ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Die unheimliche Regierung: Krebsgeschwür Lobbyismus

Das vorschnelle Ende der Energiewende, Prämien für Kohlekraftwerke, Haftungsfreistellung für Atomkraftwerke, steigende Preise für Verbraucher und zugleich sinkende Preise für die Industrie: Die Industrielobby leistet ganze Arbeit und hat es offenbar nicht allzu schwer, Politik und Medien zu fluten.

ED 04/2016 Die unheimliche Regierung: Krebsgeschwür Lobbyismus (S.24)

EU-Parlament: Lobbyeinfluss wird offengelegt

Von Aribert Peters

(27. April 2019) Lobbyisten manipulieren im Verborgenen die Politik und Verbraucher zahlen die Zeche. Besonders
in Deutschland gibt es krasse Beispiele: Während Industrie und Großverbraucher Ausnahmen bei der EEG-Umlage, den Netzentgelten und sogar der Konzessionsabgabe genießen, werden Bürgerenergieprojekte, Mieterstrom und einfache Verbraucher doppelt belastet.

Um diesem Treiben entgegenzuwirken, hat das EU-Parlament am 31. Januar 2019 zum ersten Mal verbindliche Regeln für Lobbytransparenz beschlossen. Bei Parlamentsbeschlüssen mitwirkende Europaabgeordnete müssen ihre Treffen mit Lobbyisten künftig öffentlich auflisten. Damit hinterlassen Lobbyisten einen „legislativen Fußabdruck“ an ihren Tatorten. Der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) hat über Jahre auf diesen Entschluss hingearbeitet. Mehr Transparenz stärkt das Vertrauen der EU-Bürger in das Europaparlament und sichert die Demokratie.

Nahezu zeitgleich hat auch der Landtag Thüringens eine vergleichbare Regelung beschlossen. Von Brüssel und Thüringen geht damit ein Signal an die Bundespolitik: Auch der Bundestag sollte sich zu mehr Lobbytransparenz bekennen.

Lobbyismus ließ Emissionshandel scheitern

Schon immer haben wir geahnt, wie stark Großindustrie und Energiewirtschaft auf die politischen Entscheidungen einwirken. Jetzt wurde dieser im Verborgenen wirkende Einfluss erstmals minutiös in einer Dissertation analysiert und offengelegt.
Von Aribert Peters

(23. April 2019) Im Rahmen seiner Dissertation ging der Politikwissenschaftler Matthias Corbach der Einflussnahme von Lobbyisten auf die Ausgestaltung des Emissionshandels nach. Die umfangreiche Dissertationsarbeit liest sich streckenweise wie ein Krimi. Es wird minutiös aufgezeigt, wie Ministerien, Bundeskanzler und Parlament den Klimaschutz den Wirtschaftsinteressen opferten, egal ob Rot-Grün oder Schwarz-Rot. Helden und Versager treten auf. Das Scheitern des Emissionshandels wird durch Lobbyeinflüsse erklärt.

3226 Cover Energiepolitischer Lobbyismus in Deutschland

Energiepolitischer Lobbyismus in Deutschland: Eine Fallanalyse zur Einführung des Emissionshandels
Matthias Corbach, 12. Dezember 2018, 589 Seiten
Download: bdev.de/corbachpdf

Was ist Lobbyismus?

„Lobbyisten versuchen, die Interessen einer Minderheit gegen die Interessen der Allgemeinheit durchzusetzen“, so die Bundeszentrale für politische Bildung. Lobbyismus schwächt die Demokratie, höhlt sie aus. Lobbyisten arbeiten mit Drohungen und oft auch falschen Versprechen.

Matthias Corbach begann seine Recherchen mit Interviews, stellte aber schnell eine deutliche Diskrepanz zwischen Statements in Interviews und nachweisbaren Fakten wie E-Mails und Sitzungsprotokollen fest. Oftmals waren die Unterschiede so deutlich, dass von bewusster Verfälschung der Tatsachen durch den befragten Akteur ausgegangen werden muss. Statt weiterer Interviews beschaffte sich Corbach deshalb die Akten aus Umweltbundesamt und Bundeswirtschaftsministerium, dem Bundeskanzleramt sowie dem Bundestag und analysierte diese minutiös.

Aktenherausgabe um Jahre verzögert

Im Jahr 2011 stellte Corbach die Anträge auf den Bezug der Akten nach dem Umweltinformationsgesetz. Obwohl die Ministerien innerhalb von zwei Monaten hätten antworten müssen, zog sich die Herausgabe der Akten teilweise bis zum Jahr 2015 hin. Vom Umweltministerium wurde eine Antragsbearbeitung zunächst völlig verweigert: Corbach könne sich ja durch alle Instanzen durchklagen, da würde die Dissertation „schon einmal Staub ansetzen“. Nach Jahren zähen Verhandelns erhielt Corbach dann die Unterlagen, allerdings teilweise geschwärzt.

3226 Marionette / Foto: Yomare (CC0)

Einführung des EU-Emissionshandels

Im Oktober 2003 wurde die Europäische Emissionshandelsrichtlinie erlassen. Viele Industrieverbände und Firmen wollten den Emissionshandel auf jeden Fall verhindern.

Tatsächlich versuchte die Bundesrepublik in Brüssel mit allen Mitteln den Emissionshandel zu blockieren, zu verzögern oder ihn so auszugestalten, dass er klimapolitisch de facto wirkungslos ist. Selbst Bundeskanzler Schröder intervenierte beim Kommissionspräsidenten Prodi. Deutschland versuchte auch unter den EU-Mitgliedsstaaten eine Blockade gegen die Emissionshandelsrichtlinie zu organisieren.

Letztlich musste Deutschland seinen chancenlosen Widerstand aufgeben und die Richtlinie wurde verabschiedet. Dieser Fall belegt, wie sich deutsche Außenpolitik durch die Interessen der Wirtschaft instrumentalisieren lässt, bis hin zum Bundeskanzler. Klimaschutz spielte dabei keine Rolle. Es wurde mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und dem Ausbleiben von Kraftwerksinvestitionen gedroht. Auch die Gewerkschaften argumentierten gegen den Emissionshandel, weil „die Beschäftigten ihre Arbeitsplätze massiv bedroht sehen“, so ein Schreiben von Verdi-Chef Bsirske an Bundeskanzler Schröder vom 8. Oktober 2002.

