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Netzentgelte vor Gericht

Garantierte Traumrenditen von gut 9 Prozent, wer hätte die nicht gerne? Die Strom- und Gasnetzbetreiber durften diese satten Gewinne über Jahre einstreichen! Die überhöhten Renditen wurden von der Bundesnetzagentur auf noch immer opulente 6 Prozent zurechtgestutzt. Doch die Netzbetreiber sind damit nicht zufrieden. Wir berichten über ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes.
Von Aribert Peters und Leonora Holling

(15. Oktober 2019) Die Strom- und Gasnetze sind ein Monopol: Verbraucher können den örtlichen Netzbetreiber nicht wechseln. Weil es keinen Wettbewerb gibt, werden die Netzentgelte staatlich reguliert: Durch die Bundesnetzagentur. Allein im Jahr 2018 zahlten Stromverbraucher 25 Milliarden Euro an Netzentgelten, rund 7 Cent für jede Kilowattstunde. Die Verteilung von Strom durch die schon bestehenden und größtenteils abbezahlten Netze kostete damit schon bald mehr als die Erzeugung dieses Stroms.

370 Grafik Steuer / Quelle: Bundesnetzagentur

Hohe Eigenkapitalverzinsung

Verbraucher müssen mit den Netzentgelten auch die Zinsen für das in die Netze investierte Kapital bezahlen. Der Zinssatz hierfür wird von der Bundesnetzagentur (BNetzA) festgelegt. Dieser betrug im Jahr 2011 immerhin 9,29 Prozent für Neuanlagen und 7,56 Prozent für Altanlagen. Die Zinsen und Kapitalkosten machen im Durchschnitt beim Strom etwa 20 Prozent und beim Gas etwa 50 Prozent der gesamten Netzkosten aus.

Drastische Senkung 2016

Für die dritte Regulierungsperiode – daher bei Gas für den Zeitraum von 2018 bis 2022 sowie bei Strom für den Zeitraum von 2019 bis 2023 – hat die vierte Beschlusskammer der Bundesnetzagentur im Jahr 2016 den Zinssatz auf 6,91 Prozent für Neuanlagen und 5,12 Prozent für Altanlagen abgesenkt. Das ist zwar fast ein Drittel weniger als bisher, aber diese Zinssätze liegen trotzdem noch immer erheblich über den marktüblichen Zinssätzen. Dieser Eigenkapitalzinssatz wurde durch die Bundesnetzagentur mit einem Basiszinssatz von 2,49 Prozent zuzüglich einer sogenannten „Marktrisikoprämie“ in Höhe von 3,15 Prozent und einem Steuerfaktor festgelegt.

Schlacht vor dem OLG Düsseldorf

Um diese Absenkung entbrannte heftiger Streit. Die etablierte Energiewirtschaft, Investoren und auch Kommunen sahen sich um sicher geglaubtes und leicht verdientes Geld gebracht. Verbraucher und neue Energieanbieter dagegen hielten auch die abgesenkten Renditen noch für überhöht. In einem Mammutprozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) mit rund 1.100 Klägern wurden die Festlegungen der Bundesnetzagentur schließlich aufgehoben (Az. VI-3 Kart 466/16). Gegen das Urteil des OLG haben sowohl Netzbetreiber als auch die Bundesnetzagentur den Bundesgerichtshof (BGH) angerufen.

BGH entscheidet für Verbraucher

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes entschied am 9. Juli 2019 zugunsten der Zinssatzsenkung der Bundesnetzagentur (Az. EnVR 41/18 und EnVR 52/18). Das Urteil des OLG Düsseldorf wurde damit aufgehoben. Der BGH gesteht der Bundesnetzagentur für die Bestimmung des Zinssatzes einen größeren Beurteilungsspielraum zu. Für Verbraucher ist die Entscheidung erfreulich. Denn ihre Netzentgelte verringern sich durch diese Entscheidung um rund zwei Milliarden Euro für die vier Jahre der dritten Regulierungsperiode.

