Strom gemeinsam erzeugen und verbrauchen!

In Deutschland ist es nahezu unmöglich, dass sich Bürger zu einer Energiegemeinschaft zusammenschließen, um gemeinsam Energie zu erzeugen und zu verbrauchen. Obwohl eine EU-Richtlinie dies ausdrücklich vorschreibt: Das sogenannte Energy Sharing gibt es in Deutschland noch nicht. Höchste Zeit, das nachzuholen, um die Erneuerbaren voranzubringen.
Von Aribert Peters

(24. Juli 2023)  Die EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien (RED II) hat im Jahr 2018 einen neuen Begriff und damit eine neue Wirklichkeit geschaffen. In sogenannten Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (Renewable Energy Communities, REC) können Bürgerinnen und Bürger Energie gemeinschaftlich erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen. Es handelt sich um ein neues gesellschaftliches Modell, eine neue Organisationsform am Strommarkt, dezentral, regional, selbstorganisiert, selbstverwaltet – das Gegenmodell zu Stromkonzernen. Diese Gemeinschaften könnten die Energiewende hin zu 100 % Erneuerbaren deutlich beschleunigen. Sie würden das Energiesystem demokratisieren, bürgernäher machen, die lokale Akzeptanz von erneuerbaren Energieanlagen erhöhen und auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen in der Energieversorgung.

  ED 02/2023 Strom gemeinsam erzeugen und verbrauchen! (S. 22-24)  

Beschwerde gegen Deutschland

Die EU-Richtlinie von 2018 verpflichtet die Mitgliedstaaten durch eine ganze Reihe von sehr detaillierten Vorgaben, den Rahmen für solche Gemeinschaften zu schaffen (siehe die beiden Kästen zu RED II Art. 22). Deutschland ist dieser Verpflichtung bisher nicht nachgekommen, wozu es bis 30. Juni 2021 nach EU-Recht verpflichtet war: Wir „feiern“ den zweiten Jahrestag der Nichtumsetzung! (Rechtsgutachten dazu: bdev.de/sharingboos) Selbst erzeugten Solarstrom auch nur quer über die Straße zu liefern, geht hierzulande nicht. Das Bündnis Bürgerenergie hat am 6.8.2021 Beschwerde gegen Deutschland bei der EU-Kommission eingereicht und will, dass die EU durch ein Vertragsverletzungsverfahren Deutschland zur Umsetzung zwingt.

Es gibt eine Reihe von Studien, in denen die Vorteile von Energiegemeinschaften für Bürger und gleichermaßen für die Energiewende aufgezeigt werden (siehe Linkliste). Und es gibt eine Reihe von Konzepten für Energiegemeinschaften in Deutschland: zum Beispiel das zellulare Energiesystem des VDE oder das Kombikraftwerk (Fraunhofer ISE). Beide Ansätze gehen über die reine Stromversorgung hinaus und beziehen auch die Wärmeversorgung mit ein.

  ED 02/2023 Strom gemeinsam erzeugen und verbrauchen! (S. 22-24)  

Im österreichischen Oberpullendorf entsteht gerade eine Bürgerenergiegemeinschaft.

In Österreich existiert eine Koordinierungsstelle für Energiegemeinschaften, die umfangreiche Umsetzungshilfen erarbeitet und frei ins Internet gestellt hat (bdev.de/energiegemeinschaften). Und auch die europäische Dachorganisation von Energiegemeinschaften Rescoop (www.rescoop.eu) setzt sich für die Bürgerbeteiligung am Energiesystem ein.

Deutscher Rechtsrahmen fehlt

Deutschland hat im europaweiten Vergleich mit mehr als 1.700 die höchste Anzahl von Energy Communities, die gemeinschaftlich Energie produzieren. Eine gemeinsame Nutzung ist jedoch noch nicht möglich. Vielmehr ist insbesondere der Verbrauch nicht geregelt und wird sogar behindert. Auch das bestehende Mieterstrommodell ermöglicht keinen kollektiven Eigenverbrauch.

