Atom-Renaissance?
Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" sieht eine Renaissance der Atomkraftwerke (SPIEGEL 40/03). Die neuen Meiler seien sauberer und sicherer als ihre Vorgänger. Der Energieexperte des BUND Ludwig Trautmann-Popp rückt das Bild zurecht.
(10. Dezember 2003) Aus den Jahresberichten der IAEO (Intern. Atomenergie-Organisation) über den Stand der Atomindustrie lässt sich kein Anzeichen für eine Atom-Renaissance ableiten. Im Gegenteil: Es geht seit Jahren kontinuierlich abwärts.
2003 sind weit weniger Reaktoren in Bau als noch vor wenigen Jahren. Einige davon gingen mittlerweile in Betrieb. In den USA, Bulgarien, Russland und Rumänien aber wurden zwölf Projekte vollständig aufgegeben. Nur in Indien sind in nennenswertem Umfang neue Projekte (acht) in Bau gegangen.
Viele der 33 Reaktoren, die laut SPIEGEL 40/03 weltweit noch in Bau sind, sind Karteileichen: Bei 14 Anlagen liegt die Auftragserteilung mehr als 15 Jahre zurück! Diese Reaktoren sind Dauerbaustellen, vermutlich schon eingestellt.
Auftragsbücher leer
In Wirklichkeit sind die Auftragsbücher der Atomindustrie seit langem leer: zum Beispiel in den USA seit 1979, in Deutschland seit 1982, in Frankreich seit 1985, in Großbritannien seit 1980, in Russland seit 1987. Nur in Ostasien, Taiwan/China, Nord- und Südkorea, Indien, Iran wird noch "aufgerüstet". Diese Länder haben aber eher an der militärischen als an der energiewirtschaftlichen Nutzung der Atomkraft Interesse.
Den weltweit größten Reaktorhersteller der 70er und 80er Jahre, die US-Firma Westinghouse, gibt es seit Jahren nicht mehr. Der Betriebsteil von Westinghouse, der konventionelle Gas- und Kohlekraftwerke baute, ging an Siemens, die Atomabteilung an die berüchtigte britische Atommüllfirma BNFL, Sellafield.
Die deutschen Atomfirmen der 70er Jahre (Interatom, HTR-Gesellschaft, ABB, AEG) gingen alle Pleite. Die letzte deutsche Atomfirma KWU wurde von Siemens an Framatome in Frankreich verkauft.
Schon auf der Nuklearkonferenz ENC '90 in Lyon warnte Ian Smart (britischer Politikberater) davor, dass "das natürliche Verrotten der Kernenergie" eintritt. Es bräuchte "nie eine ausdrückliche Entscheidung zu geben, die Kernenergie zu töten, vielmehr reicht es aus, wenn die Entscheidungen ausbleiben, die notwendig sind, um sie am Leben zu erhalten" ("Atomwirtschaft" 12/90).
13 Jahre danach wartet die Atomindustrie noch immer auf "lebenserhaltende" Entscheidungen.

Die Nutzung der Atomkraft klingt schneller aus, als die Strahlung ihrer Brennstäbe: Blick in ein Abklingbecken mit gebrauchten Brennstäben.
Strom aus neuen Atomkraftwerken ist nicht wirtschaftlich
Im Branchenblatt "Atomwirtschaft" schreibt die IAEO, dass Gas- und Windkraftwerke den Strom deutlich billiger erzeugen als neue Atomkraftwerke und fügt wörtlich hinzu:
"In Nordamerika und Westeuropa verspricht das Herausquetschen zusätzlicher Profite aus vorhandenen Atomkraftwerken derzeit mehr und ist weniger riskant, als sich auf eine neue Konstruktion einzulassen."
Betreiber von Atomkraftwerken brauchen keine Haftpflichtversicherung mit angemessener Deckungssumme abzuschließen, das Risiko wird auf Staat und Betroffene abgewälzt. Die meisten Entsorgungskosten werden ebenfalls dem Staat aufgebürdet. In Deutschland sind die diesbezüglichen Rückstellungen sogar steuerfrei und stehen zur freien Verfügung der Stromkonzerne.
In manchen Ländern, zum Beispiel Pakistan, Indien, Iran, Nord- und Südkorea, Brasilien, Argentinien, China, Taiwan und so weiter, erhalten die Atomkraftbetreiber hohe Subventionen aus dem Verteidigungsetat, weil es dort nicht vorrangig um die Stromerzeugung, sondern um den Griff zur Bombe geht. Atomkraftwerke als zentralistische und verbraucherferne Form der Stromerzeugung neigen mit ihrer Infrastruktur zum Black-out.
Brennstoff geht zur Neige
Die Vorkommen von Uran (hier die herkömmlichen Vorkommen im Uranerz) gehen in wenigen Jahrzehnten weltweit zu Ende - laut Bayerischem Wirtschaftsministerium und Bundesanstalt für Geowissenschaften im Jahre 2035. Die von der Atomlobby genannten Auswege wie Schneller Brüter oder Uran im Meerwasser - dort liegt die Konzentration 100.000 mal niedriger als im Uranerz - sind hoffnungslos unwirtschaftlich und werden angesichts günstigerer Energiealternativen nicht zum Zuge kommen.
Die Uranlobby schrieb 1977 (red book): "Beim geplanten Ausbau der Atomkraft wird das Uran 1999 zu Ende sein". Nur weil der Ausbau der Atomenergie weltweit hinter der Planung zurückblieb und nur fünf Prozent zur Energieerzeugung beiträgt - das heißt weniger als die Wasserkraft - gibt es auch heute noch Uran mit dem oben genannten unumgänglichen Ende in gut 30 Jahren.
Fazit: Gigantisches Luftschloss
In Finnland hat es trotz des positiven Parlamentsbeschlusses vom Sommer 2002 bis heute keinen Bauauftrag oder eine konkrete Planung gegeben. In der "Atomwirtschaft" erscheinen seit zehn Jahren hunderte von Artikeln über die Zukunft der Kernenergie. Einige davon waren euphorisch, zum Beispiel "Russland baut demnächst 33 Atomkraftwerke", erwiesen sich aber schon bald als Luftblase, in anderen wurden sehr kritische Bemerkungen über die Zukunft der Atomwirtschaft gemacht.
Die Statistiken über die Verteilung von Atomkraftwerken in Betrieb und in Bau sprechen eine eindeutige Sprache: Atomkraft hat im Konkurrenzkampf mit anderen Energieträgern keine Zukunftschancen mehr. Der Ausbau der Atomkraft war seit jeher ein gigantisches Luftschloss. Die OECD prognostizierte 1977: Im Jahre 2000 werden bis zu 1.400 Gigawatt weltweit am Netz sein. Tatsächlich waren es 300 Gigawatt, also nicht viel mehr als ein Fünftel.
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