ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Gegenseitige Hilfe

Gelebte Utopie: Kommune Kaufungen

Zwischen alternativem Denken und alternativem Leben liegt das Meer. Ein Inselchen darin ist die Kommune Kaufungen nahe Kassel. Wovon andere ein Leben lang träumen, 60 mutige Bürger in Kaufungen haben es Wirklichkeit werden lassen: Ein gemeinsames Leben in Selbstbestimmung. Die Gemeinschaft ist Mitglied im Bund der Energieverbraucher e.V.
Von Aribert Peters

(20. Juni 2016) Eine Gruppe von engagierten Menschen zog vor 30 Jahren nach Kaufungen bei Kassel, besiedelte dort ein altes Gehöft, betreibt seitdem gemeinsame Ökonomie und lebt gemeinsam. Die Gruppe hatte gemeinsame Vorstellungen vom Zusammenleben: gemeinsame Ökonomie, das Konsensprinzip, der Abbau kleinfamiliärer Strukturen, die Überwindung geschlechtsspezifischer Machtstrukturen und das linke Politikverständnis.

2624 KommunardInnen von Kaufungen / Foto: Kommune Kaufungen

Im April 2016 machte die Kommune eine zweitägige Klausurtagung zum Thema „Tiefenökologie“

Die Kommune Kaufungen zeigt, wie man mit weniger finanziellem Einsatz und weniger Energieverbrauch trotzdem die Lebensqualität steigert – indem man Wohnung, Garten sowie Auto teilt und zu vielen Gütern Zugang hat, die man sich alleine nicht leisten könnte. Mit weniger Besitz und weniger Verbrauch besser leben, hier funktioniert es.

Heute, im Mai 2016, leben hier 59 Erwachsene (31 Frauen, 28 Männer) zusammen mit 20 Kindern und Jugendlichen. Die Altersspanne erstreckt sich vom fünften bis zum 68. Lebensjahr.

Die Bilanz nach 30 Jahren wird von Teilnehmern so formuliert:

  • Ökonomisch ist die Gruppe seit 30 Jahren stabil.
  • Politisch beweisen wir, als funktionierendes Beispiel und mit zunehmendem überregionalen Bekanntheitsgrad, die Machbarkeit und die gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten unseres gemeinschaftlichen Lebensstils.
  • Sozial entwickeln wir Alternativen zu patriarchalen und kleinfamiliären Be- und Erziehungsstrukturen sowie zu hausfrauisierten Arbeitstrukturen und üben uns in gegenseitiger Achtung.
  • Psychisch stressen auch wir uns mit Leistungsdruck, Kommunikations- und Liebesbedürfnissen; hier haben wir aber mehr Möglichkeiten zu struktureller und persönlicher Veränderung als in anderen Lebens- und Arbeitsbezügen.
  • Arbeitsmäßig kreieren wir einen neuen Arbeitsbegriff und üben uns in herrschaftsfreiem Zusammenhang.
  • Gesellschaftlich zeigen wir, dass eine Entkopplung von Arbeitsleistung und Bedürfnisbefriedigung auf einer solidarischen Grundlage möglich ist und nicht nur, wie gesellschaftlich üblich, auf Grundlage von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen.
  • Regional wollen wir helfen, das Netzwerk der Kommunen in der Region Kassel zu vergrößern.
  • Größenmäßig wollen wir diese Perspektiven noch vielen Kommune-Interessierten mit Lust an Selbstverantwortung, als Lebensperspektive bieten.

Es ist interessant, einige Aspekte des Zusammenlebens näher zu betrachten. Wir lassen hier auch Mitglieder der Kommune zu Wort kommen und zitieren aus den Berichten der Kommune.

2624 Luftbild der Kommune Kaufungen

Das größte und erfolgreichste Kommunenprojekt in Deutschland

Räumliche Gegebenheiten

Die Kommune lebt und arbeitet in sechs benachbarten Häusern und bewirtschaftet einen zwei Kilometer entfernten Aussiedlerhof mit Stallungen sowie umliegenden Feldern. Das Gelände der Kommune umfasst 11.000 m2 und hat fast 6.000 m2 Gebäudefläche. Davon werden 2.000 m2 zum Wohnen genutzt, der Rest zum Arbeiten.

„Ich will nicht mehr konkurrieren, beziehungslos und vereinzelt durch die Welt laufen. Ich will nicht mehr unter den herrschenden Bedingungen meine Arbeitskraft, meine Gesundheit, meine Energie ausbeuten lassen. Ich will mich nicht mehr in der Kleinfamilie verkriechen, die mich wieder fit macht für die Arbeit. Ich will nicht mehr konsumieren und all meine unerfüllten Wünsche vergessen. Ich will heute und hier das alles verändern. Ich will nicht warten auf eine neue, bessere Gesellschaft, ich will sie heute entwickeln, ich will heute anfangen zu leben.“

2624 Innenhof / Foto: Kommune Kaufungen

Der früher zugepflasterte Innenhof wurde von der Kommune bepflanzt und begrünt

Eintritt und Austritt aus der Kommune

Die Kommune ist als Gemeinschaft auf Lebenszeit angelegt. Wer sich nach einer Probezeit der Gemeinschaft anschließt und von den Altmitgliedern akzeptiert wird, bringt auch all seinen Besitz in die Gemeinschaft ein. Bereits beim Einstieg wird ein Ausstiegsvertrag mit der Kommune geschlossen, der regelt, was im Ausstiegsfall mitgenommen wird. Wer die Gemeinschaft später wieder verlässt, bekommt einen Geldbetrag mit auf den Weg, um einen Neustart außerhalb möglich zu machen und zu erleichtern.

In den vergangenen Jahren kamen jährlich rund fünf neue Mitglieder in die Gemeinschaft und fünf Menschen haben die Gemeinschaft wieder verlassen. Die Kommune sucht gezielt Neumitglieder, die von der Persönlichkeit, den Neigungen und Fähigkeiten in die Gemeinschaft passen.

Mit den anderen Kommunengründungen in der näheren und weiteren Umgebung bestehen gute Kontakte: Villa Lokomuna (Kassel), Kommune Waltershausen, gASTWERKe (Escherode), Kommune Lossehof (Oberkaufungen) und Lebensbogen (Zierenberg).

Ein Teil der Gründungsmitglieder von 1987 lebt heute noch in der Gemeinschaft, hat in der Umgebung neue Gemeinschaften gegründet oder sich ihnen angeschlossen. Einer von ihnen ist Rüdiger Metzger, der als Gründungsmitglied später ein Berufsbildungszentrum im nahegelegenen Felsberg aufgebaut hat. Er hat auch das Phönix-Projekts vom Bund der Energieverbraucher e.V. aus der Taufe gehoben und aktiv begleitet.

2624 Mitgründer Uli Barth

Mitgründer Uli Barth erklärt das BHKW der Kommune

Der gemeinsame Umgang mit Geld

„Unsere laufenden Einnahmen und Ausgaben liegen bei rund 900 Euro pro Monat und Erwachsenem. Darin enthalten sind eine 100 prozentig biologische Küche, die Kita- und Schulgebühren für die Kinder, neun Autos, ein LKW, ein Kleinbus, Telefon und Internetgebühren, Urlaubskosten, zwei in gut erreichbarer Nähe liegende Ferienhütten, eine große Kleiderkammer, eine riesige Fahrradwerkstatt und natürlich der Zugang zu Schreinerei, Schlosserei, Landwirtschaft, eine umfangreiche Bibliothek und Know-how in allen Fragestellungen. Ein eigener Acker mit Bergen von frischem, eigenem Gemüse. Das bedeutet, dass es rein ökonomisch betrachtet, natürlich für jede Bürgerin und jeden Bürger finanzierbar ist, wenn sie sich gemeinschaftlich organisieren. Doch von einem Leben in Gemeinschaften hat sich die Gesellschaft weit entfernt. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist jedoch konstant vorhanden. Wir betreiben kein Askeseprojekt und wir entscheiden auch nicht als Gruppe über ‚wahre‘ oder ‚falsche‘ Bedürfnisse. Wir haben keine Taschengeld-Regelung, sondern jeder nimmt nach seinen Notwendigkeiten und Bedürfnissen aus der gemeinsamen Kasse“. Trotzdem sich die Finanzbedürfnisse der einzelnen bis um den Faktor zehn unterscheiden, bringt das keinen Unfrieden.

