CCS – Stickluft für Politik und Gesellschaft
Hermann Scheers Meinung zu CCS (Zitiert aus seinem Buch "Der energethische Imperativ")
(13. April 2011) CCS-Kraftwerke (CCS steht für »Carbon Dioxide Capture and Storage«) scheiden CO2 bei der Verfeuerung der Kohle oder von Gas im Kraftwerk ab, das dann unterirdisch in ausgewählten Lagerstätten oder auf dem Meeresgrund abgelegt werden soll. CCS-Kraftwerke sind deshalb Kohlekraftwerke mit angeschlossener chemischer Fabrik sowie einer CO2-Pipeline-Infrastruktur und CO2-Endlagertechniken.
Das bedeutet, dass die Stromerzeugungskosten weit über die heutiger fossiler Kraftwerke hinausgehen. Dennoch ist der Einsatz solcher sogenannter »klimafreundlicher Kohlekraftwerke«, trotz der unüberschaubaren Kostenrisiken und der völlig unabschätzbaren Umweltrisiken, bereits zum festen Bestandteil von internationalen und nationalen Klimaschutzstrategien geworden.
Wer heute die CCS-Option befürwortet und vorantreibt, nimmt hin, dass die Ablösung von Kohlekraftwerken durch erneuerbare Energien in der Stromerzeugung in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts verschoben wird. Falls CCS-Kraftwerke tatsächlich – wie vielfach schon vorgesehen – ab dem Jahr 2020 oder 2025 allgemein verbindlicher Standard für Kohlekraftwerke und dann durchgängig gebaut würden, bedeutet das eine Laufzeit dieser Kraftwerke bis 2070 oder 2075 und darüber hinaus. Damit fallen sie in die Zeit erwartbarer massiver Preissteigerungen für Kohle und Gas, was bei der CCS-Option besonders stark zu Buche schlägt, weil der Brennstoffbedarf pro gewonnener Kilowattstunde wegen des CO2-Abscheidungsverfahrens und des CO2-Transports ansteigt. Es bedeutet auch die Inkaufnahme aller anderen Emissionen aus Kohlekraftwerken, die unabhängig von CO2-Emissionen anfallen, sowie ein riskantes Einlassen auf die Gefahren der Endlagerung von CO2, die mit der Dauer und der Menge zunehmen. Diese Endlagerprobleme werden von den CCS-Befürwortern genauso heruntergespielt, wie es die Atomenergie-Protagonisten mit dem Atommüll tun.
Bereits der Begriff CCS ist eine Beschönigung: Das »S« steht für Storage, also Speicherung. Der Begriff Endlagerung wird ungern verwandt. In einem Speicher bewahrt man etwas auf, das man für weitere Zwecke nutzen will. Beim CCS geht es jedoch um die endgültige Einlagerung von CO2, das nie wieder in die Atmosphäre gelangen darf.
Eine zentrale Begründung für dieses Projekt ist, dass niemand Länder wie z.B. China mit seinen Kohlereserven und seinem schnell wachsenden Strombedarf davon abhalten könne, neue Kohlekraftwerke zu bauen. Solchen Bedürfnissen müsse man Rechnung tragen und deshalb CCS-Kraftwerke in den Katalog klimaschützender Maßnahmen aufnehmen und politisch fördern. Dies sei klimapolitischer Realismus.
Die Option, Kohlekraftwerke stattdessen zügig durch erneuerbare Energien zu ersetzen, wird von den CCS-Verfechtern für unmöglich erklärt. Die Behauptung, dass dies eine unzumutbare Belastung der Unternehmen und der Volkswirtschaften darstelle, ist jedoch angesichts des finanziellen Aufwands, der für CCS-Kraftwerke einschließlich der speziell dafür erforderlichen Infrastruktur von CO2-Pipelines notwendig wird, ein fadenscheiniger Vorwand. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Technik um einen Rettungsring für fossile Großkraftwerke, mit vielfältigen unverantwortbaren Folgen.
