Energiewende und „not in my backyard“? Da würde ich sagen eher unentschieden. In Süddeutschland nimmt die Akzeptanz für Windparks zu und die Energiegenossenschaften boomen. In anderen Gegenden, wo schon viele Mühlen stehen, wird es schwieriger. Auch scheint in den Medien Solarbashing beliebt, und auch darum funktionierte das Abwürgen der Photovoltaik durch die Regierung (2:2). Ob das allerdings vom Mainstream gemocht wird, bleibt offen. Insgesamt haben natürlich angesichts einer Million privater PV-Anlagen die solaren Vibrations schwer zugenommen. Das wird noch für die Gegner der Erneuerbaren ein Problem.

Bleiben die 40 Millionen Autos. Forscher sehen eine neue urbane Generation, die die Lust am Auto verloren habe. Mhm. Da bin ich skeptisch. Der Verkauf von SUVs steigt wieder (3:2). Große Dienstlimousinen werden immer noch staatlich gefördert. Eine rationale Haltung zum Produkt ist immer noch marginal. Der Punkt geht trotz Elektrogequatsche voll an die Brumm-brumm Fraktion. Die deutschen Autokonzerne verdienen gut wie nie, doch niemand fordert den Subventionsstopp (Dienstwagenbesteuerung, Entfernungspauschale), eher neue Hilfen wegen Benzinpreisen. Auch ist Rasen immer noch gesellschaftsfähig (4:2). Ob es auch Mainstream ist?

Da muss ich mal die Leute vom Sinus Institut fragen, die die deutschen Milieus beobachten. Nach deren Aufteilung Deutschlands in 10 verschiedene Stämme scheint allerdings fraglich, ob es überhaupt noch einen Mainstream gibt. Die Gesellschaft löst sich auf in Kleingruppen. Das sozial-ökologische Milieu kommt dabei nur auf einen Anteil von 7,2 %. Darüber können sich die Hedonisten sicher amüsieren, die mit 15 % mehr als doppelt so groß sind. Ich muss mich wohl mehr um die Hedonisten kümmern.

Moral und Hose

Freiheit und Nachhaltigkeit: Wir brauchen auch geistige und moralische Ansagen in Sachen Öko und Gerechtigkeit

Moral und Hose

Freiheit und Nachhaltigkeit: Wir brauchen auch geistige und moralische Ansagen in Sachen Öko und Gerechtigkeit

(19. März 2012) Ich bin für Nachhaltigkeit und als Bundespräsident wäre das mein großes Ding. Auch ich habe mein Lebensthema gefunden. Und wie unser neuer Bundespräsident bin auch ich ein bisschen einseitig. Freunde und Bekannte beklagen das, weil mein Gequatsche über Photovoltaik, Windenergie und Dreifachverglasung manchmal nachhaltig nervt. Das ist sicher bei Gauck auch so. Bei Familiengeburtstagen werden sie stöhnen, wenn er wieder an die Freiheit erinnert.

Wie bei mir: ich erinnere bei Familienfesten ab und zu an den CO2-Ausstoß von Onkels neuem Auto. Monothematische Typen nerven, das ist bewiesen. Und natürlich blockiert die Einseitigkeit auch andere wichtige Aspekte des Lebens. Ich spreche beispielsweise wenig über Freiheit, obwohl ich auch sehr für Freiheit bin. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass ich als schwäbisch-niederländischer Europäer immer in Freiheit gelebt habe. Das heißt nicht, dass mir die Freiheit egal ist. Sicher kann ich da noch einiges von unserem neuen Bundespräsidenten lernen. Er wiederum ist sicher nicht gegen die Nachhaltigkeit, wo doch Freiheit und Nachhaltigkeit zusammen gehören.

Ja, sie hören richtig. Öko und Nachhaltigkeit hat viel mit Freiheit zu tun. Und nicht etwa mit Unfreiheit. Viele denken ja sofort an Glühlampenverbot oder an ein Tempolimit und meinen, eine echte Nachhaltigkeitspolitik fördere nur den Hang zur Ökodiktaktur. Nein, eher im Gegenteil. Nicht nachhaltige Politik und Handeln führt zur Unfreiheit. Unfreiheit der Verkehrsmittelwahl beispielsweise: Ich habe letzte Woche eine Stadt ohne Fahrradinfrastruktur gesehen. Ich war in Aberdeen in Schottland. Unvorstellbar! Eine Stadt ohne Fahrräder! So etwas ist eine schlimme Freiheitsberaubung. Zwangsmotorisierung und Autodiktatur durch verantwortungslose Verkehrsplanung. Und leider gibt es das auch immer noch in Deutschland. Da frage ich mich manchmal, warum sich Bürger eine solche Beschneidung ihrer Freiheit bieten lassen. Ich erwarte gerade in Sachen Fahrradwege klare Worte vom neuen Bundespräsidenten.

