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Hermann Scheer: Der Wasserstoff am Scheideweg

"Energierevolution an der Wasser(stoff)-scheide", unter dieser Überschrift bespricht Hermann Scheer das Buch von Jeremy Rifkin: "The Hydrogen Economy - The Creation of the World-Wide Energy Web and the Redistribution of Power on Earth".
Nachfolgend Auszüge aus der Besprechung.

Hermann Scheer

Rifkins Ausgangsthese, dass die atomar/fossilen Energien schnellstens abzulösen seien, ist unbedingt zuzustimmen. Die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Engpässe des allgegenwärtigen Energiesystems führen die Zivilisation sonst unweigerlich an eine "Wasserscheide größten historischen Ausmaßes". Er zerfleddert all jene Expertisen, die angesichts des nahenden drop-outs beim Erdöl ein Ausweichen auf Erdgas oder auf die sogenannten nichtkonventionellen fossilen Energiereserven empfehlen. Das Fördermaximum billigen Erdöls ist in wenigen Jahren erreicht und dann beginnt der Sinkflug in den Endverbrauch. Dann, schreibt Rifkin richtig, spitzt sich die Abhängigkeit von den "Riesenfeldern" weiter zu, von denen 26 in den Ländern am Persischen Golf liegen. Doch auch bei Erdgas steht nahezu zeitgleich die Erschöpfung bevor und ist die Abhängigkeit von noch weniger Förderländern noch größer. Um nur zehn Prozent des Erdöls zu ersetzen, müsste der Kohlenverbrauch um 50 Prozent gesteigert werden.

Die Perspektive sieht Rifkin in einem durchgängigen Hydrogen Energy Web (HEW) mit weltweit miteinander vernetzten Minikraftwerken. Da es ihm fast gleichgültig scheint, wer diesen Wasserstoff produziert und über die angestrebte globale Verteilerorganisation verfügt, fällt ihm der mögliche Widerspruch nicht auf: dass so wieder ein Energiesystem entstehen könnte, das keineswegs zur von ihm geradezu hymnisch geforderten individuellen Energieautonomie führt, sondern zu neuen, mit den heutigen atomar/fossilen Versorgungsstrukturen durchaus vergleichbaren Abhängigkeiten. Gut gemeint ist aber weder gut informiert noch gut gedacht.

Wasserstoff ist Speicher und keine Quelle

Wasserstoff ist zudem - anders als Rifkin suggeriert - keine Energiequelle, sondern ein Speichermedium für Energiequellen und keineswegs das einzige denkbare. Um Wasserstoff überall verfügbar zu haben, muss die Originärquelle mehrfach umgewandelt werden, meistens mit hohem Kostenaufwand und Energieverlust. Zunächst bedarf es einer Stromerzeugung aus einer erneuerbaren Energie (erste Umwandlung), dann der elektrolytischen Trennung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff (zweite Umwandlung). Soll der Wasserstoff weiträumig transportiert werden, muss er mit hohem Energieaufwand (wiederum aus erneuerbaren Energien) auf minus 253 Grad gekühlt und so verflüssigt werden (dritte Umwandlung). In der Allzweckwaffe Brennstoffzelle erfolgt die vierte Umwandlung in Strom und Wärme. Die Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Ökonomie und Ökologie eines Energieträgers hängen aber davon ab, mit möglichst wenig Umwandlungsschritten und Transportaufwand auszukommen. Daraus ergibt sich: jede Form erneuerbarer Energie ist vorzuziehen, die direkt und ohne den Umweg über Wasserstoff genutzt werden kann.

Die falsche Revolution

Präsident Bush, Rede zur Lage der Nation 28. Januar 2003: "Heute abend schlage ich eine Forschungsförderung von 1,2 Milliarden US $ vor, so dass Amerika die Welt in der Entwicklung von sauberen Wasserstoffautos anführen kann...Wir müssen Wasserstoff weithin verfügbar machen."

Wasserstoff ist eine ergänzende Option der künftigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien, keineswegs das Ein und Alles. Dies muss schon deshalb erkannt werden, weil das "Wasserstoffzeitalter" gerade zur Modevision der Energiekonzerne avanciert ist - wohl in der Hoffnung, auf dem jahrzehntelangen Weg bis zu dessen technologischer Reife weiterhin den Masseneinsatz fossiler Energien legitimieren zu dürfen. So wird Wasserstoff zum Alibi. Die unaufschiebbare Energierevolution steht damit an der Wasser(stoff)scheide. Es geht nicht um eine H2-Revolution à la Rifkin, sondern um die wesentlich breiteren und naheliegenden Möglichkeiten aller Erneuerbaren Energien - von denen fast alle für Entwicklungsländer tatsächlich schnell und kostengünstig verfügbar gemacht werden können.

Wasserstoff - Ein Tropfen auf dem heißen Stein?

letzte Änderung: 07.04.2009