Kein CO2-Klo in Friesland

Energiewirtschaft und Politiker wollten die unterirdische Speicherung von CO2 in einem Gesetz festschreiben. Sie scheiterten am erfolgreichen Widerstand einer Bürgerbewegung aus Friesland.
Der Vorsitzende Werner Asmus beschreibt die Ereignisse.

(08. September 2009) Für erfolgreiches Wirtschaften und Geldverdienen zeigten die strebsamen Friesen stets Verständnis. Was diesen besonnenen Menschenschlag jetzt innerhalb weniger Wochen mit einer unglaublichen Wucht zusammengeschmiedet und zu Demonstranten hat werden lassen, ist die Absicht der RWE-DEA, oben im Norden, zehn Kilometer vor der dänischen Grenze, ein unterirdisches CO2-Lager einzurichten.

Vorgaben der EU

Die EU lässt künftig weitere Kohlekraftwerke nur zu, wenn der Betreiber für den enormen CO2-Ausstoß Zertifikate erwirbt  oder das entstehende CO2 unterirdisch einlagert (CCS-Technologie). Der schwer durchschaubare und teure Markt für Verdreckungsrechte könnte die Kohlestromproduzenten im Wettbewerb zur alternativen Energie erheblich schwächen. Alternativ greifen die Betreiber zu CCS, obwohl der Einsatz dieser Technologie so ineffizient ist, dass etwa jedes vierte Kraftwerk künftig nur benötigt würde, um den Bedarf für den zusätzlichen Energieaufwand zu decken.

Das Projekt

Zunächst ist ein "Testkraftwerk" mit Abscheidetechnik bei Hürth geplant. Von dort soll das unter 200 bar Druck pumpfähige CO2 per EU-finanzierter Pipeline zum 530 Kilometer entfernten Verpressungsort gebracht werden. Dort soll es auf ca. 1.000 bis 2.000 Meter Tiefe verpresst werden. 100 Millionen Tonnen möchte der Konzern so endlagern, angeblich pro Jahr 2,6 Millionen Tonnen. Voraussetzung ist, dass seismische Untersuchungen die unterirdische Eignung nachweisen.

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Kohlekraftwerk soll durch CO2-Speicher sauber werden.

Allerdings ist die Pipeline mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern für diese Mengen völlig überdimensioniert. Angesichts der Tatsache, dass die EU die Leitung finanziert, könnte es sein, dass alle Mitgliedsländer darauf zurückgreifen wollen. Zumindest forderte dies die FDP-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag zur Sitzung am 19. Juni 2009, Tagesordnungspunkt 54 b. An dieser Stelle zeichnet sich ein "schnelles Geschäft" für den Endlagerbetreiber ab. Die zunächst äußerst leise Gangart in der Informationspolitik des Konzerns und das Stillschweigen der Politik haben die Menschen sechs Wochen vor der Verabschiedung des CCS-Gesetzes im Bundestag stutzig gemacht. Die im Oktober 2009 angekündigte seismische Untersuchungen durch zehn bis 15.000 Sprengungen auf einem Gebiet von 270 Quadratkilometern taten das Übrige.

Gesetzesverfahren im Eiltempo

Zunächst machte sich lediglich die Haltung breit: "Wir hier in Schleswig-Holstein sind bei der Produktion von alternativer Energie in Europa führend und wollen nicht das CO2-Klo der Nation werden." Doch einschlägige Recherchen im Internet und die Warnungen vieler namhafter Wissenschaftler weltweit vor den unerforschten Risiken einer CO2-Endlagerung unter bewohntem Gebiet brachten die Volksseele vollends zum Kochen. Ängste machten sich breit, vor allem bei denjenigen, die einschlägige Berichte gelesen hatten, etwa den des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages (Drucksache 16/9896) oder den des Bundesumweltamts, der Verfahren zur CO2-Abscheidung und -Deponierung bewertet. Dort listen Wissenschaftler schonungslos mögliche Risiken auf.

Risiken der unterirdischen CO2-Einlagerung

Ein kurzfristiger Austritt größerer CO2-Mengen kann Leben und Gesundheit gefährden. Ab einer Konzentration von zehn Prozent in der Atemluft ist CO2 für Mensch und Tier tödlich (normale Konzentration in der Atomluft: 0,04 Prozent).

