David gegen Goliath: Verbraucher siegen
Ein historischer Erfolg für die Gerechtigkeit: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die milliardenschweren Netzentgeltbefreiungen stromintensiver Unternehmen aus den Jahren 2012 und 2013 endgültig für rechtswidrig erklärt. Der Bund der Energieverbraucher setzte sich in einem langjährigen Kampf gegen mächtige Gegner durch – und fordert nun weitere Reformen.
(6. Juni 2025) Als 2011 die Netzentgeltbefreiungen nach § 19 Abs. 2 StromNEV eingeführt wurden, bedeutete das eine milliardenschwere Entlastung für stromintensive Unternehmen – auf Kosten der Allgemeinheit. Privathaushalte und mittelständische Betriebe mussten die entgangenen Einnahmen der Netzbetreiber über Umlagen auf ihrer Stromrechnung ausgleichen. Der Bund der Energieverbraucher erkannte früh die Ungerechtigkeit und Rechtswidrigkeit dieser Regelung und brachte den Fall vor die Europäische Kommission. Diese teilte die Sichtweise des Vereins.
Nach einer langen juristischen Auseinandersetzung, in der sich Industrie und Netzbetreiber mit Unterstützung der Bundesregierung gegen die Vorwürfe wehrten, bestätigte der EuGH am 26. September 2024 die Entscheidung der EU-Kommission: Die Befreiungen in den Jahren 2012 und 2013 waren unzulässige staatliche Beihilfen (EuGH, 26.09.2024 – C-792/21 P, C-793/21 P). Die zu Unrecht Begünstigten müssen die erhaltenen Milliarden zurückzahlen – ein Sieg für Verbraucher und Mittelstand.
Das Problem bleibt bestehen
Trotz des Urteils bestehen ähnliche Praktiken fort. Nach wie vor genehmigt die Bundesnetzagentur individuelle Netzentgelte, die fast die Hälfte des Stromverbrauchs der Industrie begünstigen. Das sind Entlastungen im Volumen von rund 1,5 Milliarden Euro jährlich. Die Kosten werden weiterhin auf Haushalte und nichtprivilegierte oft mittelständische Unternehmen umgelegt. Der Strompreis verteuerte sich dadurch 2024 um 0,643 ct/kWh beziehungsweise 32 Euro für einen Durchschnittshaushalt. „Es ist untragbar, dass Verbraucher und Mittelstand die Netzentgelte der Industrie finanzieren“, kritisiert Aribert Peters, Vorsitzender des Bundes der Energieverbraucher.
Die aktuelle Regelung setzt Fehlanreize: Sie ermuntert Unternehmen, gezielt mehr Strom zu verbrauchen, um die Schwellenwerte für Rabatte auf die Netzentgelte zu erreichen. Auf diese Weise behindern sie die dringend notwendige Flexibilität im Energiesystem, so eine Studie des Thinktanks Neon. Dies widerspricht nicht nur den nationalen Vorgaben des § 19 Abs. 2 StromNEV, sondern auch den Anforderungen der EU-Verordnung 2019/943.
Was die EU-Verordnung fordert
Die EU-Verordnung 2019/943 über den Elektrizitätsbinnenmarkt gibt klare Vorgaben für die Gestaltung von Netzentgelten. Sie müssen …
- … kostenorientiert und transparent sein, damit sie die tatsächlichen Netzkosten widerspiegeln.
- … effizientes und flexibles Verhalten fördern, insbesondere in Hinblick auf die Integration erneuerbarer Energien.
- … Quersubventionierung vermeiden, sodass keine unverhältnismäßige Belastung einzelner Verbrauchergruppen entsteht.
Die aktuellen Nachlässe verletzen all diese Grundsätze. Auch die Bundesnetzagentur hat in einem Eckpunktepapier vom Juli 2024 eingeräumt, dass die Praxis der sogenannten Bandlastprivilegien ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllt und Fehlanreize setzt, die zusätzliche Kosten für das Netz verursachen.
Ein neuer Vorstoß des Bundes der Energieverbraucher
Angesichts der fortdauernden Ungerechtigkeiten hat der Bund der Energieverbraucher ein Schreiben an die 4. Beschlusskammer der Bundesnetzagentur gerichtet. Darin fordert der Verband:
- Rückforderung rechtswidriger Nachlässe: Die gewährten Rabatte entsprechen weder den Vorgaben des § 19 Abs. 2 StromNEV noch den EU-Vorschriften. Die ungerechtfertigten Kosten müssen den Verbrauchern erstattet werden.
- Transparenz: Der Verband verlangt die Offenlegung der Liste der begünstigten Unternehmen. Nur so können gegebenenfalls rechtliche Schritte eingeleitet werden. Dies hat die Bundesnetzagentur abgelehnt.
Das Schreiben verweist auf die Erfahrungen aus den Jahren 2011 bis 2013, als ähnliche Privilegien erst durch öffentlichen Druck und juristische Verfahren beendet wurden. „Die Bundesnetzagentur muss diesmal die Interessen der Allgemeinheit in den Vordergrund stellen und die Fehlanreize umgehend abschaffen“, fordert Peters.
- Eckpunkte der Bundesnetzagentur zur Fortentwicklung der Industrienetzentgelte im Elektrizitätsbereich vom 24.7.2024: www.bdev.de/neveckpunkte
- NEON-Studie: www.bdev.de/neon
- EuGH-Urteil: www.bdev.de/Eugh2024
- Energiechronik dazu: www.bdev.de/Leuschnerband
- Schreiben an die 4. Beschlusskammer: www.bdev.de/4BKBneta