Die CCS-Option ist keine »Übergangstechnik«, sondern eine Kapitulation vor den Bestandserhaltungsinteressen der fossilen Energiewirtschaft. Mit dem Argument, CCS wenigstens zu erproben, befürworten dennoch auch Klimaforschungsinstitute und einige Umweltorganisationen das CCS-Projekt, so etwa der WWF: »Es bringt nichts, die Technik ungeprüft zu verteufeln und damit leichtfertig eine Chance im Klimaschutz zu verspielen.«
Doch was soll geprüft werden? Es besteht kein Zweifel, dass es technisch möglich ist, das CO2 abzuscheiden und über CO2-Pipelines in Endlagerstätten zu verpressen. Versuche können nur Kenntnisse über verschiedene Trennverfahren und deren jeweilige Produktivität und über mehr oder weniger geeignete Endlagervarianten vermitteln – also über Fragen, wie CCS am besten betrieben werden könnte. Doch vor und über allem muss die Grundfrage stehen, ob dieser Weg zu verantworten ist und ob es tatsächlich – wieder einmal – angeblich »keine Alternative« dazu gibt. Gegen die CCS-Option sprechen auch chemisch-physikalische Gründe, an denen keine Endlagerung etwas ändern kann.
Wohin mit dem separierten CO2?
Separiertes und dann gelagertes CO2 ist nur dann klimaschonend, wenn es auf ewig in der Lagerstätte verbleibt. Aber niemand kann und will ausschließen, dass es nicht früher oder später doch in die Atmosphäre gelangt. Ein indirekter Beleg dafür, dass es darüber keine Erkenntnisse gibt und diese auch nicht kurzfristig gewonnen werden können, war die Auseinandersetzung um den Gesetzentwurf der Bundesregierung von 2009. Darin wurde die Haftungspflicht der Stromkonzerne für die gesicherte Lagerung des CO2 auf nur dreißig Jahre begrenzt, um die Unternehmen von unwägbaren finanziellen Risiken zu entlasten. Die Stromkonzerne versuchten sogar, den Haftungszeitraum auf zwanzig Jahre zu reduzieren.
Abgesehen davon, dass eine Haftung für freigesetztes CO2 das dadurch entstehende Desaster nicht kompensieren kann, erinnert dieses Vorgehen fatal an die Erfahrungen mit der Lagerung radioaktiver Abfälle. Der jüngste Fall in Deutschland ist der Eklat über die schlampige Lagerung von radioaktivem Müll in dem ehemaligen Salzbergwerk Asse. Über Jahrzehnte hinweg wurde dieser Lagerstätte von den Forschungszentren und den verantwortlichen Regierungsinstitutionen, gestützt auf geologische Gutachten, die Unbedenklichkeit bescheinigt. Das geforderte Kriterium war, dass die Lagerstätte trocken ist und ein Wassereinbruch auf Dauer als ausgeschlossen gelten kann. Dennoch stellte sich bereits nach drei Jahrzehnten heraus, dass täglich Tausende Liter Wasser in den Salzstock fließen, so dass nunmehr mit einem geschätzten Kostenaufwand von vier Mrd. EUR mehr als hunderttausend Fässer atomaren Mülls wieder herausgeholt werden müssen, weil die Wasserströme sonst eine weiträumige und unkontrollierbare radioaktive Verseuchung des Grundwassers verursachen können.
Nach diesen Erfahrungen ist das Vertrauen in geowissenschaftliche Studien, die bescheinigen, dass CO2 für ewige Zeiträume sicher gelagert werden kann, unverständlich. Das Austreten von CO2 wird dann als »akzeptabel« bewertet, wenn es nicht über zehn Prozent in tausend Jahren hinausgeht, was jährlich 0,1 Promille wären. Niemand kann diese Quote garantieren, niemand kann das genau messen, und keine Versicherungsgesellschaft wird sich darauf einlassen – so dass, wie bei der Atomenergie, wieder die Gesellschaft als Ganzes in Haftung genommen würde.
Es wäre auch blauäugig, davon auszugehen, dass ein Austreten von CO2 nur in kleinsten und gleichmäßigen Mengen erfolgt. Viel wahrscheinlicher ist, dass es zunächst langsam und dann immer schneller und in größeren Dosen in die Atmosphäre gelangt. Dies könnte zu einem tödlichen Prozess für alle Lungenatmer führen – zu einem »CCS-GAU«. Ähnliches kann bei einem Leck in Pipelines passieren. Konzentriertes CO2 ist Stickluft, die schwerer ist als Luft und den Sauerstoff verdrängt. Wir müssen uns die CO2-Mengen vorstellen, um die es hier gehen soll. Ausgehend von dem erklärten Ziel, CCS künftig allen neuen Kohlekraftwerken zur Auflage zu machen, würden bei einem 1.000 MW-Kohlekraftwerk bei vollständiger CO2-Separierung jährlich 10,75 Mio. t CO2 abgeschieden und müssten über Pipelines transportiert und gelagert werden. Bei nur dreißig Kohlekraftwerken dieser Kapazität in Deutschland wären das, wenn für jedes eine Laufzeit von 50 Jahren veranschlagt wird, 34,7 Mrd. Tonnen – was einer erforderlichen Lagerkapazität von 34,7 Kubikkilometern entspricht!