Deshalb hoffe ich, es gibt eine Schnittmenge zwischen dem Gauckschen Freiheitsbegriff und dem Umbau der Industriegesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit. So sollte der Bundespräsident beispielsweise etwas sagen zu einem schwierigen Problem der Freiheit: dem Kauf einer Hose. Ich war am Wochenende in Maastricht in einem „fairtrade“ Hosenladen. Recht einfache aber grundehrliche Hosen ab 125 Euro. Joachim Gauck sagte in seiner Antrittsrede „zur Freiheit gehört die Verantwortung“. Sehr gut. Meine Freiheit in Deutschland im Konsumkapitalismus ist ja sagenhaft: ich könnte eine Hose um 12.50 Euro kaufen.

Die wiederum hängt sehr oft direkt mit der Unfreiheit anderer zusammen. Beispielsweise unserer Näherinnen in Bangladesh, denen verwehrt wird, einer Gewerkschaft anzugehören. Oder während der Arbeit aufs Klo zu gehen. Meine Freiheit zum Schnäppchen bedeutet also Ausbeutung. Was sagt Gauck dazu? Nehmen wir an, ich kaufe die Hose um 12.50 Euro: handelt es sich um einen Missbrauch meiner Freiheit auf Kosten anderer? Mich würde freuen, wenn ein Bundespräsident auch mal was Schlaues sagen könnte zum Eingemachten des globalen Kapitalismus. Hier braucht es nämlich tatsächlich neue moralische Debatten und vielleicht auch einen neuen moralischen Grundkonsens. Bisher gehörte die Sorge um die Freiheit unserer Hosenproduzenten nicht unbedingt zum Wertekanon dieser Gesellschaft.

Ähnlich ist es mit unserer Verantwortung für die Freiheit künftiger Generationen. Auch dazu würde ich gerne was hören: wo genau müssen wir unsere Freiheit freiwillig beschneiden, um die Spielräume künftiger Generationen zu bewahren? In Sachen Atomkraft hat die deutsche Gesellschaft einen Grundkonsens zum Ausstieg gefunden. Dahinter steckt eine Menge moralischer und emotionaler Überzeugung. Interessanterweise kam dieser moralische Konsens aus der Gesellschaft und nicht vom politischen Spitzenpersonal. Bei der Nachhaltigkeit ist es bisher ähnlich. Auch hier sind Teile der Gesellschaft bereits weiter als die Politik. Darum wird es spannend, wo Gauck die Grenzen unserer Freiheit sieht: bei Dienstlimousine über 350 g/km CO2? Bei Geschwindigkeiten jenseits der 120 km/h auf der Autobahn? Oder bei subventionierten Billigflügen nach Mallorca?

Solarausstiegsgesetz

Der Regierungsvorschlag erstaunt: nicht nur die Solarbranche soll abgewickelt werden, sondern die Erfolgselemente des EEGs

Solarausstiegsgesetz

Der Regierungsvorschlag erstaunt: nicht nur die Solarbranche soll abgewickelt werden, sondern die Erfolgselemente des EEGs

(03. März 2012) Davon geht die Sonne nicht unter, kommentierte die taz fröhlich am Donnerstag in Sachen PV-Kürzung. Wir hätten ja noch ein paar Jahrzehnte Zeit für die Energiewende. Die Experten von der Zeitschrift Photon werden die März-Ausgabe dagegen etwas anders aufmachen: "Solarfeind Nummer Eins" mit einem Porträt von Norbert Röttgen. Der Bundesumweltminister? Werden sich viele fragen. Ist das nicht der tapfere Freund der Solarindustrie, der sogar im Tausch für eine moderate Kürzung der EEG Zulage gegen Rösler bei der Effizienrichtlinie nachgegeben hat?

Dass gerade die Zeitschrift Photon die neuen EEG Vorschläge der Regierung und die Rolle Röttgens als katastrophal beschreibt, ist bemerkenswert. Photon ist unverdächtig in Sachen Kuscheln mit der Industrie. Chefredakteurin Anne Kreutzmann forderte jahrelang heftige Absenkungen der Vergütung für PV Strom und wurde von der Solarbranche dafür gehasst. Nein, Kritik an diesen Vorschlägen ist eben nicht das normale Jammern einer Lobby. Röttgen hat nicht die PV und das EEG gegen Rösler verteidigt, sondern eine Vorschlag vorgelegt, der nicht nur den Solaraufbau und die daran hängenden Arbeitsplätze in Deutschland gefährden, sondern das EEG insgesamt verändert und die gesamte Energiewende behindern könnte.

Der Reihe nach: die Regierungspläne bedeuten vor allem das Ende der Berechenbarkeit für potentielle Investoren und Anlagenbauer. Interessanterweise ist es gerade die politische Zuverlässigkeit, die internationale Studien immer wieder als deutschen Vorteil betont haben. Deshalb ist bis heute Windenergie und Solarenergie in Deutschland auch günstiger aufzubauen als in vielen anderen Ländern mit anderen Förderinstrumenten. Günstige Kapitalkosten, der Aufbau mittelständiger Unternehmen, das Engagement von Millionen Bürgern: dies war in Deutschland möglich, weil seit mehr als 10 Jahren verschiedene Gewissheiten galten.

