Kein CO2 mehr aus Deutschlands Häusern
Deutschland will und muss spätestens bis 2045 klimaneutral sein, ebenso die EU. Der Gebäudesektor ist hierzulande größter Energieverbraucher und für 40 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wie kann hier die Energiewende gelingen? Wie den Widerständen der fossilen Energieträgerlobby begegnet werden?
Von Aribert Peters
(16. Oktober 2023) Die 2020er- und 2030er-Jahre müssen Jahrzehnte der Gebäudemodernisierung in Deutschland sein. Gut gedämmte Häuser brauchen gar keine Heizung mehr. Tausende von Passivhäusern – 2.400 neue Passivhäuser allein im Jahr 2022 – haben das längst bewiesen.
Bessere Wärmedämmung und erneuerbare Energien machen auch Bestandsgebäude klimaneutral.
Besonders wenig Emissionsminderungen gab es in den vergangenen Jahren im Gebäudebereich und im Verkehr. Wie sieht eine Welt ohne Heizungen aus, in der die Häuser trotzdem warm sind, und man ohne Stau, Lärm und Abgase zum Zielort kommt und durch grüne lebenswerte Ortschaften fährt? Jeder ist hier unmittelbar betroffen und trägt dazu bei, eine für ihn passende Lösung zur Emissionsminderung zu finden. Die Regierung setzt den Rahmen für gemeinsames Handeln durch Gestalten der Märkte, durch Förderung und schlussendlich auch durch Verbote.
Drei Elemente der Wärmewende
Um zu klimaneutralen Gebäuden zu kommen, braucht man nach übereinstimmender Expertenmeinung drei Zutaten: Verbesserung der Gebäudedämmung, Abschied von fossilen Heizungen und Wärmenetze, die eine gemeinsame Nutzung von Umweltwärme erleichtern. Stellt man es geschickt an, dann profitieren sowohl Umwelt, Klima als auch Verbraucher. Eine überzeugende Wärmewende könnte sogar weitgehend ohne Verbote auskommen.
Es gibt eine Reihe von klugen Vorschlägen, wie durch Förderung und Forderung ein schneller Abschied von fossilem Heizen gelingen kann. Eine Studie des Wuppertal Instituts aus dem Jahr 2022 schlägt einen Sechs-Punkte-Plan vor, um bis 2035 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu verwirklichen. Das würde einem 1,5-Grad-Minderungspfad gemäß dem Paris-Abkommen entsprechen, laut Studie 11,5 Milliarden Euro an Kosten einsparen und rund 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Der Zeitfaktor
Weil Häuser, Heizungen sowie Straßen und Schienennetze über viele Jahre entstehen, gehen Veränderungen nur langsam vonstatten, brauchen Jahrzehnte. Man denke nur an die Sanierungsrate: 1 Prozent aller Häuser wird jährlich saniert. Und eine Heizung wird 20 bis 30 Jahre lang betrieben. Deshalb müssen Änderungen sehr schnell in die Wege geleitet werden. Denn es vergehen viele Jahre, bis die Emissionen dadurch vermindert werden.
Verbesserte Wärmedämmung
Das Sofortprogramm für den Gebäudesektor des Bundeswirtschafts- und Bundesbauministeriums vom 13.7.2022 bringt es auf den Punkt, leider sind dementsprechende Gesetzgebungen ausgeblieben: „Es ist dringend geboten, den existierenden Wärmebedarf durch Energieeffizienzinvestitionen drastisch und schnell zu senken. Der verbleibende Bedarf muss möglichst effizient vor allem durch erneuerbare Energien und Abwärme gedeckt werden. Die Senkung des Wärmebedarfs verringert nicht nur die Kosten für die Verbraucher, sondern ist ein wesentlicher Beitrag zu mehr Komfort, Resilienz sowie Versorgungssicherheit und ermöglicht den Einsatz von Wärmepumpen und Niedertemperatur-Wärmenetzen.“
Der Energieexperte Klaus Michael schrieb 2019 über das Gebäudeenergiegesetz (GEG): „2019 wurde ein GEG verabschiedet, das jahrealte Standards aus EnEV, EnEG sowie EEWärmeG in ein neues Gesetz zementiert und damit falsche Planungssicherheit suggeriert. Es wird absehbar in der nächsten Legislaturperiode von einer klimapolitisch glaubwürdigeren Regierung direkt wieder gekippt. Statt über eine Zementierung des Status quo mit dem GEG sollten wir uns besser Gedanken darüber machen, wie auch im Bestand ein sinnvoller Zwang zur Sanierung besonders schlecht gedämmter und ineffizienter Altbauten sozialverträglich auf den Weg gebracht werden kann.“ Der § 9 des geltenden GEG schreibt vor, dass die Vorgaben für die Effizienz von Gebäuden im Jahr 2023 überprüft und gegebenenfalls erneuert werden.
