Der Ausstieg: Top oder Flopp?
Kaum ein Thema hat die Atomkraftgegner so polarisiert, wie die Konsensbeschlüsse zum Atomenergieausstieg.
Von Anthea Peters
Am 14.Juni 2000 unterzeichneten die Bundesregierung und vier EVUs nach zweijährigen Gesprächen ihre Vereinbarungen zum Ausstieg aus der Atomenenergie. Eigentlich ein großer Erfolg, doch in Deutschland überwiegen die kritischen Stimmen. Die einen trauern um das vorschnelle Ende der Supertechnik. Und die Atomkraftgegner fühlen sich durch einen halbherzigen Ausstieg, der ihnen nicht weit und schnell genug geht, betrogen.
Beim Lesen des Konsenspapiers wird schnell klar, dass der Atomwirtschaft eine möglichst komfortable Absicherung des Weiterbetriebs ihrer Atomkraftwerke zugesichert wurde. Der Bau neuer Atomkraftwerke war sowieso nicht geplant und der Betrieb der deutschen Atomkraftwerke war ohnehin begrenzt, auch wenn die Betriebsgenehmigungen unbefristet sind. Zwar "respektieren die EVU die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen" und sie akzeptieren auch eine befristete Nutzung der Anlagen ohne Entschädigung. Dafür muß die Bundesregierung ihrerseits aber den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke, wie auch deren Entsorgung gewährleisten. Für viele Atomkraftgegner, die jahrelang mit guten Argumenten gegen die Atomenergie demonstriert haben, ist dieser Konsens eine herbe Enttäuschung.

Die Restlaufzeiten - kein konkretes Ende in Sicht
Doch immerhin, die Laufdauer der Atomkraftwerke wurde mit diesem Vertrag offiziell befristet. Die Restlaufzeit der Atomkraftwerke berechnet sich nicht in Jahren, sondern für jede Anlage in Strommengen. Zeitweilige Betriebsunterbrechungen wie z.B. aufgrund von Störfällen oder Sicherheitsmängeln gehen dabei nicht zu Lasten der Betreiber. Je mehr Ausfallzeiten ein Reaktor hat, desto länger kann er also im Betrieb bleiben. Weil die Restlaufzeiten flexibel sind, können die Unternehmen sie zwischen den einzelnen Anlagen hin und her verschieben, also von unwirtschaftlicheren Anlagen auf wirtschaftlichere. Durch diese Flexibilität ist es nicht möglich, ein verbindliches Enddatum für den Ausstieg zu nennen. Durch geschicktes Schieben ist so die Fortführung der Atomenergie bis in die Mitte des 21. Jahrhunderts gewährleistet.
Bei der Umrechnung von Restlaufzeiten in Reststrommengen wird von einer Gesamtlaufzeit von 32 Jahren pro Kraftwerk ausgegangen. Das heißt, jedes Atomkraftwerk darf die Strommenge erzeugen, die es innerhalb von 32 Jahren produzieren könnte. Die Zeit, die ein Atomkraftwerk bereits gelaufen ist, wird von dieser Restlaufzeit abgezogen. Die 19 laufenden Atomkraftwerke dürfen demnach bis zu ihrer Stillegung zusammen noch ungefähr genau so viel Strom produzieren, wie sie es bereits in derVergangenheit getan haben. Es wird also nochmal so viel Atommüll anfallen wie bisher.

Wenn man davon ausgeht, dass die Reaktoren in der Vergangenheit durchschnittliche nur 78% der potentiellen Stromerzeugen erzielten, bleibt mit der festgelegten Reststrommenge im Mittel jedoch noch eine Gesamtlaufzeit von 36 Jahren. Diese Unstimmigkeit liegt in den Besonderheiten des Berechnungsverfahrens für die Reststrommenge. So wird der Probebetrieb, die ein Kraftwerk durchlaufen muß, nicht mitgezählt. Diese Zeit beträgt in der Regel 2 bis 16 Monate. Auch erfolgt dieUmrechnung von der Restlaufzeit in Reststrommenge nicht, indem man die durchschnittlich erzeugte Strommenge aller Jahren nimmt, sondern es wird mit dem Durchschnitt aus den fünf besten Jahren zwischen 1990 und 1999 gerechnet. Außerdem wird ein Aufschlag von 5,5% dazu addiert, da sich die Jahresproduktion durch technische Optimierungen und Effizienzsteigerungen noch erhöhen kann.
Für das Atomkraftwerk Obrigheim, das demnächst abgeschaltet werden müsste, da es im März 1969 den Leistungsbetrieb aufgenommen hat, wurde eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2002 vereinbart. Bei Mühlheim-Kärlich, das durch Gerichtsbeschluss abgeschaltet wurde, wird von einer virtuellen Laufzeit von elf Jahren ausgegangen, die das Unternehmen RWE auf andere Atomkraftwerke übertragen kann. Im Gegenzug dazu verzichtet RWE auf eine Klage gegen das Land, dass unter der CDU-Regierung eine Genehmigung erteilte, die rechtlich keinen Bestand hatte.