Der an der kalifornischen Berkeley-Universität ausgebildete Ingenieurwissenschaftler Ulf Bossel, Leiter des European Fuel Cell Forum, hat die verschiedenen Varianten der CO2-Endlagerung verglichen und nach chemisch-physikalischen Gesetzmäßigkeiten bewertet.
Eine Variante ist, das CO2 in Wasser zu lösen. Die Lösungsmenge beträgt drei Gramm pro Liter Wasser. Für ein 1.000MW-CCS-Kraftwerk müsste dann bei einer Laufzeit von fünfzig Jahren ein Grundwasservolumen von 254 Kubikkilometern zur Verfügung stehen. Da die unterirdischen Wassermassen aber fließen und auch das genutzte Grundwasser erreichen, ist dieses dann als Trinkwasser nicht mehr zu gebrauchen. Die Entsorgung des CO2, indem man es in Wasser bindet, ist nur gewährleistet, wenn Druck und Temperatur des Wassers unverändert bleiben. Doch das ist aufgrund der vielen Erdschichten unmöglich, weshalb die dauernde Gefahr besteht, dass das CO2 sich wieder löst und auf verschlungenen Wegen in die Atmosphäre entweicht.
Eine andere Variante ist das Verpressen des CO2 in Aquifere, also unterirdische Schichten, die meistens porös und mit Salzwasser gefüllt sind (sogenannte saline Formationen). Die Möglichkeiten, in Wasser gebundenes CO2 hier einzupressen, sind höchst beschränkt, weil Wasser nicht pressbar ist.
Eine dritte Variante ist, unterirdische Hohlräume mit CO2 zu füllen, wie etwa in Druckluftspeichern oder Speicherräumen für Erdöl und Erdgas. Die Erfahrungen mit deren Speicherung sind aber nicht mit einer CO2-Lagerung vergleichbar, weil es bei dieser um eine Dauerlösung gehen soll, während Druckluft, Erdöl und Erdgas immer wieder entnommen werden. Außerdem reicht das Kavernenvolumen für die CO2-Mengen bei weitem nicht aus. Es wäre schnell gefüllt. Hinzu kommt, dass diese Erdkavernen dann nicht mehr zur Verfügung stünden, wenn sie in naher oder mittlerer Zukunft gebraucht werden, um in Druckluft umgewandelten Wind oder Sonnenstrom oder Biogas zu speichern.
Eine vierte Variante wäre das Versenken des CO2 in tiefe Meeresschichten, was aber mittlerweile von den meisten CCS-Befürwortern ausgeschlossen wird, weil hierbei die Entweichungsgefahr am größten ist und am schnellsten eintreten könnte.
Vattenfall als der Stromkonzern, der in Deutschland am stärksten auf das CCS-Kraftwerk setzt, präferiert das Verpressen in saline Aquifere und sieht hierfür, gestützt auf Untersuchungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften, ein Lagerpotenzial in Deutschland von 20 Mrd. Tonnen vor, was 20 Kubikkilometern entspricht. Das würde nicht ausreichen, um die »gesamte CO2-Fracht aus mindestens 60 Jahren Betrieb der deutschen Kraftwerke klimaneutral einspeichern« zu können, wie der Konzern behauptet. Aber selbst wenn es so wäre, wecken schon die skizzierten chemisch-physikalischen Abläufe größte Zweifel an der Harmlosigkeit des Verfahrens.
