Sie wussten, was sie tun. Und tragen die Verantwortung

Wie Gerichte Staaten und Konzerne zum Klimaschutz zwingen: Ein Gastbeitrag von Roda Verheyen

(11. August 2025) Das Haus meines Mandanten Saúl Luciano Lliuya liegt in Huaraz in den peruanischen Anden nahe eines Gletschersees. Es ist von der Erderwärmung bedroht, denn in den umliegenden Bergen tauen die Gletscher, und Flut- oder Schlammwellen könnten es zerstören. Wie real solche Gefahren sind, haben wir jüngst auf tragische Weise beim Bergsturz im schweizerischen Blatten erlebt.

Um sich in Huaraz vor Ähnlichem zu schützen, müssen Vorkehrungen getroffen werden. Vor dem Oberlandesgericht Hamm hat mein Mandant in zweiter Instanz den deutschen Energieversorger RWE verklagt, sich an den Kosten für diese Vorkehrungen zu beteiligen – und zwar anteilig in dem Ausmaß, in dem der Konzern durch seine Treibhausgasemissionen zum globalen Klimawandel beigetragen hat. Laut unabhängigen Berechnungen sind das zum Stand heute 0,38 Prozent. Es ging um knapp 20.000 Euro.

 ED 02/2025 Sie wussten, was sie tun. Und tragen die Verantwortung (S.14/15) 

Die Rechtsanwältin Roda Verheyen ist der Kopf hinter vielen Klimaklagen gegen Konzerne und Regierungen und arbeitet als Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht.

Das Gericht wies die Klage Ende Mai ab. Es berief sich dabei auf Gutachter, die das Risiko für das leicht erhöht liegende Haus meines Mandanten für nicht ausreichend hielten. Ich bedauere das sehr, andere Experten kommen zu gegenteiligen Einschätzungen.

Doch auch, wenn die Klage abgewiesen wurde – für den globalen Kampf gegen den Klimawandel ist das Urteil keine Niederlage, ganz im Gegenteil.Denn entscheidend ist, dass erstmals ein deutsches Gericht im Grundsatz anerkannt hat, dass große Treibhausgasverursacher für Klimaschäden haftbar gemacht werden können. Das ist ein spektakulärer Erfolg für den Klimaschutz!

In einer zentralen Passage stellt das Urteil fest, dass für RWE bereits seit 1965 vorauszusehen war, dass der fortwährende Ausstoß von Treibhausgasen zu erheblichen Schäden führen würde. Das Gericht hat ein für alle Mal klargemacht, dass Unternehmen für Klimaschäden verantwortlich sind, die sie in der Vergangenheit verursacht haben.

Dass RWE dies nicht anerkennt und weiterhin in Pressemitteilungen davon spricht, mit dem Urteil sei kein Präzedenzfall geschaffen worden, ist aus meiner Sicht empörend. Und auch mit einer anderen Behauptung liegt das Unternehmen eindeutig falsch, wie das Gericht festgestellt hat: Unsere Klage begründet keinesfalls, dass künftig »jeder Autofahrer haftbar gemacht werden könnte«, weil er CO2 ausstößt. Es muss vielmehr das gegeben sein, was juristisch »Adäquanz« genannt wird: Es muss um große Emissionsanteile gehen, nur dann kann eine Haftbarkeit vorliegen. Beim Anteil von RWE ist das der Fall, der Konzern emittiert so viel wie ganze Staaten, etwa die Niederlande. Der Anteil eines einzelnen Menschen ist dagegen verschwindend klein.

 ED 02/2025 Sie wussten, was sie tun. Und tragen die Verantwortung (S.14/15) 

Verloren und doch gewonnen Der Klimawandel bedroht das Haus von Saúl Luciano Lliuya unter einem Gletscher in Peru. Deshalb hat er RWE verklagt. Das Oberlandesgericht Hamm wies die Klage ab – bescherte dem Klimaschutz aber einen Sieg.

In den vergangenen Jahren waren Klimaklagen weltweit sehr erfolgreich. Die nächste Phase dürfte komplizierter werden

Das Urteil aus Hamm steht nicht für sich allein. Es reiht sich ein in viele weitere Entscheidungen weltweit. An dem in Deutschland wohl bekanntesten Klimaurteil durfte ich beteiligt sein: 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einer Beschwerde von jungen Menschen und Organisationen der Zivilgesellschaft stattgegeben und die damalige Bundesregierung zu einem besseren Schutz des Klimas verpflichtet. Bemerkenswert war die Begründung der Richter. Sie beriefen sich auf den Freiheitsbegriff: Indem die heutige Generation einen großen Teil jenes CO2-Budgets verbrauche, das im Rahmen der Pariser Klimaziele noch zur Verfügung steht, bürde sie kommenden Generationen eine unverhältnismäßig hohe Last im Kampf gegen die Klimakrise auf. Davon sei praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, »weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind«, so das Gericht. »Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern.« Klimaschutz genießt mit dieser Entscheidung Verfassungsrang und betrifft alle – staatliche genauso wie private Akteure.

Mit solchen und ähnlichen Urteilen spielt die Justiz eine wichtige Rolle im globalen Klimaschutz. Auch auf exekutiver Seite ist in den vergangenen Jahren viel passiert, sei es in Form nationaler Gesetze oder völkerrechtlich verbindlicher Abkommen wie dem von Paris 2015. Klimaschutz ist ein Menschenrecht, daran führt kein Weg mehr vorbei.

Für künftige Klimaklagen könnte es jedoch schwieriger werden. Denn wir treten in eine neue Phase ein. Es geht weniger um die Frage, ob Staaten und Unternehmen verantwortungsvoll mit dem Klima umgehen müssen, sondern darum, wie sie es tun. Dabei gibt es Spielräume. Ob ein Land auf Klimakurs ist, lässt sich leichter überprüfen als die Frage, inwiefern einzelne Maßnahmen auf das Klimaziel einzahlen.

Mit Sorge beobachte ich zudem, dass die Diskussion in Teilen von Politik und Öffentlichkeit wieder hinter längst erreichte Standards zurückfällt. Da wird das Aus für den Verbrennungsmotor infrage gestellt, an Ausbauzielen für erneuerbare Energien gezweifelt oder eine Verschiebung des Zeitpunkts der Klimaneutralität gefordert. Dabei wäre das teils verfassungswidrig. Wir haben einen Verfassungsauftrag, innerhalb eines bestimmten Budgets Klimaneutralität zu erreichen.

Kaum anders sieht es in vielen Unternehmen aus. Klimaziele werden zur Disposition gestellt und klimaschädliche Geschäftsmodelle weiterverfolgt, die Verantwortung für verursachte Klimaschäden wird bestritten oder ignoriert. Von Teilen der Politik und in sozialen Medien gibt es Applaus: Unternehmen müssten vor vermeintlicher Überregulierung und Schadenersatzforderungen der Zivilgesellschaft geschützt werden. Das ist eine gefährlich kurzsichtige Haltung – nicht nur, weil die Folgen des Klimawandels über kurz oder lang jeden von uns treffen, sondern auch weil es juristische Haftungsansprüche gibt, wie etwa das Urteil des OLG Hamm oder ein Urteil gegen Shell in den Niederlanden zeigen.

Unternehmen wären aus meiner Sicht gut beraten, sich darauf vorzubereiten. Denkbar wäre neben schnellem und effektivem Klimaschutz auch ein Fonds für die Beseitigung von Klimaschäden und notwendige Anpassungsmaßnahmen, in den große Emittenten einzahlen.

Klimaklagen weltweit im Überblick: Climatecasechart.com

letzte Änderung: 11.08.2025