ED 04/21 Dauerbrenner Flüssiggas (S.10-13)
180 Seiten umfasst ein Aufsehen erregendes Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

Flüssiggaskartell im Spiegel eines Urteils

180 Seiten umfasst ein Aufsehen erregendes Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Es beschreibt im Detail, wie sich die großen Flüssiggasfirmen den Markt aufgeteilt und Verbraucher mit saftigen Preisen über den Tisch gezogen haben. Wir wollen Ihnen die Einblicke in die Flüssiggasbranche, die das Urteil bietet, nicht vorenthalten.

(1. April 2015) Überraschende Einblicke in die Flüssiggasbranche eröffnet ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Juni 2013 (Az. V-4 Kart 2/13 (OWi)). Etwa 80 Prozent aller Flüssiggasverbraucher zahlten jahrelang um 40 bis 100 Prozent überhöhte Preise, weil sich die großen Flüssiggasfirmen untereinander die Kunden nicht streitig machten und auf einen Preiswettbewerb bewusst verzichteten. Das Bundeskartellamt kam diesem Kartell nach einer bundesweiten Razzia am 3. Mai 2005 auf die Schliche und verhängte zwischen 2007 und 2009 saftige Bußgelder von über 250 Millionen Euro (Az. B11-20/05) für den Tatzeitraum zwischen dem 1. Juli 1997 und dem 1. Mai 2005. 

84 2130 Flüssiggastank

Urteil wird vom BGH geprüft

Das Oberlandesgericht verhandelte und prüfte drei Jahre, um schließlich mit einem 180 Seiten langen Urteil den ursprünglichen Bußgeldbescheid zu bestätigen. Die Bußgelder wurden durch das Gericht sogar noch erhöht. Gegen dieses Urteil gingen die Firmen in Revision vor dem Bundesgerichtshof. Das Urteil des OLG ist also noch nicht rechtskräftig. Betroffene Flüssiggaskunden warten seit Jahren mit Ungeduld auf ein rechtskräftiges Urteil, weil sie erst dann Schadensersatzansprüche gegen die Firmen geltend machen können. Sie werden sich wohl noch einige Zeit gedulden müssen.

Die Täter

Der Bescheid gegen Thermogas und seinen ehemaligen Geschäftsführer ist rechtskräftig geworden. Gegen die übrigen Bußgeldbescheide des Bundeskartellamtes hatten die beschuldigten Unternehmen, namentlich die Drachen-Propangas GmbH Frankfurt, Friedrich Scharr KG Stuttgart, Sano Propan GmbH Nürnberg, Tyczka Energie KGaA Geretsried, Tyczka Totalgas GmbH Geretsried, Primagas GmbH Krefeld, Propangas GmbH & Co KG Dortmund, Transgas GmbH Dortmund, Westfalen AG Münster und die Propan Rheingas GmbH & Co KG Brühl Einspruch eingelegt.

Die Veröffentlichung des Urteils auf den Seiten des OLG erfolgte erst über ein Jahr nach dem Urteilsspruch. Wenige Tage später verschwand das Urteil wieder von den Seiten des OLG, weil es nach Meinung der betroffenen Firmen nicht ausreichend anonymisiert war. Tatsächlich ergibt sich für Branchenkenner aus der Tatbestandsschilderung zweifelsfrei, von welchen Firmen im Einzelnen die Rede ist. Die folgenden Urteilszitate sind gekennzeichnet mit einem Hinweis auf die Textziffer des Urteils („Tz“).