Erster nationaler Zuteilungsplan

Im ersten nationalen Allokationsplan (NAP I) wurde um die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die Jahre 2005 bis 2007 gerungen. Über den NAP I wurde unter anderem in kleinen Staatssekretärs-Runden verhandelt, zu denen 13 Wirtschafts- und Branchenvertreter geladen waren, aber keine Vertreter von Verbraucherschutzorganisationen und Umweltverbänden. Auch Bundestagsabgeordnete wurden nicht beteiligt. Das Umweltministerium forderte Emissionsminderungen und setzte sich damit durch. Energieversorger und Wirtschaft setzten daraufhin Umweltminister Trittin massiv unter Druck: Er gefährde Arbeitsplätze und die Versorgungssicherheit. Wirtschaftsminister Clement wurde hingegen als Retter dargestellt. Entschieden wurde dann in einer Runde bestehend aus Bundeskanzler Schröder sowie den Ministern Trittin und Clement am 30. März 2004, dass es bis 2012 nur eine Minderung von zwei Prozent geben soll. Nach dem Kyoto-Protokoll hätten es vier Prozent sein müssen. Im Bundestag sollten die Abgeordneten dann die wichtigen Eckpunkte nicht mehr in Frage stellen. Darüber gab es im Parlament erheblichen Unmut, letztlich hat der Bundestag jedoch alles wunschgemäß abgenickt. Später stellte sich heraus, dass viel zu viele Emissionsberechtigungen verschenkt wurden. Der Preis für Zertifikate sank daraufhin dramatisch.

Zweiter Zuteilungsplan

Um den zweiten nationalen Allokationsplan NAP II für die Jahre von 2008 bis 2012 wurde ebenfalls hart gerungen. Im Gegensatz zum NAP I konnten auch Emissionsreduzierungen in Drittländern, durch sogenannte Clean Development Mechanism oder Joint Implementation-Projekte angerechnet werden. Das kann man als Schlupfloch ansehen, über dessen Höhe auch gestritten wurde. Von anfänglich 20 Prozent wurde die Quote auf 12 Prozent gesenkt. Die Diskussion hinter verschlossenen Türen wurde von einem Unternehmen geleitet, das eben solche Projekte durchführte. Es sollten „keine überspannten Anforderungen gestellt werden und keine Prüfung der Projekte selbst“ stattfinden. Im Bundestag waren die Schlupflöcher umstritten. Später wurden Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit den Ersatzprojekten in Drittländern laut, die aber nie aufgeklärt wurden.

Gabriel machte RWE und Vattenfall Zusagen

RWE kämpfte für die Beibehaltung einer Übertragungsregelung aus dem NAP I, wonach Anlagen im bisherigen Umgang mit kostenlosen Zertifikaten beschenkt werden. Zwei Jahre vor der Bundestagsabstimmung schrieb das BMU an RWE, es gebe keine Veranlassung, die Fortführung der günstigen Übertragungsregel infrage zu stellen. Auch Vattenfall setzte sich für genügend Zertifikate für seine Braunkohlekraftwerke ein. Das wurde dann in einem persönlichen Gespräch am 25. April 2006 zwischen Umweltminister Sigmar Gabriel und Vattenfall Chef Lars Göran Josefsson vereinbart. An diese Zusage fühlte man sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren innerhalb der Ministerien gebunden. Zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium einigte man sich schließlich 2006 auf einen NAP II Entwurf. Er sah absurderweise die Zuteilung von mehr Emissionszertifikaten vor, als bereits 2005 tatsächlich emittiert wurden – also ein Verzicht auf eine Emissionsminderung.

Die EU besteht auf Emissionsminderungen

Die EU-Kommission akzeptierte den NAP II Entwurf jedoch nicht und forderte deutlich höhere Emissionsminderungen von Deutschland. Auch wurde die Bestandssicherung abgelehnt, die Deutschland vorgesehen hatte: 14 Jahre keine Emissionsminderung für Neuanlagen. Nun intervenierte sogar Bundeskanzlerin Merkel bei Kommissionspräsident Barroso, allerdings erfolglos. Industrie und Energiewirtschaft sahen deutliche Verpflichtungen für Emissionsminderungen auf sich zukommen. Sie drohten der Politik: Wachstum und Beschäftigung in Deutschland seien in Gefahr. Man war nicht zu ernsthaften Klimaschutzanstrengungen bereit. Schließlich musste Gabriel die EU-Kommissionsvorgaben akzeptieren. Nun wurde darum gerungen, wie die geringere Zahl an Zertifikaten zu verteilen ist. Der Bundestag war an der Entwicklung des NAP II kaum beteiligt worden. Lediglich eine Auktionierung von 10 Prozent der Zertifikate wurde vom Bundestag durchgedrückt.

Demokratie gefährdet

In seiner Schlussfolgerung stellt Corbach eine erhebliche Gefährdung der parlamentarischen Demokratie fest. Die wichtigen Entscheidungen werden zwischen der Ministerialbürokratie und den betroffenen Industrieunternehmen ausgehandelt. Das Parlament hat nur marginale Einflüsse.

lobbycontrol.de: Wie Konzerne in Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten Gesetze kapern

Es zeigte sich, dass die Unternehmen 2003 einerseits die Preise für kostenlos zugeteilte Zertifikate auf ihre Preise aufschlugen, andererseits die zu viel zugeteilten Zertifikate gewinnbringend veräußerten. In Deutschland bekommen seit 2013 Unternehmen zudem die Kosten für den Kauf von CO2-Zertifikaten ersetzt, aus dem Energie- und Klimafonds im Jahr 2016 in einem Umfang von 245 Mio. Euro.

FÖS: Ausnahmeregelungen für die Industrie bei Energie-und Strompreisen

„Ich möchte Alarm schlagen“

„Eine Tragödie der Menschheit“ nennt der Umweltaktivist Thilo Bode den ungebremsten Eigennutz der Konzerne. „Schleichend, aber unter unser aller Augen verschieben sich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.“ Wir müssen uns wehren.

„Ich möchte Alarm schlagen“

„Eine Tragödie der Menschheit“ nennt der Umweltaktivist Thilo Bode den ungebremsten Eigennutz der Konzerne. „Schleichend, aber unter unser aller Augen verschieben sich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.“ Wir müssen uns wehren.

(29. Januar 2019) Thilo Bode ist Gründer und internationaler Direktor der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch und war vorher lange Jahre Geschäftsführer bei Greenpeace Deutschland und Greenpeace International. Wir zitieren aus seinem neuesten Buch: „Die Diktatur der Konzerne“.

Warum entscheiden Politiker gegen das Gemeinwohl?

„Seit ich als Aktivist für Umweltschutz und Verbraucherrechte tätig bin, treibt mich die Frage um: Warum trifft die Mehrzahl der Politiker so oft Entscheidungen gegen das Gemeinwohl und zugunsten der Industrie? Was bringt Politiker dazu: Ich halte diese Frage für das Kernproblem unserer demokratischen Gesellschaft.“

3226 Thilo Bode

Thilo Bode | Gründer und Direktor von Foodwatch sowie Autor der Bücher „Die Demokratie verrät ihre Kinder“ und „Die Diktatur der Konzerne“.