Die Ampelkoalition hat sich dem Thema Energiegemeinschaften bisher verschlossen, obwohl der Koalitionsvertrag einen entsprechenden Passus ausdrücklich enthält (siehe Kasten „Aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung“). Zwar findet sich in Deutschland mit den sogenannten Bürgerenergiegesellschaften (BEG) im EEG eine Definition, wie eine Energiegemeinschaft aussehen kann, nämlich als Betreiber einer Windkraft- oder PV-Anlage (§ 22 EEG). Das EEG schreibt auch einen Bericht der Bundesnetzagentur zur Bürgerenergie im Jahr 2024 vor. Aber, so heißt es in einem aktuellen Positionspapier des Bundesverbands Erneuerbare Energien: „Bisher sind BEG in Deutschland reine Erzeugungsanlagen in Bürger*innenhand. Beteiligte Bürger*innen können also den Strom ihrer Anlagen nicht selbst nutzen und haben daher auch keinen Anreiz, ihren Verbrauch an den gemeinsam betriebenen Anlagen auszurichten. Energy Sharing soll genau das ermöglichen.“

Aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung

„Wir stärken die Bürger-Energie als wichtiges Element für mehr Akzeptanz. Im Rahmen des europarechtlich Möglichen werden wir die  Rahmenbedingungen für die Bürger-Energie verbessern (Energy Sharing, Prüfung eines Fonds, der die Risiken absichert) und insgesamt die De-minimis-Regelungen als Beitrag zum Bürokratieabbau ausschöpfen. … Wir werden im Rahmen der Novellierung des Steuer-, Abgaben- und Umlagensystems die Förderung von Mieterstrom- und Quartierskonzepten vereinfachen und stärken.“

Was jetzt fehlt, ist der weitere Rechtsrahmen. Es fehlt vor allem das Recht der Gemeinschaft, den erzeugten Strom auch gemeinschaftlich zu verbrauchen. Die gerade erfolgte Gleichstellung von virtuellen und physischen Summenzählern – also die fiktive Saldierung von Bezug und Einspeisung über unterschiedliche Stromzähler – räumt wieder einen Stein aus dem Weg für Energiegemeinschaften. Wichtige Impulse sind aus der Diskussionsplattform Klimaneutrales Stromsystem zu erwarten, deren Fortgang im Internet gefolgt werden kann. 

Beispiele für Energiegemeinschaften in Europa

Die Umsetzung von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (REC) erfolgt europaweit unterschiedlich in den einzelnen Staaten. Interessante Aspekte sind unter anderem:

  • Die Möglichkeit eines vereinfachten Anmeldeverfahrens für kleinere REC (Beispiel Spanien).
  • Der Aufbau einer REC auf bestehenden Strukturen und etablierten Modellen wie beispielsweise in Spanien und Frankreich oder  auch das Nutzen von Erfahrungen aus Gemeinschaftsanlagen und Beteiligungsprojekten von Bürgerinnen und Bürgern.
  • Reduzierung der Netzentgelte für REC. In Österreich etwa sind die Netzentgelte für REC, die nur das Niederspannungsnetz nutzen, um 57 % reduziert. 
Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II, Art. 22

Die EU-Richtlinie RED II (2018/2001) räumt den Verbraucherinnen und Verbrauchern neue Rechte ein, die ihnen in Deutschland noch vorenthalten werden. Art. 22 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen schreibt Folgendes vor: 

Mitgliedstaaten ermöglichen Endkunden und Haushalten, sich ohne Diskriminierung an Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (REC) zu beteiligen. Diese Gemeinschaften dürfen erneuerbare Energie erzeugen, nutzen und verkaufen. Mitgliedstaaten prüfen Hindernisse und Potenziale für solche Gemeinschaften und schaffen Regelungen, die deren Entwicklung unterstützen. Diese Regelungen sollen Hindernisse beseitigen, die Zusammenarbeit mit Verteilnetzbetreibern fördern und faire Verfahren für Gemeinschaften gewährleisten. Alle Verbraucher haben Zugang. Mitgliedstaaten berichten über Fortschritte und können grenzüberschreitende Beteiligungen ermöglichen. 

In der Richtlinie werden Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften sinngemäß folgendermaßen definiert:

Eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft ist eine Rechtsperson, die auf der Basis offener und freiwilliger Beteiligung funktioniert, unabhängig ist und unter der Kontrolle von Anteilseignern oder Mitgliedern steht. Diese Anteilseigner oder Mitglieder sind natürliche Personen, lokale Behörden, einschließlich Gemeinden, oder kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sie sind in der Nähe von erneuerbaren Energieprojekten ansässig, für deren Eigentum und Betrieb die Gemeinschaft verantwortlich ist. Das Hauptziel der Gemeinschaft liegt nicht im finanziellen Gewinn, sondern in der Bereitstellung ökologischer, wirtschaftlicher oder sozialer Vorteile für ihre Mitglieder, Anteilseigner oder die lokalen Gebiete, in denen sie tätig ist.

