Klimakrise, Klimaaktivismus und das Dorf Lützerath
Wenn wir die Emissionen nicht in den kommenden sieben Jahren halbieren, könnten wir die Erde auf lange Zeit für Menschen unbewohnbar machen. Wer nichts tut gegen die Klimakrise, macht sich mitschuldig. Die Aktionen von Klimaaktivisten weisen auf den notwendigen und bisher unzureichenden Klimaschutz hin und auf die Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath.
Von Aribert Peters
(13. Januar 2023) Kurz vor der Klimakonferenz COP27 hat Ministerin Baerbock den Kampf gegen Erderwärmung als höchste Priorität bezeichnet. „Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu“, warnte sie. Greta Thunberg sagt: „Die Wahrheit ist, wenn wir die schlimmsten Auswirkungen der Klima- und Ökologiekrise abwenden wollen, können wir uns unsere Vorgehensweise nicht mehr aussuchen - wir müssen alles tun, was wir können“. Damit sind wir bei den Klimaaktivisten der letzten Generation, von XR und Ende Gelände.
Dürfen Aktivisten Straßen und Flughäfen blockieren, Kunstwerke beschädigen? Ist das nicht verboten und muss bestraft werden? Gibt die Klimakrise den Aktivisten das Recht zum zivilen gewaltfreien Ungehorsam? Sind solche Aktionen überhaupt sinnvoll?
Aktivisten respektieren Gesellschaftssystem
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bemüht sich um verbale Abrüstung. Er halte die Klimaaktivisten der Gruppe ,Letzte Generation‘ nicht für extremistisch, sagte Haldenwang dem SWR. Es handele sich um eine ,spezielle Gruppe‘, die auch Straftaten begehe, „aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“. Extremistisch seien Gruppen immer dann, „wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt wird“, führte Haldenwang aus. „Und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht.“ Die ,Letzte Generation‘ sage im Grunde: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun“, sagte Haldenwang weiter. „Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“
Über Blockaden beim Klimaschutz reden
Der Grüne Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich sagt in der Bundestagsdebatte am 2.12.2022: „Mir kann doch keiner erzählen, dass es verhältnismäßig ist, dass man 30 Tage ins Gefängnis gehen soll, weil man sich für zwei Stunden auf der Straße angeklebt hat. Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Denn in Wahrheit ist es doch so, dass unsere Welt nicht durch die Blockaden der Klimabewegung in Brand gerät, sondern durch die Klimakrise. Wir müssen mehr über die Blockaden beim Klimaschutz reden und weniger über die Blockaden auf der Straße. Wer nur noch Nulltoleranz fordert und wer nur noch ruft: „Wegsperren!“, der hat mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts mehr zu tun.“
Protest mit Rückenwind - vom Verfassungsgericht
Der Journalist Ronen Steinke kommentierte am 5.10.2022 in der Süddeutschen Zeitung: „In Deutschland werden neuerdings Menschen als „Verfassungsfeinde“ abgestempelt und überwacht, deren politische Ziele erst vor Kurzem von höchster Stelle, vom Bundesverfassungsgericht gepriesen worden sind. Das ist ein Treppenwitz, aber lustig ist er nicht. Die Richterinnen und Richter sind rhetorisch spröde geblieben, wie es ihres Amtes ist, sie sprachen von „intertemporaler Freiheitssicherung“, aber sie meinten: Klimazerstörung ist Demokratiezerstörung. Deutschland müsse seine Art des Wirtschaftens ändern, und zwar dringend. Sie ließen nur offen, wie. Man kann sich da ja verschiedene Wege vorstellen. Die Aktivisten treten bekanntlich für einen besonders schnellen Weg ein. Das ist eine Protestkultur, die – ein Novum – sozusagen den frischen Rückenwind Karlsruhes hat. Erstaunlich ist dann nur, wie viele Sicherheitsbehörden auf diese legitime politische Position anspringen. Und zwar im Angriffsmodus.“
Übertriebene Gegenwehr bestätigt Erfolg
Ob der Klimaprotest letztlich etwas bewegt? „Bei keiner großen Protestbewegung … wusste man doch vorher, wie es ausgehen wird. Ob es eine kleine Gruppe von Menschen schafft, die große Mehrheit zum Umdenken zu bewegen? Die Kritik am Protest wird unterfüttert, indem man die Dringlichkeit des Themas infrage stellt. Die Klimakrise als Menschheitsproblem? Jetzt habt euch mal nicht so. Der Ärger über blockierte Straßen, verschmutzte Kunstwerke Bilder usw gehört dazu. Gut möglich, dass, die Heftigkeit der Gegenwehr am Ende die geeignete Währung sein wird, um den Erfolg von Protestaktionen zu messen“ schrieb Katharina Riehl dazu in der SZ am 5.12.2022.
Rechtfertigender Notstand
Der Koblenzer Richter des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, Michael Hassemer hält die umstrittenen Proteste der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ für teils gerechtfertigt. „Ich kann den Klimawandel ohne weiteres als Notstandssituation verstehen.“ Straftaten dieser Demonstranten könnten unter Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs fallen, der einen „rechtfertigenden Notstand“ beschreibt. Danach ist eine Tat womöglich nicht rechtswidrig, wenn nur so eine Gefahr abgewendet werden kann.