ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Klimaschutz vor Gericht

Klimapolitik der Bundesregierung: Gemeinsam klagen

(2. Oktober 2024) Roda Verheyen, renommierte Umweltrechtlerin, ruft alle in Deutschland lebenden Menschen dazu auf, sich einer neuen Verfassungsbeschwerde von Greenpeace und Germanwatch gegen die Klimapolitik der Bundesregierung anzuschließen. Bereits 2021 führte eine ähnliche Klage zur Anerkennung des Klimaschutzes als Verfassungsrecht. Verheyen bietet nun an, Sie vor dem Bundesverfassungsgericht ohne finanzielle Belastung oder Risiken zu vertreten. Unterstützen Sie diese wegweisende Klimaklage auf der Plattform Zukunftsklage.greenpeace.de und kämpfen Sie für eine klimafreundliche Zukunft!
•  www.zukunftsklage.greenpeace.de

Klimaschutz ist ein Menschenrecht!

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. April 2024 ist ein bahnbrechender Durchbruch für den Klimaschutz in Europa. Menschen haben nach diesem Urteil einen Anspruch auf Klimaschutz durch ihre Regierungen. Das Urteil sagt auch genau, wie dieser Klimaschutz aussehen muss. Es bindet alle Länder des Europarats, also auch Deutschland.
Von Aribert Peters

(18. August 2024) Der Europarat ist Europas führende Organisation für Menschenrechte, eine Art Vereinte Nationen für Europa. Er wurde am 5. Mai 1949 gegründet und hat 46 Mitgliedstaaten mit nahezu 700 Millionen Einwohnern, darunter die 27 Staaten der Europäischen Union. Alle Mitgliedstaaten des Europarats haben die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gezeichnet, einen Vertrag zum Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheidet über Beschwerden, in denen eine Verletzung dieser Menschenrechte gerügt wird.
•    www.bdev.de/konvention

Der Europarat ist völlig unabhängig von der Europäischen Union, mit jeweils getrennten Institutionen wie Parlamenten und Gerichten. Lediglich die Fahne und Hymne sind nahezu identisch. Amtssprachen sind Englisch und Französisch. Der Europarat hat seinen Sitz in Straßburg. Mit einem Beitritt akzeptiert jedes Land, sich unabhängigen Kontrollmechanismen zu unterwerfen, welche die Einhaltung der Menschenrechte und der demokratischen Praktiken auf seinem Hoheitsgebiet prüfen. Neben der Menschenrechtskonvention haben die Staaten des Europarats 223 weitere Abkommen geschlossen, unter anderem die Sozialcharta und die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung. 

 ED 02/2024 Klimaschutz ist ein Menschenrecht! (S.10/11) 

Die Große Kammer des EGMR gab den „Klimaseniorinnen“ nun recht: Die Schweizer Regierung habe es versäumt, ausreichende Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Die Klage der Klimaseniorinnen

Der EGMR hatte drei Klimaklagen zu einer Sache zusammengefasst und der großen Kammer des Gerichts mit 17 Richtern zur prioritären Behandlung überwiesen.

Die „Klimaseniorinnen“ der Schweiz hatten mit Unterstützung von Greenpeace Schweiz am 26. November 2020 ihre Klage eingereicht. 
Sie beschwerten sich, dass die Schweiz es versäumt habe, ihre Pflichten aus der Menschenrechtskonvention zu erfüllen, das Leben wirksam zu schützen (Art. 2) und die Achtung ihres Privat- und Familienlebens, einschließlich ihrer Wohnung, zu gewährleisten (Art. 8). Sie habe keine geeigneten Gesetze erlassen oder ausreichende Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen. Die Klimaseniorinnen hatten zuvor alle juristischen Klagemöglichkeiten in der Schweiz erfolglos ausgeschöpft. Die Schweizer Gerichte hatten sich geweigert, in eine Beweisführung einzutreten. Zu Unrecht, wie der EGMR feststellt. 

Das Urteil des EGMR

Die 17 Richter und Richterinnen des EGMR urteilten, dass die Schweiz gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, der die Achtung des Privat- und Familienlebens und der Wohnung sichert. Zudem liege ein Verstoß gegen Art. 6 – das Recht auf ein faires Verfahren – vor, da die Schweizer Gerichte den Sachverhalt nicht ausreichend geprüft hätten. Das Urteil gegen die Eidgenossenschaft kann nicht angefochten werden.