Höhere Dämmstandards der EU
Die EU berät derzeit über eine Verschärfung der Gebäuderichtlinie EPDB. Ab 2030 müssen alle Neubauten emissionsfrei sein, für alle neuen öffentlichen Gebäude soll das bereits ab 2027 gelten. Auch bei Sanierungen werden neue Mindeststandards für die Energieeffizienz auf EU-Ebene vorgeschlagen, die vorschreiben, dass die leistungsschwächsten 15 % des Gebäudebestands jedes Mitgliedstaats von der Klasse G des Energieausweises auf mindestens die Klasse F hochgestuft werden.
Auch in Deutschland ergeben sich durch die Einführung von Mindeststandards in Verbindung mit einem Förderanspruch deutliche Einsparpotenziale. Dadurch steigt die Akzeptanz von Sanierungen und Eigentümer und Mieter werden finanziell weniger stark belastet.
Wärmedämmung in Europa
In einigen Staaten Europas gibt es Regelungen, um die Gebäudesanierung zu beschleunigen und zu intensivieren. Die Gebäudeeffizienzklassen sind länderweise unterschiedlich festgelegt.
- In England und Wales gibt es seit 2015 ein Vermietungsverbot für private Mietwohnungen mit einer Effizienz schlechter als Klasse E.
- Neu vermietete Wohnungen in Schottland müssen seit 2020 eine Effizienz von E und seit 2022 von D vorweisen. Ab 2025 gilt das für alle Wohnungen.
- In Frankreich gibt es eine Sanierungspflicht bis 2028 für alle Gebäude mit einer schlechteren Effizienz als E.
- In den Niederlanden müssen alle Bürogebäude bis 2023 die Klasse C erreichen. Die Förderung der Wärmedämmung muss den verschärften Anforderungen gerecht werden und sie sozial abfedern.
Regierung will Heizungsmodernisierung
Wie das bei den Heizungen aussieht, darauf haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag geeinigt. Danach soll jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 % erneuerbarer Energien betrieben werden. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat die Koalition bereits am 23. März 2022 entschieden, dass diese Vorgabe möglichst bereits ab dem 1. Januar 2024 für jeden Heizungsaustausch in neuen oder bestehenden Gebäuden gelten soll. Das vermindert die Abhängigkeit von Gasimporten und trägt zum Klimaschutz bei.
Die inszenierte Empörungswelle
Nachdem das Bundeskabinett sich über die Details eines entsprechenden Gesetzes geeinigt hatte, mit einem Vorbehalt der FDP, ging das Gesetz nicht wie üblich an den Gesetzgeber zur Klärung offener Fragen. Sondern es begann – auch entfacht durch die Medien – ein Sturm der Entrüstung im Land bis zum letzten Stammtisch. Die Empörung fokussierte sich auf den grünen Wirtschaftsminister Habeck, obwohl alle Regierungsparteien sich auf dieses Vorhaben geeinigt hatten und sogar auf einen konkreten Gesetzentwurf dazu. Als der Gesetzentwurf dann schließlich in den Bundestag ging, wurde er nicht mehr vor der Sommerpause beschlossen, sondern entsprechend einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer ausführlicheren Diskussion ins Parlament zurückverwiesen. Insofern lässt sich derzeit nicht sagen, was der Bundestag im Herbst beschließen wird.
Es lohnt sich jedoch, sich den Entrüstungssturm und seine Hintergründe genauer anzusehen. Weil dies zeigt, in welchem Ausmaß wirtschaftliche Interessen die öffentliche Diskussion und die Gesetzgebung bestimmen.
Die Gaslobby und ihr Wirken
Wenn Haushalte kein Gas und Öl mehr verbrennen, dann sinken die Emissionen in Deutschland um rund 15 %. Das ist notwendig und für den Klimaschutz unumgänglich. Und der Gaswirtschaft entgehen damit Einnahmen in Milliardenhöhe. Versorger können derzeit Gas für 3 ct/kWh an der Börse einkaufen und verkaufen es an Verbraucher in der Grundversorgung im Schnitt für 15 ct/kWh, so eine Recherche des Vergleichsportals Verivox im März 2023. Die Marge von 12 ct/kWh x 278 TWh Gas summiert sich auf 33 Milliarden Euro jährlich. Enthalten sind die Netzentgelte für Gas, die den Gasnetzbetreibern und Kommunen zugutekommen. Die Freunde und Profiteure des Gasverbrauchs sind also politisch breit aufgestellt über alle politischen Ebenen hinweg.