2624 Kindertagesstätte / Foto: Kommune Kaufungen

Die integrative Kindertagesstätte

Wohn- und Beziehungsaspekte

Derzeit gibt es 16 Wohngruppen. Die Größe der Wohngruppen ist sehr unterschiedlich, von zwei bis sieben Erwachsenen und null bis fünf Kindern. In der Kommune herangewachsene Kinder verlassen die Kommune mit der Gründung einer eigenen Familie – so die bisherige Erfahrung – so dass sich noch kein Mehr-Generationen-Projekt in der Kommune ergeben hat.

2624 Wäscheplatz / Foto: Kommune Kaufungen

Jede Wohngruppe wäscht und trocknet selber

„Wie jedoch die idealen Beziehungsstrukturen der Erwachsenen untereinander und die zwischen Erwachsenen und Kindern aussehen könnten, darüber gibt es nur selten eine Diskussion mit allen KommunardInnen. Ob Kinder sehr enge Bezüge zu ihren Eltern brauchen oder lieber viele möglichst gleichberechtigte Kontaktpersonen, ob die Zweierbeziehung Teil der Lösung oder Teil des Problems ist und welche anderen Beziehungsformen anstrebenswert und lebbar sind; zu all diesen Fragen gibt es bei uns unterschiedliche Meinungen und Realitäten. Dementsprechend leben wir hier entweder in mehr oder weniger festen Zweierbeziehungen, Mehrfachbeziehungen oder solo. In der Kommune sind alle in ein vielfältiges Netz von Beziehungen mit den anderen verstrickt; Arbeitsbereiche, Wohngruppen, Plenumskleingruppen, Arbeitsgruppen, Spül- und Kochgruppen, Essenssituationen etc. – ständig begegnen wir einander, setzen uns in Beziehung oder grenzen uns ab, erleben unseren Frust und unsere Freude, unsere Macken, Schwächen und Stärken. Da ergeben sich selbstverständlich eine Menge Konflikte, Reibungen und Auseinandersetzungen. Diese persönlichen Konflikte, sei es im Arbeitsbereich, in der Wohngruppe oder sonstwo, sind meist die schwierigsten, langwierigsten und schmerzvollsten Probleme in der Kommune, nicht etwa Auseinandersetzungen um gemeinsame Ökonomie oder Konsens, wie die meisten Außenstehenden vermuten“.

Politisches Leben

„Links“ bedeutet für die Gemeinschaft Solidarität, Gleichberechtigung und ökologisches Engagement. Seit vielen Jahren spendet die Kommune drei Prozent ihres Lebensunterhaltes an Projekte im globalen Süden und Organisationen, die solche unterstützen.

Vielfältige Arbeitsbereiche

Das Gemeinschaftsleben wird wesentlich durch die Arbeit geprägt, der jeder nachgeht. Es sind etliche Tätigkeitsbereiche entstanden, die eigenverantwortlich von Einem oder Mehreren gemeinsam übernommen worden sind. All dies findet in den Räumlichkeiten der Kommune statt: Betreuungseinrichtung für Demenzkranke, integrative Kindertagesstätte, Tagungszentrum für externe Veranstaltungen, Catering, Schreinerei, Renovierungsteam, Kurse für gewaltfreie Kommunikation, Schlosserei mit High-Tech-Produktion, Hofladen mit Lieferung von Obst und Gemüsen an Haushalte in der Region und Landwirtschaft mit etlichen Kühen, Schweinen, eigener Käseherstellung, Obst und Gemüsebau auf 30 Hektar Land.

2624 Kühe / Foto: Kommune Kaufungen

Kühe, Schweine, 30 Hektar Land und eigene Käseproduktion gehören zur Kommune

Das vielfältige gemeinsame Wissen und auch die Einkünfte kommen der ganzen Gemeinschaft zugute. „Die Arbeitsbereiche sind Kollektive. Wir versuchen dort, trotz vorhandener Wissenshierarchien, nicht herrschaftsförmig miteinander zu agieren“.

Die Tätigkeitsbereiche haben viele wichtige Funktionen:

  • Sie erlauben jedem Einzelnen die Entfaltung seiner Fähigkeiten und seiner Kreativität.
  • Sie bringen für die Gemeinschaft insgesamt einen finanziellen Ertrag.
  • Die Tätigkeiten erbringen auch für die Kommune selbst wichtige Versorgungsleistungen (Kindergarten, Küche, Renovierung usw).

Die Arbeit wird von jedem freiwillig und herrschaftsfrei geleistet. Das ist eine zentrale und wichtige Erfahrung.

Alltag in der Kommune

„Unser Alltag ist voller Begegnungen. Viele von uns essen dreimal am Tag miteinander, wir begegnen uns im Haus, beim Arbeiten, im Garten beim Kaffeetrinken, vor den Waschmaschinen, beim In-den-Autoplan-Eintragen. Wir haben Räume für uns, Rückzugsinseln in einem vollen Miteinander. Wir leben in Wohngemeinschaften unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Intensität. Damit wir die vielen organisatorischen und technischen Angelegenheiten überhaupt im Konsens entscheiden können, damit wir einen Ort haben, wo wir uns wichtige und unwichtigere Dinge mitteilen können, treffen wir uns dienstags im wöchentlichen Mitteilungsplenum und in vielen Kleingruppen“.

Es gibt eine Theatergruppe, einen Malraum und einen Chor. Und es wird natürlich auch gemeinsam gefeiert und getanzt.

„Bei den Führungen, die auf dem Gelände stattfinden, sind die Waschmaschinen (derzeit sind es drei) immer wieder Grund für längeres Staunen. Denn mehr Maschinen brauchen wir nicht. Ebenso wenig wie ein eigenes Auto benötigen wir auch keinesfalls jeder eine eigene Waschmaschine.“

Rollenverteilung

Typische Hausfrauentätigkeiten wie Kochen und Kinderbetreuung sind professionelle Arbeitsbereiche. Putz- und Spüldienste machen alle nach festgelegten Plänen. Reproduktionsarbeit soll denselben Stellenwert wie Erwerbsarbeit haben.

Herrschaftsstrukturen

Die Gemeinschaft hat keinen Chef, keinen Guru, keinen Vorsitzenden und auch keine Führungscrew. Dadurch ist jeder gleichberechtigt mitverantwortlich. Alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Das ist manchmal nervig und langwierig. Die Intelligenz der Gemeinschaft ersetzt den Führer. Erstaunlich ist es, wie intensiv und verantwortlich sich jeder Einzelne für die Gemeinschaft einsetzt. Und davon profitiert, dass die anderen das ebenso tun. Diese Erfahrung trägt die Gemeinschaft und entschädigt für den Frust, der damit eben auch oft verbunden ist.

2624 Elektrischer Lieferwagen / Foto: Kommune Kaufungen

Elektrischer Lieferwagen

Energie und Nachhaltigkeit

Ökologie und Nachhaltigkeit sind zentrale Anliegen der Gemeinschaft und prägen das alltägliche Leben in jeder Hinsicht: Die Energieversorgung der Gebäude, die Nutzung erneuerbarer Energien, die Gebäudesanierung, die Ernährung, den Transport, die Kleidung und auch den Umgang mit Konsumgütern. Zwar gibt es Internetanschluss und auch eine eigene Webseite. Aber im Gemeinschaftsraum wird niemand mit einem Handy telefonieren.

