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Klimaproteste und Zivilgesellschaft

Die Klimakrise ist längst keine abstrakte Bedrohung mehr, sondern hat spürbare Folgen in Deutschland und weltweit. Uns drohen heiße Millionenstädte, überflutete Küstenregionen, katastrophal lange Dürreperioden, Wasserknappheit, Ernteausfälle, riesige Wald- und Buschbrände und als Folge Abermillionen an Klimaflüchtlingen.
Von Aribert Peters

(24. April 2023) Doch trotz der bereits unübersehbaren Folgen des Klimawandels und der düsteren Zukunftsaussichten gibt es immer noch Menschen, die die Augen vor der Realität verschließen und dissonante Informationen abwerten, wie Christian Stöcker vom Spiegel betont: „Mir ist von Tag zu Tag unverständlicher, wie Menschen mit Kindern und Enkeln es schaffen, vor all dem die Augen zu verschließen. Alle kognitiven Abwehrmechanismen müssen dazu gleichzeitig auf Hochtouren laufen: dissonante Information abwerten, Überbringer dissonanter Information abwerten, oft auf aggressive Weise.“

Protest und Gegenprotest

Deshalb ist es umso wichtiger, dass Menschen auf die Straße gehen und sich gegen die Verursacher der Klimakrise und ihre Folgen gemeinsam zur Wehr setzen, wie zum Beispiel die Aktivisten der „Letzten Generation“. Denn wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung betont: „Proteste, Demos, Whistleblowing, Widerstand – nicht Ruhe, sondern Unruhe ist in einer lebendigen Demokratie Bürgerpflicht!“

Doch der Protest wird nicht von allen positiv aufgenommen. Wie Sebastian Leber, Tagesspiegel-Reporter, schreibt, treibt die Disziplin, „sich über Protestformen von Klimaaktivisten zu beschweren, ohne selbst den Arsch hochzukriegen, immer wildere Blüten. Der Wunsch, jede Protestform zu canceln, wirkt zunehmend totalitär. Selbst wenn die Aktivisten künftig bloß noch Schweigeminuten veranstalteten, müssten sie sich -vermutlich den Vorwurf anhören, sie atmeten zu laut.“

2712 Demo Braunkohletagebau / Foto: Ingmar Björn Nolting / laif.de

Klima-Kampf eskaliert: RWE räumt letztes Dorf für Braunkohleabbau – Polizei gegen Aktivisten! Die Polizei startete am 11. Januar 2023 eine Räumung des besetzten Dorfes Lützerath. Doch die Klimaaktivisten gaben nicht auf. Am 14. Januar versammelten sich Tausende von Demonstranten, um gegen die Abbaggerung zu protestieren. Bei der Großdemonstration kam es zu Gewalt, als Demonstranten versuchten, auf das abgesperrte Gelände zu gelangen. Die Polizei spricht von mehr als 70 verletzten Polizisten. Die Aktivisten beschuldigen ihrerseits die Polizei, übermäßige Gewalt anzuwenden. Der RWE-Konzern kündigte zivilrechtliche Schritte gegen die Demonstranten an. Offensichtlich will RWE mit der Opferung von Lützerath nur mehr Braunkohle mit höherem Gewinn verstromen. Der Klima-Kampf geht weiter nach dem Motto „Lützerath lebt“.

Folgen des Klimawandels

Dabei ist Protest notwendiger denn je. Denn selbst wenn es uns gelänge, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie UN-Generalsekretär António Guterres warnt, „wird es immer noch zu einem beträchtlichen Anstieg des Meeresspiegels kommen. Die Folgen all dieser Entwicklungen sind unvorstellbar. Niedrig gelegene Gemeinden und ganze Länder könnten für immer verschwinden. Wir würden eine Massenflucht ganzer Bevölkerungen in biblischem Ausmaß erleben. Und wir würden einen immer schärferen Wettbewerb um Süßwasser, Land und andere Ressourcen erleben.“

Trotz all dieser Warnungen gibt es immer noch Menschen, die den Klimawandel als etwas Abstraktes betrachten, das sie nicht direkt betrifft. Dabei betonte der Arzt, Kabarettist und Moderator Eckart von Hirschhausen im Fernsehinterview, dass Klimaschutz zwar Geld kostet, aber „das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist, weiterhin zu wenig zu tun. Diese Priorisierung bedeutet, dass wir vergessen haben, was eigentlich Wohlstand ist: nämlich atmen zu können bei erträglichen Außentemperaturen. Etwas zu essen zu haben, etwas zu trinken zu haben. Frieden statt Kriege um die letzten bewohnbaren Fleckchen Erde. Das sind Überlebensfragen, die kein Markt von alleine regelt. Dem Markt sind Menschen egal. Mir nicht. Die Luft dreckig zu machen ist immer noch gefährlich billig. Wer meint, dass Geld wichtiger ist als Gesundheit, kann ja mal versuchen, beim Luftanhalten sein Geld zu zählen.“

Hannovers OB und „Letzte Generation“ einigen sich

In Hannover haben die Klimaproteste etwas bewirkt: Unter der Leitung des grünen Oberbürgermeisters Belit Onay hat die Stadtverwaltung eine Vereinbarung mit der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ getroffen. In einem Brief an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen (mit Ausnahme der AfD) erklärte Onay seine Unterstützung für Forderungen der Gruppe nach einem Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und einem Tempolimit auf Autobahnen. Der Deal wurde von beiden Seiten als bedeutender Durchbruch in der Klimapolitik gefeiert. In Hannovers Stadtpolitik hat Onay deswegen keinen leichten Stand. Die CDU und FDP warfen ihm vor, sich mit „Kriminellen“ an einen Tisch zu setzen, während die SPD den Vorstoß nicht unterstützt und den Aktivisten Demokratieverachtung vorwirft. „Das ist grotesk und unsachlich“, kommentiert Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung, „was für ein Unsinn.“ Es ist klar, dass Onays Deal mit der „Letzten Generation“ ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz ist. Die Unterstützung des Neun-Euro-Tickets und des Tempolimits auf Autobahnen könnte einen Wandel in der Verkehrspolitik in Hannover einleiten und ein Beispiel für andere Städte sein.

2712 Demobanner Wer ist hier der Klimaterrorist / Foto: Jacques Tilly, Großplastiken, Düsseldorf, www.grossplastiken.de

Dieser Schritt ist umso bemerkenswerter, als es in anderen Städten Deutschlands zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Klimaaktivistinnen und Autofahrern gekommen ist. Seit Monaten haben die Aktivisten in vielen deutschen Städten Hauptverkehrsadern blockiert, um für mehr Klimaschutz zu kämpfen. In Bayern setzte die Justiz sogar Präventivhaft gegen Wiederholungstäter ein und es gab Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Brandenburg. Der Kompromiss zwischen Hannover und der „Letzten Generation“ zeigt jedoch, dass ein Dialog zwischen Aktivisten und Politikern möglich ist, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft dazu da ist. „Die harte Münchner Linie ist nicht nur eine Nervenprobe für Justiz und Polizei. Sie ist, wie man dank Hannover jetzt sieht, auch einfach unklug“, so Ronen Steinke. Es bleibt abzuwarten, ob andere Politiker in Deutschland Onays Beispiel folgen werden und den Dialog mit Klimaaktivisten suchen, wie das in Tübingen und Marburg schon geschehen ist.

letzte Änderung: 14.02.2020