Weil CO2 farb- und geruchlos ist und schwerer als Luft, könnten sich in Talmulden unbemerkt CO2-Seen ansammeln. Langfristig besteht die Gefahr, dass CO2 wieder in die Atmosphäre austritt. Wenn jährlich mehr als 0,01 Prozent der eingelagerten Menge entweicht, sinkt die Lagerzeit unter die für notwendig erachtete Lagerungsdauer von 10.000 Jahren.

Am 5. Juni 2009 hatte die EU ihre CCS-Richtlinie im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Schon wenige Tage später, am 19. Juni, wollte der Bundestag die deutsche Variante des Gesetzes als Rahmen für die CCS-Technologie mit allen Auswirkungen verabschieden. Anschließend hätte das Gesetz noch den Bundesrat passieren müssen und der Bundespräsident hätte es unterschreiben müssen.

Die Gegenbewegung startet

Am 19. Mai 2009 setzten sich 15 couragierte Menschen in der Dorfkneipe in Wallsbüll (936 Einwohner) zusammen und gründeten die Bürgerinitiative gegen das CO2-Endlager. Eine Woche später hatte die Initiative bereits den gesamten seismischen Voruntersuchungsbereich zuplakatiert und binnen 14 Tagen 10.000 Autoaufkleber verteilt. Sechs Tage nach der Gründung hielten 50 Aktivisten der Kanzlerin auf einer Wahlveranstaltung in Flensburg eine gelbe Plakatwand entgegen. In diesem Moment entwich ihr spontan das bundesweit beachtete "Sprudelflaschenzitat": Wir müssen denen im Norden mal klarmachen, wie gefährlich das CO2 in Sprudelflaschen ist.

Schon zum zweiten Stammtisch der Bürgerinitiative, neun Tage nach Gründung, erschienen 400 Menschen. Die Veranstalter hatten mit gerade mal 50 Teilnehmern gerechnet. Im weiteren Verlauf des Bürgerprotests trafen sich regelmäßig 250 bis 300 Aktive. Die erste Infoveranstaltung mit dem Klimaforscher Professor Olav Hohmeyer, Universität Flensburg, Mitglied des UN-Weltklimarates und des Sachverständigenrates für Umweltfragen als Referenten platzte mit 1.000 Besuchern aus allen Nähten. Mittlerweile haben in der Region acht Infoveranstaltungen mit Podiumsdiskussion - RWE schickte stets einen Vertreter - stattgefunden.

CDU streicht CCS von Tagesordnung

Dem CDU-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen machte die Initiative am 14. Juni 2009 ihre Entschlossenheit deutlich und appellierte an seine Patriotenehre. Politischen Instinkt kann man ihm nicht absprechen, denn er suchte am gleichen Tag das Gespräch mit der Kanzlerin und Volker Kauder. Das führte zwei Tage später dazu, dass das Thema CCS-Gesetz von der Tagesordnung des Bundestags verschwand.

Minister Sigmar Gabriel (SPD) hat angeblich getobt, die Lobbyisten ihren Ohren nicht getraut, als die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch um 15.06 Uhr die Absetzung von der Tagesordnung meldete. Im Vorfeld hatte es bereits erheblichen Widerstand sowohl von SPD - als auch von CDU-Bundestagsabgeordneten, Grünen und Linken gegen das Gesetz gegeben - erfolglos, zumal Merkel und Gabriel Schulter an Schulter das Gesetz durchpeitschen wollten.

Gemeinsamkeit macht stark

Aus meiner Sicht hat den Ministerpräsidenten vor allem die Zusammensetzung der Bürgerinitiative beeindruckt, denn ungeachtet ihrer Herkunft standen Unternehmer, Handwerker, Konservative, Rote, Grüne, Hausfrauen und Großväter Schulter an Schulter. Seine Leute - seine Wähler - sein Land - das schmerzt. Die Ankündigung, auf der letzten Sitzung vor der Sommerpause am 3. Juli 2009 das Gesetz in modifizierter Form doch noch zu verabschieden, wurde nicht in die Tat umgesetzt, weil sich der Protest in der Zwischenzeit zu massiv formiert hatte: Die Initiative hatte binnen vier Wochen 25.000 Unterschriften gegen das CO2-Endlager nach Berlin zum Petitionsausschuss gebracht, nach acht Wochen waren es 52.000 Unterschriften.