Einfach statt komplex: das Recht auf Einspeisen, die vollständige Abnahme des Stroms durch den Netzbetreiber mit einer festen Vergütung für 20 Jahre und eine gesetzlich festgelegte Degression dieser Vergütung durch den Bundestag nach einer breiten Debatte und in überschaubaren Zeiträumen. Die letzten Monate dagegen waren ein Lehrstück politischer Unberechenbarkeit für Wirtschaftsakteure. Geht es nach den Plänen der Regierung, bleibt von den Gewissheiten nur noch das Recht auf Einspeisung übrig und dessen Wert ist schwer gemindert, die Regelungen hoch komplex.

Der Netzbetreiber muss nämlich bei PV nur noch 85% bei kleinen und 90% bei großen Anlagen vergüten. Klingt harmlos und nennt sich Marktintegration, ist aber im Grunde eine weitere Degression der EEG Vergütung und der Ausstieg aus dem Prinzip der festen Vergütung. Tatsächlich könnte hier der Plan aufgehen: die absolut heftige Einmaldegression, plus die monatlich geplanten Absenkungen, plus die Unsicherheit durch den nichtvergüteten Anteil könnten größere PV-Projekte komplett erledigen.

Gut für alle, die eine Vollbremsung beim Solaraufbau und einen Abbau der Arbeitsplätze möchten. Allerdings liegt hier aber auch ein erheblicher Systemwechsel insgesamt. Das heißt, auch die Windenergie kann sich auf ein Ende der garantierten Vergütung des gesamten Stromes einstellen. Fast noch entscheidender für steigende Kapitalkosten und fehlende Planungssicherheit aller Akteure ist die Abkehr von der bisherigen parlamentarischen Debatte über künftige Anpassungen des EEGs.

Im Rösler-/Röttgen-Vorschlag wollen sich diese ermächtigen, ad-hoc nicht nur die Anpassung der Vergütungen, sondern auch die Anpassung eben jener Prozente der Nicht-Vergütung per Verordnung für alle Erneuerbaren regeln zu können. Bisher wurde dies nach breiter Diskussion und in abschätzbaren Zeiträumen vom Bundestag gemacht. Ja, der explosive PV-Aufbau hat schnelle Anpassungen nötig gemacht. Ein Freibrief für die Ministerien freihändig an Vergütung und Vergütungsumfang zu schrauben, ist allerdings der Alptraum jedes Projektplaners. Wie soll ein Businessplan aussehen, der im Worst-case-Scenario mehrere Ad-hoc Absenkungen einplanen soll? Und wie gesagt, das kann in Zukunft nicht nur die Photovoltaik treffen.

Unglaublich ist, was eine CDU/FDP Regierung Wirtschaftsakteuren zumutet: Bisher hatten sich die Planer auf die gesetzlich vorgesehene weitere 15%ige Absenkung der Vergütung für den Juli eingestellt, wohlwissend dass dies vielleicht heftiger ausfallen könnte wegen fallender Modulpreise. Dann spricht die Regierung plötzlich von einer Sonderkürzung im Mai, gefolgt von monatlichen Kürzungen. Nicht besonders einfach nun die Vergütung für den November 2012 zu kalkulieren.

Überfallartig dann die nächste Meldung: die Regierung spricht vom 9. März als Stichtag für das angepasste EEG. Ziemlich deutlich, dass dies zu einer Welle an Stornierungen führen wird. Und dies trifft nicht nur die viel beschworenen chinesischen Modulhersteller, sondern in erster Linie Handwerker, Projektentwickler, Landwirte und Privathaushalte in Deutschland. Sieht man sich den Rösler-/Röttgen-Vorschlag genauer an, ist genau dieser Abbau der Branche jetzt auch offizielles Ziel der Regierung.

Dies zeigt der sogenannte neue Ausbaukorridor. Der sieht für 2012 eine Halbierung der Zahlen von 2011 vor, was bisher bereits galt. Nach 2012 soll es dann jährlich bergabgehen mit dem Zubau. Im Jahr 2017 soll im Vergleich mit heute weniger als 15% installiert werden. Deshalb ist es in keiner Weise polemisch, die Vorschläge als Solarausstiegsgesetz zu bezeichnen. Warum Deutschland gerade dann den Ausbau stoppt, wenn die Module wirklich günstig werden und Spielraum bleibt für Innovationen in Sachen Netzintegration, bleibt dabei ein Rätsel.

Große Parks über 10 Megawatt fallen völlig aus der Förderung, und kleine Megawattparks sind wegen absurder Abstandsverpflichtungen schwierig zu planen. Interessanterweise könnten genau diese am schnellsten Strom zu Preisen produzieren, der laut Photon heute mit Off-shore und bald mit Onshore Wind konkurrieren könnte. Es geht also nicht wirklich um Kosten, sondern um Kommunikation. Jetzt rächt sich der falsche Medientenor der letzten Monate: "PV frisst uns die Haare vom Kopf!". Stimmt zwar nicht, macht die Abwicklung allerdings erst möglich.

