Schummel beim Stromhandel
Die Energieriesen missbrauchen die Strombörse: Durch strategische Käufe treiben sie den Börsenpreis nach oben. Anschließend verkaufen sie den weit überwiegenden Teil ihres Stroms zu den so überhöhten Preisen am freien Markt. Zusatzgewinne jährlich: mindestens zwölf Milliarden Euro.
(9. März 2008) - Zu welchem Anbieter man als Verbraucher auch wechselt: Den Börsenpreis für die Strombeschaffung muss man auf jeden Fall berappen, weil sich alle Versorger zu diesem Preis mit Strom eindecken müssen. Dieser Preis ist damit dem Endkunden-Wettbewerb entzogen.
Der Strommarkt in Deutschland
Angesichts der gewaltigen Übermacht der Energieriesen in der Stromerzeugung, Transport und Vertrieb wundert es nicht, dass diese Firmen auch die Strombörse unterwandert haben und mit ihrem strategischen Verhalten die Börsenpreise beeinflussen.
Der Stromhandel in Deutschland vollzieht sich auf drei Märkten:
An der Strombörse gibt es Termingeschäfte, die für Stromlieferungen in der Zukunft abgeschlossen werden, in der Regel für ein oder zwei Jahre im Voraus. Das Volumen der Termingeschäfte an der Strombörse übersteigt das des gesamten Stromverbrauchs Deutschlands, denn oft wird der gleiche Strom gleich mehrfach gehandelt.
Der sogenannte Spotmarkt umfasst zwischen 15 und 20 Prozent des Stromverbrauchs. Angebot und Nachfrage legen die Strompreise für jede Stunde des nächsten Tags fest.
Darüber hinaus gibt es einen außerbörslichen Stromhandel, den sogenannten OTC-Markt (Over the counter). Dort wird noch einmal fast die dreifache Menge des physikalischen Stromverbrauchs Deutschlands gehandelt.
Anspruch und Wirklichkeit der Strombörse
Die Neutralität und Anonymität der Strombörse und die staatliche Aufsicht über die Börse verleihen den Börsenpreisen den Anschein der Überparteilichkeit. Die Theorie, dass der Börsenpreis die Grenzkosten der Erzeugung wieder spiegelt ("merit order"), untermauert diesen Anspruch. Doch dieses hehre Bild hat mit der Wirklichkeit der Leipziger Strombörse und des deutschen Stromhandels wenig zu tun:
- Strom ist vom Grundsatz her überhaupt nicht börsenfähig, weil die physikalischen Prinzipien des Stroms mit den ökonomischen Prinzipien der Börse unvereinbar sind. Die Ware Strom kann man nicht "besitzen" wie eine andere Ware. An der Börse lässt sich bestenfalls die Berechtigung erwerben, den Strom eines Kraftwerks nutzen zu dürfen. Allerdings ist die Zuordnung eines Kraftwerks zu einer Stromlieferung physikalisch gar nicht möglich. Die Kraftwerkseinsatzplanung und die Stabilisierung des Stromnetzes folgen elektrotechnischen Notwendigkeiten. Mit dem Börsengeschehen hat dies nicht das Geringste zu tun. Voraussetzung für eine Preisfindung an der Börse ist auch, dass die Nachfrage vom Preis abhängt. Das ist beim Strom jedoch kaum der Fall, denn der Strombedarf lässt sich nur bedingt steuern. Der wettbewerbliche Charakter der Börse kann das Oligopol der Stromerzeuger nicht aufwiegen. Im Gegenteil verstärkt die Börse sogar bestehende Marktungleichgewichte (siehe unten). Das Bundeskartellamt und das Oberlandesgericht Düsseldorf drücken das so aus: "Der Strombörse kommt keine eigenständige wettbewerbliche Funktion zu". Es ist nur bedingt möglich, Strom zu speichern. Deshalb müssen sich Angebot und Erzeugung stets die Waage halten. Andernfalls würde die gesamte Stromversorgung zusammenbrechen. Aus diesem Grund können die Kraftwerksbesitzer den Strompreis einseitig festlegen.
- Die Strompreise im außerbörslichen Stromhandel basieren faktisch auf den an der Börse festgelegten Preisen. Der Börsenpreis hat sogar eine Leitfunktion für den Stromhandel in anderen europäischen Ländern. Dadurch ist es den großen Playern möglich, mit gezielten Käufen an der Börse die Preise nach oben zu treiben und ihren Strom außerbörslich zu diesen überhöhten Preisen zu verkaufen. Nur wenn der gesamte Strom über die Börse gehandelt würde, würden die mikroökonomischen Theorien optimaler Wettbewerbspreise auch gelten. In Skandinavien beispielsweise erfolgt der Stromhandel zu rund 75 Prozent über die Börse. In Deutschland lädt der relative kleine Anteil des an der Börse gehandelte Stroms geradezu dazu ein, die Preise durch gezielte Käufe zu beeinflussen. Die Kraftwerksbetreiber haben ein Interesse an möglichst hohen Börsenpreisen - was gezielte Käufe nahelegt.
Die Stromriesen zeigen an der Strombörse tatsächlich ein solches strategisches Verhalten: RWE und EnBW verfügen gemeinsam über rund 40 Prozent der deutschen Kraftwerkskapazitäten. Sie treten aber an der Börse im großen Umfang als Käufer auf und treiben so den Börsenpreis nach oben. Da RWE und EnBW auch in großem Umfang im außerbörslichen Stromhandel aktiv sind und dort ihren Strom verkaufen, profitieren sie besonders stark von den hohen Börsenpreisen, die sie selbst durch gezielte Käufe an der Börse nach oben getrieben haben. Die Börsenpreise wären deutlich niedriger, wenn die großen Stromerzeuger an der Börse die Position einnehmen würden, die sie auch im Gesamtmarkt haben.
