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Zinsen

Hohe Zinsen machen uns kaputt

Unser Geldsystem erzwingt Wachstum um jeden Preis
Was hat Geld mit Energie und Ökologie zu tun? Ist es ein Zufall, dass für die Solaranlagen das Geld fehlt während die Energiekonzerne im Geld ertrinken? Klaus Popp geht hier diesen Zusammenhängen nach. Er greift dabei auf die vor 80 Jahren zum ersten Mal von Silvio Gesell veröffentlichten Gedanken zurück, die unter der Bezeichnung "Freiwirtschaft" zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit erlangen.

(29. Juli 2008) - Unser Geld verweigert in zunehmendem Maße seinen Dienst an der Gesellschaft. Das durch die Geldordnung bedingte Zinses-Zins-System verursacht eine stetig schneller anwachsende Zunahme der Schuldenberge und parallel dazu der Geldvermögen. Von 1994 auf 1995 wuchsen die Geldvermögen der privaten Haushalte um 8 % auf 4,6 Billionen D-Mark an, die gesamte Wirtschaftsleistung um 1,5 %. Da die Geldvermögen rascher als die Wirtschaftsleistung zunehmen, beansprucht das Geldvermögen einen ständig wachsenden Anteil am Leistungskuchen (Sozialprodukt). 1995 mußte mit jeder Mark fünfmal mehr Zinsen erwirtschaftet werden als 1950. Das bewirkt eine ständige Verschiebung der Einkommen von den Arbeitenden zu den Besitzenden. Jeder Erwerbstätige musste 1975 17.000 DM Zinsen erwirtschaften, 1970 waren es 2.100 DM. Exponentiell wachsende Zinslasten können nur von einer im gleichen Tempo wachsenden Wirtschaft getragen werden.

Trotz dieses wuchernden Geldangebotes fehlt es in vielen Bereichen an einer ausreichenden Investitionsbereitschaft. So haben Wind- und Sonnenenergieanlagen, trotz ihrer geringen Betriebskosten, in der Kalkulation nur selten eine Chance gegen die klassischen Verbrennungsanlagen. In der Bilanz sieht dies wie folgt aus: Die Kapitalkosten - sprich die Verzinsung - der höheren Anfangsinvestitionen, schlagen in der Gesamtkalkulation höher zu Buche, als die über die Jahre verteilt anfallenden Kosten für Brennmaterial. Je höher die anfänglichen Investitionskosten eines Wind-, Bio- oder Sonnenkraftwerks im Verhältnis zu einem Kohlekraftwerk mit entsprechender Leistung sind, desto geringer ist das relative Gewicht der Betriebskosten für die Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Energieart.

Je höher das Zinsniveau ist, desto stärker wirken sich die höheren Anfangsinvestitionen auf die Wirtschaftlichkeit aus. Zins und Zinseszins belasten die Bilanz ganz erheblich. Entsprechend günstig fällt die Kalkulation zu Gunsten der Rohstoffpreise aus, die über die Jahre verteilt anfallen. Erst bei gegen Null gehenden Kapitalkosten kommt der Kostenvorteil von Solaranlagen gegenüber fossilen Energieträgern voll zum Tragen. Die Wettbewerbsnachteile regenerativer Energiequellen sind also Folge unseres fehlerhaften Geldsystems. Anders als bei Waren- und Dienstleistungsangeboten fällt der Preis des Geldes, der Zins, auch bei enormen Geldkapital-Überangebot niemals unter real 3-4 Prozent ab. Dieser Effekt, der sich aus der Überlegenheit des Geldes über die Ware und die Arbeit ergibt, verhindert somit einen marktkonformen Übergang zu ressourcenschonenden Entwicklungen.

 
Die Überlegenheit des Geldes über Waren und Arbeit kann durch eine konstruktive Umlaufsicherung überwunden werden. Indem das Geld unter Angebotszwang gesetzt wird, muß es sich auch bei niedrigen Zinssätzen anbieten. So führt ein reales Überangebot zu um den Wert Null pendelnden Zinssätzen. Gleichzeitig kann die Bundesbank die Nachfrage nach Bargeld aktiv beeinflussen. Dies bildet die Basis einer dauerhaft inflationsfreien Währung.

Wenn das Zinsniveau am Kapitalmarkt gegen den Wert Null tendiert, gehen die Zinserträge und mit ihnen die Zinslasten zurück.