Die unzufriedenen Stimmen, die aus dem linken Flügel der Grünen laut werden, kritisieren vor allem die langen Restlaufzeiten. Noch im März dieses Jahres war auf dem Parteikongress in Karlsruhe eine Gesamtlaufzeit von höchstens 30 Jahren als Limit und Vorgabe verabschiedet worden. Dass mit dem Konsens auch diese Festlegung über den Haufen geworfen wurde, verärgerte viele Parteimitglieder. Die Grünen-Partiechefin Antje Radcke lehnte die Vereinbarung offen als nicht akzeptabel ab. Durch den Kompromiss mit 32 Jahren Gesamtlaufzeit für die deutschen Meiler werden "sämtliche Positionen der Partei" aufgegeben, so Radcke. Außenminister Joschka Fischer ist da ganz anderer Meinung. "Wir dürfen (...) nicht weiter in der Selbstblockierung verharren, weil wir uns von bestimmten Gründungsmythen, die mittlerweile kontraproduktiv geworden sind, nicht verabschieden wollen.", so der Günen-Politiker.
Sicherheitsüberprüfungen nur alle zehn Jahre
Den Atomkraftwerken in Deutschland wird ein "international gesehen hohes Sicherheitsniveau" bestätigt. Dennoch ist mit einem Absinken der Sicherheit während der Restlaufzeit zu rechnen. Denn eine Nachrüstung, gebunden an den Stand von Wissenschaft und Technik, wird nicht ausdrücklich genannt. Lediglich das jetzige Sicherheitsniveau sei zu halten. Auch die in den Koalitionsverhandlungen noch jährlich vorgesehenen Sicherheitsüberprüfungen sind vom Tisch. Während ein Auto alle zwei Jahre zum TÜV muß, gibt es für Atomkraftwerke nur noch alle zehn Jahre eine vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung. An der Festlegung der Rahmenbedingungen für diese Überprüfungen sind die Betreiber selbst direkt beteiligt.

Neues Entsorgungskonzept mit großen Zugeständnissen
Das bisherige Entsorgungskonzept für Atommüll ist laut Koalitionsvertrag gescheitert. So wurde in den Konsensverhandlungen zusammen mit den EVUs nach neuen Lösungen gesucht. Bei den Atomkraftwerken werden demnach Zwischenlager errichtet. Der Nachweis, der über eine Vorsorge im Punkte Entsorgung geführt werden muss, wird dieser Regelung angepasst. So gilt künftig das Abstellen der Behälter auf dem Reaktorgelände als anerkannter Entsorgungsnachweis.
Ab dem 1. 7. 2005 wird die Entsorgung von Brennelementen auf die direkte Endlagerung beschränkt. Bis zur Inbetriebnahme der Standortlager sind weiterhin Atommülltransporte nach Gorleben, Ahaus oder zu Wiederaufbereitungsanlagen zulässig. Mit der Genehmigung wird noch im Herbst 2000 gerechnet.
Die prinzipielle Eignung von Gorleben als Endlagerort wird bestätigt und auch die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben wird genehmigt, aber auf die Reparatur schadhafter Behälter eingeschränkt. Der Schacht Konrad soll ebenfalls genehmigt werden. Doch um eine gerichtliche Überprüfung vor der Inbetriebnahme zu ermöglichen, wird der Antrag auf Sofortvollzug zurückgenommen. Entschädigungs- oder Rückzahlungsansprüche im Zusammenhang mit Gorleben oder dem Schacht Konrad werden nicht geltend gemacht. Die Kosten, um Gorleben offen zu halten, tragen die EVU.

Der Ausstieg: eine demokratische Lösung?
Die Bundesregierung hat in den Konsensverhandlungen beinahe jede Forderung der EVU übernommen. Doch damit nicht genug: Sie lässt sich nun auch bei der Umsetzung des Konsens von den Atomkraftbetreibern kontrollieren. Diese werden am Leitfaden für die Sicherheitsüberprüfungen mitarbeiten, Mitglied in der ständigenKoordinierungsgruppe zur Durchsetzung der Transporte sein und auch gemeinsam mit der Regierung die Umsetzung der Vereinbarung in dieAtomgesetznovelle beraten. Außerdem wird noch eine hochrangige Arbeitsgruppe berufen, die sich aus drei Vertretern der beteiligten EVU und drei Vertretern der Regierung zusammensetzt. Diese wird dieUmsetzung der Konsensbeschlüsse begleiten (Monitoringgruppe).

schließen