Es wird nicht gegen Konzerne entschieden

„Beispiel Klimapolitik: Je sicherer die Erkenntnis wurde, dass die Klimaerwärmung menschengemacht ist, desto schwächer wurden – von Kyoto 1997 bis Paris 2016 – die internationalen Klimaschutzabkommen. Heute stehen wir vor einer gescheiterten Klimapolitik. [...] Ohne den erbitterten Widerstand der Kohle-, Öl-, Strom- und Autokonzerne wäre es gelungen, dieses Desaster von der Menschheit abzuwenden. [...] Ich kann mich nicht mit der gebräuchlichen Erklärung zufriedengeben, es fehle nur der ‚politische Wille‘, die Konzerne zu regulieren. [...] Es besteht vielmehr der politische Wille, nicht gegen die Konzerne zu entscheiden. Seit dem Fall der Mauer ist eine neue Qualität des Lobbyismus entstanden aufgrund der dramatisch gewachsenen Markt- und Finanzmacht der Konzerne. Diese Markt- und Finanzmacht ist zu einer politischen Macht geworden. Das hat verheerende Auswirkungen auf die Demokratie und verursacht gewaltige Schäden. [...] Ich halte es für angemessen, es eine Tragödie für die Menschheit zu nennen, dass Konzerne ihr gewaltiges technologisches Potential nicht zum Wohl der Allgemeinheit, sondern zu ihrem Schaden einsetzen. [...] Ich möchte Alarm schlagen: Schleichend, aber unter unser aller Augen verschieben sich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft in einem Ausmaß, das die Demokratie, die Marktwirtschaft, unsere Selbstbestimmtheit und unsere Freiheit gefährdet. Wir Bürger müssen uns wehren.“

Gewinnaufschläge gestiegen

Bode zitiert eine Untersuchung aus Princeton, nach der die Gewinnaufschläge zwischen dem Ende des zweiten Weltkriegs bis 1980 relativ konstant waren und dann bis zum Jahr 2014 von vorher 18 auf 67 Prozent gestiegen sind. Ein Beleg dafür, dass Konzerne exzessive Marktmacht haben und dadurch die Preise erhöhen können, ohne Kunden zu verlieren.

Drehtüren-Effekt

Der „Drehtüren-Effekt“ erklärt den Einfluss der Konzerne: Bode zählt viele Beispiele auf. Darunter Exkanzler Gerhard Schröder, Joschka Fischer usw. „Für die EU-Abgeordneten zeigt eine Untersuchung, dass jeder Dritte von ihnen nach dem Ausscheiden aus dem Parlament zu einer im Lobbyregister verzeichneten Organisation wechselte. Bei den ehemaligen EU-Kommissaren liegt diese Quote gar bei 55 Prozent. Und von den Brüsseler Lobbyisten haben mindestens 20 Prozent vorher für die EU gearbeitet. Beim Unternehmen Google standen 57 Prozent der bei Google akkreditierten Lobbyisten vorher im Lohn der EU.“

„Wie ist es um das Gemeinwohl bestellt, wenn die politische Laufbahn zum Sprungbrett ins höher dotierte Lobbylager verkommt [...] Die Lobbyelite ist mit der politischen Elite in einem Ausmaß verschmolzen, dass Wirtschaftsinteressen informell mitregieren und die Interessengegensätze von Industrie und Politik zu einer Interessenkoalition mutieren. Die vom Bürger an Abgeordnete delegierte Macht wird unter aller Augen sukzessiv an marktbeherrschende Interessengruppen abgetreten.“

Unternehmen gegen Regierungen: Der Energie Charter Treaty

Ein Instrument zum Bremsen der Energiewende ist die Energiecharta (Energy Charter Treaty, kurz ETC). Dieser internationale Vertrag ist 1998 in Kraft getreten. Er erlaubt es Konzernen, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, um ihre Gewinninteressen durchzusetzen. Eine Studie zählt 114 solcher Klagen, darunter die des Energiekonzerns Vattenfall auf 5 Mrd. US-Dollar Schadensersatz wegen des deutschen Atomausstiegs. Insgesamt wurden Regierungen zu rund 51 Mrd. Euro Schadensersatz verurteilt und in Vergleiche getrieben.

Es formt sich Widerstand

Bodes Schlussfolgerung: „Auf der linken und grünen Seite hängt man der Illusion an, wichtige politische Entscheidungen könnten herbeigeführt werden, ohne die Machtverhältnisse zu ändern. [...] Die Politik hat ihre Handlungsfähigkeit verkauft und verloren. Lediglich nach Gesetzen zu rufen ist naiv, weil das bestehende System die immense Machtfülle der Konzerne nicht regulieren kann. [...] An vielen Stellen formiert sich bereits Widerstand. Es sind Organisationen und Gruppen, auch Einzelpersonen, die zeigen, dass wir etwas tun können.“

Bode stellt klar: Die Macht der Konzerne lässt sich brechen – wir können unsere Souveränität zurückerobern!

Warum schweigen die Lämmer?

Die Thesen von Prof. Rainer Mausfeld

Warum schweigen die Lämmer?

Warum beschließen die Regierungen demokratischer Länder Gesetze, die Reiche immer reicher und die große Mehrheit immer ärmer machen? Die Mehrheit müsste doch nur eine Regierung wählen, die in ihrem Interesse handelt.

(3. Juli 2018) Man könnte auch fragen: Wieso billigen Bürgerinnen und Bürger, dass ihre Länder und Verbündete Kriege mit Todesopfern und schlimmsten Gräueltaten begehen? Solche Taten würden von jedem Einzelnen als schlimmstes Unrecht abgelehnt und verurteilt – bei vorgeblich gerechtfertigtem staatlichen Handeln empfinden wir sie hingegen als moralisch nicht verwerflich.

Die Antwort auf beide Fragen könnte dieselbe sein: Mittels Faktenselektion, De-Kontextualisierung und Re-Kontextualisierung werden ideologisch unpassende Fakten „unsichtbar“. Diese Ansicht vertritt Prof. Dr. Rainer Mausfeld, emeritierter Professor für allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Weil die Täuschung der Öffentlichkeit auch beim Bremsen der Energiewende und beim Abschied von fossilen Energien sehr wirksam funktioniert, lohnt sich ein Blick auf seine Argumente auch für die energiepolitische Diskussion. Wir zitieren im Folgenden mit freundlicher Genehmigung aus den beiden Vorträgen „Warum schweigen die Lämmer“ und „Die Angst der Machteliten vor dem Volk“ von Prof. Mausfeld.
Videoaufzeichnungen und vollständige Transkripte beider Vorträge finden Sie im Internet: www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/

3226 Prof. Dr. Rainer Mausfeld

Prof. Dr. Rainer Mausfeld studierte Psychologie, Mathematik und Philosophie in Bonn, wo er promovierte und habilitierte. Von 1993 bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie an der Universität Kiel inne. Er forscht insbesondere im Bereich der Kognitionswissenschaft sowie Wahrnehmungspsychologie und publiziert gesellschaftspolitische Beiträge zur Umwandlung von Demokratien in autoritäre Sicherheitsstaaten und psychologische Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements.

