1964
Öl ist eine endliche Ressource, die sich unweigerlich verknappen wird. Der in Oxford lebende Ökonom Jörg Friedrichs hat dazu Länder verglichen, die plötzlich ohne Öl auskommen mussten. Er wagt einen Blick in eine Zukunft ohne Öl.

Eine Welt ohne Öl

Öl ist eine endliche Ressource, die sich unweigerlich verknappen wird. Der in Oxford lebende Ökonom Jörg Friedrichs hat dazu Länder verglichen, die plötzlich ohne Öl auskommen mussten. Er wagt einen Blick in eine Zukunft ohne Öl.

(21. Dezember 2012)

Beute-Militarismus in Japan

Im September 1945 gab es in Japan so wenig Öl, dass man nur mit Mühe einen Krankenwagen finden konnte, um den Premierminister Tojo nach einem Selbstmordversuch ins Krankenhaus zu fahren. Im ganzen Land waren Bäume gefällt worden, um aus den Wurzeln Pech als Treibstoffersatz zu gewinnen. Angehörige der Luftwaffe hatten sich in Kamikaze-Angriffen geopfert, auch weil es zu wenig Treibstoff für die Rückkehr nach dem Einsatz gab.

In Japan war man der Ansicht, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren habe, weil es sich ökonomisch nicht genügend autark gemacht hatte. Der starke Wunsch nach Selbstständigkeit führte zu einer aggressiven japanischen Militärpolitik. 1931 eroberte Japan die Mandschurei und griff 1937 China an. Ziel war ein selbstständiger Militärblock. In den eroberten Gebieten fand Japan aber kein Öl. Die Abhängigkeit von Ölimporten aus den USA wuchs stattdessen: 80 Prozent des japanischen Öls stammten aus Kalifornien. Japan versuchte den Zugriff auf Öl in Sumatra und Borneo und griff 1939 Südchina und im September 1940 Französisch-Indochina an. Als im Juli 1941 das US-Embargo griff, attackierte man mit aller Entschiedenheit im Pazifik den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbour.

Totalitäre Mangelwirtschaft in Nordkorea

Als sich die Sowjets 1990 aus Nordkorea zurückzogen, ging es der herrschenden Elite vor allem darum, ihre Privilegien zu erhalten. Zwischen 1995 und 1998 fielen einer Hungersnot 600.000 bis eine Millionen Menschen zum Opfer, das entspricht drei bis fünf Prozent der gesamten Bevölkerung. Zwar gab es in Nordkorea eine Politik wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Aber die Lebensmittelproduktion war industrialisiert worden und basierte auf Kunstdünger und auf Öl, das aus der Sowjetunion kam. Als diese Lieferungen ausfielen, gingen die geringen Restölmengen ans Militär. Die Industrie und auch die Landwirtschaft brachen vollständig zusammen. Das Beispiel zeigt, wie das Fehlen einer Energiereserve ein ganzes Wirtschaftssystem lahmlegt: Ohne Öl konnte die Kohle nicht transportiert werden, die Kraftwerke konnten keinen Strom mehr erzeugen, die Eisenbahn fiel aus.

Sozioökonomische Anpassung in Kuba

Kuba musste 1993 verkraften, dass die Öllieferungen aus der Sowjetunion vollständig ausblieben. Der Ölimport Kubas ging zwischen 1989 und 1993 um satte 71 Prozent zurück. 1990 rief Fidel Castro den nationalen Notstand aus, die sogenannte „Sonderperiode“. Die Krise hatte verheerende Auswirkungen auf die gesamte kubanische Wirtschaft: Maschinen, Autos und Busse standen still. Es gab kaum mehr Strom. Wie in Nordkorea gab es eine Lebensmittelknappheit. Die durchschnittliche Nahrungsmittelaufnahme fiel deutlich unter das Existenzminimum.