Gebäudesanierung

Die Gebäudestruktur auf dem Gelände der Kommune besteht hauptsächlich aus Fachwerkgebäuden. Landwirtschaftliche Stall- und Lagergebäude wurden nachträglich zu Wohngebäuden und zu gewerblichen Gebäuden umgebaut. Die Gebäude wurden zum jeweiligen Zeitpunkt mit einer großzügigen, ökologischen Wärmedämmung und Fenstern mit möglichst geringen energetischen Verlusten versehen.

2624 Gebäudesanierung / Kommune Kaufungen

Gebäudesanierung

Die alten Ölheizungen wurde bereits in den ersten Jahren durch ein kleines, mit Erdgas betriebenes Blockheizkraftwerk ersetzt, die Wärme über ein Rohrnetz in alle Gebäude verteilt. Es deckt nahezu den Eigenverbrauch an Strom in der Kommune einschließlich der genutzten Elektrofahrzeuge. Zwei große Holzkessel (100 kW) werden mit Scheitholz beheizt.

Zwei Photovoltaikanlagen wurden auf geeigneten Dachflächen installiert – mit einer Leistung von ca. 80 kWp. Dieser Strom wird komplett ins Netz eingespeist, da die Anlagen vor 2012 in Betrieb gingen.

2624 Denkmalschutz / Foto: Kommune Kaufungen

Denkmalschutz in der Kommune

Ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus wurde teilweise mit einer Innendämmung aus acht Zentimeter Zellulosedämmung ohne Dampfbremse versehen. Da dies nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, wurde das Projekt wissenschaftlich begleitet. Durch Feuchtemessungen über zehn Jahre wurde nachgewiesen, dass in der Konstruktion keine schadensrelevante Feuchtigkeit verbleibt. Ein auf dem Gelände etwas abgelegenes Fachwerkhaus wird aktuell zu einem Sonnenhaus saniert – mit einer 40 m2 Solarthermieanlage, einem Langzeitspeicher von 10 m2 sowie Wandheizungen, die mit einer sehr niedrigen Vorlauftemperatur auskommen. Die relativ geringe Zuheizung erfolgt über einen kleinen Stückholzkessel.

Nur ein Zehntel der durchschnittlichen Emissionen

Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt emittieren die Kommunebewohner nur zwölf Prozent der durchschnittlichen Treibhausgase. Das ergab eine Forschungsarbeit der Uni Kassel. Ökologisch orientierte Familien lagen bei 45 Prozent. Im Bereich „Ernährung“ liegt die Treibhausgasemission der Kommune etwa bei 70 Prozent des Bundesdurchschnitts, im Bereich „Mobilität“ bei etwa 50 Prozent. Hier spiegelt sich zum einen die räumliche Nähe von Wohnen und Arbeiten wider, zum andern die zentrale Belieferung mit Verbrauchsgütern, die viele Wege vermeidet.

In der Kommune wurde in einem Forschungsprojekt die praktische Einsatzfähigkeit sowie die Akzeptanz von elektrisch betriebenen Fahrzeugen untersucht: Falträder, Pedelecs, Lastenräder, Velomobile, leichte PKW bis zu einem kleinen LKW. Der dadurch entstandene „Elektro-Fuhrpark“ wird auch heute noch gemeinschaftlich genutzt. Bei den allermeisten Fahrten werden die Kapazitäten von „schweren“ PKW mit Verbrennungsmotor nur zu einem Bruchteil ausgenutzt. In vielen Fällen können sie durch Elektro-Leichtfahrzeuge ersetzt werden, deren Energieverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen PKW lediglich bei etwa 12 bis 20 Prozent liegt.

Fazit

Gemeinsam leben ist schöner und nachhaltiger, aber nicht immer einfacher.

Weitere Informationen

2624 Buch 20 Jahre Kommune. Momentaufnahmen aus Niederkaufungen

In dem Buch „20 Jahre Kommune. Momentaufnahmen aus Niederkaufungen“ schreiben 53 KommunardInnen über ihr Leben in der Gemeinschaft. Sie berichten, welche Träume sie zum „Kommune-Leben“ führten, welche sie davon in den Jahren enttäuscht aufgaben und welche sie immer noch in ihren Herzen bewegen:
53 individuelle Lebensgeschichten, die in einer Gemeinschaft zusammen laufen, Rückblicke auf 20 Jahre
Kommuneleben und Visionen für die nächsten 20 Jahre.

Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Leben in der Kommune findet sich in: „Das Kommunebuch, utopie.gemeinsam.leben“; Verlag Assoziation A, ISBN 978-3-86241-431-4, 54 Euro

Vom Staat zur Bürgergesellschaft

Wikinomics als Vorbild

Vom Staat zur Bürgergesellschaft

Der Staat trägt für die Energiearmut die Verantwortung: Es wird höchste Zeit, die menschliche Gemeinschaft besser zu organisieren. Wikinomics und Commons zeigen die Richtung.

(20. Juni 2012) Gelingt es den Bürgern, aus einem Staat, der durch die Interessen weniger gesteuert wird, einen Staat zu machen, der für das Gemeinwohl handelt? Der die Starken im Zaum hält und die Schwachen unterstützt? Eine große Zahl gelungener Bürgerorganisationen könnten den Staat wieder zu dem machen, was er eigentlich ist: einer Bürgerorganisation.

Es gibt schon genügend Beispiele dafür, wie sich Bürger erfolgreich gemeinsam organisieren. Sie geben Mut und Orientierung.

Gemeingüter oder Commons

Menschen haben ein tiefes Streben nach Gemeinsamkeit. Sie kommunizieren miteinander, handeln Regeln aus und wissen oft selbst am besten, was für sie gut ist. Sie sind in der Lage zu kooperieren und Dinge gemeinsam zu nutzen. Solche Gemeingüter, auch Commons genannt können entweder von allen in gleicher Weise genutzt werden, wie zum Beispiel ein Computerprogramm oder ein Musikstück. Oder nur eine Person nutzt sie, etwa ein Stück Brot. Man unterscheidet deshalb zwischen „rivalen“ und „nicht rivalen“ Gemeingütern. Die „Logik der Fülle“ besagt, dass Teilen die Basis für die Vermehrung von Gemeingütern ist.

Die Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat Prinzipien für die Organisation von Gemeinschaftsgütern formuliert:

  • Es müssen klare und lokal akzeptierte Grenzen zwischen Nutzern und Nichtnutzern gezogen werden.
  • Jeder Teilnehmer kann an der Bestimmung von Regeln teilnehmen und muss sich an diese halten.
  • Der Staat muss das Recht der Nutzer auf die eigenen Regeln anerkennen.

Dabei ist die gemeinschaftliche Produktion und Nutzung weder beschränkt auf immaterielle Güter, noch handelt es sich dabei um eine neue Idee. Im Gegenteil: Gemeinsamer Ackerbau, Jagd oder das gemeinsame Großziehen von Kindern sind elementare Prinzipien menschlicher Entwicklung. Sie wurden erst vergleichsweise spät abgelöst durch einen Tausch, der auf Geld basiert. Doch angesichts der unheilbaren Krise des Geldsystems ist es an der Zeit, sich auf die elementaren Organisationsprinzipien menschlicher Gemeinschaft zurückzubesinnen.

2624 Elinor Ostrom / Foto: IISD

Die Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom kämpft für Gemeingüter

Die Gemeinschaft erarbeitet dabei gemeinsam die zur Verfügung stehenden Gemeingüter. Alle tragen etwas zu diesem Ziel bei. Geld oder Gewinn spielen dabei keine Rolle. Es gibt keine Befehlsstrukturen, sondern die Zusammenarbeit wird auf andere Weise organisiert. Niemand kann befehlen und keiner muss gehorchen: Das ist die Bedeutung des Wortes „Peer“, nämlich „Gleichberechtigter“.