Was macht Demokratie attraktiv?

Demokratie ist nicht nur eine von möglichen Herrschaftsformen, sondern sie ist die einzige Form, in der sich politische Macht überhaupt legitimieren lässt. Aus Sicht des Volkes, also von unten betrachtet, ist Demokratie attraktiv, weil wir von Natur aus über eine Konzeption von Zwang und damit auch von Freiheit verfügen. Wir wollen uns autonom fühlen; wir wollen nicht dem Willen eines anderen unterworfen sein.

Echte Herrschaft des Volkes würde jedoch die Mächtigen einschränken und bedrohen. Daher betrachten die herrschenden Eliten die Demokratie als eine notwendige Illusion und bemühen sich hinter der Rhetorik von Demokratie, die zur Sicherung ihrer Eigeninteressen geeigneten oligarchischen Strukturen zu etablieren. Dabei ist die Idee von Demokratie inzwischen so entleert, dass sie nur noch auf einen Wahlakt beschränkt ist. Im Ergebnis bleibt die Wahlmöglichkeit des Volkes als sinnbildliche Schafherde inzwischen darauf beschränkt, andere Hirten (Politiker) aus dem Personal des Herdenbesitzers (Großkapital und Konzerne) zu wählen.

3226 Schafe / Foto: BeneA / photocase.de

Die Politikwissenschaftler Martin Gilens und Benjamin Page haben beispielsweise im Jahr 2014 in den USA untersucht, mit welchem Stimmgewicht der Willen der großen Masse des Volkes in politische Entscheidungen eingeht. Ihre Analysen zeigen, dass das Stimmgewicht nahe bei Null liegt und dass siebzig Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Dies darf den Bürgern jedoch nicht bewusstwerden! Die Lösung ist, die Bürger mit einem Surrogat zu stillen, sie mit einer Ersatzdroge zu befriedigen, nämlich der Illusion von Demokratie. Um eine solche Illusion von Demokratie zu schaffen, benötigt man vor allem – und genau hier kommt die Herden-Metapher wieder ins Spiel – eine Rechtfertigungsideologie, die begründet, warum das Volk unmündig sei und einer Führung bedürfe.

Doch wenn wir einen Blick auf die Einschätzungen der Bürger zur Realität dieses Grundgedankens werfen, so zeigt eine Gallup-Umfrage von 2015, dass in Westeuropa die Mehrheit der Bürger inzwischen dennoch nicht mehr der Auffassung ist, dass der Grundgedanke der Demokratie verwirklicht ist. Auf die Frage „Would you say that your country is governed by the will of the people?“ (übersetzt: Würden Sie sagen, dass Ihr Land vom Willen der Bevölkerung regiert wird?) antworteten 56 Prozent der Bürger Westeuropas mit „Nein“ oder „eher nicht“.

Techniken der Meinungsmanipulation

Besonders die sogenannten gebildeten Schichten sind anfällig für die Illusion des Informiertseins. Sie sind durch ihre schweigende Duldung ein wichtiges Stabilisierungselement der jeweils herrschenden Ideologien. Im politischen Bereich spielen Techniken der affektiven Kontrolle und Techniken der Angsterzeugung eine besondere Rolle. In der Legitimationsrhetorik für militärische Interventionen bedient man sich gerne einer Doppelstrategie: Die gebildeteren Teile der Bevölkerung lassen sich recht leicht unter dem Banner von humanitären Interventionen für Angriffskriege gewinnen, der übrige Teil lässt sich am leichtesten durch Angsterzeugung vor bösartigen und gewalttätigen Kräften gewinnen.

Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt

Im Rahmen der 28. Pleisweiler Gespräche hielt Rainer Mausfeld am 22. Oktober 2017 einen weiteren Vortrag, der inhaltlich über die in diesem Artikel zusammengetragenen Argumente hinausgeht. Der Vortrag wurde vom Team der Onlinepublikation NachDenkSeiten in Wort und Bild aufgezeichnet und ist abrufbar unter www.nachdenkseiten.de/?p=40899.

Insgesamt sind zur Lenkung der Bevölkerung Techniken vorzuziehen, die nicht nur kurzzeitig wirken, sondern länger anhaltende Effekte haben. In diesem Sinne ist eine Steuerung von Meinungen wichtiger als eine rein affektive Steuerung. Denn Meinungen sind zumeist stabiler als Affekte. Daher kommt Techniken eine besondere Rolle zu, durch die man Meinungen in geeigneter Weise steuern kann. Für diese einfachen Techniken benötigt man keine besonderen Kenntnisse der Psychologie, sie sind das Standardgeschäft der Massenmedien:

  1. Die Deklarierung von Fakten als bloße Meinungen.
  2. Die fragmentierte Darstellung eigentlich zusammenhängender Fakten mit dem Ziel, dass der Sinnzusammenhang verloren geht.
  3. Fakten zu De-Kontextualisieren, sie aus ihrem eigentlichen Zusammenhang herauszulösen, so dass sie lediglich als isolierte Einzelfälle erscheinen.
  4. Die Re-Kontextualisierung von Fakten eingebettet in einen mit positiven Begleitvorstellungen versehenen Kontext, so dass sie ihren ursprüng-lichen Sinnzusammenhang und ein damit möglicherweise verbundenes moralisches Empörungspotenzial verlieren.
Legitimation militärischer Aktionen

Staaten können mit Billigung und Unterstützung der Mehrzahl ihrer Bürger schlimmste Gräueltaten – wie Folter, Morde oder gar Völkermord – begehen und dennoch davon überzeugt sein, dass ihre Taten moralisch nicht verwerflich seien. Dieses Phänomen wirft tiefgehende Fragen zu unserer Natur auf. Denn eigentlich verfügen wir ja über eine natürliche moralische Sensitivität, über ein natürliches Urteilsvermögen für das, was wir als Unrecht ansehen – zumindest dann, wenn es die Taten anderer betrifft. Damit es zu dem genannten Paradox kommen kann, muss unser natürliches moralisches Urteilsvermögen in geeigneter Weise unterlaufen oder blockiert werden. Am einfachsten ist dies zu bewerkstelligen, wenn man die von unserer Gemeinschaft begangenen Gräueltaten moralisch unsichtbar macht.