Fragliche Zinshöhe

Während institutionelle Sparer und Kreditinstitute mit Negativzinsen belegt werden, erscheinen auch die abgesenkten Renditen von 6,91 Prozent für eine völlig risikolose Geldanlage im Monopolbereich der Stromnetze noch absurd. Insbesondere wenn diese auf einer Verordnung der Bundesregierung basieren, von einer Behörde festgelegt und von einem Urteil des obersten deutschen Gerichtes abgesegnet werden. Deshalb lohnt sich ein näherer Blick auf die zugrundeliegenden Zusammenhänge. Denn die in die Netze investierten Gelder verdienen eine marktübliche Verzinsung, nicht mehr und nicht weniger.

Basisverzinsung

Vor der Liberalisierung der Strom- und Gasversorgung im Jahr 1998 wurden die Netzentgelte durch die Strompreisaufsichtsbehörden festgelegt. Auf der Basis ihrer langjährigen praktischen Erfahrung haben die Kartellbehörden des Bundes und der Länder im Jahr 2001 einen Leitfaden erarbeitet, wie angemessene Netzentgelte bestimmt werden können. Dieser Leitfaden empfiehlt hinsichtlich der Bemessung der Zinshöhe: „Das allgemeine Kapitalmarktrisiko wird in der Umlaufrendite für festverzinsliche Wertpapiere abgebildet, da auch derartige Anlagen mit diesem Risiko behaftet sind.“

5 oder 10 Jahre?

Die Tarifgenehmigungsbehörden gingen damals vor der Liberalisierung von einem 5-Jahres-Durchschnitt der Umlaufrenditen aus. Die Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) aus dem Jahr 2005 schreibt hingegen einen 10-Jahres-Durchschnitt vor. Der Unterschied ist beträchtlich: Die Umlaufrenditen sind zwischen dem Jahr 2006 und 2016 von 3,8 Prozent auf 0,5 Prozent gefallen. Der 10-Jahres-Durchschnitt beträgt daher 2,49 Prozent und der 5-Jahres-Durchschnitt 1,38 Prozent. Da die dritte Regulierungsperiode für Strom erst im Jahr 2019 beginnt, waren bis dahin die Umlaufrenditen nochmals gesunken und lägen für einen 5-Jahres-Durchschnitt bei deutlich unter einem Prozent.

Wagniszuschlag und Investitionsrisiko

Die Stromnetzentgeltverordnung erlaubt einen Wagniszuschlag zur Basisverzinsung. Die Bundesnetzagentur hat diesen im Jahr 2016 auf 3,8 Prozent festgelegt. Im Gegensatz dazu hat der Bund-Länder-Ausschuss Energiepreise im Jahr 1997 in der Stromversorgung kein nennenswertes, über das allgemeine Risiko hinausgehende, Unternehmenswagnis gesehen. Das gilt gemäß dem Leitfaden der Kartellbehörden von 2001 auch für den Netzbetrieb nach der wettbewerblichen Öffnung der Strom- und Gasmärkte im Jahr 1998.

Die Bundesnetzagentur sah das anders und schätzte das Kapitalmarktrisiko mit dem sogenannten „CAPM-Modell“ ab.

Es wird eine lineare Relation zwischen Risiko und Zinshöhe unterstellt und empirisch beziffert. Das CAPM-Verfahren ist ausweislich diverser wissenschaftlicher Untersuchungen jedoch empirisch nicht abgesichert oder bewiesen. Es ist fragwürdig, ob es das Risiko einer Investition in Stromnetze zutreffend beschreibt. Auch für das Fremdkapital ist gemäß gesetzlicher Vorgabe kein Wagniszuschlag zulässig.