Aber die Leute starben nicht an Unterernährung, es gab keine Banden, Kannibalen oder Obdachlose – im Gegensatz zu Nordkorea. Die Regierung in Kuba war menschlicher als in Nordkorea und riskierte vorsichtige Reformen: Sie öffnete das Land für den Tourismus, legalisierte den informellen Sektor und unterstützte Selbsthilfe. Die kubanische Bevölkerung vollbrachte ein wahres Wunder: Die Menschen hielten auf örtlicher Ebene, in den städtischen Dörfern zusammen. Viele Familien leben dort seit Generationen im selben Haus. Verwandte, Freunde und Nachbarschaften unterstützten sich. Die Krise brachte die Menschen enger zusammen und stärkte das gegenseitige Vertrauen. Ein anderer wichtiger Faktor war das traditionelle Wissen über Landbau. Obwohl nur vier Prozent der Bauern nicht kollektiviert wurden und elf Prozent in privaten Kooperativen arbeitete, war deren Wissen über traditionellen Landbau wichtig. Es gab Hunderte von Gärtnervereinen, in denen nicht nur Wissen, sondern auch Samen und Geräte ausgetauscht wurden. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre verbesserte sich die wirtschaftliche Situation wieder:  Öl wurde im Land entdeckt und aus Venezuela importiert. Es ist jedoch ermutigend, dass Kuba in den früher 90er Jahren einen plötzlichen Ölschock durch einen bemerkenswerten Gemeinschaftsgeist überlebte. Der Vergleich mit Nordkorea zeigt, was dort geleistet wurde.

Künftige Reaktionen

Vermutlich werden auch künftig unterschiedliche Länder verschieden auf einen globalen Ölpreis-Schock reagieren. Militärisch ausgerichtete Länder werden eine räuberische Mentalität nach japanischem Vorbild zeigen. Länder mit einer autoritären Struktur werden sich zurückziehen wie Nordkorea. Und Länder mit einem starken Gemeinschaftsgeist werden sich anpassen, wie es auf Kuba geschah. Es könnte auch weitere Reaktionen geben, etwa die Mobilisierung nationalistischer Stimmungen durch populistische Regierungen.

Die Kuba-Lösung ist zwar wünschenswert. Sie ist aber einfacher in Gesellschaften, in denen der Individualismus und Massenkonsum nicht die Wurzel der Gesellschaft bildet. In westlichen Gesellschaften dürfte das eher nicht der Fall sein. In Ländern wie Deutschland dürfte das Überleben letzlich davon abhängen, ob sich die Menschen gegenseitig lokal unterstützen und der Wandel zum Selbstversorgen gelingt.

Plötzlicher Wegfall

Eine Energiekrise und der Aufbau neuer Energieinfrastruktur ist niemals schnell und leicht zu bewältigen. Einem Peak-Oil wird also ein langsamer und schmerzhafter Prozess sozialer und technischer Anpassung folgen, der ein Jahrhundert oder noch länger andauern kann. Einem Peak-Oil wird also weder ein plötzlicher Zusammenbruch, noch ein reibungsloser Übergang folgen. Die Menschen werden ihren bisherigen Lebensstil nur langsam aufgeben.

337 Daumen

Anhand seiner Analysen wagt Friedrichs folgende Prognosen, wie die Welt auf eine Ölverknappung reagieren wird:

Riesige Räuber

Die USA haben sowohl einen großen Ölhunger, als auch gewaltiges militärisches Potenzial. Vermutlich schlägt Amerika daher die „Räuber-Strategie“ analog zu Japan ein: Die ressourcenreicheren Nachbarländer Mexiko und Kanada werden sich den USA anschließen.

In Südamerika werden Venezuela und Ecuador vom Anstieg der Ölpreise profitieren. Das große Brasilien könnte sich gegen Übergriffe aus den USA behaupten: Das Land ist groß genug, verfügt über ausreichend eigene Ressourcen und liegt ausreichend weit genug von den USA entfernt. Den anderen lateinamerikanischen Ländern ohne eigene Ölquellen droht eine Krise. Es ist nicht absehbar, inwieweit sie von einer Lösung wie Kuba profitieren können.