Allein in den letzten 15 Jahren wurden vier Millionen Muslime durch uns, also durch die westliche Wertegemeinschaft, getötet, um so den Terrorismus in der Welt auszurotten. Dies steht in einer langen geschichtlichen Kontinuität der westlichen Wertegemeinschaft – vom europäischen Kolonialismus und seiner zivilisatorischen Mission, über den Vietnamkrieg, in dem 1 bis 2 Millionen Zivilisten durch ihre Ermordung vom Kommunismus, also von den Zumutungen einer falschen Lebensform, befreit wurden, bis hin zu humanitären Interventionen und zivilisatorischen Missionen für Demokratie und Menschenrechte der Gegenwart. Begleitet werden diese Verbrechen durch einen Chor der Selbstbeglückwünschung und Selbstbeweihräucherung westlicher Politiker, bereitwilliger Journalisten und Intellektueller, für die diese Taten nur Ausdruck wohltätigen Bemühens sind. Obwohl all dies ausführlich dokumentiert wird, ist es im öffentlichen Bewusstsein so gut wie nicht präsent!

Es bedarf in der medialen Darstellung dieser Verbrechen einer beträchtlichen Fragmentierung und einer radikalen Re-Kontextualisierung als Kampf für Demokratie und Menschenrechte, damit Verbrechen dieser Größenordnung sowie ihre geschichtliche Kontinuität für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar werden.

Sprachliche Techniken

Das wichtigste Medium für eine solche kollektive Hypnose ist natürlich die Sprache. Wer die Sprache beherrscht, also die Begrifflichkeiten und Kategorien, in denen wir über gesellschaftlich-politische Phänomene nachdenken und sprechen, hat wenig Mühe, auch uns zu beherrschen: „Mit Hilfe der Sprache hält man das Denken in Schach!“

Eine Reihe experimenteller Studien zeigt, dass eine Aussage, die die Experimentatoren gemacht haben, im eingeschätzten Wahrheitsgehalt der Beobachter steigt, je häufiger sie präsentiert wird, und zwar auch dann, wenn sie zuvor vom Experimentator ausdrücklich als falsch deklariert wurde. Diese Prozesse laufen automatisch und unbewusst ab. Wir können uns also nicht dagegen wehren. Selbst wenn man die Versuchsperson zuvor über dieses Phänomen aufklärt, ändert dies nichts an dem Effekt: Je häufiger sie eine Meinung hört, umso stärker steigt der gefühlte Wahrheitsgehalt.

Manipulation durch Ausgrenzung

Und je weniger wir uns in einem Bereich auskennen, umso stärker neigen wir dazu, die Wahrheit gleichsam in der Mitte zu suchen. Wir neigen also dazu, alle Meinungen als gleichberechtigt anzusehen, und meiden die als extrem angesehenen Ränder des beobachteten Meinungsspektrums, selbst dann, wenn tatsächlich die richtige Auffassung dort verortet ist. Die öffentliche Meinungsbildung lässt sich also sehr wirkungsvoll bereits dadurch steuern, dass man zunächst die Ränder dessen festlegt, was noch als vernünftig anzusehen ist. Positionen, die radikaler sind und deutlicher auf das Zentrum der Macht zielen, werden dann bereits durch diese nahezu unsichtbare Markierung der Grenzen des Akzeptablen für die Öffentlichkeit als Unverantwortlich gekennzeichnet. Sie gehören damit nicht mehr zum Bereich dessen, was sinnvoll diskutiert werden kann.

Irreführende Begrifflichkeiten

Prominentes Beispiel ist auch das zunehmende Neusprech zur Verhüllung und Verdeckung des tatsächlich Gemeinten, mit dem man inzwischen leicht ein Orwellsches Neusprech-Wörterbuch füllen könnte. Hierzu gehören Begriffe wie Strukturreform, Reformwille, Bürokratieabbau, Deregulierung, Stabilitätspakt, Austerität, Euro-Rettungsschirm, freier Markt, schlanker Staat, Liberalisierung, Harmonisierung, marktkonforme Demokratie, alternativlos, Humankapital, Leiharbeit, Sozialneid, Leistungsträger und so weiter. Derartige Begriffe transportieren ideologische Weltbilder, deren totalitären Charakter es aufzudecken und zu benennen gilt.

Damit wir diesen ideologischen Weltbildern nicht unbewusst und ungewollt erliegen, müssen wir die stillschweigenden Prämissen, Vorurteile und ideologischen Komponenten in der Begrifflichkeit, in der wir über gesellschaftlich-politische Phänomene sprechen, identifizieren und bewusst machen.

Doch selbst wenn wir wissen, wie diese Manipulationstechniken funktionieren und welche Eigenschaften unseres Geistes sie sich zunutze machen, sind wir nicht gegen sie gefeit. Die dabei aktivierten internen Prozesse laufen unbewusst ab und unterliegen nicht unserer willentlichen Kontrolle. Wenn sie erst einmal aktiviert sind, ist es nahezu aussichtslos, ihnen entgehen zu wollen.

Darf man das Volk belügen?

Die Lüge gehört heute ganz selbstverständlich zum alltäglichen politischen Geschäft, bei Politikern wie in den Medien. Jean-Claude Juncker, der gegenwärtige Präsident der Europäischen Kommission, stellt im April 2011 unumwunden klar: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Und natürlich ist es in der Politik immer ernst.

Einfacher jedoch können sich die Eliten um das Volkswohl kümmern, wenn sie gar nicht erst zu lügen brauchen, weil das Volk gar kein Interesse mehr an der Wahrheit hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Volk politisch apathisch und infantilisiert ist. Ein wirksamer Weg, das Volk davon abzuhalten, überhaupt politische Überzeugungen auszubilden, besteht in der Erzeugung von politischer Lethargie. Besonders erfolgversprechend ist dabei die systematische Erzeugung von Angst und Hass gegen andere Gruppen, die sich seit jeher bei der Kontrolle der öffentlichen Meinung bewährt haben. Es muss nur sichergestellt sein, dass sich Empörungsenergie und Veränderungsbedürfnisse nicht gegen die Zentren der Macht richten. Auch die strukturelle Erzeugung von Ängsten auf sozio-ökonomischem Wege – beispielsweise ein hohes Maß von beruflichem Stress, gesellschaftliche Versagensängste und Ängste vor sozialem Abstieg – lässt sich für dieses Ziel nutzen. Weitere Methoden, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht abzulenken, sind Zerstreuung durch eine mediale Überflutung mit Nichtigkeiten.