Solarenergieschrumpfungsgesetz

Die Bundesregierung plant tatsächlich weniger Wachstum: leider beim Aufbau der Photovoltaik

Solarenergieschrumpfungsgesetz

Die Bundesregierung plant tatsächlich weniger Wachstum: leider beim Aufbau der Photovoltaik

(28. Februar 2012) Wieder was zum Solarstrom: das hat mit dem epochalen Beschluss der Bundesregierung zu tun. Ich konnte die letzten Nächte kaum schlafen, weil ich so aufgewühlt war. Die Regierung hat eben ein „Solarenergieschrumpfungsgesetz“ beschlossen, nämlich das geplante Einstampfen des jährlichen Aufbaus der Photovoltaik. Als Solarfreund ist das für mich natürlich ein Schlag ins Gesicht. Der Vorschlag zur Neugestaltung der Solarvergütung ist aber auch aus ordnungspolitischer Sicht schmerzhaft: die planwirtschaftlichen Elemente kommen von einem FDP Minister, vom Genossen Rösler. Der hat sich nämlich mit der Idee des jährlichen Abbaus gegen den Marktwirtschaftler Röttgen durchgesetzt. Der Mehrjahresplan des weisen FDP-Wirtschaftslenkers sieht vor, die Photovoltaik solle in den nächsten Jahren jährlich heftig schrumpfen. Hier die Zahlen: im Jahr 2011 wurden in Deutschland ungefähr 7.5 Gigawatt an PV zugebaut. Im Jahr 2012 soll es nur noch die Hälfte sein und ab 2014 sollen diese rund 3 Gigawatt jedes Jahr nochmals um 0.4 Gigawatt schrumpfen. Soll heißen: im Jahr 2019 sollen demnach in Deutschland nur noch rund 0.5 Gigawatt dazu gebaut werden. Das wären also weniger als 10% des Jahres 2011!

In Sachen Postwachstumsgesellschaft kann man hier nur „Chapeau“ rufen. Endlich macht eine Regierung Ernst  mit "weniger". Zwei Dinge sind besonders spektakulär: die Politik gibt ein Mengenziel vor mit ehrgeizigen Reduktionsschritten und dazu noch einen genauen Zeitplan. Zynisch könnte man sagen, das sei prima für die Branche. Handwerker, Projektentwickler und Modulhersteller können sich sauber auf den rasanten Abbau von Aufträgen und Jobs in Deutschland einstellen. Zum Vergleich: die Steinkohlesubventionen werden in Deutschland seit Jahrzehnten verlängert und jahrelang nur schrittweise abgebaut aus sozialpolitischen Gründen. Auch abgeschaltete Atomkraftwerke brauchen jahrzehntelang noch Personal und der Staat schafft Stellen bei der Entsorgung. Die Photovoltaik- Branche dagegen muss brachial flexibel sein: im Gesetz war eine Absenkung der Einspeisevergütung – also der Grundlage für jede Anlagenplanung - im Juli vorgesehen. Dann sprachen Rösler und Röttgen vom Vorziehen einer einmaligen Sonderkürzung in den April. Letzte Woche haben sie nun verkündet, eine außerplanmäßige Kürzung werde bereits am 9. März stattfinden. Und warum? Um uns Stromkunden angeblich vor zu hohen Stromkosten zu schützen.

Wie sich der Ausbau der Photovoltaik wirklich auf den Strompreis auswirkt, darüber lässt sich streiten. Auch ist heute nicht klar, wie heftig der erlebte Preisverfall der Module weitergeht. Aber selbst Kritiker des rasanten PV-Aufbaus der letzten Jahre müssen heute zugeben, dass uns die PV wahrscheinlich doch nicht die Haare vom Kopf frisst. Die bereits im Gesetz geplanten Absenkungen hätten bereits im Jahre 2013 zu einem Gleichziehen der Vergütungen mit Off-Shore-Wind und Biogas geführt. Auf dem Dach kann PV-Strom bereits heute mit dem Haushaltsstrompreis konkurrieren. PV bedeutet also heute schon eine echte energiepolitische Revolution. Und hier wird es absurd. Dezentraler, selbstproduzierter PV-Strom in regionalen Netzen ist vergleichbar mit der Revolution, die der PC und das Internet gebracht hatten. Ist es vorstellbar, dass im Jahre 1995 jemand vorgeschlagen hätte, den Verkauf von Computern in Privathaushalten heftig runter zufahren, weil wir sonst in neue Leitungen investieren müssten und das alte Telefonnetz dafür nicht ausgelegt sei? Ist es vorstellbar, dass die Regierung in dieser Zeit den Verkauf von Handys erschwert hätte, weil die Kosten der Privathaushalte durch mobiles Telefonieren explodierten? Nein, das ist unvorstellbar. So ist auch das staatliche Abwürgen der PV als Schlüsseltechnologie des 21sten Jahrhunderts eigentlich unvorstellbar. Und erfreulicherweise wird der 10 Jahresplan dieser Bundesregierung auch in der Mülltonne der Geschichte landen. Ein Trost bleibt nämlich: die Sonne in ihrem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf.

Jetzt neu: ich bin ein Feindbild!

Rollentausch: wenn Bürgerinitiativen gegen Windmühlen kämpfen, gehöre ich plötzlich zum verhassten Establishment

Jetzt neu: ich bin ein Feindbild!