Das Geschäft mit den Miettanks

Die wenigen großen Flüssiggasfirmen sind im Deutschen Verband Flüssiggas e. V. (DVFG) organisiert. Sie verkaufen Flüssiggas über Miettanks, die der Kunde vom Flüssiggaslieferanten mietet. 80 Prozent aller rund 420.000 Flüssiggastanks sind Miettanks. Miettankkunden können den Flüssiggaslieferanten nicht frei wählen. Denn die Befüllung von Miettanks durch ein anderes Unternehmens ist in den Mietverträgen untersagt (Tz  333). Diese Praxis ist eine wesentliche Einschränkung des Wettbewerbs, wurde jedoch vom Bundesgerichtshof bestätigt (Tz 396). Dennoch ist auch für Miettankkunden ein Anbieterwechsel möglich. Das Vertragsverhältnis mit dem bisherigen Lieferanten kann beendet und der Tank zurückgegeben werden. Dann kann ein neuer Lieferant gesucht werden, von dem ein Tank gemietet wird. Oder es wird ein eigener Tank angeschafft, der dann fallweise vom günstigsten Anbieter am Markt befüllt werden darf. Die Flüssiggasfirmen versuchen jedoch mit allen Tricks, die Beendigung von bestehenden Miettankverhältnissen zu verhindern, zum Beispiel durch monatelange Verweigerung von Gaslieferungen auch im Winter oder durch Bestehen auf Herausgabe des Tanks – selbst wenn dafür Garten und Bäume zerstört werden müssen.

Transportgemeinschaft Transgas

„Die in Deutschland führenden Versorgungsunternehmen schlossen sich schon ab Beginn der 1960er Jahre zu regionalen Transportgemeinschaften in wechselnder Beteiligung zusammen, um steigenden Transportkosten für die Ausfuhr von Flüssiggas zu senken. Dabei bildete sich eine bundesweite Infrastruktur von Auslieferungslagern heraus“ (Tz 11).  Gemeinsam wurde die Firma Transgas gegründet, die kein eigenes Gas anbietet.

Neben den Kartellfirmen gibt es auch freie Flüssiggasanbieter, die nur Kunden mit eigenem Flüssiggastank beliefern dürfen. Die Preise liegen hier um 30 bis 50 Prozent unter den Preisen der Kartellanbieter (Tz 673).

Der Nichtangriffspakt

Die Kartellanbieter befürchteten einen Preisverfall angesichts der Ausbreitung von Erdgas und der Mengenrückgänge. „Sie beschlossen jedenfalls stillschweigend die den Gegenstand des Verfahrens bildende bundesweit wirkende Grundabsprache, während ihrer Zusammenarbeit in den Ausfuhrgesellschaften „nicht aktiv“ Bestandskunden der anderen Gesellschafter und Kooperationspartner abzuwerben (Nichtangriffspakt)“
(Tz 12). „Der Beitritt zu den Ausfuhrkooperationen war gleichbedeutend mit dem stillschweigenden Abschluss eines kartellrechtswidrigen gegenseitigen Kundenschutzes. […] Den Leitungspersonen war nicht nur bewusst, dass die Absprache geeignet war, den (Preis-) Wettbewerb um Bestandskunden zu verhindern, sondern es kam ihnen gerade auf diesen Effekt an“ (Tz 13). Die Betroffenen „hielten ihre Mitgeschäftsführer und Mitarbeiter der Call-Center dazu an, anfragenden Kunden anderer DVFG-Mitgliedsunternehmen keine oder überhöhte Flüssiggaspreise zu nennen“ (Tz 20).

Preistransparenz nur dank dem Bund der Energieverbraucher

„Die Flüssiggaspreise wurden für den preisbewusster gewordenen Endverbraucher erst transparenter, als der Bund der Energieverbraucher seit etwa dem Jahr 2000 auf seiner Internetseite eine sogenannte „Flüssiggasbörse“ mit wöchentlich aktuellen Preisen für Flüssiggas veröffentlichte. Zuvor gab er vierteljährlich eine Zeitschrift mit dem Titel „Energiedepesche“ heraus, in der die Flüssiggaspreise der vergangenen Monate veröffentlicht waren“ (Tz 361).

Tankdatenbank verhindert Wettbewerb

Im gemeinsamen Transportunternehmen der Kartellfirmen, der Transgas, existierte eine Datenbank aller Flüssiggastanks. Jeder Tank war einem bestimmten Versorgungsunternehmen, dem Erstlieferanten, zugeordnet (Tz 524). „Wurde der Bestandskunde von einem anderen Kartellunternehmen als neuer Kunde gemeldet, wurde eine sogenannte „Wettbewerbsmeldung“ an die Geschäftsführer der beteiligten Unternehmen gegeben und der Fall wurde einer einvernehmlichen Lösung zugeführt“ (Tz 524). „Das Wettbewerbsmeldewesen […] schuf eine gegenseitige potentielle und praktizierte Kontrolle der Kartellteilnehmer. Dadurch erhielt das Kartell, wie beabsichtigt, über die faktische Verbindlichkeit der Absprache hinaus eine zusätzliche innere Stabilität und Festigkeit“ (Tz 527). Jedes Wochenende erfolgte ein Stammdatenabgleich zwischen den Versorgungsunternehmen und der Transgas (Tz 541).

