ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Verschwenden, aber richtig!

Ein radikal neues Umweltverständnis verdanken wir Professor Michael Braungart von der Erasmus-Universität in Rotterdam: Wir müssen mit der Umwelt nicht sparsamer, sondern intelligenter umgehen. Sein Denken ist eine Synthese von europäischer Gründlichkeit, östlichem Kreislaufdenken, südlicher Lebensfreude und amerikanischem Pragmatismus. Für die einen klingt das nach Scharlatanerie - und für die anderen nobelpreisverdächtig.

(7. Januar 2010) Professor Michael Braungarts Thesen provozieren, denn sie stehen in radikalem Gegensatz zum üblichen Denken. Bei seinem Vortrag im vollbesetzten Hörsaal am 21. Oktober 2009 im sächsischen Freiberg kritisieren die Professoren das Konzept. Arnold Schwarzenegger dagegen schätzt Braungart als Berater und will Kalifornien nach seinen Plänen umgestalten, Hollywoodregisseur Steven Spielberg war so begeistert, dass er Millionen Dollar spendete und einen Dokumentarfilm über Braungart drehen wird. Dabei gibt sich Braungart nicht als Übermensch und bekennt: Ich treibe keinen Sport und kaue im Stau an meinen Fingernägeln.

2583 Titelbild Blüten / Foto: Helen Chen
Vom falschen Erfolg

Braungart unterscheidet zwischen Effektivität und Effizienz und veranschaulicht das mit einem einfachen Beispiel: Wer eine neue Leiter baut, um schneller zu seiner Geliebten zu kommen, erhöht seine Effektivität. Wenn er oben vor der falschen Frau steht, dann hat er jedoch sein Ziel verfehlt. Das heißt konkret: Wenn ein System zerstörerisch ist, sollte man es nicht effizienter gestalten, sondern völlig umkrempeln. Es geht nicht darum, die Dinge richtig zu machen, sondern die richtigen Dinge zu machen. Denn wenn die Richtung eines Wandels nicht stimmt, ist jeder Erfolg letztlich eine Niederlage: Die Welt wird dadurch nicht besser, sondern schlechter.

Überfluss ist nützlich, sicher und schön. Positives Denken setzt Kräfte frei

Laut Braungart ist es nicht eine zu große Zahl von Menschen auf der Erde, die zu Umweltproblemen führt. Es ist auch nicht der Luxus, den wir uns gegenwärtig leisten. Sondern es ist unsere dumme Art, mit der Umwelt umzugehen, die nicht zukunftsfähig ist. Menschen sind von Natur aus keine Schädlinge, sondern Nützlinge - wenn sie es wollen. Wie man von einem Schädling zum Nützling wird, kann man von Braungart lernen: Man muss alles, was man nutzt, zurück in die Kreisläufe von Natur und Technik geben. Die Energie der Sonne versetzt uns dazu in die Lage.

Nützlicher Überfluss

Ein Beispiel aus der Natur: Ein Kirschbaum bringt im Frühling Tausende von Blüten hervor, die sich später auflösen und den Boden düngen. Kein Sparen, kein Verzichten, kein Vermeiden, kein Reduzieren, kein Schuldenmanagement: Der Überfluss ist keine Verschwendung, sondern nützlich, sicher und überdies noch schön.

Oder Ameisen: Alle Ameisen dieser Welt bringen mehr Biomasse auf die Waage als alle Menschen zusammen. Und sie haben einen viel höheren Energieumsatz. Dennoch sind sie kein ökologisches Problem, sondern im Gegenteil extrem nützlich für andere Lebewesen. Denn Ameisen geben alles Material, das sie benötigen, wieder in den Naturkreislauf zurück.

So muss es auch der Mensch machen, um vom Schädling zum Nützling zu werden: Wir müssen der Umwelt nicht weniger zurückgeben als bisher. Sondern das, was wir zurückgeben, muss ihr nutzen, statt ihr zu schaden. Es geht nicht darum, einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, sondern einen großen - aber einen erfreulichen, der auch anderen Lebewesen hilft. Braungarts Ökoeffektivität steht damit im Gegensatz zur klassischen Ökoeffizienz, wonach wir weniger Energie und Stoffe verbrauchen und am Konsum knapsen sollten. Michael Braungart sieht das äußerst polemisch: „Wir sitzen auf der Titanic, löffeln das Wasser mit dem Esslöffel statt mit dem Teelöffel und sagen, es gehe in die richtige Richtung."

Vom Schädling zum Nützling

Das Zauberwort heißt intelligente Produktgestaltung: Jedes Produkt muss so beschaffen sein, dass es bei seiner Herstellung, während seiner Verwendung und nach seiner Verwendung der Umwelt nützt und nicht schadet. Dadurch kann der Mensch vom Schädling zum Nützling werden: Er verschmutzt nicht die Umwelt, sondern er säubert sie wie eine Ameise. Dafür hat sich die Bezeichnung „Cradle to Cradle" (von der Wiege bis zur Wiege), kurz C2C, eingebürgert.