Es fehlt echte Demokratie

Durch die Indoktrination einer Alternativlosigkeit von repräsentativer Demokratie haben wir im gesellschaftlichen Gedächtnis die eigentlichen geschichtlichen Triebfedern dieser Form der Elitenherrschaft vergessen und sind gar nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass die Idee einer repräsentativen Demokratie gerade zur Abwehr von wirklicher Demokratie entstanden ist. Wir sind nicht nur sozial fragmentiert, wir sind entpolitisiert, wir sind weitgehend in politische Apathie und Resignation getrieben, und wir sind vom Besten unserer sozialen Ideengeschichte entwurzelt worden. Warum? Damit wir politisch orientierungslos bleiben und damit wir vergessen, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Mehr als 50 Jahre Elitendemokratie haben uns gezeigt, wohin dieser Weg führt. Es ist der Weg der Zerstörung. Der Zerstörung von Gemeinschaft, der Zerstörung der Idee von Gemeinschaft, der millionenfachen Zerstörung von Leben, der Zerstörung von kultureller und zivilisatorischer Substanz – vor allem in der Dritten Welt – und der Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen. Die Nutznießer dieser Zerstörung haben keinen Grund, diesen Weg der Zerstörung zu ändern. Die dazu notwendige Veränderungsenergie kann nur von unten kommen – von uns. Das ist unsere Aufgabe und das ist unsere Verantwortung.

3226 Cover Warum schweigen die Lämmer? - Rainer Mausfeld

Warum schweigen die Lämmer?

Aufbauend auf den Inhalten der hier zusammengefassten Vorträge soll am 2. Oktober 2018 unter dem Titel „Warum schweigen die Lämmer?“ ein Buch von Prof. Dr. Rainer Mausfeld mit rund 300 Seiten Umfang zum Preis von voraussichtlich 24 Euro erscheinen.
ISBN: 9783864892257


Wer mit wem?

Die Energiewende ist ein willkommener Vorwand, Geld von Verbrauchern und aus der Staatskasse für Energiekonzerne und Großindustrie lockerzumachen.

Wer mit wem?

(26. Juli 2017) Die Energiewende ist ein willkommener Vorwand, Geld von Verbrauchern und aus der Staatskasse für Energiekonzerne und Großindustrie lockerzumachen. Ein dermaßen korrupter Staat verspielt das Vertrauen seiner Bürger und Wähler und gefährdet die Demokratie. Die Industrie bekommt den Energiepreis subventioniert, die Energiekonzerne ihre alten Kraftwerke. Die engen Gesprächskontakte zwischen Regierung und Industrie zeigen, wie intensiv die Beziehungen sind. Eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken listet zahlreiche Gesprächstermine zwischen Kanzlerin, Minister und Spitzenbeamten auf. bdev.de/bttreffen

Die mit großem Abstand besten Kontakte zur Politik pflegten die vier Energieriesen RWE, E.on, Vattenfall und EnBW. Allein E.on traf im Berichtszeitraum insgesamt 40 Spitzenpolitiker, darunter viermal die Kanzlerin und 29 mal Minister. Ein Beispiel von vielen: In der ersten Hälfte des Jahres 2015 wollte SPD-Chef Sigmar Gabriel Braunkohlekraftwerke durch eine zusätzliche Klimaabgabe belasten und damit aus dem Markt drängen. Im Sommer war dieser Plan tot. Statt zahlen zu müssen, bekommen die Betreiber der klimaschädlichen Kraftwerke nun eine Milliardenentschädigung für eine geringere Stilllegung. Der Bundesverband Erneuerbare Energien kritisiert, die Regierung höre vor allem auf „konservative Energie- und Industrieverbände, denen die Energiewende zu schnell geht“. Das Wirtschaftsministerium weist diesen Vorwurf zurück. „Einen privilegierten Zugang einzelner Interessenvertreter“, schreibt SPD-Staatssekretär Uwe Beckmeyer in der Antwort, „kann die Bundesregierung nicht feststellen“.

Durchgriff der Lobby

Klimaschutzplan

Durchgriff der Lobby: Klimaschutzplan

(12. Januar 2017) Gegen den Klimaschutzplan der Bundesregierung wehrten sich prominente CDU-Politiker.

Aus ihrem Schreiben an die Bundeskanzlerin: „Den Klimaschutzplan in seiner bisherigen Ausgestaltung können wir – wie an dieser Stelle schlaglichtartig begründet – keinesfalls mittragen. Wir fürchten massive Auswirkungen auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. In gleicher Angelegenheit haben wir uns auch an den Chef des Bundeskanzleramtes, Herrn Bundesminister Peter Altmaier, gewandt.“

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Georg Nüßlein (MdB),
Gitta Connemann (MdB),
Dr. Michael Fuchs (MdB) und
Arnold Vaatz (MdB).

ED 04/16 Durchgriff der Lobby: Klimaschutzplan (S.26)

Der weichgespülte Kompromiss wird am Ende dann noch von SPD-Chef-Gabriel gestoppt. Die Süddeutsche schreibt dazu am 9. November 2016: „Der SPD-Chef kuscht vor Lobbygruppen und stoppt den Klimaschutzplan. Das Signal: Wenn es hart auf hart kommt, zählt die Wirtschaft mehr als Kohlendioxid.“

Hintergründe unter bdev.de/lobbyfuchs und bdev.de/atomfuchs.

Leiche am Strand

Krimi von Hannover

Leiche am Strand: Krimi von Hannover

(09. Januar 2017) Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist eine unabhängige Forschungseinrichtung in Hannover, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht. Ein von der Industrie gut gefüllter Geldtopf, die „gemeinnützige“ Hans-Joachim-Martini-Stiftung, steht der BGR als Portokasse zur Verfügung. Ob zur Ehrung verdienter Mitarbeiter und zur Finanzierung fragwürdiger Studien, das Geld fließt.

ED 04/16 Leiche am Strand: Krimi von Hannover (S.26)

Nun sind 4.000 Seiten interne Dokumente der Stiftung an die Öffentlichkeit gelangt und von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung ausgewertet worden. Sie lassen die BGR denkbar schlecht dastehen. Politiker sehen die Unabhängigkeit und Seriosität der BGR kompromittiert, so auch Sylvia Kottig-Uhl, Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Der Hans-Joachim-Martini-Fonds wurde 1982 gegründet, um die BGR zu unterstützen und 1987 in eine Stiftung umgewandelt. Die Idee für diesen Fonds wird dem Chefgeologen des Bayer-Konzerns Gerd Anger zugeschrieben. Schon im Gründungsjahr wurden 120.000 DM in den Fonds eingezahlt. Selbst der damalige BGR-Präsident Martin Kürten warb persönlich bei der Industrie um Spenden für den Fonds. Anger war später Schatzmeister des Fonds. Viele Industriefirmen haben einen Sitz im Kuratorium der Stiftung, dem auch der Präsident des BGR und ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums angehören. Mit Anger hat es kein gutes Ende genommen: Er bediente sich letztendlich sogar persönlich aus der Stiftungskasse. Die fehlenden 200.000 Euro ersetzte Bayer anstandslos und versetzte Anger in den Ruhestand. Keine vier Monate später wurde seine Leiche in Dänemark angespült. Todesursache bis heute ungeklärt.