Worin das Wagnis des Betriebs eines Strom- oder Gasnetzes bestehen soll, ist nicht nachvollziehbar. Nach 20 Jahren Wettbewerb in der Strom- und Gasversorgung ist noch kein einziger der rund 1.000 Netzbetreiber insolvent geworden oder hat gar sein Eigenkapital verloren. Das Risiko besteht schlimmstenfalls darin, dass eben die überhöhten Risikoprämien nicht mehr in der erwünschten Höhe gezahlt und auf ein gerechtes Niveau abgesenkt werden. Das kann aber ebendiese überhöhten Prämien nicht rechtfertigen, ein logischer Zirkelschluss.

Investitionsmittel

Es wird argumentiert, dass für den Netzausbau erhebliche Mittel aufzubringen seien und dies nur bei entsprechend hoher Verzinsung möglich wäre. Die Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber haben im Jahr 2018 Aufwendungen und Investitionen in Höhe von rund 9,4 Milliarden Euro getätigt. Von den Stromkunden werden jährlich hingegen rund 25 Milliarden Euro an Netzentgelten gezahlt, also ein mehrfach höherer Betrag. Zudem können geplante Stromnetzerweiterungen schon vorab in die Netzentgelte eingepreist werden. Selbst die vierte Beschlusskammer sieht keine Hinweise auf knappes oder fehlendes Eigenkapital der Netzbetreiber (Az. BK4 16-160).

Verbraucher wären froh, wenn sie ihr Geld den Netzbetreibern leihen dürften, belohnt mit einer Rendite von 2,49 Prozent. EnBW sammelte mit einer Anleihe 2018 in kurzer Zeit 500 Millionen Euro ein, bei einer Verzinsung von nur 1,87 Prozent, die Anleihe war mehrfach überzeichnet.

Entscheidungshoheit der BNetzA

Sowohl das OLG als auch der BGH betonen in ihren Urteilen die Entscheidungshoheit der Bundesnetzagentur. Der mutige Schritt der vierten Beschlusskammer der Bundesnetzagentur unter ihrem Vorsitzenden Alexander Lüdtke-Handjery, die Eigenkapitalrendite zu reduzieren, kappt überhöhte Monopolgewinne. Aber er geht nicht weit genug: Die Bundesnetzagentur sollte die begonnene Absenkung der Eigenkapitalrenditen künftig fortsetzen.

Netzentgelte verzerren Wettbewerb

Neue Energieanbieter wie LichtBlick beschweren sich, dass Netzbetreiber Gewinne aus dem Monopolbereich des Netzbetriebs nutzen, um den eigenen Stromvertrieb zu subventionieren und Wettbewerber fernzuhalten. Gerade die beiden Energieriesen, die auch bei der konventionellen Stromerzeugung Marktführer sind, profitieren von hohen Netzrenditen: Von den rund 14.000 örtlichen Konzessionen für Stromnetze haben RWE und E.on zusammen rund 7.800, also mehr als die Hälfte aller örtlichen Verteilnetzkonzessionen.

Es gibt noch weitere Kritikpunkte an der gegenwärtigen hohen Eigenkapitalrendite. So hat der frühe Zeitpunkt der Festlegung, lange vor Beginn der Regulierungsperiode, die Verzinsung deutlich in die Höhe getrieben und war damit fragwürdig. Laut einem Gutachten von Professor Wein dürften die Zinsen sogar nur 5,04 Prozent für Neuanlagen und 3,42 Prozent für Altanlagen betragen. Auch die Einrechnung der Steuern in die Zinssätze ist fragwürdig, weil viele Netzbetreiber als öffentliche Körperschaften nicht ertragssteuerpflichtig sind.

Umverteilung der Netzentgelte

Ohnehin sind die Netzentgelte ins Gerede gekommen. Die Kritik richtet sich gegen fehlende Transparenz und gegen die vielen Ausnahmen für Gewerbe- und Industriekunden. Auch haben die Netzbetreiber bei der Aufteilung der Kosten zwischen Haushalten und Industriekunden einen Gestaltungsspielraum, der zu einer fortwährenden Umverteilung zu Lasten der Geringverbraucher führt. Das geht aus einem Gutachten der Ingenieurgesellschaft Agora hervor.

letzte Änderung: 14.07.2022