Rollentausch: wenn Bürgerinitiativen gegen Windmühlen kämpfen, gehöre ich plötzlich zum verhassten Establishment

(15. Februar 2012) Think Globally, act locally! Ist bekanntlich ein hübsches Motto der Umwelt und Nachhaltigkeitsfreunde. Deshalb kümmere ich mich auch um die Politik in Maastricht, wo ich wohne. Vor ein paar Tagen hatte ich ein besonderes Erlebnis lokaler Demokratie im Stadtrat. Der Ausschuss für Raumplanung war zusammengekommen, der über einen Standort von vier Windmühlen am Rande der Stadt zu entscheiden hat. Maastricht hat sich nämlich ein tolles Projekt vorgenommen: es sollen 70 Millionen Euro in ein erneuerbares Energiekraftwerk investiert werden mit Solar, Wind, Biomasse und Wasser. Kein Pipifax, sondern Strom für mehr als 25 000 Haushalte. So weit, so wunderbar erneuerbar. Nun ging aber bisher alles schief, was schief gehen kann. Gegen die geplante Wasserkraft an der Maas haben die Fischfreunde geklagt und bekamen erst mal Recht. In der bereits erstellten Genehmigung waren die Fischverluste nicht genügend evaluiert. Die Photovoltaikpläne stocken, weil ein geplantes neues Stadtviertel wegen der Finanzkrise teils auf Eis liegt. Und gegen die Windräder gab es von Beginn an heftigen Protest der Leute, die am dichtesten dran wohnen. Letzte Woche war dann eine Art D-Day, ein Erörterungstermin im Stadtrat mit der Chance für Bürger, ihre Stimme hören zu lassen. Super! Gelebte Demokratie ist ja eine feine Sache.

Auf der Rednerliste hatten sich elf Bürger eingetragen. Zehn sprachen vor mir. Es waren die Gegner der Windmühlen, vereinigt in verschiedenen Nachbarschaftsinitiativen. Und die waren genauso drauf, wie früher meine Freunde in den Bürgerinitiativen, wenn es gegen Atom, Verkehrsprojekte oder sonstige Umweltschweinereien ging: Wut in ihren Augen, Schaum vor dem Mund. Im Saal waren heftige Vibrations unterwegs. Kurz zusammengefasst: der Stadtrat versündigt sich wegen schnöder Investoreninteressen an der Gesundheit der Anwohner. Windkraftanlagen machen krank. Die Geräusche sind unerträglich, das Flackern katastrophal, dabei bringen sie nix. Nullkommanull. Viel zu teuer und unsinnig. Offshore sowieso viel besser. Alles nur Prestigesucht.

Eigentlich war es wie bei Stuttgart 21: eine echte Debatte über Fakten, mögliche Gesundheitseffekte und Geräuschpegel war nicht möglich. Meine Mitbürger misstrauen dem System zutiefst, auch wenn die Stadt argumentiert, alle gesetzlichen Vorlagen einzuhalten. "Alle korrupt!" Die gesetzlichen Lärmbestimmungen sowieso zu lax und die Angaben der potentiellen Betreiber geschönt. Der neunte eisenharte Windenergiegegner sprach von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Dänemark: tiefe Töne, sehr besorgniserregend. Ganz neutral betrachtet, fand ich das recht schlau gemacht. Auch dieser unglaubliche Schrecken war gut vorgetragen. Nach der zehnten Bürgerin hatte sogar ich das Gefühl, diese Windmonster sind wesentlich gefährlicher als Atomkraftwerke, landschaftsvernichtender als Braunkohle und lärmender als jede Stadtautobahn. Dann durfte ich sprechen. Als letzter. Als einziger Freund der Windmühlen. Und tatsächlich sagte ich Dinge, die Vertreter der korrumpierten Politik immer so daher reden. Sprach vom Verständnis der Sorgen und Ängste (!?). Aber auch vom Abwägen der Vor- und Nachteile (mhm). Von der großen Chance dieser Investition für die lokale Ökonomie und den Klimaschutz (uih!). Sprach von echten Risiken: vom 35 Kilometer entfernten alten belgischen Atomkraftwerk, vom benachbarten Garzweiler und den zerstörten Braunkohle-Dörfern in NRW (schnief!). Und auch für mich selbst völlig unerwartet: ich sprach Betreiber und Stadt mein Vertrauen aus und betonte die Rechtmäßigkeit des Genehmigungsverfahrens. Rechtmäßigkeit! Zu Recht wurde ich später von den Bürgerinitiativen als das angesprochen, was ich bin: „der Feind!“ Ein mieser korrumpierter Büttel der Macht.

Konzernchefs zu Klassenkämpfern!

Der Plot des armen Stromkunden, der für die Solaranlage der Reichen blutet, ist professionelle Kommunikation. Professionell manipulierend.

Konzernchefs zu Klassenkämpfern!

Der Plot des armen Stromkunden, der für die Solaranlage der Reichen blutet, ist professionelle Kommunikation. Professionell manipulierend.