Erfolgreiche Beispiele für die Herstellung von Gemeingütern und Peer-Produktionen:

  • Wikipedia: Die weltweit größte Wissenssammlung entstand wie ein Wunder ohne Bezahlung und  Gewinninteressen und ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Menschen vernetzen und organisieren.
  • Freie Software, zum Beispiel Linux, Thunderbird oder Firefox: Dank freiwilligem Zusammenwirken vieler Menschen in ganz unterschiedlichen Ländern entstanden diese beliebten Programme.
  • Wikispeed: Bei diesem Projekt haben 100 Freiwillige aus zehn Ländern ein völlig neues Auto innerhalb von drei Monaten entwickelt und auch gebaut. Das Auto verbraucht 1,5 Liter je 100 Kilometer, bietet höchste Sicherheit, lässt sich leicht vom Halter selbst reparieren – so kann der Nutzer innerhalb von zehn Minuten den Motor wechseln, um auf Stromnutzung umzuschalten.
  • Open Source Ecology ist ein Netzwerk aus Landwirten, Ingenieuren und Unterstützern, welches das Global Village Construction Set (GVCS) erdacht und erschaffen hat: Eine kostengünstige, leistungsstarke Open- Source-Technologieplattform. Diese in Do-it yourself-Manier hergestellten Industriemaschinen können genutzt werden, um eine nachhaltige Zivilisation mit modernen Annehmlichkeiten aufzubauen. Das GVCS senkt die Barrieren für den Einstieg in die Landwirtschaft, in den Bau und in die Fertigung. Es ist ein lego-artiger Baukasten in Lebensgröße, bestehend aus modularen Werkzeugen, mit denen sich eine vollständige Wirtschaft aufbauen lässt.
    Auch und gerade im Bereich Energietechnik gibt es viel Wissen bei Opensourceecology.
  • Fablabs: Ein Fab Lab (aus dem Englischen für fabrication laboratory – Fabrikationslabor) ist eine kleine Hightech-Werkstatt. Darin stehen computergesteuerte Werkzeuge zu Verfügung, um zahlreiche verschiedene Materialien zu bearbeiten. Ziel ist, es, „fast alles“ herstellen zu können, inklusive technischer Produkte, die üblicherweise der Massenproduktion vorbehalten sind. Wer will, kann mit Hilfe von einfacher Elektronik den selbstgebauten Objekten sogar noch ein virtuelles Leben einhauchen. Das Labor steht jedem offen, der bereit ist, die Funktionsweise der Geräte zu erlernen. Nach einer kurzen Einführung darf jeder das Labor nutzen um (fast) alles selbst zu bauen. Das Ergebnis ist verblüffend: Wer morgens mit einer Idee kommt, hält oft bereits am Abend begeistert einen fertigen Prototyp in Händen. Solche Fablabs gibt es auch hierzulande in Aachen, München, Berlin, Köln, Hamburg, Nürnberg, Erlangen und Düsseldorf.
Lesetipps

Don Tapscott, Anthony D. Williams | Wikinomics: Die Revolution im Netz | Hanser, München 2007

Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung | Commons : Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat | transcript-Verlag 2012

Diese revolutionäre Form der Zusammenarbeit heißt „Wikinomics“. Den Begriff prägte 2006 der kanadische Unternehmer und Professor für Management Don Tapscott (siehe Lesetipps). Durch das Internet fallen die Kosten der Bündelung von Arbeit, Wissen und Kapital nahezu völlig weg. Tapscott nennt vier Faktoren, die für Wikinomics charakteristisch sind:

  • freiwillige Zusammenarbeit
  • Offenheit
  • eine Kultur des Teilens
  • globales Handeln

Wikinomics bindet erstmals in der Geschichte der Menschheit die Konsumenten als Prosumenten – also als Konsumenten, die auch produzieren – in den Produktionsprozess mit ein.

Teilen statt besitzen

Gemeinschaftlicher Konsum bedeutet Teilen, Tauschen, Leihen, Mieten und Schenken. Durch moderne Technologie entstehen neue Netzwerke. Das Verhalten und der Lebensstil der Konsumenten verändern sich: So stehen beispielsweise viele Autos bis zu 23 Stunden am Tag ungenutzt auf einem Parkplatz. Der Abschied von Privatbesitz lässt neue Formen gemeinsamer Nutzung entstehen – zum Beispiel beim Car-Sharing oder, wenn Nachbarn ein Fahrzeug gemeinsam nutzen.

Stefan Meretz hat in seinem Blog „Keimform“ einige grundsätzliche Überlegungen zur Peer-Produktion und gesellschaftlichen Transformation angestellt, aus denen wir zitieren:

„In freier Software oder allgemeiner commons-basierter Peer-Produktion geht es nicht um Tausch. Geben und Nehmen sind nicht aneinander gekoppelt. (…) Freie Software zeigt sehr deutlich, dass Entwickler/innen nicht dazu gezwungen werden müssen, das zu tun, was sie gerne machen. (…)

Es ist eine übliche Fehlannahme, dass materielle Dinge knapp seien und immaterielle nicht. Es scheint gerechtfertigt zu sein, materielle Dinge als Waren zu behandeln, während immaterielle Güter frei sein können. Diese Annahme verkehrt jedoch eine soziale in eine natürliche Eigenschaft der Dinge. Kein hergestelltes Gut ist von Natur aus knapp. Knappheit ist das Ergebnis der Produktion von Gütern als Waren. Knappheit ist der soziale Aspekt einer Ware, die für den Markt hergestellt wird. Knappheit wird erzeugt duch Gesetze und technische Hürden, begleitet von der andauernden Zerstörung von Gütern, die die Waren knapp genug machen sollen, um einen entsprechenden Preis auf den Märkten zu erzielen.

Da alle Güter, die wir brauchen, hergestellt werden müssen, ist die einzige Frage, wie wir das auf gesellschaftliche Weise tun. Die Warenform ist eine Möglichkeit, die Commonsform ist eine andere. Waren müssen in knapper Form produziert werden, damit sie ihren Preis auf dem Markt erzielen können. Commons-Güter können nach den Bedürfnissen der Menschen und gegebenen produktiven Möglichkeiten hergestellt werden. Dabei mag es aktuelle Begrenzungen geben, aber Grenzen waren stets Aufgaben für menschliche Kreativität, um sie zu überwinden.

Die Commons-Bewegung hat gelernt, dass sowohl rivale wie nicht-rivale Güter als Commons hergestellt werden können, aber sie benötigen unterschiedliche soziale Umgangsweisen. Während nicht-rivale Güter verabredungsgemäß für alle frei verfügbar sein können, um ihre Unternutzung zu verhindern, ist es sinnvoll, die Übernutzung rivaler Güter durch geeignete Regeln und Maßnahmen zu verhindern – entweder durch eine limitierte nachhaltige Nutzung oder durch Ausdehnung der kollektiven Produktion und damit Verfügbarkeit des rivalen Gutes.

Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn Menschen sich entsprechend ihrer Bedürfnisse, Erfahrungen und Kreativität selbst organisieren und Ressourcen und Güter nicht als Waren, sondern als Commons-Ressourcen behandeln.“

Wir sind viele

Streitschrift gegen Finanzkapitalismus

Wir sind viele

Der renommierte Journalist Heribert Prantl hat eine viel beachtete Streitschrift gegen den Staat und den Finanzkapitalismus verfasst. Auszüge aus dem Werk mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

(18. Juni 2012) Die weltweiten Proteste fordern von ihren Regierungen, in einer globalisierten Welt für ein gewisses Maß an ökonomischem Anstand zu sorgen. (…) Das europäische Betriebssystem ist aber nicht der Euro, sondern die Demokratie.

1209 2624 Dr. Heribert Prantl

Heribert Prantl: Der mehrfach preisgekrönte bayerische Jurist, Journalist und Autor leitet das Ressort für Innenpolitik der „Süddeutschen Zeitung“ und ist überdies Mitglied der Chefredaktion.

In der Präambel der Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus dem Jahr 1999 steht der Satz: „... im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“.

In den Flugblättern der Weißen Rose heißt es: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt.“ Und: „Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, wird keiner anfangen.“ (…) Jeder und jede muss für sich nachdenken, was ihm und was ihr das heute sagt und wozu es ihn und sie verpflichtet.