Das ist keine graue Theorie. Es gibt bereits über 600 C2C -Produkte. Für die Unternehmen ist C2C ein Erfolgsrezept, denn derartig hergestellte Produkte belasten die Umwelt nicht, sondern verbessern sie. Jeder kauft sie deshalb gerne, auch wenn sie möglicherweise teurer sind. Braungarts Credo: Wir können alles neu erfinden.

Es gibt bereits ganze Regionen, die sich nach dem C2C-Prinzip umstrukturieren wollen. So gibt es in China und Indien bereits eine Eiscremeverpackung, die bei Raumtemperatur flüssig ist. Im gefrorenen Zustand ist es eine Folie. Weil das Produkt Samen von seltenen Pflanzen enthält, trägt das Wegwerfen zur Artenvielfalt bei. Oder neue Bezugsstoffe für die Sitze im Airbus, die so unschädlich sind, dass man sie sogar essen könnte.

Kreisläufe

Michael Braungart unterscheidet natürliche und technische Rohstoffe. Technische Rohstoffe werden nicht verbraucht, sondern nur genutzt.

Produkte werden in zwei geschlossenen Kreisläufen so intelligent hergestellt, dass sie komplett wiederverwendbar sind. So können sie schadstofffrei in die Natur zurückkehren oder als Rohstoff neu genutzt werden.

  1. Biologischer Kreislauf: für Verbrauchsgüter, das sind Produkte wie Wasch- oder Spülmittel, die komplett aufgebraucht werden.
  2. Technischer Kreislauf: für Gebrauchsgüter, die gebraucht, aber nicht aufgebraucht oder verbraucht werden (z. B. Autos).

Braungarts Theorie bricht radikal mit dem bisherigen Umweltschutzprinzipien, die auf Minimierung und Verzicht ausgelegt sind. Denn letztlich führt das alte Denken zu der Schlussfolgerung: Es wäre besser, wenn es uns gar nicht gäbe, weil wir Schädlinge sind. Jedes Kind, was nicht geboren wird, wäre demnach praktizierter Umweltschutz - genauso wie jeder, der aufhört zu leben. So richtig dies derzeit auch noch sein mag, so ist es doch kein Naturgesetz. Sondern es lässt sich ändern. Diesen Wandel rasch zu vollziehen, ist überlebenswichtig.

Als wäre dies nicht revolutionär genug, geht Braungart noch zwei Schritte weiter: Nach seiner Ansicht entstehen Kreativität und Kraft nicht durch Verzicht, sondern durch Lust und Spaß. Auch deshalb greift Umweltschutz bisher zu kurz. Und für Braungart sind auch Gerechtigkeit und Menschwürde unabdingbare Voraussetzungen fürs Überleben.

Abschied vom Abfall

Müll war einmal: Für Braungart gibt es keine Abfälle mehr. Alle Stoffe müssen in die Kreisläufe zurückgeführt werden - aber nicht mit einem höheren Verschmutzungsgrad, wie unser derzeitiges „Recycling" es darstellt. Sondern in einem „Upcycling". Dabei hat Braungart vor seinem eigenen Buch nicht halt gemacht:

Sein Buch „Cradle to Cradle" hat er in der amerikanischen Originalausgabe auf synthetischem Papier drucken lassen. Das fühlt sich gut an - wenn auch etwas schwer. Dafür kann man es reuelos in der Badewanne lesen. Und die Farben lassen sich abwaschen und das Buch mit neuen Inhalten bedrucken. Um den innovativen Druck zu finanzieren, hat Braungart auf die Hälfte seines Buchhonorars verzichtet. Eigentlich eignet sich dieses Konzept besser für Zeitungen, denn deren Leser sind nur am Inhalt interessiert, nicht am Papier. Deshalb könnte der Zeitungsbote beim Austragen gleich die Zeitung vom Vortag mitnehmen. Über ein Pfandsystem würden sich auch die Zeitungskioske über jede Rückgabe freuen.

Bücher
  • Einfach intelligent produzieren. Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können | Michael Braungart, William McDonough | Berliner Taschenbuch Verlags GmbH | 2008 |
    ISBN 978-3-8333-0183-4 | Preis 10,90 Euro
  • Die nächste industrielle Revolution. Die Cradle to Cradle-Community | Michael Braungart, William McDonough (Hrsg.) | Europäische Verlagsanstalt | ISBN 978-3-434-50616-4 | Preis 25 Euro

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Prof. Dr. Michael Braungart: Der Chemiker Prof. Dr. Michael Braungart (49), in Schwäbisch-Gmünd geboren, ist verheiratet mit der grünen Umweltpolitikerin Monika Griefhahn und hat drei Kinder. Braungart hat 1987 das EPEA-Institut in Hamburg gegründet. Er berät zahlreiche große Konzerne bei der Gestaltung von Produkten wie Nike, Ford, Volkswagen und Unilever. EPEA definiert Substanzen, die weiterverwertbar sind und entwickelt Baukästen für Produkte, mit denen Firmen ein C2C-Zertifikat erwerben können. In den USA betreibt er mit seinem Partner und Mitautor, dem Architekten William McDonough, eine Entwicklungsfirma mit 200 Mitarbeitern.

letzte Änderung: 13.07.2010