Protest auf allen Ebenen

Sämtliche gesellschaftlich relevanten Gruppen hatten sich einheitlich gegen das Endlager positioniert. So beschloss auch der schleswig-holsteinische Landtag einstimmig, das Gesetz im Bundesrat abzulehnen. Dem Protest schlossen sich auch die Wasserverbände und die Kirchensynoden an. Die Landeigentümer versagten Wissenschaftlern, die Untersuchungen vornehmen wollten, den Zutritt zu ihren Grundstücken. Sämtliche Kommunalparlamente der Region votierten einstimmig gegen das CCS-Gesetz.

Die Bürgeriniative

Die Bürgerinitiative hat eine Geschäftsstelle errichtet und zählt inzwischen 3.000 Mitglieder. Wir vertiefen den Kontakt zu anderen Regionen Deutschlands, die von Endlagerung, Bau von Kohlekraftwerken oder Pipelinetrassen betroffen sind. Eine für den 4. Juli 2009 genehmigte Großdemonstration mit Sperrung der B199 (Syltzubringer) haben wir wegen des Etappensieges verschoben. Wir wissen aber zu gut, dass spätestens nach der Bundestagswahl am 27. September 2009 der Kampf weiter gehen wird. Aus den vielen Diskussionen mit Vertretern von RWE kann man eindeutig entnehmen, dass sich der Konzern diese Lizenz zum Gelddrucken nicht nehmen lassen will.

Klimaschutz als Alibi

Was uns dabei immer wütender macht, ist der Missbrauch des Wortes "Klimaschutz" Gerade weitere Kohlekraftwerke behindern über Jahrzehnte den notwendigen Energiewandel, weil sie - wie Atomkraftwerke - durch permanenten Grundlastbetrieb nicht flexibel auf ein schwankendes Alternativstromangebot reagieren können. Gaskraftwerke eignen sich für den Energiemix, bis die europäischen Regionen mit ihren unterschiedlichen Wind-, Wasser und Solaraufkommen ausreichend für den Austausch und die Ergänzung vernetzt sind. Wir nutzen die Atempause intensiv, weiter Mitglieder zu werben. Denn in diesem Land genügen gute Argumente nicht, leider gehört auch Masse dazu.

Unser Ziel ist es, allen Menschen der geplanten Trasse von Hürth bis zu uns vor Augen führen, das es nur eines Abzweigers in der Pipeline bedarf, um jeden Bereich entlang der Strecke zum Endlager werden zu lassen: Laut Geologen eignet sich der Untergrund der gesamten norddeutschen Tiefebenefür eine CO2-Einlagerung, ebenso Bereiche in Bayern.

www.kein-co2-endlager.de

CCS ist nicht durchsetzbar

Kommentar von Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell (Grüne)

Hans-Josef Fell

Die Union will das unliebsame Thema bis auf die Zeit nach der Wahl verschieben. Interessant ist, dass die Union vor allem Ärger wegen der umfassenden Eingriffe in das Eigentum der betroffenen Bürger fürchtet.

Ebenso interessant ist, dass die FDP bis heute nicht erkannt hat, dass das CCS-Gesetz ein gigantisches Enteignungsgesetz darstellt und nur mit riesigen Subventionen für die Energiekonzerne funktioniert. Wenn man sieht, wie schnell eifrige Unterstützer des CCS-Gesetzes in Deckung gegangen sind, nachdem der Widerstand anfing, sich zu formieren, steht schon jetzt fest: CCS ist in Deutschland nicht durchsetzbar.

Die Energiewirtschaft hat den Kampf um CCS bereits verloren, bevor er begonnen hat. Da Union, SPD und FDP CCS nach der Wahl voran bringen wollen, muss der Widerstand weitergehen. Dieser Etappensieg war wichtig - aber auch nur eine Etappe.

Ergänzung 20.07.10: Greenpeace International Reality check on carbon storage Report 2009 (engl.)

letzte Änderung: 24.01.2024