Netzentgelte unter der Lupe
Die Höhe der Netzentgelte und die Schwärzung der veröffentlichten Genehmigungen wurde vom Bund der Energieverbraucher in den letzten Monaten mehrfach kritisiert.
Wir sprachen darüber mit Karsten Bourwieg, dem Vorsitzenden der 8. Beschlusskammer der Bundesnetzagentur.
(17. April 2019)
Frage: Durch die fehlende Veröffentlichung der wichtigen Daten der Entgeltgenehmigung werden diese einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Wir fühlen uns als Verbraucher dadurch entrechtet. Warum werden die Netzentgeltgenehmigungen nicht veröffentlicht?
Antwort: Wir haben vom Gesetzgeber eine Veröffentlichungserlaubnis für sehr viele Zahlen erhalten. Wir sind dem auch nachgekommen und haben viele Daten unternehmensscharf veröffentlicht. Man kann argumentieren, Monopolunternehmen haben keine Geheimnisse. So einfach ist es aber nicht. Es gibt auch Beispiele von Herstellerkartellen, wo zu viel Transparenz schädlich ist. Wenn bekannt ist, wann Transformatoren angeschafft werden müssen, fördert das die Kartellbildung auf den vor- oder nachgelagerten Märkten. Auch ein Netzbetreiber kann schutzbedürftige Daten haben. Das betrifft aus meiner Sicht aber nicht die zentralen Netzkostendaten. Selbst wenn bestimmte Daten ein Geheimnis darstellen, überwiegt hier das öffentliche Interesse. Dazu gibt es auch viele Urteile von Oberlandesgerichten. Leider hat das der BGH jetzt anders entschieden (siehe Netzentgelte noch intransparenter). Daran müssen wir uns als Behörde natürlich halten.
Karsten Bourwieg hat in Freiburg Jura studiert und war in der Bundesnetzagentur zuletzt Referatsleiter für Energierecht und Verbraucherfragen. Seit 2017 leitet er die 8. Beschlusskammer, die für die Genehmigung der Stromnetzentgelte zuständig ist.
Frage: Aber den Verbrauchern wird dadurch die gerichtliche Überprüfung unmöglich gemacht. Die Genehmigungen gehen zu Lasten der Verbraucher, denn die Verbraucher müssen die Netzentgelte zahlen. Wie stehen Sie dazu?
Antwort: Die Genehmigungen schützen die Verbraucher – die Bundesnetzagentur prüft die Kosten im Detail. Und jede unserer Entscheidungen ist gerichtlich überprüfbar. Wir werden ja auch laufend von Netzbetreibern verklagt, den unmittelbar Betroffenen.
Frage: Hier muss ich widersprechen. Denn die Verbraucher bezahlen die Netzentgelte. Aber ausgerechnet diese Betroffenen haben kein Beschwerderecht, weil ihnen die wichtigen Daten vorenthalten werden. Gibt es für Verbraucher eine Möglichkeit, sich am Verfahren der Netzentgeltgenehmigung zu beteiligen?
Antwort: Diese Möglichkeit haben Verbraucherzentralen nach § 66 EnWG. Das wurde aber noch nie genutzt. Wir veröffentlichen, was wir geprüft haben, auch wenn die konkreten Zahlen geschwärzt sind. Daraus ist zu sehen, ob wir die richtigen Fragen gestellt haben. Wir wollen dem Verdacht vorbeugen, wir hätten mit den Versorgern gekungelt. Wir haben vor einem Jahr ein Transparenzpapier veröffentlicht, wo wir die Konflikte dargelegt haben.
Frage: Nun zu einem anderen für Verbraucher wichtigen Thema: Die Höhe der Netzentgelte und die Gewinne der Netzbetreiber. Der Gesetzgeber hat in § 21 EnWG festgelegt, dass die Netzentgelte „angemessen“ sein müssen. Was heißt das nun konkret? Die Umsatzrendite von DAX-Unternehmen liegt zwischen fünf und zehn Prozent. Was für eine Umsatzrendite erachten Sie für Netzbetreiber als angemessen?
Antwort: Ich weiß nicht, ob die Umsatzrendite überhaupt die richtige Größe ist, um festzulegen, was ein Unternehmen verdient. Was wir festlegen, ist die Eigenkapitalrendite, also die Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Wir haben eine eigene Systematik der wirtschaftlichen Erfolgsrechnung entwickelt, die sich von der des Handelsrechts unterscheidet. Wir schauen auf einen risikolosen Zins und machen noch einen Risikoaufschlag. So sind wir auf 6,91 Prozent Verzinsung für Neuanlagen gekommen. Die Netzbetreiber sind dagegen vor Gericht gezogen. Das muss jetzt der BGH entscheiden. Wir müssen sicherstellen, dass genügend Kapital für den Ausbau der Netze zur Verfügung steht. Wir brauchen ein sicheres Netz und wir brauchen zusätzliche Investitionen für die Energiewende.
Für den Bund der Energieverbraucher sprach Dr. Aribert Peters mit Karsten Bourwieg über die vom Verein kritisierten Aspekte hinsichtlich des Verbraucherschutzes bei der Entgeltregulierung.
