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Klimawandel und Energieverknappung: Zwei unentrinnbare existenzielle Herausforderungen für die Menschheit.

Menschheit ohne Plan(et) B

Klimawandel und Energieverknappung: Zwei unentrinnbare existenzielle Herausforderungen für die Menschheit. Doch die Menschheit bleibt untätig und alle aktuellen Anstrengungen bleiben weit hinter dem zurück, was notwendig wäre. Strategien für den Umgang mit Klimafolgen fehlen.
Von Aribert Peters

(24. Januar 2020) Der Klimawandel schreitet viel schneller voran als von der Wissenschaft bisher vorhergesagt. Der Klimawandel hat eine Eigendynamik gewonnen, die ihn unabhängig von menschlichem Zutun weiter verstärkt. Jede Gegenmaßnahme, die wir heute ergreifen, muss dieser Entwicklung Rechnung tragen und umso drastischer ausfallen. Doch unternommen wird nichts. Die menschlichen Klimagasemissionen nehmen noch rascher zu als je zuvor, in erster Linie durch fossile Energien. Es spricht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine weltweite Klimakatastrophe, die das Überleben der Menschheit fraglich erscheinen lässt. Die Möglichkeit einer Klimakatastrophe, eines Zusammenbruchs der weltweiten Infrastruktur und eines Versiegens von Fossilenergien wird verdrängt. Vorkehrungen für diesen Fall werden nicht getroffen, weder intellektuell noch geistig oder gar faktisch.

2712 Schild There's no Planet B / Foto: Nicola / stock.adobe.com

Klimawandel außer Kontrolle

Der Klimawandel hat schon heute eine Intensität und eine Geschwindigkeit erreicht, die eine Eigendynamik für eine immer weitere Verstärkung geschaffen hat – weitgehend unabhängig von unseren Emissionen.

Wenn die Eisdecken an den Polen abschmelzen, wird die Sonnenstrahlung dort nicht mehr vom Eis ins All zurückreflektiert, sondern erwärmt die Pole zusätzlich. Aus einem Kühlschrank wird eine globale Heizung. Im September 2018 konnte erstmals ein Containerschiff ohne Eisbrecher das Nordpolarmeer durchqueren (siehe ED 2/2019, S. 5). Weitere Kipppunkte des Klimas sind die Tropenwälder und die Meeresströmungen. Wenn die Tropenwälder durch die weltweite Erwärmung sterben, oder wie bisher vom Menschen abgeholzt werden, dann wird sehr viel zusätzliches CO2 freigesetzt und der Klimawandel enorm beschleunigt.

Klimawissenschaft im Irrtum

Die Klimawissenschaft hat das Ausmaß und das Tempo des Klimawandels gravierend unterschätzt. Was vor 20 Jahren noch als Gefahr für das Ende dieses Jahrhunderts als möglich betrachtet wurde, ist inzwischen Tatsache. Die kanadischen Permafrostböden tauten 70 Jahre eher, als das bisher von Wissenschaftlern für möglich gehalten wurde.

Die Irrtümer der Klimawissenschaft erklären sich, so die Harvard-Professorin Naomi Oreskes, einerseits aus dem Zwang zur Einigkeit, aber auch aus einer Furcht, als Panikmacher beschuldigt zu werden und einer generellen Zurückhaltung bei Prognosen.

Besonders deutliches Symbol dieses Irrtums ist der norwegische Saatgut-Tresor. Er wurde im Jahr 2008 in einem vermeintlich absolut sicheren Gebiet gebaut, um im ewigen Eis alle Katastrophen zu überdauern. Das Eis taut nun allerdings wesentlich schneller, als man es selbst im schlimmsten Szenario für möglich gehalten hatte. Der Bunker musste aufwendig vor dem eindringenden Tauwasser seines einstigen Eisschildes gesichert werden.

Regierungen handeln unzureichend

Die menschenverursachten CO2-Emissionen steigen weltweit noch immer weiter an, statt abzunehmen. Obwohl die Gefahr des Klimawandels seit Jahrzehnten bekannt ist, haben die CO2-Emissionen seit Beginn der Weltklimakonferenzen um 50 Prozent zugenommen. Selbst bei einer Umsetzung sämtlicher Zusagen aller Staaten nach dem Paris-Abkommen werden die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 weiter ansteigen.

Rund drei Grad und mehr sind zu erwarten. Das hat eine Untersuchung der nationalen Emissionsminderungspläne ergeben (siehe Grafik). Was das für die Erde für Folgen hat, darüber gibt es im neuen IPCC-Sonderbericht drastische Worte.

2712 Diagramm Auswirkungen globaler Treibhausgasemissionen auf die Erderwärmung / Grafik: newclimate.org

Auch für Deutschland und seine Klimapolitik sieht es nicht viel besser aus. Trotz Kohleausstieg auf dem Papier werden aktuell noch neue Kohlekraftwerke genehmigt (siehe „Datteln 4: Neues Kohlekraftwerk genehmigt“).