In der Stiftungskasse sind derzeit 400.000 Euro. Der Fonds schweigt über Einnahmen und Ausgaben. Aus den Unterlagen geht hervor, dass neben Bayer auch Preussag, Rheinbraun, BP, Ruhrkohle AG, Wintershall und der Stahlriese Salzgitter in den Fonds einzahlten.

Die Stiftung bezahlte Tagungen, Computer und auch Forschungen. Die Forschungsprojekte der Stiftung decken sich oft erstaunlich gut mit den Interessen der Unternehmen, die Geld für die Stiftung lockergemacht hatten. Ein Preisträger der Stiftung bescheinigte dem Salzstock Gorleben die Eignung als atomares Endlager. Ein anderer Preisträger versuchte, den schädlichen Einfluss von „Infraschall“, der von Windrädern ausgehen soll, zu belegen. Die Innenrevision des Bundeswirtschaftsministeriums kritisierte die Vergabepraxis der Preisgelder zumindest bis zum Jahr 2003 als „angreifbar“. Auch zur unterirdischen Lagerung von CO2, dem sogenannten CCS und zum Fracking vertritt die BGR erschreckend vorbehaltlos und unreflektiert die Positionen der Industrie.

Besonderes Aufsehen erregte eine BGR-Studie, die von der Stiftung bezahlt wurde: Nicht die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verursache den Klimawandel, sondern schlichter Wasserdampf. Die BGR legte nach und veröffentlichte wenig später auf der Basis dieser Studie das Buch „Klimafakten“, bis heute eine Bibel aller Klimaskeptiker. „Schlicht haarsträubend“, nennt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Studie.

Die politischen Interventionen aus Hannover haben weder Fracking, noch CCS zum Durchbruch verholfen. Und die Arbeit an Gorleben, ein besonderes Anliegen von Anger, sind eingestellt worden.

Die Unabhängigkeit von Bundesbehörden ist jedoch nun zum politischen Thema geworden. Sowohl die Stiftung als auch die BGR wehren sich bis heute entgegen aller Fakten empört gegen den Vorwurf, die Industrie nehme über die Stiftung Einfluss auf die BGR.

Politik entscheidet überwiegend zugunsten der Bessergestellten

Eine empirische Studie der Universität im Auftrag der Bundesregierung hat Erstaunliches ergeben.

Politik entscheidet überwiegend zugunsten der Bessergestellten

(04. Januar 2017) Eine empirische Studie der Universität im Auftrag der Bundesregierung hat Erstaunliches ergeben. Die Kurzfassung der Studie:

"Demokratie ist ein Verfahren, umstrittene Fragen auf eine Weise zu entscheiden, die auch den Unterlegenen als legitim erscheint. Niemand kann dabei erwarten, dass die eigene Meinung stets umgesetzt wird.

Wenn allerdings die Politik systematisch den politischen Präferenzen bestimmter sozialer Gruppen folgt, wohingegen die anderer missachtet werden, wird der Grundsatz politischer Gleichheit beschädigt.

Die neue Responsivitätsforschung untersucht, ob politische Entscheidungen mit dem Willen der Bürger_innen übereinstimmen und wenn ja, wessen Meinungen umgesetzt werden. Dabei zeigt sich in den USA eine deutlich selektive Responsivität der Politik zulasten der Armen.

In diesem Forschungsbericht untersuchen wir erstmals, ob in Deutschland ähnliche Muster in der politischen Responsivität wie in den USA festzustellen sind. Dazu werten wir 252 in den DeutschlandTrend-Umfragen gestellte Sachfragen für den Zeitraum von 1998 bis 2013 aus. Die Fragen beziehen sich auf zum Zeitpunkt der Erhebung diskutierte Politikänderungen. Für jede dieser Sachfragen ermitteln wir, welcher Anteil der Befragten ihnen zustimmt. Dabei unterteilen wir die Befragten nach Einkommen, Beruf, Bildung, Alter, Geschlecht und Region. In der von uns erstellten Datenbank „Responsiveness and Public Opinion in Germany (ResPOG)“ kodieren wir außerdem, zu welchem Politikfeld eine Frage zählt und ob es innerhalb von zwei oder vier Jahren nach der Umfrage zu einer Politikänderung gekommen ist. Die Auswertung dieser Daten zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen den getroffenen politischen Entscheidungen und den Einstellungen der Bessergestellten, aber keinen oder sogar einen negativen Zusammenhang für die Einkommensschwachen."

Laut Presseberichten war das Studienergebnis dermaßen brisant, dass es im zusammenfassenden Bericht der Bundesregierung kaum zur Sprache kommen sollte.

Einflussnahme

Durch die Hintertür

Einflussnahme: Durch die Hintertür

(03. Januar 2017) Die Spitzenpositionen in unabhängigen Regulierungsbehörden werden in Europa überraschend oft nach dem Parteibuch besetzt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Politologen Laurenz Ennser-Jedenastik von der Universität Wien, finanziert vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Es wurden 700 Besetzungen von etwa 100 Regulierungsbehörden zwischen 1996 und 2013 in 16 westeuropäischen Ländern untersucht.

3226 Hände / Foto: Pixelio.de/R_K_B_by_Q.pictures

Die ehemals staatlichen Monopole Telekommunikation, Energieversorgung und öffentlicher Verkehr wurden vielerorts privatisiert. Die Steuerungsfunktion des Staates wurde unabhängig agierenden Regulierungsbehörden übertragen. Deren Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme ist ein wichtiger Pfeiler der Regulierung.

Für die Studie wurden die Laufbahnen der Spitzenbeamten von Regulierungsbehörden untersucht. Kandidierten sie auf Wahllisten, arbeiteten sie in Ministerbüros? Ergebnis: Je formal unabhängiger eine Behörde, umso höher der Anteil der Spitzenbeamten mit Verbindung zu einer Regierungspartei. Der Anteil steigt von 14 Prozent in Behörden mit der formal geringsten Unabhängigkeit bis auf 35 Prozent in Behörden mit der vorgeblich höchsten Unabhängigkeit. Österreich hat eine Spitzenposition. Dort wurden 9 von 18 untersuchten Fällen parteinah besetzt. In Deutschland wurden 17 Besetzungen untersucht. Davon erfolgten 25 Prozent mit regierungsnahen Personen und 15 Prozent mit Oppositionspolitikern.

Besonders erstaunlich: In Deutschland wurden die Leitungen der beiden wichtigsten Regulierungsbehörden, dem Bundeskartellamt und der Bundesnetzagentur, ausschließlich parteinah besetzt.

Hinter den Kulissen

Offenbarungen eines Politikers

Hinter den Kulissen: Offenbarungen eines Politikers

Besonders hervorgetan im Kampf gegen Lobbyismus hat sich Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter, den wir im Folgenden zitieren.