Der anthropogene Klimawandel stellt, so das Urteil, eine ernste Bedrohung der Menschenrechte heute und in künftigen Generationen dar. Die Staaten sind sich dessen bewusst und in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen, um dem wirksam zu begegnen und die Temperaturerhöhung zu begrenzen. Der Gerichtshof stellte fest, dass die derzeitigen weltweiten Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Menschenrechtskonvention beinhaltet nach dem Urteil ein Recht des Einzelnen auf wirksamen Schutz durch die staatlichen Behörden vor den schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf sein Leben, seine Gesundheit, sein Wohlergehen und seine Lebensqualität (Art. 8). Die Staaten müssen Maßnahmen zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen ergreifen, um grundsätzlich innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte Nettoneutralität zu erreichen. In dieser Hinsicht müssen sie einschlägige Zielvorgaben und Zeitpläne aufstellen, die integraler Bestandteil des innerstaatlichen Rechtsrahmens sind und als Grundlage für Minderungsmaßnahmen dienen.

Laut Urteil habe die Schweiz es versäumt, die nationalen Begrenzungen für Treibhausgase beispielsweise durch ein CO2-Budget zu quantifizieren. Außerdem habe sie in der Vergangenheit ihre Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht erreicht. Zwar hätten die nationalen Behörden bei der Umsetzung von Rechtsvorschriften einen Ermessensspielraum, jedoch sei die Umsetzung zu spät und vor allem nicht in geeigneter Weise erfolgt.

Der Gerichtshof gab der Schweiz keine Maßnahmen vor, die zu ergreifen sind. In Anbetracht des Ermessensspielraums, der dem Staat in diesem Bereich eingeräumt wird, war er der Ansicht, dass sie besser in der Lage ist, die zu ergreifenden konkreten Maßnahmen zu beurteilen.

Zwei weitere Klimaklagen abgewiesen

Die beiden anderen Klimaklagen sah das Gericht dagegen als unzulässig an: Dem ehemaligen Bürgermeister Damien Carême, mittlerweile Abgeordneter im Europäischen Parlament, fehle die erforderliche Opfereigenschaft, so der EGMR. Auch die Klimaklage der sechs portugiesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist unzulässig. Die Portugiesen hätten zunächst den Rechtsweg in Portugal ausschöpfen müssen, bevor sie den Gerichtshof in Straßburg anrufen, so der EGMR. 

Konsequenzen des Urteils

Zwar hat das Urteil unmittelbare Bindungswirkung nur für die Schweiz. Jedoch hat es weitreichende Auswirkungen über die Schweiz hinaus. Es ist ein Präzedenzfall für alle 46 Staaten des Europarats. Für jedes Mitgliedsland ist nun anhand der klaren vom EMGR formulierten Kriterien überprüfbar, ob das Menschenrecht auf Klimaschutz eingehalten wird. Zuständig dafür sind die nationalen Gerichte. 
Es darf stark bezweifelt werden, dass die deutsche Klimapolitik den EMGR-Kriterien gerecht wird (siehe „Wo steht Deutschland beim Klimaschutz?“). Entsprechende Klagen werden bereits vorbereitet.
•    Verbindlichkeit von EMRK-Urteilen: www.bdev.de/emrbundestag

Auszug aus dem Originaltext des Urteils

548. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die wirksame Wahrung der durch Artikel 8 des Übereinkommens geschützten Rechte erfordert, dass jeder Vertragsstaat Maßnahmen zur wesentlichen und schrittweisen Verringerung seiner jeweiligen Treibhausgasemissionen ergreift, um grundsätzlich innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte Emissionsneutralität zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist es für die Wirksamkeit der Maßnahmen erforderlich, dass die Behörden rechtzeitig, angemessen und kohärent handeln.

550. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Staat seinen Ermessensspielraum eingehalten hat (siehe Rdnr. 543), prüft der Gerichtshof, ob die zuständigen innerstaatlichen Behörden, sei es auf der Ebene der Legislative, der Exekutive oder der Judikative, das Erfordernis gebührend berücksichtigt haben: a) Verabschiedung allgemeiner Maßnahmen zur Festlegung eines Zeitplans für die Erreichung der Kohlenstoffneutralität und des verbleibenden Kohlenstoffbudgets für denselben Zeitraum oder einer anderen gleichwertigen Methode zur Quantifizierung künftiger Treibhausgasemissionen im Einklang mit dem übergeordneten Ziel nationaler und/oder globaler Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels; b) Zwischenziele und -pfade für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen (nach Sektoren oder anderen relevanten Methoden), die grundsätzlich geeignet sind, die nationalen Gesamtziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen innerhalb der in den nationalen Politiken festgelegten Zeiträume zu erreichen; c) Nachweis, ob die einschlägigen THG-Reduktionsziele ordnungsgemäß erfüllt wurden oder man dabei ist, sie zu erfüllen (siehe die Unterabsätze a) bis b)); d) Aktualisierung der einschlägigen THG-Reduktionsziele mit der gebotenen Sorgfalt und auf der Grundlage der besten verfügbaren Daten; e) Rechtzeitiges Handeln in angemessener und kohärenter Weise bei der Ausarbeitung und Umsetzung der einschlägigen Rechtsvorschriften und Maßnahmen.

552. Ein wirksamer Schutz der Rechte des Einzelnen vor schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen auf sein Leben, seine Gesundheit, sein Wohlergehen und seine Lebensqualität erfordert darüber hinaus, dass die oben genannten Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels durch Anpassungsmaßnahmen ergänzt werden, die darauf abzielen, die schwerwiegendsten oder unmittelbar bevorstehenden Folgen des Klimawandels abzumildern, wobei alle relevanten besonderen Schutzbedürfnisse berücksichtigt werden müssen.       
    •    Deutsche Übersetzung des Urteils: www.bdev.de/emrdt

Gericht verurteilt Bundesregierung zu Sofortprogramm

Klimaschutz unzureichend

Klimaschutz unzureichend: Gericht verurteilt Bundesregierung zu Sofortprogramm

(20. Mai 2024)) Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat am 30.11.2023 den Klagen der Deutschen Umwelthilfe und des BUND stattgegeben und die Bundesregierung verurteilt, ein Sofortprogramm nach § 8 Klimaschutzgesetz zu beschließen, das die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz genannten Jahresemissionsmengen der Sektoren Gebäude und Verkehr für die Jahre 2024 bis 2030 sicherstellt.

 ED 02/2022 Klimakrise, Klimaaktivismus und das Dorf Lützerath (S. 30)
ED 01/2024 Klimaschutz unzureichend: Gericht verurteilt Bundesregierung zu Sofortprogramm (S.6) 

Der Senat hat festgestellt, dass die Bundesregierung aufgrund der festgestellten Überschreitungen an zulässigen Treibhausgasemissionen in den Sektoren Gebäude und Verkehr zu einem Beschluss über ein Sofortprogramm nach § 8 Klimaschutzgesetz verpflichtet ist. Das nunmehr beschlossene Klimaschutzprogramm 2023 erfüllt nach Auffassung des Senats die Anforderungen an ein Sofortprogramm nicht. 

Vom CO2-Fußabdruck zum Handabdruck

(15. Januar 2024) Mit der Idee des CO2-Fußabdrucks wird das Klimaproblem seit 20 Jahren individualisiert. Er wurde von den Mineralölkonzernen eingeführt, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Beim Klima-Handabdruck hingegen werden die großen, strukturverändernden Hebel umgelegt. Der Fußabdruck bietet sich vielleicht an, die Größe des Problems ein wenig greifbarer vor sich zu sehen. Gleichzeitig kann er schnell demotivierend wirken und zu Resignation führen.

 ED 04/2023 Vom CO2-Fußabdruck zum Handabdruck (S.6) 

Eine wichtige Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung ist es deshalb, klimabewussten Menschen aufzuzeigen, dass es die systemischen Veränderungen sind, die um ein Vielfaches wirksamer sind, ohne die wir nicht die Kurve kriegen. Um meinen Handabdruck zu vergrößern, kann ich auf verschiedenen Ebenen einsteigen:

  • Gesellschaft: Selbst gesellschaftliche Strukturen nachhaltig transformieren (zum Beispiel Lastenfahrradverleih initiieren).
  • Politik: Entscheidungsträger und -trägerinnen auffordern und bewegen, gesellschaftliche Strukturen nachhaltig zu transformieren.
  • Bildung: Andere Menschen dazu befähigen, gesellschaftliche Strukturen nachhaltig zu transformieren.

