Rechtsprechung: Bewegung beim Preisprotest
Von Leonora Holling
(28. April 2019) In den letzten Jahren ist es um Gerichtsverfahren wegen gekürzter Entgelte in der Grundversorgung bei Strom und Gas ruhig geworden. Dies überrascht nicht, da die Gerichte bis zum Jahr 2016 viele der laufenden Gerichtsverfahren mit Forderungen aus den Abrechnungszeiträumen 2007 bis 2012 erledigt hatten. Zuletzt hatten Verbraucher dabei mit ihrem Preisprotest nicht mehr durchdringen können.
Hintergrund der häufig negativen Urteile war eine zuvor ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes zur Berechtigung des Grundversorgers bezüglich Preiserhöhungen. Der BGH hatte mit Urteil vom 28. Oktober 2015 (Az. VIII ZR 158/11) entschieden, dass § 4 Abs. 1 und 2 der Allgemeinen Versorgungsbedingungen beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Grundversorgungsverordnung mit Europarecht unvereinbar und damit unwirksam sind. Gleichzeitig meinte der Bundesgerichtshof aber auch, dass dem Versorger im Prozess durch eine ergänzende Vertragsauslegung ein Erhöhungsrecht zuzusprechen sei. Im laufenden Gerichtsverfahren müsse der Versorger deshalb nur gestiegene Kosten plausibel nachweisen. Im Ergebnis wurden daraufhin Preiserhöhungen in der Grundversorgung regelmäßig durch die Gerichte bestätigt.
Jüngst erteilte jedoch das Amtsgericht Lingen mit Beschluss vom 21. Juni 2018 dieser verbraucherunfreundlichen Auffassung eine Absage (Az. 4 C 1/18). Das Amtsgericht bezweifelte, dass die ergänzende Vertragsauslegung des Bundesgerichtshofes seinerseits europarechtskonform ist und hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Eine Entscheidung des EuGH steht aus.
In dieser Situation scheinen sich nunmehr viele Versorger daran zu erinnern, dass eine erhebliche Anzahl von Gerichtsverfahren noch läuft und nur ausgesetzt ist. Diese Verfahren werden erst weiter betrieben, wenn eine der Parteien dies beantragt. Wegen den sich an die Entscheidung des BGH damals anschließenden Verfassungsbeschwerden waren diese ruhenden Verfahren wohl in Vergessenheit geraten.
Versorger gehen nunmehr seit einigen Monaten vermehrt dazu über, Verbraucher wegen einer vergleichsweisen Erledigung dieser Verfahren zu kontaktieren. Möglicherweise befürchten Versorger eine negative Entscheidung des EuGH. Die Idee der ergänzenden Vertragsauslegung des Bundesgerichtshofes könnte dann bald nicht mehr durch die Gerichte anwendbar sein. Verbraucher können also wieder hoffen! Eine Prognose, wie der EuGH urteilen wird, ist dennoch schwierig. Aus diesem Grund sind die durch die Versorger jetzt angebotenen Vergleichsquoten für die betroffenen Verbraucher teilweise durchaus interessant. Zumal darin häufig auf etwaige Zinsen für viele Jahre verzichtet wird.
Wer als Verbraucher noch ein „schlummerndes“ Gerichtsverfahren in seinen Akten hat, sollte deshalb jetzt Rechtsrat einholen, ob ein Vergleich in Betracht kommt.