Die vielversprechende Solar- und Windindustrie wurde in Deutschland hingegen von der Politik sehenden Auges zerstört (siehe ED 3/2019, S. 5). Auch die aktuellen Ziele der Bundesregierung liegen weit unter dem, was zur Erreichung des weltweiten 1,5-Grad-Ziels notwendig wäre. Noch dramatischer ist die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Emissionen und den notwendigen Minderungen.
bdev.de/wasDEtunMUSS

„Was die Zukunft anbelangt, so haben wir nicht die Aufgabe, sie vorherzusehen, sondern sie zu ermöglichen.“
Antoine de Saint-Exupéry, 1948

Hunger, Armut und Gerechtigkeit

Die Klimafolgen sind schon jetzt zu spüren. Die Lebensmittelernten haben in Europa im vergangenen Jahr durch die Trockenheit um 20 Prozent abgenommen. Vier Fünftel der Emissionen werden verursacht von Ländern, die sich den Folgen des Klimawandels zunächst noch weitgehend entziehen können. Die Entwicklungsländer im Süden sind zuerst betroffen durch Hitze, Überschwemmungen und Trockenheit. Sie tragen nach Schätzungen der Weltbank 70 bis 80 Prozent der Klimafolgeschäden, die sie am wenigsten verursacht haben. Was tun wir, wenn viele hundert Millionen Menschen in ihrer Heimat nicht mehr bleiben können, weil es dort zu heiß zum Überleben ist, die Gebiete überflutet sind oder dort kein Wasser und keine Lebensmittel mehr zur Verfügung stehen?

Weltkrieg gegen Klimawandel

Der australische Klimawissenschaftler David Spratt hält weitere CO2-Emissionen für unverantwortlich: Es stehe kein weiteres „Emissionsbudget“ zur Verfügung, wenn man die weitere Erwärmung mit einer vernünftigen Erfolgsaussicht stoppen will. Spratt fordert eine Mobilisierung der gesamten Gesellschaft, ähnlich wie in einem Krieg: „Wenn wir die Klimakrise nicht lösen, werden alle übrigen Probleme der Gesellschaft irrelevant. Wenn das Schiff sinkt, geht es nur noch ums blanke Überleben. Der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg zeigt, welche Anstrengungen nötig und möglich sind, wenn es um existenzielle Bedrohungen geht. Im Jahr 1942 haben die USA 31 Prozent, Großbritannien 52 Prozent, Deutschland 64 Prozent und Japan 33 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für den Krieg eingesetzt. Es ist die Geschichte von Fähigkeit von Gesellschaften, auf eine überwältigende Gefahr zu reagieren.“

Klimakrieg schon verloren?

Sowohl die Folgen des Klimawandels als auch des Versiegens fossiler Energien werden geleugnet, nicht wahrgenommen, nicht diskutiert. „Obwohl die meisten Menschen die Zukunft des Planeten pessimistisch sehen, geben sie dies meist nicht zu. Was würde passieren, wenn wir, statt einander zu belügen, die Wahrheit zugeben würden“, konstatiert der Schriftsteller Jonathan Franzen und bleibt skeptisch: „Eine totale Kriegserklärung gegenüber dem Klimawandel wäre nur sinnvoll, wenn dieser Krieg zu gewinnen wäre. Hat man einmal akzeptiert, dass dieser Krieg schon verloren ist, dann sind andere Aktionen sinnvoll“.

Tiefenanpassung

Der Nachhaltigkeitsforscher Professor Jem Bendell aus Großbritannien hat das Konzept der „Tiefenanpassung“ (deep adaptation) entwickelt, um sich auf einen Kollaps der Zivilisation einzustellen. Er verabschiedet sich damit von der Hoffnung, das System zu reformieren und Dinge ändern zu können, bevor sich zerstörerische Konsequenzen des Klimawandels einstellen. Er stellt drei Komponenten heraus:

  1. Resilienz (resilience): Die Fähigkeit, sich auf Veränderungen einzustellen, sowohl biologisch als auch psychologisch. Ein halbierter Regenwurm lebt weiter. Wie kommen wir ohne Internet, Banken und Tankstellen aus? Wie behalten wir, was wir wirklich behalten wollen?
  2. Verzicht (relinquishment): Abschied von Werten, Verhaltensweisen und Überzeugungen, die die Situation verschlimmern. Zum Beispiel das Verlassen bedrohter Küstengebiete oder die Vorsorge für das sichere Abschalten der Kernkraftwerke weltweit. Was müssen wir loslassen, um die Situation nicht zu verschlimmern?
  3. Wiederherstellung (restoration): Einstellungen und Ansätze wiederentdecken, die nützlich und in Vergessenheit geraten sind. Zum Beispiel die Renaturierung von Landschaften. Was für Fähigkeiten müssen wir haben, um in einer Welt ohne Strom und Benzin zu überleben? Was können wir wieder zurückbringen, um mit kommenden Schwierigkeiten und Tragödien fertig zu werden?
Die Hoffnung bleibt

Bendell engagiert sich im gewaltfreien Widerstand der „Extinction Rebellion“ und doziert über lokale Währungen. Er plädiert für eine Stärkung und Rückbesinnung auf die wirklich tragenden Werte unserer Gesellschaft. Zum Thema Hoffnung führt Bendell aus: „Dass es zu spät ist, um eine Zerstörung unseres Lebens durch ein Klimachaos zu verhindern, heißt nicht, die Hoffnung aufzugeben. Vielmehr eröffnet dies eine tiefere Agenda: Wie können wir Schmerzen lindern, Wissen bewahren und Bedeutung und Freude an diesem Prozess haben?“ Jeder Einzelne und auch die Gesellschaft insgesamt kann und muss aktiv CO2-Emissionen vermindern. Darüber hinaus müssen wir uns mit den bevorstehenden unausweichlichen Folgen des Klimawandels auseinandersetzen und Strategien dazu entwickeln.

letzte Änderung: 14.02.2020