Parents for Future zu Handabdruck

Wegweisende Klimaklagen vor dem EGMR in Straßburg

(9. Januar 2024) In einem wegweisenden Rechtsstreit, der am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verhandelt wird, konfrontieren sechs junge Portugiesen 32 europäische Staaten, darunter Deutschland, mit schwerwiegenden Anschuldigungen. 

Die Klage, die in der Geschichte des EGMR als eine der umfangreichsten Klimaklagen gilt, wurzelt in einer persönlichen Tragödie: den verheerenden Waldbränden in Portugal während der Hitzewelle 2017, die mehr als 100 Todesopfer forderten und einen tiefen Eindruck bei den jungen Klägern hinterließen. Martim Duarte Agostinho, ein 20-jähriger Kläger, erinnert sich lebhaft an das Entsetzen, das ihm die Brände in der Nähe seines Hauses bereiteten. Diese jungen Menschen sehen in der Untätigkeit der Staaten eine direkte Verletzung grundlegender Menschenrechte, darunter das Recht auf Leben und das Recht auf Schutz vor unmenschlicher Behandlung. Sie fordern eine raschere und umfassendere Reduktion der Treibhausgasemissionen, nicht nur innerhalb der eigenen Grenzen dieser Staaten, sondern auch in Bezug auf deren globale Auswirkungen. Die Klage wird unter anderem von Amnesty International und Greenpeace unterstützt und auch von der Menschenrechtskommissarin des Europarats Dunja Mijatovic´.

 ED 04/2023  Wegweisende Klimaklagen vor dem EGMR in Straßburg (S.5) 

Über 2.500 Seniorinnen engagieren sich in der Schweiz für die Lebensgrundlagen ihrer Enkel. Sie fordern wirksamen Klimaschutz. „Wir klagen, weil alles, was uns lieb ist, auf dem Spiel steht.“ Die Schweiz hat es versäumt, Klimaziele festzulegen, die dem internationalen Klimarecht und den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. In Deutschland hat das Oberverwaltungsgericht Brandenburg die Bundesregierung verurteilt, ein Sofortprogramm zu beschließen, das die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz genannten Jahresemissionsmengen der Sektoren Gebäude und Verkehr für die Jahre 2024 bis 2030 sicherstellt.

Eine ähnliche Klage vor dem EGMR verfolgen 2.500 Schweizer Rentnerinnen: Ihr Land tue nicht genug, um sie vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Die Klimaklage wurde von Greenpeace Schweiz initiiert und finanziert. 

UNO und Internationaler Gerichtshof: Treibhausgasemissionen als Strafrechtstatbestand

(25. September 2023) Die Länder, die derzeit schon unter Wasser stehen oder in wenigen Jahren im Ozean verschwinden, fragen zu Recht, ob die weitere Treibhausgasemission nicht einen Strafrechtstatbestand erfüllt, nämlich die Auslöschung ganzer Länder. Zum Beispiel der kleine Pazifik-Inselstaat Vanuatu. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNO) hat dazu am 29. März 2023 einen wegweisenden Beschluss gefasst (A/77/L.58), beantragt vom Inselstaat Vanuatu und weitere 18 Staaten, darunter Deutschland.

Demnach werden an den Internationalen Gerichtshof (IStGH) folgende Fragen formuliert:

  • Was sind die Verpflichtungen der Staaten nach internationalem Recht, um den Schutz des Klimasystems und anderer Teile der Umwelt vor anthropogenen Treibhausgasemissionen für Staaten und für gegenwärtige und zukünftige Generationen zu gewährleisten?
  • Was sind die rechtlichen Folgen dieser Verpflichtungen für Staaten, wenn sie durch ihre Handlungen und Unterlassungen erhebliche Schäden am Klimasystem und an anderen Teilen der Umwelt verursacht haben, bezüglich: Staaten, insbesondere kleinen Inselentwicklungsländern, die aufgrund ihrer geografischen Umstände und ihres Entwicklungsstands verletzt oder besonders betroffen oder anfällig für die negativen Auswirkungen des Klimawandels sind; Völkern und Einzelpersonen der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, die von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