Es stimmt nicht, dass man eh nichts machen kann. Es stimmt nicht, dass die Probleme der modernen Gesellschaft so groß, so unübersichtlich und komplex sind, dass man besser gar nicht  anfängt, sie anzupacken. Es stimmt nicht, dass die Übernahme von Verantwortung eine aussichtslose, heillose Sache ist. (…)

Der deregulierte Finanzmarkt ist eine Satansmühle. (…)

Vertrauen, nicht Kontrolle ist das Band der Gesellschaft (…)

Demokratische Verantwortung bedeutet erstens, dass nicht die Interessen der Kapitalverwertung, sondern die Interessen der Bürger Grundlage für Entscheidungen sind.  (…) Es geht um den Abschied von einer Lebensweise, die auf Spekulationsblasen gebaut ist. (…) Wie wäre es mit einer Gesellschaft, die sich darauf besinnt, was Demokratie ist: eine Gesellschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Miteinander gestaltet! Miteinander! (…)

Nicht die freie Entfaltung des Kapitals ist das Anliegen der bürgerlichen Freiheitsrechte, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen.

Heribert Prantl: Wir sind viele | Eine Anklage gegen den Finanzkapitalismus | Verlag Süddeutsche Zeitung | broschiert | 47 Seiten | 4,90 Euro

Eine Umverteilung von oben nach unten zum Zweck der sozialen Grundsicherung  aller Bürgerinnen und Bürger und  zur Herstellung annähernd gleicher Chancen und Lebensbedingungen ist kein sozialistischer Restposten, kein Sozialklimbim und kein Gedöns, sondern demokratisches Gebot. (…)

Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit. Wer den Sozialstaat beerdigen will, der muss also ein Doppelgrab bestellen. (…)

Europa braucht nicht nur den Euro. Es braucht das Vertrauen der Menschen. In Europa wohnen nämlich nicht Euronen, sondern Bürgerinnen und Bürger.

Der Kapitalismus ist eine ähnlich frevlerische Wirtschaftsform, wie sie der Kommunismus war. Zuletzt vermochte er es gar, den Staat davon zu überzeugen, dass dieser die vom Kapitalismus angehäuften Schulden tragen muss – wegen der staatlichen Verantwortung für das Große und Ganze. Der Kapitalismus brachte es fertig, von anderen das einzufordern, was er selbst nicht zu tun bereit ist: Verantwortung zu tragen. (…) Von der international-sozialen Marktwirtschaft, von einem menschlichen Kapitalismus also, ist man heute so weit weg wie 2008. Dieser Kapitalismus sprengt die Demokratie. (…)

2624 Occupy-Demonstranten mit Anonymous-Masken

Die Bürger einer Demokratie brauchen Ausbildung und Auskommen, sie brauchen eine leidlich gesicherte ökonomische Existenz, sie müssen frei sein von der Angst um die eigenen Lebensverhältnisse. (…) Wie viel Freiheit hat jemand, der gierig ist und sich selbst funktionierend diesem System unterwirft? (…) Man kann die Occupy-Bewegung als Exorzismus im erweiterten Sinn verstehen: Als eine „Besetzung“ der Finanzplätze mit besseren Geistern – mit dem Geist der Verantwortung und dem Geist der Sorge für das Gemeinwohl. (…)

Jedenfalls haben Regierungschefs und Präsidenten, die bis dahin für Schulen, Sozialhilfe und Universitäten kaum Geld hatten, Milliardenpakete zu Investmentbanken, Landesbanken und anderen Finanzinstitutionen getragen. … Und nun, ein paar Jahre später, ist es wieder so ähnlich. (…) Es reicht nicht aus, nur die Gier der Wertpapierhändler und Großmanager zu zügeln; das Regelsystem als solches ist korrumpiert. (…)

Der freie Geist wird unverträglich, schädlich, gefährlich, mörderisch, wenn er sich von der Verantwortung für den Nächsten, von der Verantwortung für die Gesellschaft befreit. (…)

Social Business

Wirtschaft mit Sinn statt Gewinn

Social Business: Wirtschaft mit Sinn statt Gewinn

Die Energieversorgung sichern, gleichzeitig Nachhaltigkeit fördern und Armut bekämpfen: Wie das geht, zeigt Grameen Shakti in Bangladesch. Dabei handelt es sich nicht nur das weltweit am schnellsten wachsenden Unternehmen für Solarstromanlagen in Privathäusern. Es ist auch ein leuchtendes Beispiel für ein Social Business, das ohne Gewinnausschüttungen scheinbar Unmögliches möglich macht und das Leben vieler Menschen verbessert – eine Idee, von der wir lernen können.

(17. März 2011) Die Zahlen lassen sich sehen: Grameen Shakti verkauft monatlich 14.000 Solarstromanlagen an die Dorfbewohner von Bangladesch. Bereits eine halbe Million dieser Anlagen sind im Heimatland in Betrieb. Darüber brachte das Unternehmen eine halbe Million technisch verbesserte Kochherde und rund 50.000 Biogasanlagen in den Einsatz. Wie das möglich wurde, beschreibt der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus in seinem neuen Buch „Social Business – Von der Idee zur Tat."

2624 Buch Social Business – Von der Idee zur Tat

Social Business: Von der Vision zur Tat, Muhammad Yunus, Verlag Hanser Wirtschaft, gebunden, 274 Seiten, ISBN 344-6423516, 19,90 Euro

Moderne Sklaverei

Es war die Begegnung mit einer Frau aus einem kleinen Dorf, die sein Leben für immer verändern sollte: Der Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus traf eine Landsmännin, die trotz harter Arbeit ihrer Armut nicht entkommen konnte. Sie hatte sich fünf Taka (umgerechnet 5 Euro-Cent) von einem Geldverleiher geliehen, um Bambus zu kaufen. Daraus wollte sie Stühle herstellen. Doch der Geldverleiher verlangte zehn Prozent Zinsen pro Woche und zudem musste die fleißige Unternehmerin ihre gesamte Produktion dem Verleiher verkaufen. Der Kredit machte die Frau praktisch zur Sklavin.

Ähnlich ging es vielen in dem Dorf. Muhammad Yunus legte eine Liste der Betroffenen an, die sich Geld geliehen hatten: 42 Personen hatten insgesamt Geld im Wert von 21 Euro geborgt. Ein so kleiner Geldbetrag hatte so viel Armut erzeugt. Der Wirtschaftsexperte griff in die eigene Tasche und gab den Dorfbewohnern das Geld, mit dem sie ihren Kredit zurückzahlen konnten. Die Aufregung und Beglückung im Dorf war enorm. Doch Banken weigerten sich auch weiterhin hartnäckig, die Türen für Arme zu öffnen.

Muhammad Yunus

Muhammad Yunus wuchs als drittes von neun Kindern in Bengalen auf, einer indischen Region, die heute zu Bangladesch gehört. Yunus besuchte die höhere Schule und studierte mithilfe eines Stipendiums in den USA, wo er in Volkswirtschaftslehre promovierte. Von 1970 bis 1972 war er Assistant Professor of Economics an der Middle Tennessee State University in Tennessee, USA. 1972 bekam er eine Professur an der Chittagong University in Bangladesch. Dort arbeitete er ab 1976 als Projektmanager eines Entwicklungsprojekts der Universität, aus dem seine „Grameen Bank" hervorging. Muhammad Yunus ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter 2006 den Friedensnobelpreis. Quelle: Wikipedia

Muhammad Yunus zog die Konsequenzen und bot sich selbst als Bürge für Kredite an. Er entwickelte einfache Regeln, etwa dass die Leute ihre Kredite in kleinen wöchentlichen Raten zurückzahlen. Das System funktionierte, und die Armen zahlten die Kredite ausnahmslos und pünktlich zurück. Weil die Banken sich weiterhin dagegen sperrten, den ärmeren Bewohnern Kredite zu geben, gründete Yunus eine eigene Bank, die „Dorfbank", Grameen Bank (grameen ist das bengalische Wort für Dorf).