(31. Januar 2012) Sie haben es vielleicht gemerkt: es sind wieder Festwochen des Photovoltaik-Bashings. „Katastrophe“ schreien FAZ, Spiegel, WELT, Cicero und andere Blätter, weil die Energiewende tatsächlich Wirklichkeit wird mit dem Zubau an Solarmodulen! Das löst bei erheblichen Teilen der Publizistik Horrorvisionen aus: „Solarwahn, Ananas in Alaska, Irrsinn, völlige Ineffizienz“, vermelden leidend die Leitmedien. Dabei ist doch nur Herrliches passiert:

Im Jahr 2011 wurden wieder mehr als 7 Gigawatt Solarmodule in Deutschland aufgebaut. Sogar ein bisschen mehr als 2010. Wegen des deutschen Marktes wurde bekanntlich global die Massenproduktion angeworfen und so fielen die Modulpreise heftiger als erwartet. Heute gibt es eine Million PV-Anlagen in Deutschland und diese sind im Grunde der Volkswagen der Energiewende. Wir können also heute schon analog zum Fußball-Deutschland von PV-Deutschland sprechen. Wir könnten eigentlich alle miteinander zufrieden auf das Erreichte anstoßen und 2012 die nächsten Gigawatt Bürgeranlagen planen. Das wäre nämlich zum Wohle des deutschen Handwerks, der zahlreichen neuen Energiegenossenschaften, der Maschinenbauer und der chinesischen und deutschen Modulhersteller.

Leider fiel auch dieses Jahr die nationale PV-Feier aus. Dagegen ist der süddeutsche Zahnarzt in aller Munde. Der Plot, der PV-Gegner ist prima aufbereitet und könnte von professionellen Spindoktoren kommen: der Starnberger Zahnarzt, dieser Hund, bereichert sich schamlos auf dem Rücken der Armen Hartz-IV Haushalte mit seinen subventionierten Modulen. Da aber kommt schon der stolze Ritter im Kampf für soziale Gerechtigkeit. Diese Rolle des edlen Klassenkämpfers übernimmt in diesen Tagen überraschenderweise ein Konzernchef. Die Solarförderung sei die schlimmste Umverteilung von unten nach oben überhaupt, sagte ausgerechnet RWE Chef Jürgen Grossmann. Jemand, der seinen Klassenkampf sozusagen aus der S-Klasse heraus führt.

Laut Handelsblatt beklagte Grossmann, dass der Mini-Jobber aus Moabit die Solaranlage auf dem Praxisdach seines Zahnarztes im Chiemgau finanziere. Zahnarzt, Chiemgau, Starnberger See, Dolce Vita! So funktioniert Kommunikation. Wirtschaftsminister Rösler legt als Freund der Armen noch eins drauf und spricht vom Strompreis als Brotpreis des 21sten Jahrhunderts, den es durch das Einstampfen der Solarbranche zu retten gilt. Strom wie Brot? Stimmt, möchte man sagen, beides wird in Haushalten immer noch massenhaft weggeworfen, weil die Kosten anscheinend für viele nicht relevant sind. Aber die schiefen Sozial-Geschichten gemixt mit hochgerechneten Horrorkosten kommen in den Medien an und sind rein professionell gesehen gut gemacht. Eben professionell schräg, manipulierend und verlogen.

Soziale Gerechtigkeit? Warum sich gerade große, stromintensive Konzerne an der Finanzierung der Energiewende nicht beteiligen müssen, ist tatsächlich ein sozialpolitischer Skandal. Die sind nämlich von der EEG-Umlage so gut wie befreit und seit neuesten auch weite Teile der Industrie von Netzgebühren. Dies abzustellen, wäre tatsächlich ein Akt der Gerechtigkeit. Photovoltaik abwürgen dagegen, wäre zweifach für die Stromkonzerne gut. Denn die PV drückt die Erlöse der Konzerne in Spitzenstromzeiten an der Strombörse. Und das ist nun ein positiver Effekt, der nicht auf der Stromrechnung steht. Deshalb ist das Hochrechnen der EEG-Umlage (100 Euro mehr im Haushalt!) eben wenig aussagekräftig. Und auch wenn die Förderung der Erneuerbaren was kostet: Privathaushalte sind alles andere als die Opfer des Photovoltaikbooms, sondern die Profiteure.

Bei sinkenden Modulpreisen kann bald jeder selbst zum Stromproduzenten werden, auch ohne Dach mit kleinen Anteilen in einer Bürgeranlage. Und mit eigenem Dach verändert sich sogar das Verhältnis von Konzern und Stromkunde. Die Frage ist nämlich, ob die Konzerne die Strompreise weiter beliebig erhöhen können, wenn viele die Alternative haben, ihren eigenen Strom auf dem Dach selber zu machen. Darum fürchten die Konzerne den nicht mehr fernen Tag, an dem es dienstags Module bei Aldi im Angebot gibt. Das wird ein Spaß und wird sich eher dämpfend auf Haushaltsstrompreise auswirken. Da ist es nicht verwunderlich, dass Konzernchefs lieber über ihren Starnberger Zahnarzt ablästern.