Unübersehbare Kostenrisiken
Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist die CCS-Option mehr als fragwürdig. Ein modernes Kohlekraftwerk hat gegenwärtig einen Wirkungsgrad von etwa 45 Prozent, bezogen auf die eingebrachte Kohle. Mit der energieaufwendigen CO2-Separierung verringert sich dieser auf 35 Prozent. Wegen des Energiebedarfs für Pipelinetransport und Verpressung reduziert sich die Effizienz nochmals. Für die tatsächliche Stromausbeute muss deshalb in einem CCS-Kraftwerk bis zu 40 Prozent mehr Primärenergie eingesetzt werden als bei einem herkömmlichen Kohlekraftwerk ohne CCS. Damit erhöhen sich die Brennstoffkosten, neben den zusätzlichen Kosten für Separierungstechnik, Pipeline-Infrastruktur, Durchleitung, Verpressung und Überwachung. Unübersehbare Kostensteigerungen sind somit vorprogrammiert. Selbst moderate Kostenschätzungen zeigen schon heute, dass CCS-Kohlestrom nicht kostengünstiger ist als etwa Windstrom, dessen Erzeugungskosten aber noch weiter gesunken sein werden, wenn CCS-Kraftwerke in Betrieb genommen werden könnten, sei es 2020 oder später.
Ein Projekt schönzurechnen, um es ins Laufen zu bringen und politische Unterstützung dafür zu finden, ist eine bekannte Methode, Regierungen und Öffentlichkeit neue Großprojekte schmackhaft zu machen. Gerne stützen sich die Verfechter des Projekts dabei auf unbewiesene Behauptungen.
Als Beweis für die »Machbarkeit« wurde beim CCS-Projekt angeführt, dass der norwegische Staatskonzern Statoil Teilmengen von CO2 aus von ihm gefördertem Gas direkt an den Förderstätten separiert und sofort wieder verpresst. Umso ernüchternder war es, als ausgerechnet der Kronzeuge Statoil im Mai 2010 bekannt gab, seinen weltweit größten Versuch zur Separierung und Lagerung von CO2 in seinem Gaskraftwerk in Mongstad wegen technischer Probleme und mangelnder Wirtschaftlichkeit einzustellen. Das neue Strom- und Wärmekraftwerk geht nun ohne CCS in Betrieb. Die offizielle Begründung von Statoil lautet: »Die CCS-Technik erwies sich als weit teurer als bislang angenommen und würde mehr kosten als das gesamte Kraftwerk. Alles ist viel komplizierter, als wir das vor vier Jahren angenommen haben.« Die norwegische Regierung kündigte gleichzeitig an, keine weiteren Gelder für das CCS-Projekt zur Verfügung zu stellen. Sie war zuvor die treibende Kraft gewesen, hatte schon eine Milliarde EUR für die Entwicklung bereitgestellt und auf Weltklimakonferenzen intensiv für das Projekt geworben. Noch 2007 hatte der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg dem CCS-Projekt die Bedeutung zugemessen, die in den 1960er Jahren das Mondlandungsprogramm der USA hatte.
Die Einstellung des Mongstad-Versuchs wäre bereits Anlass genug, den CCS-Ansatz nicht weiter zu verfolgen und ohne weitere Umwege den Wechsel zu erneuerbaren Energien voranzutreiben. Warum soll eine Option verfolgt werden, die derart fragwürdig ist, teurer sein wird als erneuerbare Energien und deren Realisierung deutlich mehr Zeitaufwand erfordert als die Mobilisierung erneuerbarer Energien?
Eine CCS-Option, die riesige Endlagerkapazitäten erfordert, die angeblich ausreichend verfügbar sind, widerlegt überdies schlagend die Behauptung, es stünden nicht genug Speicherkapazitäten für erneuerbare Energien in Form von Druckluft, Biogas, Wasserstoff oder – auch unterirdischen – Pumpspeicherwerken zur Verfügung.
Ein fauler analytischer Kompromiss
Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass die CCS-Protagonisten von sich aus diese Konsequenz ziehen. Zu viele haben sich mittlerweile auf das Projekt eingelassen, neben Energiekonzernen und Regierungen auch Umweltorganisationen wie der WWF und sogar das deutsche Öko-Institut. Das Projekt erschien wie das Ei des Kolumbus, ein Kompromiss, der sowohl den Interessen der Energiekonzerne als auch dem Klimaschutz entgegenkommt. Es ist damit ein Paradebeispiel für Irrwege, die trotz des warnenden Lehrbeispiels der Atomenergie eingeschlagen werden. Fast über Nacht wurde das Projekt zu einer neuen Verheißung und setzte die Politik in Bewegung, nachdem der Weltklimarat – dessen offizielle Bezeichnung Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) lautet – 2005 in einem »special report« CCS zum unverzichtbaren Element des Klimaschutzes erklärt hatte. Statt es zunächst zu erforschen, integrierte man das Verfahren sofort in Energieprognosen und Planungen. Staatsgelder wurden bereit gestellt und gesetzliche Rahmenbedingungen eingeleitet, in Größenordnungen und in einer Windeseile, wie es für erneuerbare Energien nie geschehen ist.