Heute ist die Grameen Bank in ganz Bangladesh tätig und hat bereits acht Millionen Kredite vergeben. Der Anteil der weiblichen Kreditnehmer beträgt 97 Prozent. Das liegt zum einen daran, dass Frauen offenbar dafür begabt sind, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, zum anderen aber von den konventionellen Banken keine Kredite erhalten.

Die Idee des Social Business

Yunus entwickelte das Konzept des Mikrokredits weiter zum Gedanken des Social Business. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Idee profitfreien Wirtschaftens von einer bloßen Idee zu einer lebendigen und schnell wachsenden Unternehmensform entwickelt. Es verbessert die Lebensbedingungen zahlreicher Menschen und steht an der Schwelle einer explosiven Entwicklung zu einem der weltweit bedeutendsten sozialen und wirtschaftlichen Trends.

Ein Social Business gehört nicht zur gewinnorientierten Welt. Sein Ziel ist es, ein soziales Problem durch wirtschaftliches Handeln zu lösen. Grameen Danone versucht zum Beispiel, das Problem der Mangelernährung durch den Verkauf preisgünstigen Joghurts zu lösen, der mit Mikronährstoffen angereichert ist. Anders als bei einer gemeinnützigen Organisation gibt es bei einem Social Business Investoren und Eigentümer. Es gibt jedoch keinen Gewinn. Überschüsse werden an Arme ausgeschüttet. Die Investoren bekommen ihren ursprünglich eingesetzten Betrag innerhalb eines von ihnen selbst festgelegten Zeitraums zurück, jedoch keinen Cent mehr, nicht einmal einen Inflationsausgleich.

Dabei darf ein Social Business durchaus Gewinne machen. Sie müssen jedoch im Unternehmen verbleiben und für den Geschäftsaufbau eingesetzt werden. Ein Social Business unterscheidet sich dadurch eindeutig sowohl von der Geschäftswelt als auch von der Wohltätigkeit.

Aufruf zum Gewinnverzicht

Für viele Menschen liegt die größte Hürde wohl darin, die Hürde des Gewinnverzichts zu überwinden. Laut Muhammad Yunus ist das der Einstieg in eine völlig neue Welt: Man denkt und handelt anders. Die Tätigkeit im Social Business gleicht dem Aufenthalt in einem Nichtraucherbereich: Schon ein kleiner Zug an der Zigarette verdirbt das gesamte Konzept. Wer sich vom persönlichen finanziellen Gewinn nicht vollständig abkoppelt, wird die Kraft des wahren Social Business nie für sich entdecken.

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Den Anfang machen

Yunus bittet jeden, der eine Geschäftsidee für ein Social Business hat, sofort mit der Arbeit zu beginnen. Selbst wenn man nur das Leben von fünf Menschen verbessert, ist ein solches Unternehmen der Mühe wert. Es ist nicht nötig, die Auswirkungen für Millionen von Menschen abzuwarten. „Social Business ist nach meiner Erfahrung ein großer Lernprozess. Stürzen Sie sich hinein, und Sie werden rasch feststellen, dass Sie auf bisher nie gekannte Art denken und handeln", betont der promovierte Volkswirt. „Social Business ist aufregend und bereitet Vergnügen. Viele Menschen meinen, es gebe keine Möglichkeit, die Natur des Menschen zu ändern. Das stimmt einfach nicht. Die heutige Welt ist nicht mehr die Welt, in der unsere Vorfahren lebten. Es gibt keine Seuchen mehr. Die Sklaverei ist ebenso abgeschafft wie die Monarchie. Wir haben keine Apartheid mehr. Auch die Frauen haben das Wahlrecht, Menschen in aller Welt verlangen die Einhaltung der Menschrechte und in den Vereinigten Staaten amtiert jetzt sogar ein schwarzer Präsident. Die Gesellschaft ändert sich wirklich und wir selbst gestalten diesen Wandel." Wer davon ausgehe, dass der „Wohlstandskuchen" eine feste Größe hat, irre: „In Wirklichkeit ist die Wirtschaft ein stetig größer werdender Kuchen – oder sollte es sein. Wir müssen jedoch darauf achten, dass der Kuchen nicht einfach nur größer wird, sondern dass der Teil, der an die Armen geht, schneller wächst als der Kuchen selbst."

Tipps für den Start

Wer ein Social Business gründet, fängt nicht mit der Suche nach einem Geschäftsfeld an, das maximalen Gewinn verspricht. Stattdessen sucht man ein soziales Problem aus und fahndet nach einer unternehmerischen Lösung. „Der erste Instinkt ist das Mitgefühl. Sie erfahren vielleicht von einer Notsituation, unter der Menschen zu leiden haben, und beschließen zu helfen", rät Muhammad Yunus. „Beginnen Sie an Ihrem Wohnort, setzen Sie dabei alles ein, was Ihnen an Fähigkeiten, Ressourcen und anderen Vorteilen zur Verfügung steht." Und: „Tun Sie Ihre Arbeit mit Freuden. Leben Sie das Tag für Tag. Halten Sie sich an die einfachen Dinge." Grundsätze, die auch das eigene Leben mit Sinn erfüllen.

Beispiele für Social Business

Pegasus Ein deutsches Social Business ist zum Beispiel das Berliner Dienstleistungsunternehmen Pegasus, das Menschen mit Handicaps beschäftigt, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Die dort Tätigen bewähren sich unter Marktbedingungen und schaffen es von dort aus in die normale Wirtschaft.

Enorm – Wirtschaft für den Menschen 2010 wurde das Wirtschaftsmagazin enorm – wirtschaft für den menschen gegründet. Die Zeitschrift zielt auf die Überwindung ökosozialer Missstände über Social Business, Social Entrepreneurship und soziales Unternehmertum.

Gameya In Ägypten gibt es Millionen von Freundeskreisen in allen sozialen Schichten, die gemeinschaftlich ihre Einkünfte und Ersparnisse verwalten: soziales Geldwesen ohne Gewinn, Zinsen und auf Vertrauensbasis. (DRadio 07.10.2008: "Nicht Geld verleihen, sondern Geschäfte machen")

Phönix Vor 17 Jahren hat der Bund der Energieverbraucher e. V. unter dem Namen Phönix eine bundesweite Marketinginitiative zur Verbreitung der Solarenergie ins Leben gerufen. Die Idee war sehr erfolgreich und begeisterte Hunderte Berater und Multiplikatoren. Die Preise der Solaranlagen purzelten um rund die Hälfte und Phönix errang den größten Marktanteil aller Hersteller in der Bundesrepublik.
Der Verein erhielt für die Phönix-Initiative den Cusanus-Preis der Koblenzer Bürgerschaft auf Vorschlag der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel.

Aktuell:

Die Regierung und Zentralbank Bangladeschs betreiben derzeit den Rauswurf des Friedensnobelpreisträgers Prof. Muhammad Yunus aus der von ihm gegründeten “Bank für die Armen” Grameen.

Das Oberste Gericht bestätigte am 8. März 2011 deren Vorgehen. Jetzt will der Staat die Macht in der Grameen Bank übernehmen. Grameen gehört derzeit als Genossenschaftsbank den Ärmsten selbst (zu 75 Prozent; ein Viertel sicherte sich auch bisher der Staat als Einflussgröße). Informationen dazu unter sonnenseite.com: Muhammad Yunus soll bleiben!

Gemeinsam besser leben

Wer sich gezielt mit anderen Menschen zusammentut, kann sein Leben deutlich einfacher, schöner und effizienter organisieren.

Gemeinsam besser leben

Wer sich gezielt mit anderen Menschen zusammentut, kann sein Leben deutlich einfacher, schöner und effizienter organisieren. Zwei Anwältinnen geben Hilfestellung für etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: teilen.