Die Marktchancen neuer, kapitalaufwendiger Innovationen gegenüber etablierten Techniken verbessern sich. Eine funktionierende Marktwirtschaft mit fairen Wettbewerbsbedingungen wird möglich. Ökologische, soziale und kulturelle Investitionen mit minimalen Renditen werden rentabel und schaffen so neue betriebswirtschaftliche Voraussetzungen und neue Arbeitsplätze.

Sicherlich profitieren auch Investoren von Kernkraftwerken und anderen gefährlichen, kapitalintensiven Anlagen von den geringeren Zinssätzen. Da aber auch sie Brennstoff- und vor allem Sicherheitskosten verursachen, verringert sich deren Konkurrenzfähigkeit erheblich. Wichtiger aber ist, dass durch billiges Geld eine Vielzahl kleiner und kleinster Anbieter auf den Markt treten kann. Die Förderung von kerntechnischen Anlagen wird daher politisch noch schwerer zu vertreten sein. Eine Umgestaltung des Geldsystems schafft entscheidende Veränderungen in den ökonomischen Rahmenbedingungen. Politische Entscheidungen macht sie dadurch nicht überflüssig. Die Überwindung von Inflation und ständig positiven Zinssätzen schafft die Grundlagen für eine soziale und ökologische Marktwirtschaft. Wenn sich das Kapital auch bei niedrigsten Zinsen anbieten muß, steht immer ausreichend Investitionskapital zur Verfügung. Die Industrie ist dann nicht mehr auf staatliche Subventionen und Förderprogramme angewiesen. Auch die Startvorteile von Großkonzernen mit überquellenden Geldvermögen verringert sich. Ein verteilungsneutrales Geld, das sich nicht mehr automatisch vermehrt, muß das Ziel der Währungspolitik sein. Niedrige Zinssätze und ein Ende der Inflation sind durch eine konstruktive Geldumlaufsicherung möglich.

Klaus Popp, Benzenbergstraße 27, 40219 Düsseldorf

Zins verhindert Vernunft und Umweltschutz

von Dieter Suhr

(29. Juli 2008) Das Solarkraftwerk auf dem Mont Soleil im Berner Jura ist eine der größten Photovoltaik-Anlagen Europas. Von den gesamten Betriebskosten von jährlich 780 000 Franken entfallen nicht weniger als 93,6 % auf Kapitalkosten (kein Druckfehler). Gegen hohe Zinsen können noch so viele Forscher wenig ausrichten. Das müssen wir schon selber tun.

Die Geldvermögen in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht gleich verteilt. Die wohlhabende Hälfte der Haushalte verfügt über 96 % der gesamten Geldvermögen, während sich die andere Hälfte mit 4 % zufrieden geben muß.

Damit geraten die Verteilungsgerechtigkeit und der soziale Friede in Gefahr. Denn zur Zinsbedienung der wuchernden Geldvermögen und Schulden ist jedes Jahr ein größeres Stück der Wirtschaftsleistung erforderlich.

Ein Wirtschaftswachstum von nur 3 % jährlich bedeutet eine Verdoppelung der Wirtschaftsleistung in nur 23,5 Jahren, ein Anwachsen auf das Tausendfache in 235 Jahren und auf das Millionenfache in 470 Jahren. Ein Aberwitz! Aus dieser Sackgasse kommen wir nur heraus, wenn das Überwachstum der Geldvermögen und Schulden abgebremst werden kann.

Das ist nur möglich, wenn - so der Aachener Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz in seinem 1993 erschienenen Buch "Das Geldsyndrom" - die Zinsen gegen Null tendieren. Das aber wiederum würde eine Korrektur der Geldordnung erfordern, konkret eine andere Umlaufsicherung und Geldmengensteuerung. Dazu existieren verschiedene Modelle. Hoffnungsvoll stimmen außerdem praktische experimentelle Erfahrungen mit umlaufgesichertem "Alternativgeld".

"Solange wir aber die Geldwirtschaft nicht als Problem erkennen, ist keine wirkliche ökologische Wende möglich …". Diesem Ausspruch von Prof. Binswanger ist nichts hinzuzufügen.

Literaturhinweise
  • Helmut Creutz: "Das Geldsyndrom. Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft"
  • Dieter Suhr/Hugo Godschalk: "Optimale Liquidität"
  • Margrit Kennedy: "Geld ohne Zinsen und Inflation"
  • Prof. Dieter Suhr "Die Wettbewerbsfähigkeit alternativer Energien in Abhängigkeit vom Geldsystem", in Zeitschrift für Sozialökonomie 89/1991;
  • Zeitschrift für Sozialökonomie; Fachverlag für Sozialökonomie; Postfach 1320; 24319 Lütjenburg

letzte Änderung: 23.04.2010