Drei Länderbeispiele

Österreich – Die Gesetze EAG 1 und ElWOG 2 ermöglichen seit Juli 2021 die Gründung von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften. Reduzierte Netzentgelte sind seit November 2021 definiert. Zentraler Ansprechpartner ist der Netzbetreiber. Bis Juni 2022 gab es in Österreich 51 REC und 698 Erzeugungsanlagen.

Italien – Seit März 2020 ermöglicht das „Decreto Milleproroghe“ die Gründung von Energiegemeinschaften. Es gibt zwei unterschiedliche Modelle: „Gemeinschaftsanlagen“, bei denen erneuerbare Energien von Privatpersonen oder Geschäftsleuten im gleichen Gebäude erzeugt und verbraucht werden, und „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“, die Personen, KMU, lokale Behörden und Privatunternehmen umfassen, die sich im selben Niederspannungsnetz befinden. Diese Gemeinschaften zielen auf ökologische, wirtschaftliche und soziale Vorteile ab statt auf rein finanzielle Gewinne.

Die Energiegemeinschaft Ost-Neapel, gegründet 2021, ist die erste ihrer Art in Süditalien. Sie ist ein von Umwelt- und Sozialorganisationen unterstütztes Projekt, das erneuerbare Energie durch 166 Solarmodule erzeugt. Mitglieder sind eine soziale Einrichtung und 20 hilfsbedürftige Familien. Das Projekt verbindet ökologische und soziale Belange, indem es Bildung zu Energiefragen bietet und eine erhebliche Kosteneinsparung über 25 Jahre erzielt.

Spanien – Das „Cell Model“ ist ein Konzept für Energiegenossenschaften, die die Energienachfrage ihrer Mitglieder durch den kollektiven Eigenverbrauch erfüllen. Es besteht aus kleinen Einheiten oder „Zellen“, die nicht mehr als 500 Meter auseinander liegen und bis zu 100 kW Leistung haben. Nutzer können ans Nieder- oder Mittelspannungsnetz angeschlossen sein. Die Energiegemeinschaft Llíria, betrieben von Spaniens Energía und der Stadt Llíria, ist ein Beispiel dafür. Sie nutzt eine 39-kW-Photovoltaikanlage, um Energie für 40 bis 50 Nutzer in der Gemeinde zu teilen, wodurch die Stromkosten um 20 bis 30 % reduziert werden. 

  ED 02/2023 Strom gemeinsam erzeugen und verbrauchen! (S. 22-24)  

Hilft der Umwelt und dem Geldbeutel: Die Energiegemeinschaft Llíria, betrieben von Spaniens Energía und der Stadt Llíria, nutzt eine 39-kW-Photovoltaikanlage und reduziert damit die Stromkosten um 20 bis 30 %.

Regelwerk der RED II zur Unterstützung von REC

Art. 22 Abs. 4: Die EU-Staaten erstellen ein Regelwerk, das die Entwicklung von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (REC) sichert und unterstützt: Das Regelwerk soll Folgendes sicherstellen:

  1. Es beseitigt ungerechtfertigte rechtliche und administrative Hürden für solche Gemeinschaften.
  2. Es stellt sicher, dass die Gemeinschaften, wenn sie Energie liefern oder Energiedienstleistungen anbieten, den dafür geltenden Vorschriften unterliegen.
  3. Es stellt sicher, dass der lokale Stromnetzbetreiber mit den Gemeinschaften zusammenarbeitet, um die Energieübertragung innerhalb der Gemeinschaften zu erleichtern.
  4. Es garantiert faire, angemessene und transparente Prozesse für die Registrierung und Genehmigung der Gemeinschaften und sorgt dafür, dass die Kosten, Gebühren und Steuern in Bezug auf das Netz auf einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Kosten-Nutzen-Analyse basieren.
  5. Es sorgt dafür, dass die Gemeinschaften nicht benachteiligt werden als Produzenten, Versorger oder sonstige Marktteilnehmer.
  6. Es ermöglicht allen Verbrauchern, einschließlich denen aus einkommensschwachen Haushalten, sich an den Gemeinschaften zu beteiligen.
  7. Es stellt Werkzeuge bereit, die den Zugang zu Finanzmitteln und Informationen erleichtern.
  8. Es unterstützt öffentliche Stellen bei der Gründung solcher Gemeinschaften und bei der Regelung der Beteiligung daran.
  9. Es stellt sicher, dass alle Verbraucher, die sich an den Gemeinschaften beteiligen, gleich und ohne Diskriminierung behandelt werden.

letzte Änderung: 25.06.2013