(9. März 2010) Schon der Buchtitel ist Programm: Die Teilungslösung: Wie man Geld sparen kann, sein Leben vereinfachen kann und Gemeinschaften aufbaut - dabei handelt es sich um ein praktisches Handbuch fürs Teilen. Denn das scheint gar nicht mehr im Trend zu liegen: So laden in den USA nur noch 38 Prozent der Menschen mindestens einmal im Jahr Familie oder Freunde zu sich zum Essen ein. Zwar befürchten manche Menschen, dass mehr Gemeinsamkeit freundschaftlichen Beziehungen schadet, wenn etwas schief geht. Doch wer mögliche Probleme von Anfang an regelt und offen anspricht, wenn sie auftreten, ermöglicht es im Gegenteil, Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und allen Teilern zu vertiefen.

2624 Menschen

Das Buch sprudelt über vor guten Ideen, wie man gemeinsames Handeln aufbauen, organisieren und davon profitieren kann. So liefert es Anregungen zu möglichen Projekten, etwa den gemeinsamen Lebensmitteleinkauf, gemeinsames Wohnen, gemeinsame Haushaltsgegenstände, gemeinsame Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaften oder gemeinsames Arbeiten. Die Autorinnen geben zudem praktische Hinweise, wie man Gemeinschaften aufbauen und strukturieren kann. Jede Menge Checklisten, Formulare und Beispielverträge ergänzen die praktischen Tipps und ermöglichen es jedem, erfolgreiche Tauschbeziehungen zu organisieren.

Reziproker Profit

Teilen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich mehrere Menschen zusammenfinden, um mit ihrem Eigentum, ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Teilen beruht dabei auf Gegenseitigkeit. Jeder, der etwas einbringt, bekommt auch etwas zurück. Das passiert durch gemeinsames Eigentum, durch gemeinsame Nutzung, gleichzeitig oder abwechselnd und durch Zusammenarbeit bei der Lösung von Aufgaben, Entscheidungsfindung oder beim Kauf von Gütern.

Vorteile des Teilens

In vieler Hinsicht ist Teilen bereits integraler Teil unseres Lebens: Wir teilen Bürgersteige, Straßen, Schulen - alles bezahlt durch unsere Steuern. Teilen ist in vieler Hinsicht vorteilhaft: Es ist freundlich und schafft Verbindungen zwischen Nachbarn, Arbeitskollegen und sogar völlig Fremden. Es ermöglicht Gemeinschaften und erfüllt unsere Bedürfnisse auf kreative Art und Weise. Es gibt unseren Kindern ein gutes Beispiel. Zudem ist es wirtschaftlich vorteilhaft: Jede Art des Teilens spart Geld. Drittens ist es umweltfreundlich: Es schont Ressourcen und damit den Planeten. Es ermöglicht umweltfreundlichere Lösungen wie Solarenergie, Grauwassersysteme und gemeinschaftlichen Landbau.

Partner fürs Teilen finden

Die Autorinnen widmen ein ganzes Kapitel der Frage, wie man in einer Nachbarschaft Partner zum Teilen finden kann. Ein möglicher Start ist, einen Fragebogen zu verteilen, in dem alle Nachbarn eintragen können, ob sie etwas gemeinsam nutzen möchten und welche Möglichkeiten sie bieten. Dann gilt es, alle Teilnehmer über die Antworten der Anderen zu informiern. Interessenten treffen sich dann zu einem ersten Austausch, auf dem sie bereits erste Details für ein Tauschgeschäft besprechen können. Partner fürs Teilen kann man auch übers Internet oder am Arbeitsplatz finden.

Buchtipp:

28_Buch

The Sharing Solution: How to Save Money, Simplify Your Life & Build Community | Janelle Orsi & Emily Doskow. | Nolo, 2009 | ISBN 978-1413310214 19,99 Euro

Dinge, die man mit anderen teilen kann:
Auto (auch einen Lastwagen, Motorroller, Motorrad), Fahrrad, Kanu, Surfbrett, Flugzeug, Haushaltsgeräte (Staubsauger, Waschmaschine, Trockner, Bügelmaschine, Tiefkühltruhe), Geräte für Hof und Garten, Werkzeuge wie Kreissäge, Autowerkzeuge, Notfallausrüstung, Campingausrüstung, Zelt, Tauchausrüstung, Kunstwerke, Schmuck, Abendanzüge, Skikleidung.
Man kann auch Räume gemeinsam nutzen, wie Wohnung, Werkstatt, Garage, Studio, Waschküche, Garten, Swimming-Pool

Was man sich auch teilen kann: Zeitschriftenabo, Kindermädchen, Putzhilfe, Altenbetreuer

Gemeinsames Handeln hilft, bessere Konditionen herauszuhandeln beim Einkauf von Lebensmitteln, Brennstoffen, Flüssiggas oder Heizöl, Pflanzerde, Solarmodulen und Ähnlichem.

Dinge, die man gemeinschaftlich organisieren kann:
Kinderbetreuung, Hunde ausführen, Essen kochen, Fahrgemeinschaften, Haus renovieren, Gartenarbeiten

Linktipps

Energiegenossenschaften

  • Elektrizitätsgenossenschaft Bierenbachtal eG: www.eg-bierenbachtal.de
  • Greenpeace Energy eG: www.greenpeace-energy.de
  • Energie in Bürgerhand eG: www.energie-in-buergerhand.de
Die Logik des Gemeinsinns

Wie kann der Nutzen des Einzelnen mit den Belangen der Gesellschaft in Einklang gebracht werden?

Die Logik des Gemeinsinns

Wie kann der Nutzen des Einzelnen mit den Belangen der Gesellschaft in Einklang gebracht werden? Adam Smith glaubte, dass individuelles Gewinnstreben, wie von unsichtbarer Hand gelenkt, dem Wohl aller dient. Das gilt für unsere heutige Gesellschaft offensichtlich nicht mehr. Wir brauchen Rezepte, wie wir Gemeinschaft erfolgreich organisieren. Die liefert uns Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom.

(9. März 2010) Dem Gut, das der größten Zahl gemeinsam ist, wird die geringste Fürsorge zuteil. Jeder denkt hauptsächlich an sein eigenes, fast nie an das gemeinsam Interesse, schrieb schon Aristoteles (Politika Buch II, Kap. 3). Die ungebremste Umweltzerstörung ist das Ergebnis dieses Dilemmas. Der einzelne Verschmutzer hat einen kurzfristigen Gewinn auf Kosten der Gemeinschaft. Betroffen sind gemeinsame Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und die deshalb nicht privatisierbar sind: Alle Menschen atmen dieselbe Luft, trinken dasselbe Wasser, leiden, wenn das Klima sich verschlechtert und Ressourcen knapp werden.Und jeder beruft sich auf den Nachbarn: Warum soll ausgerechnet ich Energie sparen und höhere Kosten in Kauf nehmen, wenn andere gigantische Energiemengen verschwenden?

Die Tragödie von Garrett Hardin

Der Artikel The Tragedy of Commons von Garrett Hardin erschütterte im Jahr 1968 den Glauben an die Gemeinschaftsgüter: Danach hat jeder Hirte auf einer gemeinsamen Viehweide (Allmende) einen kurzfristigen Gewinn, wenn er seine eigene Herde vergrößert. Der Gesamtertrag jedoch sinkt, weil zu viele Tiere auf der Weide sind. „Alle rennen zielgerichtet in die Katastrophe, weil jeder seine allerbesten eigenen Interessen verfolgt in einer Gesellschaft, die an die Freiheit bei der Inanspruchnahme der Gemeingüter glaubt. Freiheit in der Nutzung der Gemeingüter führt zum Ruin aller", so Hardin in seinem niederschmetternden Fazit. Tragischerweise schied Hardin mit seiner Frau im September 2003 freiwillig aus dem Leben.

Das Bild der übernutzten Weide wurde seither unkritisch auf zahlreiche Situationen kollektiver Ressourcenbewirtschaftung übertragen und prägte das Denken ganzer Studentengenerationen. Es rechtfertigte den ungezügelten Egoismus der neoliberalistischen Jahrzehnte. Dabei ist schon die Beobachtung falsch, denn gemeinsames Wirtschaften ist gerade in dörflichen Gemeinschaften ein jahrhundertealtes Erfolgsrezept.