Umstieg auf Selbstversorgung

Westeuropa hat zwar ein ausreichend großes militärisches Potenzial. Aus historischen Gründen scheidet aber die militärische Option ebenso aus wie ein diktatorischer Rückzug. Bei den Verhandlungen mit den Quellenländern sitzt Europa stets am kürzeren Hebel, so dass nur der kommunal basierte Ansatz übrigbleibt. Das Überleben wird davon abhängen, ob der Rückzug auf Nachbarschaftshilfe gelingt. Das wird in Europa nicht leicht sein, weil der industrielle Lebensstil tief verwurzelt ist. Zudem gilt es, Probleme zwischen verschiedenen Ethnien zu lösen. Der unausweichliche Übergang zu nachbarschaftsbasierter Selbstversorger-Wirtschaft wird schmerzhaft sein und Generationen andauern.

In Japan sieht die Situation ähnlich wie in Westeuropa aus.

Ländern mit erst unlängst stattgefundener Industrialisierung oder jüngerer autoritärer Tradition fällt der Übergang leichter. Sehr unterentwickelte Staaten mit geringem Lebensstandard haben wenig mehr als den Zusammenhalt sozialer Gruppen als Überlebenschance. Das gilt insbesonder für die Länder des südlichen Afrikas. Das unausweichliche Ende der sogenannten Grünen Revolution der Landwirtschaft und das Ausbleiben internationaler Hilfen wird Umweltprobleme und Unsicherheit heraufrufen. Die Herstellung von Biotreibstoffen kann die Probleme herauszögern. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sie die Produktion von Nahrungsmitteln verdrängen und damit zum Problem für die Armen werden. Als Konsequenz drohen Hungersnöte, Seuchen und Massensterben. In manchen Gegenden könnte eine wiedererwachte Nachbarschaftsbewegung und ein Rückzug zur Subsistenzwirtschaft einen Notanker darstellen.

Militär und Machthunger

Russland verfügt über genug Energiereserven für den eigenen Bedarf. Seine Ressourcen verstärken seine politische Stellung.

Im Gegensatz dazu ist China auf Ölimporte angewiesen. Um sein Überleben zu sichern, könnte China versuchen, sich mit militärischen Mitteln den Zugang zu zentralasiatischen Kapazitäten zu sichern. Alternativ ist ein autoritärer Rückzug analog zu Nordkorea denkbar.

Indien verfügt über eine deutlich schwächere Militärmacht, könnte sich jedoch dennoch an begrenzten Operationen in der regionalen Nachbarschaft beteiligen.

Die Ölstaaten Zentralasiens und des mittleren Ostens werden noch stärker als bisher von ihren Schätzen profitieren. Der mittlere Osten wird Westeuropa als attraktives Ziel muslimischer Zuwanderung ablösen.

Mögliche Alternativen

Der Anteil der Erneuerbaren wird sich in unruhigen Krisenzeiten nur schwer ausweiten lassen, wenn der systematische Wandel nicht schon vorher begonnen hat: So benötigt die Industrie für die Herstellung von Windturbinenherstellung große Mengen Energie und Rohmaterial, das heute durch Nichterneuerbare geliefert wird.

Wir alle wünschen uns, dass die Industrie-gesellschaft auch künftig bestehen bleibt. Jedoch kann eine Industriegesellschaft, wie wir sie kennen, nicht auf Dauer Bestand haben. Auch wenn wir die Idee nicht mögen: Es wäre extrem leichtsinnig, die Folgen einer künftigen Ölverknappung nicht ernst zu nehmen.

Aus dem Sammelband: Energy, Transport, & the Environment, London, Springer 2012, aus dem Englischen von Aribert Peters

letzte Änderung: 23.03.2018