2008 schloss die EU CCS als Handlungsoption in ihre Emissionshandels-Richtlinie ein. Die britische Regierung gestand dem Projekt mit dem Climate Change Act zusammen mit der Atomenergie einen hervorgehobenen Stellenwert für den Klimaschutz zu. 2009 folgte die CCS-Richtlinie der EU. Die Bundesregierung legte den Entwurf eines CCS-Gesetzes vor, der jedoch in der Woche der geplanten Verabschiedung im Juni 2009 in letzter Minute zurückgezogen wurde, weil eine Welle von Protesten heranwogte und die nächste Bundestagswahl bevorstand. Die australische Regierung gründete das »Global CCS-Institute « mit einem Jahresbudget von 100Mio. US-Dollar – ein Betrag, der mehr als sechsmal höher liegt als das Jahresbudget 2010 der neu gegründeten Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) mit ihren über 140 Mitgliedsländern. Die EU stellte eine Subvention von 2 Mrd. EUR für zwölf CCS-Kraftwerke bereit, Australien 1,2 Mrd. US-Dollar, Kanada 1,2 Mrd. und die US-Regierung 3,4 Mrd. Alles wurde in die Wege geleitet, um die CCS-Kraftwerke als CDM-Instrument zum Klimaschutz anerkennen zu lassen. Die größte US-amerikanische Umweltorganisation, der Natural Resources Defense Council (NRDC) mit 1,3 Mio. Mitgliedern, wurde zur Speerspitze für die Einführung von CCS. Sie hofft damit, den Kampf gegen CO2-Emissionen voranzutreiben, da sie den Kampf um Alternativen zu Kohlekraftwerken für aussichtslos hält. Die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona empfand die Einstellung des CCS-Projekts Mongstad als einen »Dolchstoß in den Rücken« und bedauerte: »Wir haben viel Energie darauf verwendet, diese Politik zu verteidigen.«
So ist CCS weltweit schon zum strategischen Schwerpunkt konventioneller Energieinteressen geworden. Wie schon in der Einleitung erwähnt, hat der Shell-Konzern seine Aktivitäten für erneuerbare Energien weitgehend eingestellt und stattdessen den Strategiewechsel zu CCS verkündet. Stromkonzerne mit ihrem Kohlekraftwerk-Portfolio sowie Technologieunternehmen, die auf CCS-Technik setzen, betreiben gemeinschaftlich finanzierte Werbekampagnen – so das deutsche Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk (IZ Klima).
Eine andere Organisation, der DEBRIV (Deutscher Braunkohlen- Industrie-Verein), schaltet in regelmäßigen Abständen in den Tageszeitungen große Textanzeigen, in denen Professoren zu Wort kommen, die alle dasselbe sagen: Kohle kann und muss mit CCS klimafreundlich genutzt werden, weil erneuerbare Energien Kohlekraftwerke nicht ersetzen könnten. Warnungen und Proteste werden zu irrationalen Vorurteilen erklärt, denen ein breiter Expertenkonsens gegenüberstünde. Klimaforschungsinstitute bewerten Energietechniken – aus ihrer Sicht nachvollziehbar – allein aus dem Blickwinkel der CO2-Minderung. Dennoch wird ihnen neben ihrer Fachkompetenz in Sachen Klimaforschung auch ein Urteil darüber zuerkannt, welche politische und wirtschaftliche Strategie für die künftige Energieversorgung optimal sei. Da die führenden Institute im IPCC involviert sind, übernehmen sie auch das in dieser Community entstehende Konsensmuster über das, was als machbar, durchsetzbar und zumutbar gilt. Das IPCC ist jedoch kein Gremium, dessen Empfehlungen ausschließlich wissenschaftliche Analysekriterien zugrundeliegen. Es hat sich zweifellos große Verdienste dabei erworben, der Weltöffentlichkeit die Klimagefahren trotz organisierter Verleugnungskampagnen bewusst gemacht zu haben. Es ist jedoch auf einen Konsens angewiesen. Aber dieser Konsens ist ein fauler analytischer Kompromiss, zumindest in Bezug auf die vorgeschlagenen Handlungsoptionen. Er verführt dazu, Zugeständnisse an einflussreiche Interessen zu machen und in den konkreten Handlungsvorschlägen nicht zu weit zu gehen. So entstanden das »Zwei Grad«-Ziel und auch der CCS-Ansatz. Über letzteren werden bereits wirtschaftliche Machbarkeitsprognosen veröffentlicht, bevor zu zentralen Punkten belastbare empirische Daten vorliegen. Ottmar Edenhofer, stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), votiert für CCS mit den Worten: »CCS kann eine wichtige Brückentechnik für den globalen Klimaschutz sein: Wenn die technischen Fragen der Abscheidung und geografischen Lagerung zu wettbewerbsfähigen Kosten und vertretbaren Risiken gelöst werden, könnten die Klimaschutzkosten durch den Einsatz von CCS nach Modellrechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung um ein Viertel gesenkt werden.«
Doch was ist die Basis dieser Modellrechnungen, wenn nicht einmal die technischen Kostenfragen geklärt sind und das mit dem CCS-Projekt verbundene Konfliktpotenzial außer Betracht bleibt?