Das hatte der russische Schriftsteller Peter Kropotkin schon im Jahr 1902 beschrieben: „Gegenseitige Hilfe ist ein Naturgesetz für den erfolgreichen Kampf ums Leben und die Entwicklung der Arten und bei weitem wichtiger als das Gesetz des gegenseitigen Streitens". Er beschreibt in seinem Buch zahlreiche Beispiele gegenseitiger Hilfe bei Tieren und Menschen.

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Peter Kropotkin in seinem Buch: Von der gegenseitigen Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (1902)
„In der Betätigung gegenseitiger Hilfe, die wir bis an die ersten Anfänge der Entwicklung verfolgen können, finden wir also den positiven und unzweifelhaften Ursprung unserer Moralvorstellungen; und wir können behaupten, dass in dem ethischen Fortschritt des Menschen der gegenseitige Beistand - nicht gegenseitiger Kampf - den Hauptanteil gehabt hat."

Die Gegenposition: Elinor Ostrom

Auch aktuelle Forschungen aus dem Umfeld der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom entlarven die Grobschlächtigkeit des Tragik-Arguments. Weder eine Staatsaufsicht über das Gemeinwesen, noch die Privatisierung von öffentlichen Gütern lösen das Dilemma. Kommunismus und Kapitalismus sind gleichermassen gescheitert.

Es gibt aber unzählige Beispiele für erfolgreiche gemeinsame Organisationen von Menschen. „In zahlreichen Studien wurden Daten und Konzepte präsentiert, die die Annahme widerlegten, der Mensch sei unwiderruflich Gefangener dieser Tragödie. Und sie dokumentierten die unterschiedlichsten Beispiele lokaler Verwaltungssysteme und -formen aus allen Ecken der Welt, in denen die Nutzer einen Weg aus der Tragödie gefunden haben".

Menschen organisieren und kontrollieren sich in Situationen, wo Trittbrettfahren und Bruch von Vereinbarungen höchst verlockend sind.

Das schreibt Elinor Ostrom. Die 76-Jährige erhielt 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaft. Sie habe gezeigt, wie Nutzerorganisationen gemeinschaftliches Eigentum erfolgreich verwalten können, heißt es in der Würdigung der Königlichen Akademie der Wissenschaften.

2624 Elinor Ostrom / Foto: IISD

Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom

Elinor Ostrom hat zahlreiche Studien ausgewertet.Sie interessierte sich zudem für die Bedingungen, unter denen sich Menschen für den Erhalt natürlicher Ressourcen einsetzen. Eine Voraussetzung dabei scheint die Selbstorganisation der Bürger zu sein, die gemeinsam eine Ressource bewirtschaften. Sie bilden eine kollektive Bedarfsgemeinschaft, zum Beispiel Sportvereine oder Wohneigentümergemeinschaften. Die Mitglieder vereinbaren gemeinsame Regeln für die Nutzung von Ressourcen und überwachen deren Einhaltung. Zudem legen sie fest, welchen Beitrag der Einzelne für die Gemeinschaft zu leisten hat. Elinor Ostrom verdeutlicht das Prinzip an einem Beispiel: „Meine Forschung hat gezeigt, dass lokal verwaltete Wälder besser geschützt sind als staatliche Parks, in denen sich die Bewohner vor Ort nicht beachtet fühlen und die Beamten bestechlich sind. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden in einem Dorf leben, in dem wir vereinbart haben, dass wir am Samstag und am Sonntag nicht in den Wald gehen, damit er sich regenerieren kann. Wenn ich am Rand des Waldes entlanglaufe und mich mit den Regeln identifiziere, dann werde ich Sie anschreien, wenn ich Sie trotzdem dort sehe. Ich könnte ein paar ziemlich unfreundliche Worte rufen, weil Sie nicht da sein dürfen. Wenn ich denke, dass sich der Staat schon kümmern wird, laufe ich wortlos vorbei."

Die Dezentralisierung von Entscheidungen ist aber kein Allheilmittel. Das haben vergleichende Studien ergeben. Es gab in Südamerika sowohl erfolgreiche zentralisierte Organisationen, als auch wenig erfolgreiche dezentrale Systeme.

Globale Probleme

In einem Interview nahm Elinor Ostrom auch zu den aktuellen globalen Klimaproblemen Stellung: „Unter den richtigen Umständen nehmen Menschen durchaus zusätzliche Kosten und Mühen zum Schutz der Umwelt auf sich. Es hängt vor allem vom Vertrauen ab, dass andere genauso handeln. Menschen haben die Fähigkeit zu verstehen, dass ihre eigene Zukunft in Gefahr ist, wenn sie ihren Lebensstil nicht ändern. Unter den richtigen Umständen wird ihnen klar: Es ist ein Kampf aller gegen alle, wenn wir nicht handeln. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass es nur eine Lösung auf globaler Ebene gibt. Es gibt auch darunter viele wichtige Ebenen, auf denen etwas passieren muss."

Gemeingüter als Wirtschaftsprinzip

Die Open-Source-Bewegung im Internet, bei der viele schlaue Programmierer ständig an der Verbesserung kostenloser Programme arbeiten, ist ein Beispiel dafür, dass gemeinsam organisiertes Arbeiten erfolgreich sein kann. Wir verdanken diesem Bemühen unter anderem den Internetbrowser Firefox, der seinen Nutzern mehr Sicherheit und Komfort bietet, als das gekaufte Programm der Firma, dessen Besitzer und Entwicklungsleiter der reichste Mann der Erde ist. Nach diesem Vorbild der Peer-Ökonomie ließe sich auch unsere gesamte Wirtschaft organisieren: ein Gegenmodell zu Kapitalismus und Kommunismus.

Commons - Gemeingüter - sind ...

... natürliche Ressourcen wie Auen, Teiche, Fotosynthese, Moore, Firmament, Wald, Wiesen, Weiden, Spektrum, Wasser (Wasserkreislauf), Regen, Eis, Schnee, Elektrizität, Feuer, Heide, Kanäle, Artenvielfalt, Wellen (Lichtwellen, Wellen des Meeres...), Meeresboden, Energieträger, UV-Strahlung, Stabilität des Klimas, Ozonschicht, Triften, Riffe ...

... kulturelle und soziale Ressourcen wie Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Algorithmen), Sprache(n), DNA (enthaltene Information), Stille, Sinnsprüche, Märchen, Wissensbestände (Bibliotheken, Forschungs-ergebnisse/-pools, Datenbanken), kulturelle Vielfalt (Musik, Tänze, Bräuche, Traditionen), (Markt-)Plätze, Parks, Gehsteige, Wikipedia, GPL/CC, Museen, Festivals, Zeit, soziale Netze ... UND WIR.

Gemeingüter stärken

Der Interdisziplinäre Politische Salon der Heinrich-Böll-Stiftung hat im Jahr 2008 ein politisches Manifest beschlossen: Gemeingüter stärken. Jetzt! Mit Recht verweist man darauf, dass schon in der Verfassung der Bundesrepublik das Privateigentum dem Gemeinwohl verpflichtet wird: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes.
Am 31. Januar 2010 wurde in Berlin das Institut Solidarische Moderne gegründet, u. a. von Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer. Es will eine politische Alternative zum Neoliberalismus entwickeln und mehrheitsfähig machen.

Weitere Informationen:

Weitere Bücher zum Thema:

  • Die Verfassung der Allmende | Elinor Ostrom | Mohr Siebeck Verlag | 1999 ISBN 3-16-146916-x
  • Trust and Reciprocity | Elinor Ostrom und James Walker (Ed) | Russell Sage Foundation 2002 | ISBN 978-0-87154-647-0
  • Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung | Peter Kropotkin | Leipzig 1904
  • Wem gehört die Welt | Silke Helfrich | Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) | ISBN 978-3-86581-133-2
    Netzausgabe zum Download (PDF, 2,54 MB)

letzte Änderung: 16.05.2018