Dies führt dazu, dass die Börsenpreise um zwei bis vier Cent je Kilowattstunde über den Stromerzeugungskosten liegen. Dies bringt den Kraftwerksbetreibern einen zusätzlichen Ertrag und beschert den Stromverbrauchern zusätzliche Kosten. Die Größenordnung ist beachtlich: Zwei Cent x 600 TWh = Zwölf Milliarden Euro jährlich und liegt damit höher, als die jährlichen Investitionen der gesamten Branche.

Börse kein Abbild des Strommarkts
Der Handel an der Strombörse ist also kein verkleinertes Abbild des gesamten Strommarkts. Wäre das der Fall, dann würden die Kraftwerksbetreiber an der Börse ihren Strom verkaufen. Faktisch ist es aber so, dass zumindest RWE und EnBW im großen Ausmaß als Käufer auftreten. Das Marktverhalten an der EEX weicht also zum Vorteil der Stromkonzerne von deren Marktverhalten außerhalb der Börse signifikant und dauerhaft ab.
Der Börsenpreis kann aus diesem Grund nicht repräsentativ für den deutschen Strommarkt sein. Er ist als Referenzpreis ungeeignet.
Die vier größten Netto-Stromverkäufer an der Strombörse kommen oft aus dem Ausland. Ausländischen Firmen fehlt die Vertriebsstruktur in Deutschland, deshalb treten sie an der Börse als Verkäufer auf. Ohne die ausländischen Stromverkäufer gäbe es an der Börse keine Referenzpreise.
Zwar gibt es an der Börse über 190 zugelassene Marktteilnehmer. Tatsächlich dominieren jedoch wenige Firmen das Börsengeschehen. RWE tätigte 2006 28 Prozent des gesamten Netto-Stromeinkaufs an der Börse. Auf Vattenfall entfielen 51 Prozent aller Netto-Stromverkäufe. Das belegen Auswertungen der Handelsdaten der EEX, deren Verlässlichkeit verbürgt sind.
RWE und die Strombörse sind eng verflochten
- Der Börsengeschäftsführer und ehemalige Leiter der Marktsteuerung der EEX, Oliver Maibaum sowie der derzeitige Leiter der Marktsteuerung Toralf Michaelsen waren nach glaubwürdigen Informationen früher im RWE-Bereich tätig und haben dorthin noch beste Kontakte. Nach EEX-Angaben waren sie niemals RWE-Mitarbeiter.
- Der Preis- und Gebührenkatalog der Börse gilt zwar für alle Börsenteilnehmer. Er begünstigt jedoch traditionell RWE in besonderer Weise. RWE zahlt aufgrund verschiedener Regelungen praktisch kaum Gebühren an der EEX (Befreiung von Handelsgebühren für Market Maker sowie geminderte Gebühren für die physische Erfüllung von Terminkontrakten am Spotmarkt).
- Die Pensionskassenversorgung der EEX-Mitarbeiter läuft seit mehreren Jahren über die zur RWE-Gruppe gehördende RWE Rhenas. Ein entsprechender Beleg liegt der Redaktion vor. Die EEX behauptet, dass kein EEX Mitarbeiter in einer RWE Pensionskasse versichert ist.
Der Stromhandel muss umstrukturiert werden
Die aufgeführten Kritikpunkte richten sich nicht gegen die Strombörse als Institution. Es wird nicht unterstellt, dass die Regeln der Strombörse falsch sind oder nicht eingehalten werden. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen das gesamte System des Stromhandels, das deshalb zu überhöhten Preisen führt,
- weil die vier großen Kraftwerksbetreiber rund 90 Prozent der Erzeugung kontrollieren und gleichzeitig 70 Prozent des Absatzmarkts dominieren,
- weil nur ein geringer Teil des Stroms über die Börse gehandelt wird,
- weil anonyme Börsengeschäfte preistreibende Strategien verbergen und
- weil die Börsenpreise auch die Preise für den außerbörslichen Handel bestimmen.
Zudem ist die Strombörse viel zu eng mit der Stromwirtschaft, insbesondere RWE, verflochten.

Das verschärfte Kartellrecht (GWB § 29) bietet den Kartellbehörden zwar zusätzliche Möglichkeiten, gegen missbräuchlich überhöhte Preise vorzugehen. Im Stromhandel greift dieses Gesetz jedoch kaum.
Es gilt, den Stromhandel durch gesetzliche Vorgaben grundlegend umzugestalten, um einen Missbrauch der Marktmacht der Stromkonzerne nachhaltig zu unterbinden. Dabei handelt es sich um eine Aufgabe bundesstaatlicher Ordnungspolitik. Zu diskutieren sind:
- Offenlegungspflicht der Handelsdaten von Börsenteilnehmern
- Eindämmung des Stromhandels außerhalb der Börse
- Verbot von Insidergeschäften
Konkrete Vorschläge werden in einem Bericht der Wirtschaftsministerkonferenz entwickelt und diskutiert. Die verantwortlichen Politiker und Beamte könnten durch entschiedenes Handeln den Strompreis dauerhaft um zwei bis vier Cent je Kilowattstunde senken.
Download Bericht EEX-Markttransparenz der Wiminkonf 17.Nov 2007
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