Das gesellschaftliche Konfliktpotenzial
Das CCS-Projekt ist ein Tanz auf dem Vulkan. Als Überlebenshilfe für die Kohlewirtschaft darf es offenbar mehr kosten als erneuerbare Energien. Die Vehemenz, mit der auf Bundestagsabgeordnete Druck ausgeübt wurde, um 2009 das deutsche CCS-Gesetz durchzuboxen, spricht Bände. Marco Bülow hat aus seiner eigenen Erfahrung als Sprecher der Arbeitsgruppe Umwelt der SPD-Bundestagsfraktion ausführlich beschrieben, wie Lobbyisten laufend in Gesetzgebungsverfahren intervenierten.
Die Energiekonzerne setzen darauf, dass Regierungen ihnen die finanziellen und politischen Risiken abnehmen. So forderte der Vorstandsvorsitzende von RWE von der deutschen Regierung, die Baukosten und die Trägerschaft der CO2-Pipelines zu übernehmen, weil die Infrastruktur eine öffentliche Aufgabe sei – ein Standpunkt, den er für Stromnetze ablehnt. Die CCS-Risiken bleiben, wie bei der Atomenergie, ohnehin der Gesellschaft überlassen.
Die Politik wiederum soll die Konflikte mit der Bevölkerung austragen, die sich gegen Pipelines und CO2-Endlager zur Wehr setzen wird. Einen Vorgeschmack darauf lieferte der massive Widerstand in Schleswig-Holstein als der Region, in der bereits Sondierungen für das erste Endlager stattfanden. Dieser Widerstand wird überall auftreten, wo mit der Realisierung von CCS begonnen wird. Aus dieser Erfahrung heraus erklärte Umweltminister Norbert Röttgen, ein CO2-Endlager dürfe nur dort entstehen, wo es regionale Akzeptanz finde.
In einem von der deutschen Bundesregierung im Juli 2010 neu eingebrachten CCS-Gesetzentwurf wird den Kommunen, unter deren Boden eine Endlagerung stattfinden soll, ein von der Lagermenge abhängiger finanzieller Ausgleich in Aussicht gestellt. Außerdem soll es mit diesem Gesetz nur um eine Erprobung gehen mit einer Beschränkung der jährlichen Endlagermenge auf acht Mio. Tonnen.
Das Anpreisen der vermeintlichen Vorzüge von CCS ist nicht nur wissenschaftlich und wirtschaftlich waghalsig, sondern auch politisch. Die sich dafür aussprechenden Wissenschaftler müssen nicht für die Investitionsrisiken einstehen, wenn unwägbare Gefahren auftreten. Sie müssen auch keine demokratischen Wahlen gegenüber Protestfluten aus der Bevölkerung gewinnen, in der wissenschaftliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus guten Gründen immer weniger Glauben finden.
Das CCS-Projekt ist ein Konzept der Risikoverlagerung statt der Risikoüberwindung, ein kostspieliges und hochriskantes Aufschieben des Energiewechsels. Es wird mit hoher Sicherheit aus finanziellen Gründen und an berechtigten Widerständen scheitern. Das Problem des CCS-Projekts ist, dass es eher zum Versenken von Milliarden führt als zum Verschwinden von CO2 – und erneut Aufmerksamkeit und Zeit für den Wechsel zu erneuerbaren Energien vereinnahmt.