Es liegt nahe, dass die Empörung über „Habecks Heizungshammer“ von der Gaswirtschaft und ihrem Netzwerk vom Zaun gebrochen wurde. Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW spricht von „einer Medienkampagne, auch lanciert von der Gaswirtschaft, die Interesse hatte, das irgendwie so darzustellen, als wenn Robert Habeck jetzt persönlich in jeden Keller rennt und die Heizung rausreißt“.
Mehr Abstand zu fossilen Geschäftsinteressen
Wie eng die Gaslobby mit der Politik verflochten ist, hat eine Studie von Lobby Control im März 2023 aufgedeckt, noch bevor das GEG auf den Tisch kam: „Pipelines in die Politik – Die Macht der Gaslobby in Deutschland“. Die Studie zeigt die engen Verflechtungen der Gaslobby mit der Politik auf, die über Jahrzehnte die Abhängigkeit von Gas ausgebaut und verharmlost hat. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nur ein Beispiel von vielen. Die Untersuchung kommt zu folgendem Schluss: „Ob sich alte Gaslobby-Netzwerke am Ende durchsetzen oder ein Ausstieg aus dem fossilen Energieträger gelingt, hängt nicht allein von der neuen Bundesregierung ab – sondern auch davon, welche gesellschaftlichen Akteure sich in der Debatte Gehör verschaffen können. Dazu braucht es eine Neuausrichtung der Beziehungen zwischen der Bundesregierung und der Gaslobby: Notwendig ist mehr Abstand zu fossilen Geschäftsinteressen, mehr Ausgewogenheit in der Beteiligung verschiedener Interessengruppen sowie mehr Transparenz über politische Entscheidungsprozesse.“
Kostengrab Gas- und Ölheizung
Kemfert weiter: „Was wirklich ein Problem ist, dass immer noch fossile Heizungen im Bestand erlaubt sind und das auch für diverse Jahre. Und die 65-Prozent-Erneuerbaren-Vorgabe soll aktuell nur für Neubauten in Neubaugebieten gelten. Damit ist es wirklich sehr, sehr schwer, die Klimaneutralitätsziele im Gebäudesektor erreichen zu können.“ Schlimmstenfalls liefen die Gasheizungen bis 2045 rein fossil weiter. Nach Ansicht der DIW-Ökonomin trägt das Gesetz die Handschrift der Gaswirtschaft. „Die Gaswirtschaft hat viel Flexibilität bekommen und lobt das Gesetz ja auch.“
Aber: Für Verbraucherinnen und Verbraucher mit Gasheizung werde es in den kommenden Jahren „irrsinnig teuer“, erklärt Kemfert: „Was jetzt passieren wird – und das sagt die FDP ja sehr deutlich – ist, dass man über den CO2-Preis versuchen wird, die Klimaneutralität zu erreichen. Der CO2-Preis wird deutlich nach oben gehen. Die fossile Heizung, die jetzt noch eingebaut wird, wird wirklich zum Kostengrab bis 2045.“
Auch wenn das neue Gesetz die Gasheizungen praktisch weiter zulässt, liegt es doch im Eigeninteresse der Verbraucherinnen und Verbraucher, sich rasch vom fossilen Heizen zu verabschieden. Die Preise für Wärmepumpen werden künftig deutlich fallen, die Kosten für Gas und Öl stark steigen. Eine Studie der Agora Energiewende rechnet mit einem Anstieg der Gasnetzentgelte um den Faktor 16!
Fazit für Verbraucher
Aus Gründen des Klimaschutzes verbietet sich der Neueinbau von Gasheizungen. „Aber auch wirtschaftlich muss man von einer fossilen Gas- oder Ölheizung abraten. Wegen wachsender CO2-Steuern und des Ausbleibens von billigem russischem Gas und Öl ist weiterhin mit sehr hohen Energiepreisen zu rechnen“, so der Energieexperte Michael Brieden-Segler. Erneuerbare Energien wie elektrischer Strom durch PV-Anlagen hingegen senken den Preis für den Einsatz von Wärmepumpen. Hinzu kommen üppige Förderquoten durch den Staat für erneuerbare Heizungen, die für fossile Wärmeerzeuger wegfallen.
- Wuppertal Institut, „Heizen ohne Öl und Gas bis 2035“
- Sofortprogramm für erneuerbare Wärme und effiziente Gebäude
- Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft: „Was Erdgas wirklich kostet: Roadmap für den fossilen Gasausstieg im Wärmesektor“
- Regulatory Assistance Project: „Energetische Mindeststandards für den Gebäudebestand“
- Faktencheck Mindesteffizienz
- Bezahlte Kampagne der Gaslobby gegen Wärmepumpen in Großbritannien
- Claudia Kemfert und die Gaslobby
- Lobby Control: „Pipelines in die Politik“
- Agora-Studie zu Gasnetzentgelten