Der Internationale Gerichtshof hat am 20. April 2023 angeordnet, dass Stellungnahmen zu den aufgeworfenen Fragen bis zum 20. Oktober 2023 eingereicht werden können, die Antworten dazu wiederum bis zum 24. Januar 2024. Der IStGH im niederländischen Den Haag ist seit 2003 für die Verfolgung besonders schwerer Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig. 
bdev.de/unostg
 

Klimaschutz vor dem Kadi

Zahlreiche Klagen gegen untätige Regierungen und Behörden markieren einen politischen Wendepunkt. Die Menschen lassen sich die Untätigkeit von Politikern, Verwaltungen und Unternehmen nicht länger gefallen. Statt nur zu demonstrieren erzwingen die Bürger zunehmend die Durchsetzung ihrer Rechte durch die Gerichte.
Von Aribert Peters

(27. April 2019) Weil Staaten und Firmen für den Klimaschutz zu wenig tun, werden sie weltweit immer öfter vor Gerichten verklagt. Die meisten Staaten haben sich dem Pariser Klimaabkommen angeschlossen oder haben sich durch den Beitritt zur Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet, Leben und Gesundheit ihrer Bürger bestmöglich zu schützen. Genau das tun die Staaten aber nicht, wenn sie ihre Klimaschutzziele oder die Vorgaben zur lokalen Luftreinhaltung verfehlen.

1235 Klimagrafik / Grafik: People‘s climate case

Alle Klagen basieren auf den Ergebnissen der Klimaforschung: Das Verbrennen fossiler Energien setzt klimaschädliche Gase frei und verursacht dadurch Klimaschäden. Staaten könnten das weitaus stärker verhindern, als sie es tatsächlich tun. Aber auch einzelne Klimaschädiger wie RWE werden auf Ersatz von Klimafolgeschäden verklagt. Mehr als 1.000 Klimaklagen sind weltweit anhängig.

Urgenda gegen Niederlande

Fangen wir mit einem großen Erfolg an: In den Niederlanden hat das Berufungsgericht in Den Haag am 9. Oktober 2018 entschieden, dass der niederländische Staat zu wenig tut, um die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent zu vermindern. Der Staat hat rechtswidrig gehandelt und die Artikel 2 und 8 der Menschenrechtskonvention zum Schutz von Leben und Gesundheit verletzt, indem er nicht alle seine Möglichkeiten zur Emissionsminderung ausgeschöpft hat. Die Umweltorganisation Urgenda hatte zuvor bereits in erster Instanz gewonnen.

Klagen gegen die EU

Zahlreiche vom Klimawandel direkt betroffene oder bedrohte Familien haben am 24. Mai 2018 eine Klage gegen die EU beim Gericht der Europäischen Union eingereicht. Sie sehen sich durch den Klimawandel in ihren Menschenrechten auf Leben, Gesundheit, Beschäftigung und Eigentum verletzt. Sie klagen darauf, dass die EU das Notwendige gegen die Treibhausgasemissionen unternimmt. Das sei gegenwärtig nicht der Fall. Die Emissionsminderungsziele müssten erhöht werden. Konkrete Minderungsziele verlangen die Kläger nicht. Bei den Klägern handelt es sich zum Beispiel um Familien, die auf deutschen Nordseeinseln wohnen, die vom Ansteigen des Meeresspiegels bedroht sind. Aber auch Familien aus Südfrankreich und Südspanien, deren Gesundheit und Arbeitsplätze durch Hitzewellen und Trockenheit bedroht sind sowie Familien von den Fidschi-Inseln, die durch Stürme und Korallensterben geschädigt werden. Viele Umweltorganisationen wie Germanwatch und zahlreiche Aktivisten unterstützen die Klage. Über deren Internetseite kann man sich der Bewegung anschließen.

Klage von BUND und SFV

Im November 2018 hat ein Klagebündnis bestehend aus der Umweltschutzorganisation BUND und dem Solarenergieförderverein (SFV) Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik eingereicht. Dieser Klage war ein Gutachten von Prof. Felix Ekardt vorausgegangen. Durch ungenügenden Klimaschutz sehen sich die Kläger in ihren Rechten auf Leben, Gesundheit und Eigentum beeinträchtigt. Es wird das gesetzgeberische Unterlassen beim Klimaschutz gerügt (Grundgesetz Artikel 93, Abs. 1, Nr. 4a), wie es auch in anderem Zusammenhang geschehen ist – allerdings ohne Erfolg.

