Die Kraftwerke der fossilen Welt waren planbar – Wind- und Solarenergie dagegen sind wetterabhängig. Trotzdem ist eine CO2-freie Stromversorgung möglich. Worauf es dabei ankommt.

Grundlast? Nein, danke!

Die Kraftwerke der fossilen Welt waren planbar – Wind- und Solarenergie dagegen sind wetterabhängig. Trotzdem ist eine CO2-freie Stromversorgung möglich. Worauf es dabei ankommt.
Von Volker Kühn

(24. Juni 2025) Am 11. Dezember 2024 herrschte Hochspannung in den Schaltzentralen der Netzbetreiber. Über Deutschland zog eine Dunkelflaute auf, eine Phase mit kaum Wind und Sonne. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen rutschte in den Keller, die Nachfrage war groß und im Ergebnis ging der Preis durch die Decke. Zeitweilig kostete die Kilowattstunde Strom an der Börse 1,16 Euro.

 ED 01/2025 Grundlast? Nein, danke! (S.18) 

Auch mit witterungsabhängiger Erzeugung ist eine sichere Versorgung möglich – ohne sogenannte Grundlastkraftwerke.

Von einem Blackout war das System zwar weit entfernt. Es hätte sogar eine weit größere Nachfrage decken können, denn viele grundlastfähige fossile Kraftwerke standen trotz des hohen Bedarfs still – über die Gründe dafür läuft derzeit eine Untersuchung der Bundesnetzagentur. Kritikern der Erneuerbaren war die Dunkelflaute dennoch ein gefundenes Fressen. „Die Energiewende ist gescheitert“, kommentierte etwa die FAZ. „Ohne Hilfe aus dem Ausland und das Verstromen von Kohle geht es nicht.“

Vier Säulen für eine saubere Energieversorgung

Auf den ersten Blick leuchtet die Kritik ein. Denn Windräder und Solaranlagen, die wichtigsten Quellen einer CO2-freien Welt, sind wetterabhängig und damit „nicht grundlastfähig“, wie es im Fachjargon heißt: Sie sind nicht in der Lage, zu jeder Zeit den Mindestbedarf zu decken. In der alten Energiewelt übernahmen diesen Job vor allem Atom- und Kohlekraftwerke. Doch Erstere sind bereits stillgelegt, Letztere sollen spätestens 2038 folgen. Woher kommt also künftig der Strom in Dunkelflauten? Funktioniert die Energiewende nur an Schönwettertagen?

„Nein“, sagt Carsten Agert, Direktor des DLR-Instituts für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg. „Technisch gesehen ist eine stabile Versorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien verlässlich möglich.“

Tatsächlich, das belegen Studien, ist das CO2-freie Stromsystem keine Utopie. Es ist sicher und kann sogar günstiger sein als das alte – wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. 

Die vier wichtigsten Bausteine
  • Flexibilität: Wie viel Strom Wind und Sonne zu einer bestimmten Zeit liefern, lässt sich kaum steuern. Der Verbrauch dagegen schon. Wärmepumpen etwa müssen nicht erst heizen, wenn die Menschen unter die Dusche springen. Sie können den Wasserkessel auch nachts vorheizen, wenn viel Windstrom im Netz ist. Auch die Ladezeiträume von E-Autos lassen sich lenken und selbst Gefriertruhen sind teils steuerbar. Nötig dazu sind digitalisierte Geräte sowie die passenden Anreize, etwa über dynamische Strompreise und Netzentgelte. Im Großmaßstab gilt das auch für den Stromverbrauch in der Industrie.
  • Kapazität: Erst wenn die Erneuerbaren deutlich mehr Strom liefern als heute, können die fossilen Kraftwerke eingemottet werden. Am Ausbau der Erneuerbaren führt daher kein Weg vorbei – auch um in Zeiten von Überschüssen Speicher für Strom und grüne Gase wie Wasserstoff oder Methan zu füllen.
  • Speicher: Bei kurzfristigen Engpässen können Großbatterien oder Pumpspeicherkraftwerke einspringen, die Wasser aus einem Oberbecken durch eine Turbine in ein Unterbecken leiten. In Dunkelflauten kann der Strom vor allem aus Gaskraftwerken kommen, die grünen Wasserstoff verbrennen. Er wird unterirdisch gespeichert. „Die Kapazität der heutigen Gaskavernen reicht in Deutschland aus, um über 50 TWh Wasserstoff zu speichern. Diese Energiemenge entspricht etwa 10 Prozent des deutschen Jahresstromverbrauchs“, sagt Carsten Agert vom DLR. Zudem müssen wasserstofftaugliche Gaskraftwerke gebaut werden. Biogaskraftwerke sind ebenfalls Teil der Lösung.
  • Vernetzung: Dunkelflauten treffen oft weite Landstriche, aber nie ganz Europa. Windstille in Norddeutschland? Dann strahlt womöglich die Sonne über Spanien. Um Strom kreuz und quer durch Europa zu schicken, sind zusätzliche grenzüberschreitende Leitungen nötig.

Je besser die Bausteine aufeinander abgestimmt sind, desto effizienter arbeitet das System. Und günstiger: Eine Kilowattstunde Strom aus einem neuen Atomkraftwerk kostet laut dem Fraunhofer ISE 14 bis 49 Cent – dem im Bau befindlichen britischen Atomkraftwerk Hinkley Point wurde ein Abnahmepreis von 14 Cent je kWh für 35 Jahre garantiert, bei Steinkohle sind es 17 bis 29 Cent. Wind und Sonne dagegen kommen mit 4 bis 10 Cent aus bei rasch fallender Tendenz.

letzte Änderung: 20.06.2025