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Carwalker: Fußgänger erobern den Straßenraum zurück

Die sanfte Revolution gegen das Auto und für mehr Lebens- und Wohnumlandqualität wird vom Künstler und Kulturkritiker Michael Hartmann ausgerufen. Seine Aktionen zwingen zum Nachdenken und ändern unsere Wahrnehmung der Gegenwart. Wir berichten über die Aktionen und die Reaktion der deutschen Justiz und freuen uns auf Ihre Meinung dazu.

(20. März 2003) So beschreibt Michael Hartmann seine Aktionen: "Die Fußgänger können den Straßenraum durch die vier Wege der sanften Revolution zurückerobern:

Über Autos steigen

Über die Autos, welche auf dem BürgerInnensteig parken, einfach hinweggehen, das heißt also: rauf auf den Kofferraum, auf's Dach, auf die Motorhaube und wieder nach unten.
Dies, um den BürgerInnen bildlich zu zeigen: "Der Mensch steht über dem Auto". Und den BürgerInnensteig wieder frei zu bekommen von den alles verzehrenden Automobilen.

Kreuzungen kreuzen

Über Kreuzungen in der Diagonalen und vor Ampeln konsequent bei Rot gehen, um das Vorgangsrecht für FußgängerInnen einzufordern. Tempo 30 an Kreuzungen, also im gesamten Stadtgebiet (Tempo 30 heißt: m.a.n. (Mensch, Frau, Mann) darf allerhöchstens und nur in Ausnahmefällen 30 km/h fahren - laut StVO).

Straßenraum nutzen

Als letztes dann zu Fuß (und auch mit dem Fahrrad) in der Mitte einer Fahrspur auf der Straße gehen (und fahren), um den AutofahrerInnen zu zeigen: "Der Mensch geht dem Auto vor".

Autos wegtragen

Die Autos, welche auf dem BürgerInnensteig parken, wieder zurück auf die Straße tragen. Dafür müssen mehrere Personen gemeinsam anpacken.

Lebens(t)raum verwirklichen

Die FußgängerInnen und RadlerInnen werden sich wieder das zurückerobern, was ihnen vor Jahrzehnten genommen wurde: ein Stück Lebens(t)raum in der Mitte von vor Jahrzehnten (und gestern) gepflanzten Baumalleen (falls noch vorhanden)!
Sie werden wieder ein wenig mehr Freiraum auf den Straßen und Plätzen schaffen, um dort Orte der Gemeinsamkeiten entstehen zu lassen".

Möglicherweise macht das Beispiel Schule

Urteil Landgericht München 1994

Der Angeklagte Hartmann Michael (...) wird wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Der Angeklagte hat sich eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen schuldig gemacht.(...) Eine konkrete Gefährdung anderer ist gegeben.
(...) Trotz Vorhalte von verschiedenen Seiten, trotz seiner zweimaligen Einweisung in ein Bezirkskrankenhaus, trotz einer zwölftägigen Haft und der bevorstehenden Hauptverhandlung ließ er sich hiervon (dem Straßengehen, Anm. d. Verf.) nicht abbringen. , "um ihn herumzufahren"

Urteil vom Bundesgerichtshof 1995

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des LandgerichtsMünchen I vom 21. Oktober 1994 aufgehoben.Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte ist für die vom 14. Januar 1993 bis zum 26. Januar 1993 erlittene Freiheitsentziehung zu entschädigen.

Der Bundesgerichtshof urteilte: Freispruch

Gründe:

(...) Der Angeklagte betreibt seit 1988 Aktionen gegen den Autoverkehrin München. Sein erklärtes Ziel ist es, eine autofreie Stadt zu erreichen. Er begann damit, daß er über Personenkraftwagen hinweg ging, die auf Gehwegen geparkt waren. Dies führte (...) zu seiner Verurteilung wegen Sachbeschädigung.
Da dem Angeklagten von Polizei und Gericht immer wieder vorgehalten wurde, er dürfe nicht über, sondern nur um die Autos gehen, kam er bei seinen Überlegungen zu dem Ergebnis, daß dann die Autos um ihn herumfahren müßten.
Da Autos auf dem Bürgersteig nichtwegen Nötigung belangt würden, könnten folgerichtig auch nicht Fußgänger, die sich auf der Straße bewegten, zur Rechenschaft gezogenwerden.
Der Angeklagte entschloß sich deshalb dazu, ab Mai 1992 bis etwaOktober 1993 als Fußgänger gelegentlich (eigentlich: fast immer, mit 4 Monaten Unterbrechung, Anm. d. Verf.) auf  Straßen im Stadtbereich von München zu gehen, wobei er insgesamt nach eigener Schätzung ca. 450 Kilometer (plus 350 km, Anm. d. Verf.) zurücklegte.
Es ging ihm darum, daß die Autofahrer langsamer und defensiver fahren und mehr Rücksicht auf Fußgänger nehmen sollten.

(...) Für eine Absicht des Angeklagten, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen, geben die Urteilsfeststellungen jedoch keinen Anhalt. Die Überlegungen des Angeklagten zielten letztlich nur darauf ab, die Autos zu veranlassen, "um ihn herumzufahren".

letzte Änderung: 15.06.2010