Klagen in den USA

Weltweit und insbesondere in den USA gibt es zahlreiche Klagen gegen Firmen und auch Institutionen. Einen Überblick gewinnt man unter:

RWE als Großverschmutzer

Die Opfer des Klimawandels klagen gegen dessen Verursacher auch in Deutschland. So hat der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya im November 2015 ganz konkret den Konzern RWE auf 17.000 Euro Schadensersatz verklagt. Durch den Bau eines Staudamms sollen die Folgen eines in den Anden schmelzenden Gletschers abgewendet werden. Von den Baukosten soll RWE 0,47 Prozent übernehmen. Das ist der Anteil von RWE am weltweiten CO2-Ausstoß. Das Landgericht Essen hatte die Klage 2016 abgewiesen, weil keine Verursachungskette nachweisbar sei. Lliuya legte Berufung beim Oberlandesgericht Hamm ein. Mit Beschluss vom 30. November 2017 hat das OLG eine Beweisaufnahme beschlossen. Wenn RWE Dritte durch seine Kraftwerke schädigt, dann muss der Konzern dafür haften. Das gilt auch dann, wenn der Kraftwerksbetrieb gesetzlich genehmigt wurde. RWE unterlasse es, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine Flutgefahr in Peru zumindest verringern, so der Gerichtsbeschluss. Nun sollen Sachverständige klären, ob die Kraftwerksemissionen die Schäden mitverursacht haben. Auch diese Klage wird von einem breiten Bündnis von Umweltorganisationen und Einzelpersonen unterstützt.

Wikipedia: Gerichtsverfahren zum Klimawandel

Klimaklagen: Klimastreit vor Gericht

Von Louis-F. Stahl

(15. November 2021) In den vergangenen Monaten haben weltweit Gerichte Unternehmen und Staaten zu mehr Klimaschutz verurteilt. Das Bezirksgericht von Den Haag verurteilte im Mai 2021 den niederländischen Ölkonzern Shell dazu, seinen CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 nahezu zu halbieren und damit sofort beginnen zu müssen. Geklagt hatten sieben Umweltschutzorganisationen. Ziel der Klage: Nicht nur Staaten, auch Unternehmen sollten verpflichtet werden, die Klimaschutzziele des Abkommens von Paris umzusetzen. Zuvor hatte im Dezember 2019 bereits das oberste Gericht der Niederlande den niederländischen Staat zur Einhaltung strengerer Klimaschutzziele verurteilt sowie im April 2021 das deutsche Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung (siehe „Grundrecht auf Klimaschutz“). Einen weiteren Sieg konnten auf Umwelt- und Klimaschutz klagende BürgerInnen im September 2021 in Indonesien verzeichnen. Die indonesische Regierung sowie die drei Provinzgouverneure der Metropolregion Jakarta wurden verurteilt, die Qualität der Luft zukünftig messtechnisch zu erfassen und durch Regularien sowie Verwaltungshandlungen insbesondere auch Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, die Luftqualität zu verbessern.

1235 Symbolbild: Justizia mit Glühlampen als Blumentöpfe / Foto:  promesaartstudio / stock.adobe.com

In Deutschland haben derweil die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Greenpeace Anfang September 2021 Klagen gegen BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Wintershall Dea sowie Verfassungsbeschwerden gegen die Bundesländer Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt eingereicht. Die Unternehmen sollen gerichtlich zur Einstellung der Öl- und Gasförderung sowie zur Unterlassung der Herstellung von Verbrennungsmotorfahrzeugen in Deutschland verpflichtet werden. Den Bundesländern wirft die DUH vor, keine mit dem Grundgesetz sowie mit den vom Bundesverfassungsgericht festgelegten grundrechtlichen Klimaschutzanforderungen genügenden Klimaschutzgesetze zu besitzen. Gegen drei weitere Landesregierungen von Bayern, Brandenburg sowie Nordrhein-Westfalen wurden bereits im Juli 2021 Verfassungsbeschwerden eingereicht. Nachdem Klagen zur Luftreinhaltung gegen Städte und Kommunen seit Jahren erfolgreich sind, rücken damit in Deutschland nun zunehmend Unternehmen und Bundesländer in den Fokus von Klimaklagen.

letzte Änderung: 23.09.2024