ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Sozialstaat schützt vor Energiearmut

Wer durch eine sehr hohe Gas- oder Wärmerechnung in die Armut abzurutschen droht, der hat Anspruch auf staatliche Hilfe. Weil das vielfach unbekannt ist, klären wir nachfolgend auf.
Von Leonora Holling

(9. Januar 2023) Strom- und Gaspreiserhöhungen treffen vor allem finanziell schwache Familien besonders hart. Meist fehlen Rücklagen, die plötzliche Nachzahlungsverlangen von Energieversorgungsunternehmen ausgleichen könnten. In vielen Fällen besteht ein Anspruch auf staatliche Unterstützung, von dem die Betroffenen selbst nichts wissen. Anspruchsberechtigt sind sowohl Beschäftigte als auch Rentner, unabhängig davon, ob bereits Sozialleistungen (Arbeitslosengeld (Hartz IV, demnächst Bürgergeld) oder Sozialhilfe) bezogen werden. Ausschlaggebend ist, ob die Nachzahlung die finanzielle Leistungsfähigkeit des Betroffenen übersteigt.
Rechtsgrundlagen für derartige Ansprüche sind für Beschäftigte der § 22 Abs. 1 des SGB II und für Rentner der § 35 Abs. 1 des SGB XII.

2397 Familie im Wartebereich / Foto: Andreas Koch / stock.adobe.com

Strom: Nur Darlehen möglich

Im Bereich Strom gilt dabei für die Bezieher von Grundsicherung, dass deren Bedarf bereits im Regelsatz enthalten ist. Hier kann also kein weiterer Ausgleich für erhöhte Stromkosten verlangt werden. Allerdings kann bei einer erheblichen Nachzahlung ein Darlehen durch den Sozialhilfeträger zu deren Begleichung gewährt werden. Der Mehrbedarf sollte auf jeden Fall angemeldet werden, damit Ansprüche nicht verloren gehen. Gerade die Umstellung auf das Bürgergeld zum 1.1.2023 mag den Gesetzgeber nämlich noch zu rückwirkenden Änderungen veranlassen.

Wärmeversorgung: Kosten werden ggf. übernommen

Anders stellt sich die Situation im Bereich der Wärmeversorgung mit Gas oder in Mietverhältnissen Wärme dar. Die Kosten werden für Sozialleistungsbezieher über die eigentliche Sozialleistung hinaus komplett übernommen, soweit diese Kosten angemessen sind. Dabei gehen die Hilfesätze von Kosten von 1 EUR je qm Wohnung aus. Bei Hartz IV bedeutet das beim Erwachsenen einen pauschalen Betrag von 10,33 EUR/Monat. Auch höhere Beträge werden auf Antrag übernommen. Hierzu sind etwa Rechnung oder Vorauszahlungsschreiben des Versorgers vorzulegen. Wird eine Übernahme der Kosten abgelehnt, kann man das Sozialgericht anrufen.

„Einmalbedarf“ für Geringverdiener

Auch eine einmalige Übernahme hoher Energiekosten bei Gas und Wärme kommen in Betracht. Einen solchen Anspruch auf sogenannte „Aufstockung“ haben auch Personen, die ansonsten keinen Anspruch auf Sozialleistungen besitzen, zugleich aber nur über ein sehr geringes Einkommen verfügen. Eine hohe Gasnachforderung, etwa für die Abrechnungsperiode 2021/2022, die die eigenen Mittel übersteigt, wäre dann ein Einmalbedarf. Diesen kann man isoliert als Sozialleistung geltend machen. Wichtig ist, diesen Bedarf im Monat der Fälligkeit der Forderung geltend zu machen. Danach verfällt ein Anspruch auf Übernahme. Genau prüfen sollte man zudem, wer richtiger Ansprechpartner für einen solchen Anspruch ist. Wenn man dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht, wie es etwa bei Rentnerinnen und Rentnern der Fall ist, muss man sich an das Sozialamt wenden. Geringverdiener, Krankengeldbezieher oder Studierende im Haushalt der Eltern wenden sich an das Jobcenter.

Beratung

Sozialamt und Jobcenter müssen alle Bürger beraten. Aber leider zeigt die Erfahrung, dass es oft an den Kapazitäten mangelt. Deshalb sollte man sich von Sozialverbänden wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder den Paritätischen Wohlfahrtsverband beraten lassen. In größeren Städten gibt es zudem Seniorenanlaufstellen. Bei einem Klageverfahren sollte der Gang zum Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin auf jeden Fall gewählt werden.

Rechtliche Auseinandersetzung

Sollte sich eine gerichtliche Auseinandersetzung abzeichnen, ist der Gang zum Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin angezeigt. Nur diese sind befugt ein gerichtliches Verfahren für den Betroffenen zu führen. Eine Selbstvertretung sollte, obwohl zulässig, vor dem Sozialgericht nicht erfolgen. Denn auch wenn das Gericht von Amts wegen Hinweise zur Rechtslage erteilen muss, sind diese für den Laien schwer verständlich. Dadurch alleine droht Rechtsverlust. Wer sich zunächst hinsichtlich seiner rechtlichen Chancen informieren möchte, kann sich beim Amtsgericht seines Wohnsitzes einen sogenannten Beratungshilfeschein ausstellen lassen. Dafür muss man persönlich dort auf der Rechtsberatungsstelle vorsprechen und seine Einkommensverhältnisse mit Belegen offenlegen. Beratungshilfe erhalten dann solche Personen, welche die Kosten eines Rechtsanwalts für eine Beratung nicht tragen können und auch nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen. Mit dem Original (!) des Beratungshilfescheins kann man sich dann gegen eine Gebühr von 10 EUR bei einem Rechtsanwalt beraten lassen. Es empfiehlt sich einen Fachanwalt für Sozialrecht zu wählen.

letzte Änderung: 09.01.2023