(15. Dezember 2016) Es ist legitim, wenn Unternehmen auch ihre profitorientierten Interessen gegenüber der Politik vertreten. Doch erlebe ich immer häufiger, dass sich Parlamentarier stark von privatwirtschaftlichen Anliegen leiten und beeinflussen lassen und dabei ideelle und sachliche Argumente bei ihren Entscheidungen vernachlässigen. Den Stellenwert, den der Profitlobbyismus mittlerweile in der Berliner Republik eingenommen hat, kann man kaum noch unterschätzen.

3226 Marco Bülow / Foto: spdfraktion.de

Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter

Finanzstarke und mächtige Lobbyisten beeinflussen die Politik nicht nur, sie bestimmen sie maßgeblich mit. Ich bin deshalb der Überzeugung, dass der Lobbyismus zu einer Gefahr für eine freie Demokratie der Bürgerinnen und Bürger und für den Einfluss des Parlaments geworden ist. Ich halte es dringend für nötig ihm klare Schranken zu setzten.

Differenzierung der Lobbyisten

Wer behauptet, dass die Vertreter von Verbänden und Unternehmen lediglich ihre Positionen vortragen und die Politiker danach objektiv die Argumente abwägen, um am Ende eine sachliche Entscheidung zu treffen, ist entweder gnadenlos naiv oder er lügt. Zunächst einmal sollte man innerhalb der Lobbyisten und vor allem deren Möglichkeiten Differenzierungen treffen. Ich unterscheide vor allem zwei Gruppen: Auf der einen Seite die privaten Interessenvertreter oder „Profitlobbyisten“. Zu ihnen gehören die großen Wirtschaftsverbände und Unternehmen, für die Gewinnmaximierung und Profit an erster Stelle stehen. Auf der anderen Seite die Vertreter des öffentlichen Interesses wie NGOs oder politische und soziale Verbände, die sich für die Umwelt oder die Rechte von Kindern, Arbeitslosen oder Rentnern einsetzen. Diesen Organisationen geht es vorwiegend um das Allgemeinwohl, was nicht bedeutet, dass diese nicht auch Einzelinteressen vertreten.

Waffenungleichheit

Es herrscht allerdings eine absolute Waffenungleichheit zwischen den beiden Gruppen, die sich vor allem in der personellen und finanziellen Ausstattung niederschlägt. Aber auch innerhalb der „Profitlobbyisten“ gibt es kleine, fast mittellose Verbände, die nur ganz nebenbei auch Lobbyismus betreiben und in der Konkurrenz zu den großen DAX-Unternehmen, deren Vertreter selbst im Kanzleramt ein- und ausgehen, hoffnungslos unterlegen sind.

Während die einen hauptsächlich schriftliche Stellungnahmen abgeben und ab und zu mal mit einem Parlamentarier sprechen, richten die anderen opulente Feste und parlamentarische Abende aus, sprechen regelmäßig mit Regierungsmitgliedern und können damit rechnen einen permanenten Zugang auch zu den wichtigsten Abgeordneten zu erhalten.

Industrieverbände richten ganze Abteilungen ein, nur um plausible Argumente im Sinne der Industrieinteressen vorzubereiten und diese strategisch geplant an Medien und Politiker heranzutragen. Dabei schreckt man auch vor der Verbreitung von Unwahrheiten nicht zurück.  Dies führt zu einem Ungleichgewicht, welches sich natürlich in den politischen Entscheidungen niederschlägt. Ganz zu schweigen von dem dadurch sinkenden Einfluss der einfachen Bürgerinnen und Bürger, die nicht organisiert sind.

Zur vollständige Abhandlung von Marco Bülow zum Thema: Lobbyismus.

Gesetzeslücke

Bestechung in Deutschland

Gesetzeslücke: Bestechung in Deutschland

(13. Dezember 2016) Deutschland hat kein Gesetz gegen die Bestechung von Abgeordneten, auch die maßgebliche Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption ist nicht ratifiziert, kritisiert Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim.

Mandatsträger erhalten Diäten, die ihre politische Unabhängigkeit sichern sollen. Ein Politiker, der gleichzeitig als Cheflobbyist bezahlt wird, verkauft aber eben diese Unabhängigkeit.

Dadurch verlieren die Bürger ihr Vertrauen in die Politik. Politische Amtsträger sollten das Gemeinwohl im Blick haben, nicht die Interessen einzelner Unternehmen oder Branchen – und sich schon gar nicht von diesen dafür bezahlen lassen.

„Die Bekämpfung von Korruption und unethischem Verhalten ist für das Überleben demokratischer freiheitlicher Gesellschaften die größte Herausforderung unserer Zeit“, sagt Prof. Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International in Deutschland.

Industrieverbände richten ganze Abteilungen ein, nur um passende Argumente im Sinne ihrer Interessen aufzubereiten und diese strategisch geplant an Medien und Politiker heranzutragen.

Lobbyisten schwärmen gezielt aus, um bestimmte Politiker auf Tagungen und Events zu beeinflussen. Dabei schreckt man auch vor der Verbreitung von Unwahrheiten nicht zurück. Zu wichtigen Themen werden alle Medienäußerungen registriert und die Industrieargumente werden in Gesprächen an die Redaktionen herangetragen.

All dies geschieht im Verborgenen, ist jedoch völlig legal und zeitigt den gewünschten Erfolg. Es geht schließlich um viele Milliarden.

Warum ist Lobbyismus überhaupt ein Problem?

Die Organisation LobbyControl hat dazu zehn Thesen aufgestellt:

  1. Lobbyismus in Deutschland und der EU findet vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt.
  2. Lobbyismus in seiner gegenwärtigen Form benachteiligt diejenigen, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen.
  3. Der Lobbyismus ist vielfältiger, partikularer und professioneller geworden.
  4. Lobbyismus ist mehr als die direkte Beeinflussung politischer Entscheidungsträger: Wissenschaft, Medien und die breite Öffentlichkeit sind längst im Fokus von Lobby- und PR-Kampagnen.
  5. Der Staat öffnet sich mehr und mehr für Lobbyeinflüsse.
  6. Zunehmende finanzielle und personelle Verflechtungen gefährden die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen.
  7. Die zunehmende Verlagerung vieler wichtiger Entscheidungen nach Brüssel führt zu einem strukturellen Vorteil für starke Lobbyakteure.
  8. Intransparenz erschwert demokratische Kontrollmöglichkeiten.
  9. Bürgerinnen und Bürger stehen dem Lobbyismus weitaus kritischer gegenüber als ihre (Volks-)VertreterInnen.
  10. Die Demokratie ist in Gefahr – Lobbyregulierung ist eine Zukunftsaufgabe.

Das gesamte Thesenpapier finden Sie unter: bdev.de/lobbycontrol10

letzte Änderung: 27.04.2019