Wiederverwertung statt Endlagerung
Die Irreführung beim CCS-Ansatz beginnt schon mit dem euphemistischen Begriff der Speicherung. Eine Ablehnung des CCS-Ansatzes muss keineswegs bedeuten, weiterhin große Mengen von CO2 in die Atmosphäre zu entlassen, solange noch fossile Energien verbrannt werden – zumal ja auch bei anderen industriellen Prozessen erhebliche Mengen von CO2 freigesetzt werden, z.B. in der Zementproduktion, die eine Separierung des CO2 aus dem Rohstoff Kalk darstellt.
Entschieden naheliegender ist eine Wiederverwertung von CO2, also nicht Carbon Capture and Storage, sondern Carbon Capture and Recycling (CCR). Damit wird CO2 aus einem gefährlich gewordenen Abfall, für den gegenwärtig die Atmosphäre als »wilde Deponie« miss braucht wird, zu einem Wertstoff. Diese Wiederverwertung aus fossilen Verbrennungsvorgängen bedeutet zwar nicht CO2-Vermeidung, bietet aber die Chance zu einer Halbierung von CO2-Emissionen.
Eine Methode der Wiederverwertung ist die Produktion von Algen: Aus Algensamen entsteht in einem mit CO2 gefüllten kleinen »Algenreaktor«, der einem Glasbehälter gleicht, innerhalb eines Tages unter natürlichem Sonnenlicht eine Algenkultur und damit energetisch und industriell verwertbare Biomasse. Der Algenertrag eines Hektars solcher Reaktoren ist achtmal größer als bei angebauter Biomasse.
Solche Wiederverwertungen können dennoch keine neuen Investitionen in Kohlekraftwerke rechtfertigen, aber zum Beispiel dazu dienen, das CO2 aus der Zementproduktion als Rohstoff zu verwerten. Wiederverwertungen sind nur praktikabel, wenn nicht zu große CO2-Mengen an einem Ort abgeschieden werden – wie etwa bei einem Großkraftwerk mit einem Jahresausstoß von 10 Mio. t CO2. Sie muss wegen des damit verbundenen Flächenbedarfs in breiter Streuung und in vielfältigen Formen stattfinden, also wiederum dezentral. Das ist sowohl mit Großkraftwerken als auch mit einer Pipeline-Infrastruktur unvereinbar. Erneut stoßen wir damit auf den Motivkern des CCS-Konzepts: den unbedingten Willen, an den Großstrukturen der Energieversorgung und an der strukturkonservierenden Barriere gegen einen Energiewechsel und einen wirtschaftlichen Strukturwandel festzuhalten.
Fadenscheinige Grundlast-Ausrede
Dass Atom- und/oder CCS-Kraftwerke bis auf Weiteres unverzichtbar seien, wird weniger mit der erforderlichen Energiemenge, als vielmehr mit der nötigen »Grundlast« begründet: Man benötige diese Kraftwerke, weil Strom aus Sonnenkraft und Windkraft nicht immer zur Verfügung steht, wenn man ihn braucht. Zur Überwindung dieses Mankos sei deshalb ein unverhältnismäßig großer und wirtschaftlich unerschwinglicher Aufwand für die Speicherung von Solar- und Windstrom nötig. Dies wird zu einem scheinbar unüberwindlichen Hindernis für den Energiewechsel hochstilisiert. Damit wird ausgerechnet der energetisch ineffizienteste Faktor der herkömmlichen Energieversorgung – die sogenannten Grundlastkraftwerke – zum Kleinod und Nabel der Stromwelt erklärt: zur letzten Trumpfkarte der konventionellen Stromerzeugung.
Den hoch gelobten Vorzügen der »Grundlastkraftwerke« steht nicht nur die strukturelle Ineffizienz des Energieeinsatzes wegen der unvermeidlichen Verluste durch ungenutzten Dampf entgegen, sondern auch die Verluste beim Stromtransport sowie die Notwendigkeit weiterer Reservekraftwerke für Ausfallzeiten, die vor allem bei Atomkraftwerken relativ häufig sind. Diese Reservekapazitäten, die für das jetzige System oft nur tage- oder wochenweise benötigt werden oder eine ungenutzte »Kaltreserve« darstellen, liegen bei durchschnittlich einem Drittel der Gesamtkapazitäten. Nicht einmal statistisch erfasst sind dabei die Reservekapazitäten in Form von Notstromaggregaten, die in Krankenhäusern, Telekommunikationseinrichtungen, für die Wasserversorgung, den Eisenbahnverkehr oder für Verwaltungseinrichtungen vorgehalten werden müssen und fast nie abgerufen werden.