Kein Preiswettbewerb

„Aufgrund der Kundenschutzabrede fand ein wirksamer Preiswettbewerb in Bezug auf die Bestandskunden, die einen Anteil von über 80 Prozent aller potenziellen Kunden ausmachten, weithin nicht mehr statt. Insbesondere ab Ende der 1990er Jahre ging fast nur noch von den verstärkt auftretenden sogenannten freien Anbietern, die dem Kartell nicht angehörten und ihre Preissetzung auch nicht an dem Kartellpreisniveau orientierten, ein restlicher Wettbewerb aus. Zudem schuf die Kundenschutzabrede [...] einen erhöhten, nicht markt- und wettbewerbskonformen Verhaltensspielraum im Falle von Expansionen durch Zukauf von Kundenstämmen und Unternehmen“ (Tz 549).

Die Betroffenen leugnen

„Alle verurteilten Betroffenen [...] stellen die Beteiligung an einer Kartellabsprache in Abrede“ (Tz 557). Das Urteil zitiert aus einem Workshop-Protokoll vom 8. Juni 2000. „Es besteht ein „Gentlemen Agreement“, dass vorhandene Kunden nicht von einem Wettbewerber, der Gesellschafter von Transgas ist, beliefert werden, aber kleine Firmen [...] entwickeln sich wegen der niedrigen Preise (-30 bis -50 Prozent gegenüber den Tarifen von […]) zu immer ernsthafteren Wettbewerbern“ (Tz 673).

„Entscheidendes Motiv für den einvernehmlichen Verzicht auf Bestandskundenwettbewerb war danach die allseits geteilte Furcht vor wettbewerblichen Reaktionen und die Scheu vor („ruinösem“) Wettbewerb“ (Tz 714). „Es kam ihnen (den Managern des Kartells, Anm. d. Red.) auch darauf an, die Wettbewerbsbeschränkungen durchzusetzen. Nur so konnten sie die Margen aufrechterhalten und die sich bietenden Preissetzungsspielräume zur Expansion ihrer Unternehmen nutzen. Als erfahrene Kaufleute wussten sie auch, dass der Abschluss einer Kundenschutzabsprache [...] gegen das Kartellgesetz verstieß“ (Tz 765).

„Dem Senat ist dabei bewusst, dass kein unmittelbares Beweismittel die Existenz einer Kartellabsprache bestätigt hat. Indes ist nach einer Gesamtwürdigung der Vielzahl von Umständen und der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass eine solche Absprache [...] vorlag“ (Tz 768).

Das Bußgeld

Das Bußgeld bemisst sich nach dem Mehrerlös, den die Beschuldigten durch den Kartellverstoß erzielten. Den hypothetischen Wettbewerbspreis ermittelte das Gericht durch minutiöse Recherche und Datenauswertungen von insgesamt 137.363 Einzeltransaktionen (Tz 1042). Angesichts der 420.000 Tankgaskunden, 80 Prozent davon im Miettankbereich, der deutlichen Preisüberhöhung von 40 bis 100 Prozent und einem acht Jahre umfassenden Tatzeitraum ist die Höhe der Bußgelder trotz der hohen Summen verhältnismäßig gering.

Fazit

Das Urteil ist erfreulich klar. Die Missstände in der Branche sind jedoch noch nicht beseitigt: Überhöhte Preise für Miettankkunden und Behinderungen beim Ausstieg aus einem Tankmietvertrag gehören noch immer zur täglichen Beratungspraxis vom Bund der Energieverbraucher.

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

§ 1 „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten“.

letzte Änderung: 04.11.2019