Oma‘s I-Pad ist längst Steinzeit

Viel Interesse an weniger Konsum: warum ich drei Punkte verdiene in der Konsumverweigerungsdatei in Flensburg

Oma‘s I-Pad ist längst Steinzeit

Viel Interesse an weniger Konsum: warum ich drei Punkte verdiene in der Konsumverweigerungsdatei in Flensburg

(17. Januar 2012) Whow! Ich hatte in meiner letzten Kolumne das bescheidene Wort "weniger" aufgeschrieben, schon hagelte es heftige Reaktionen und Anregungen. Beim Stichwort weniger Konsum fallen vielen heitere Geschichten aus der Überflussgesellschaft ein: Eltern, die drei Barbecue-Installationen in der Garage stehen haben, weil es die eben immer wieder günstig beim Aldi gab. Andere berichten von der eigenen Entrümpelung: wie schwierig es sei Produkte, sprich Ballast, wieder abzuwerfen. Wieder anderen fiel auf, wie einfach es anscheinend ist, lebenswichtige Bedürfnisse zu wecken, von deren Existenz wir gestern noch gar nichts wussten.

Aktuelles Beispiel: Mein Sohn meinte gestern, wir sollten noch ein bisschen warten, dann käme das I-Pad der dritten Generation auf den Markt. Das von Oma sei schon völlig veraltet. Oma hatte es in der I-Pad Steinzeit, also letzten April gekauft. Die Informiertheit meines Sohnes in Echtzeit zeigt vor allem, wie selbstverständlich die Medien für bestimmte Unternehmen das Mehr-Marketing übernehmen. Ich wusste bis vor ein paar Tagen nicht, dass es in Las Vegas eine unglaublich wichtige "Consumer"-Messe gibt. Plötzlich lese und höre ich überall vom neuen Tablet-Jahrgang. Kartoffel- oder Wein-Ernten interessieren niemanden mehr. In Sachen "Fernseher" wurde beispielsweise im Deutschlandfunk vermutet, dass "wir" vielleicht bald unsere gerade gekauften Flat-Screens wieder entsorgen müssten. Die fürchterliche Nachricht: viele von denen seien nicht internetfähig. Das gehe aber bald gar nicht mehr. Die neue Fernsehergeneration müsse nämlich auf jeden Fall direkt Zugriff haben auf Google-TV.

Ich hab schon öfter mal angeregt, dass Asoziale wie ich, die noch einen alten Röhrenfernseher besitzen, drei Punkte in der Konsumverweigerungsdatei in Flensburg erhalten sollten. Mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, gehören dagegen Leute, die ihre nagelneuen Flachfernseher gleich wieder verschrotten und einen Flach-Pad-TV kaufen.

Seien wir ehrlich: in der jetzigen Wachstumslogik wäre die Vernichtung von neuen Geräten - also Werten und Ressourcen - ein mutiges Zeichen gegen die Wirtschaftskrise. Genau das haben viele Ökosex-Freunde ausgesprochen: weniger konsumieren und produzieren geht ja gar nicht, weil es im jetzigen System nicht vorgesehen ist. Weil es Umsatzrückgang bedeutet, Krise, die Schließung von Betrieben und Läden, wie wir in Griechenland sehen, wo ganz banal das Geld ausgeht. Weniger Wachstum bedeutet eben erst mal auch mehr Ungerechtigkeit im Konsumparadies und tatsächlich Armut für Teile der Gesellschaft. In Griechenland, in Portugal und in Spanien schrumpft gerade die Wirtschaft. Den Griechen, die bereits an Gehalt, Rente oder Vermögen verloren haben, müssen wir wahrscheinlich nicht mit der Idee vom freiwilligen I-Pad Verzicht kommen. Ich habe eine griechische Kollegin, die das aus erster Hand erzählen kann. Wenn Leute ihre Miete, ihre Hauskredite, Strom und Wasser nicht mehr zahlen können, dann wird es schwierig über wirklich nachhaltiges Wirtschaften zu reden.

Genau deshalb sollten wir das in Deutschland auf jeden Fall tun. Weil hier viele Leute eben noch Spielräume haben und gerade erleben, wie dünn das Eis unseres angeblich guten Konsumentenlebens ist. Und wie schräg zum Teil die gesellschaftlichen Ausreden in Sachen "Weiter so". Wir erinnern uns: bis vor wenigen Monaten hatte die derzeitige Regierung die Risiken der Atomenergie zur lebenserhaltenen Notwendigkeit unserer paradiesischen Konsuminsel erklärt. Das hat sich geändert. Anderes jedoch noch nicht: jeder nicht ausgegebene Euro, liegt ja erst mal auf der Bank. Und die meisten Banken handeln wieder fröhlich mit finanz-radioaktiven Sondermüll. Im Namen unseres Wohlstands, versteht sich.

Das neue Mehr heißt Weniger

Wenn Postwachstum weniger Konsum heißt, ist das Weniger dann echt mehr?

Das neue Mehr heißt Weniger

Wenn Postwachstum weniger Konsum heißt, ist das Weniger dann echt mehr?