Dieses Potenzial an dezentralen Aggregaten kann für den Energiewechsel aktiviert werden. Daran wurde bisher kaum gedacht, obwohl es in Deutschland ein prominentes Beispiel dafür gibt: Im Reichstagsgebäude in Berlin wurde das Notstromaggregat ersetzt durch zwei mit Pflanzenöl betriebene Blockheizkraftwerke für die Strom- und Wärmeversorgung, wobei das öffentliche Stromnetz die Funktion einer Notstromversorgung ausübt.
Kein System der Energieversorgung kommt ohne Reserve- und Speicherkapazitäten aus, weder das herkömmliche noch eines auf der Basis erneuerbarer Energien. Im konventionellen Modell findet die Speicherung von Energie im Bereich der Stromversorgung überwiegend vor deren Umwandlung in Strom statt. Speicherung ist immer dann nötig, wenn die Förderung der Energie und deren Einsatz nicht zeitgleich erfolgen. Solche Speicher sind die Energietransportsysteme, Kohlehalden oder Tanks. Weil Sonnen- und Windkraft nicht vor der Umwandlung in Strom gespeichert werden kann, ist anstelle einer der Stromerzeugung vorgelagerten Speicherung eine nachgelagerte nötig.
Stromspeicherung gibt es auch im traditionellen Energiesystem, nur ist die Notwendigkeit dafür geringer, weil die Mittel- und Spitzenlastkraftwerke zur Regelung eingesetzt werden. Der Unterschied zu erneuerbaren Energien liegt also weniger im Speicherbedarf, als vielmehr in der Speicherform und den dafür erforderlichen Investitionen. Ein wesentliches Element des Systemwechsels ist es, Grundlastkraftwerke durch schnell zuschaltbare Regelenergie zu ersetzen, mithilfe eines intelligenten Netzmanagements modularer Stromerzeugungen, um damit den Speicherbedarf generell zu reduzieren. Der Einsatz spezifischer Speicher darf dabei nicht nach isolierten Investitionskosten kalkuliert werden. Den Umwandlungsverlusten bei der Speicherung von Strom stehen die Energieverluste eines Grundlastkraftwerks gegenüber sowie der mangelhafte Effizienzgrad und die Kosten für nicht benötigte Reservekapazitäten der Grundlastkraftwerke.
In den Szenarien über erneuerbare Energien werden bisher Speichervarianten berücksichtigt, wie sie für die konventionelle Stromversorgung in Höchstlaststunden eingesetzt werden: Pumpspeicher- und Druckluftkraftwerke. Auch eine Speicherung mit herkömmlichen Batterien wäre möglich und wird gelegentlich praktiziert, ist jedoch mit der überkommenen Batterietechnik wegen der geringen Ladezyklen und dem Energieaufwand nicht empfehlenswert. In der Diskussion über Stromspeicher bleiben jedoch nicht nur viele neue Batterietechniken, sondern auch zahlreiche neue Speichertechniken unberücksichtigt, die in den von EUROSOLAR und dem Weltrat für erneuerbare Energien jährlich veranstalteten Internationalen Konferenzen zur Speicherung erneuerbarer Energien vorgestellt werden. Die meisten sind im Stadium von Prototypen oder stehen kurz vor der Markteinführung.
Mit diesen Speicheroptionen entfällt jeder Grund dafür, neue Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke errichten oder deren Laufzeiten zu verlängern. Es entfallen auch die Gründe für die Installation weiträumig vernetzter Supergrids, wie sie das Desertec-Projekt oder die Nordsee- Projekte vorsehen, auf die ich im nächsten Kapitel eingehe. Ob Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke oder die im 3. Kapitel genannten Supergrid-Projekte: Bei allen wird in einem Zeithorizont von fünfzig Jahren geplant, alle werden für die Grundlastversorgung als unverzichtbar erklärt, und bei allen wird in Bezug auf Stromspeicherung technikpessimistisch argumentiert. Alle ignorieren die Optionsbreite der Speichertechnologien für erneuerbare Energien, weil sonst die Begründung für die Großprojekte in sich zusammenfiele.
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