Frage: Für die Netzbetreiber sind die Eigenkapitalrenditen satt. Sie lagen in den Jahren 2006 bis 2012 für Stromverteilnetze bei durchschnittlich 8 Prozent, für Gasverteilnetze bei 19,7 Prozent. Aber sie liegt für viele Unternehmen auch noch deutlich höher, für andere darunter.
Antwort: In der Tat gab es teilweise sehr hohe Renditen, besonders bei Unternehmen, die nicht investieren. In diesen hohen Renditen waren Sockeleffekte enthalten. Das Anlagevermögen wurde anfangs in der Höhe des Basisjahres für fünf Jahre festgehalten. Wenn die Firmen in den Folgejahren hohe Abschreibungen hatten, dann konnten Gewinne mit Anlagen erzielt werden, die schon abgeschrieben waren und für die nicht in neue Netze investiert wurde. Seit 2016 ist das allerdings nun nicht mehr der Fall. Seither wird das Anlagevermögen jährlich angepasst. Nach Jahrzehnten des Monopols entwickelt und verbessert sich die Regulierung erst allmählich. Wir haben es außerdem mit sehr langfristigen Kapitalbindungen zu tun. Fragen Sie sich mal, was Sie für einen Zins erwarten würden, wenn Sie Ihr Kapital für 40 Jahre binden? Die Regulierung hat eigene Regelungen, nach denen wir das Anlagevermögen kalkulatorisch bewerten müssen.
Frage: Wir halten die Netzentgelte für zu hoch. Der Strom wird für etwa 3 Cent je Kilowattstunde erzeugt und dann über ein bereits vorhandenes und größtenteils bezahltes Netz verteilt. Das soll dann mehr als doppelt so viel kosten wie die Stromerzeugung, nämlich 7 Cent. Das kann keiner verstehen. Als Verbraucher zahlen wir jedes Jahr rund 20 Mrd. Euro an Netzentgelten.
Antwort: Dafür bekommen Sie ja auch eine Menge. Außerdem ist diese Betrachtung nicht zulässig, weil es eine Durchschnittsbetrachtung ist. Dahinter verbergen sich geringere Entgelte im Westen und höhere im Osten. Für die alten Netze im Westen zahlen sie weniger. Denn im Westen ist der Anlagenbestand größtenteils bereits abgeschrieben. Da gab es stark vereinfacht gesprochen kaum noch einen Restwert. In den neuen Bundesländern zahlen Sie die höchsten Netzentgelte. Denn dort wurden die Anlagen nach 1990 größtenteils neu errichtet. Das wird sich in den kommenden Jahren ändern, wenn die neuen Anlagen auch im Osten bezahlt sind.
Frage: Über die Netzentgelte wird nur die jährliche Abschreibung bezahlt?
Antwort: Und der Betrieb des Netzes. Wir hatten bei Beginn der Regulierung das Problem, die schon gemachten Abschreibungen zu ermitteln und rauszurechnen. Denn es ist ein eherner Grundsatz, dass die Kunden die Netze nicht zweimal bezahlen. Diesen Grundsatz hat die Behörde konsequent durchgesetzt. In der ersten Regulierungsperiode haben wir die Sachanlagen nur insoweit berücksichtigt, als sie noch nicht abgeschrieben waren. Derzeit wird wieder enorm in Netze investiert. Das wird die Netzentgelte nach oben treiben. Wir haben unlängst Kapitalkostenaufschläge für Investitionen in Netze genehmigt: 900 Mio. Euro allein für dieses Jahr. Dahinter stehen geplante Investitionen von 10 Mrd. Euro in den kommenden drei Jahren bei allen Netzbetreibern. Und wir werden prüfen, ob tatsächlich in dieser Höhe investiert wird.
Frage: Aber die Netzentgeltbefreiungen für viele Stromgroßverbraucher bedeuten eine Entsolidarisierung und belasten Haushaltskunden zusätzlich.
Antwort: Wir müssen auch die Leistungsfähigkeit unserer Industrie im Auge behalten. Wir wollen ja die Energiewende als Industrieland schaffen. Aber bei den Netzentgeltbefreiungen wird ein Abnahmeverhalten prämiert, das dem Netzbetreiber mittlerweile gar nicht mehr nützt. Eine Bandlast hat in einer volatilen Welt nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher. Deshalb sagen wir seit längerem, an diese Netzentgeltbefreiungen nach § 19 StromNEV müssen wir ran, das muss geändert werden. Da geht es nicht ums Abschaffen, sondern um eine Modifizierung.
Frage: Aber selbst Campingplätze und Sparkassen bekommen Netzentgeltermäßigungen?
Antwort: Das haben wir seit 2013 schon stark eingedämmt, sind aber an die gesetzlichen Regeln gebunden. Und Besitzstände, die einmal da sind, werden wir nie wieder los.
Warum veröffentlichen Sie nicht einfach die Umsatzrenditen der Netzbetreiber?
Diese Zahlen werden nach § 6b EnWG für alle Spartenunternehmen und für jede Netzsparte jährlich veröffentlicht und können im Handelsregister beziehungsweise unter www.unternehmensregister.de von jedermann kostenlos eingesehen werden. Es ist vieles öffentlich zugänglich, aber nur wenige wissen davon.
Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Umfassende Einführung zur Netzentgeltberechnung und dem Genehmigungsverfahren: bdev.de/entgeltgw