(05. Januar 2012) Ein digitales Piano, eine Bassgitarre, ein paar Bücher und andere Nettigkeiten: ich muss gestehen, Weihnachten hat unseren Haushalt wieder materiell etwas erweitert und die Wirtschaft im klassischen Sinne des Bruttosozialproduktes angekurbelt. Bei Digitalpianos ist es übrigens noch ein bisschen undurchsichtig, welches Unternehmen – Yamaha, Roland oder Kawai – nun grünere Instrumente konstruiert. Schwierig. Und ob ein Naturklavier besser wäre? Immerhin steckt da viel Holz (Mahagoni?) und Stahl (Rahmen) drin, und irgendwie fehlt mir der USB Anschluss. Merkwürdigerweise sind Musikinstrumente noch kaum in der Öko-Check-Welt angekommen. Liegt vielleicht auch an den Musikern, die sich noch nicht flächendeckend mit nachhaltiger Mucke beschäftigen.

Dem Bruttosozialprodukt ist das eh egal. Auch in der Konsumgesellschaft 2012 ist jeder Konsum erst mal guter Konsum. Ich hätte meinen Kindern zu Weihnachten in diesem Sinne auch eine Heckler und Koch kaufen können. Die haben übrigens auch einen schönen Online-Shop, mit einem beeindruckenden Angebot an Maschinengewehren. Waffenverkäufe liefen aus deutscher Sicht 2011 ganz gut, was allgemein als positiv gesehen wird.

Die gehören nämlich auch zur Wohlstandsmessung wie Blutkonserven. Wer wegen einer Schussverletzung im vergangenen Jahr anderer Leute Blut konsumieren musste, hat sicher erfahren, dass Blutverlust zwar die Wirtschaft ankurbelt (Krankenhausbelegung, Bestattungsunternehmen), aber nicht unbedingt das gute Leben. Interessanterweise gibt es seit Jahren die Einsicht, dass unsere Messlatten für Wohlstand hinten und vorne nicht stimmen, aber in der Krise freuen sich doch wieder alle über jedes bisschen Mehr.

Mehr Wachstum, ausgedrückt in Bruttosozialprodukt. Mehr Aktienwert, gut gelaunt verkündet im ewigen Börsenkurs im Ersten vor der Tagesschau. Mehr Blech. Die Verkaufszahlen der Autoindustrie als Kernindikator des deutschen Wohlbefindens. Und natürlich die Umsätze im Einzelhandel. Immer noch werden wir pauschal für unsere Kauflaune gelobt, weil der Einzelhandel an Weihnachten gute Umsätze machte. Was wir kaufen ist wurscht. Die pauschale Umsatz-Euphorie ist natürlich schräg, weil wir bekanntlich ein Ressourcenproblem haben, weil wir bekanntlich vom Energiehunger runter kommen sollten, weil wir ein kapitalistisches Mehr-Problem haben. Das sollte vielleicht 2012 nochmals deutlicher diskutiert werden: Wie sieht eigentlich ein Leben ohne Wachstumsfetischismus aus?

Ich bin ja auch jemand, der im Sinne der Energiewende und der solaren Effizienzrevolution erst mal zum Konsum aufruft: kauft Photovoltaikanlagen, kauft Windenergieanteile, kauft engergiesparende Heizungspumpen und kauft vor allem tolle Fahrräder mit 30 Gängen. Aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit: mein ganzes Gequatsche über Bio-, Öko- und Fairtrade-Produkte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns 2012 noch stärker mit dem Eingemachten beschäftigen und die kapitalistischen Hosen runterlassen müssen: Mehr vom Mehr geht auf Dauer nicht. Auch nicht mehr vom vermeintlich Guten. Ohne Weniger keine Nachhaltigkeit.

Wen das interessiert, sollte mal was von Nico Paech lesen. Der spricht von der Notwendigkeit einer Postwachstums-Ökonomie und geht mit Leuten wie mir hart ins Gericht, die den grünen Wachstumsmythos pflegten. Meine Entkopplungsfantasien – eben weniger Energie und Ressourcen durch qualitatives Wachstum – seien längst widerlegt. Tatsächlich werden ja heute beispielsweise Energieeinsparungserfolge durch Wachstum kompensiert. Zwar werden die Kühlschränke effizienter, dafür leben mehr Leute allein und brauchen einen. Zwar sinkt der Verbrauch an Heizung pro m², dafür  werden die Wohnungen grösser.

Die Ökologiebewegung hat das natürlich vor 30 Jahren schon gewusst. Allerdings haben die Ökos damals zwei Erfahrungen gemacht: wer das Weniger nur andeutet, hat in der Konsumgesellschaft ein Problem. Freunde macht man sich damit nicht. Und mal ehrlich, liebe Lohas: echter Verzicht ist bei den neuen, bewussteren Konsumenten auch nicht wirklich angesagt. Solange die Wohlstandsindikatoren das Falsche messen, hat es auch eine Postwachstums-Politik schwer. Wer weniger Autos nicht nur sagt, sondern auch aktiv betreibt, wird kaum Wahlen gewinnen. Deshalb meine Bitte an alle Postwachstums-Verkünder, Freunde des Konsumverzichts, Lohas und grüne Wachstumsfetischisten: könnten wir 2012 mal genauer diskutieren, wie Bürger und Konsumenten für ein Weniger vom Mehr zu begeistern wären? Ehrlich gesagt: ich habe keine Ahnung.

letzte Änderung: 24.10.2014