ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Über Klimawandel reden

Es ist schwer, angemessen über die Klimakrise zu reden. Je eindringlicher man die Katastrophe schildert, umso weniger überzeugt man. Wichtig ist eine gute Geschichte, in der die Zukunft durch gemeinsames Handeln formbar ist. Die Bezwingung des Klimawandels ist das Projekt, das uns als Menschheit eint und uns zur Überwindung unserer Schwächen befähigt.
Von Aribert Peters

(1. Juni 2021) Seit vielen Jahrzehnten sind sich Wissenschaftler, Politiker, Kirchen und Unternehmen bis hin zu den Ölkonzernen weltweit einig: Der Klimawandel ist die größte Bedrohung der Gegenwart, einem Atomkrieg vergleichbar. Dennoch scheint nichts zu passieren. Der amerikanische Schriftsteller und Umweltaktivist George Marshall hat eine gemeinsam verabredete Ignoranz oder Sprachlosigkeit entdeckt, über den Zusammenhang zwischen den Folgen des Klimawandels – dazu zählen extreme Trockenheit, Fluten, Stürme, Waldbrände und der Meeresspiegelanstieg – und den Klimawandel selbst zu reden. Er bezeichnet das als gemeinsam verabredeten blinden Fleck oder Verleugnung.

2712 Klimawandel / Foto: Extinction Rebellion Glasgow

Gemeinsames Verbrechen?

Der Klimawandel ist kein Verbrechen, obwohl er die Zukunftschancen von Milliarden Menschen für immer zerstört. Denn es steckt keine Absicht dahinter. Wenn ich mit dem Flugzeug Emissionen verursache, habe ich keine böse Absicht. Es ist dennoch ein perfektes Verbrechen, wie der Mord im Orient Express, weil es alle gemeinsam begehen und jeder schuldig ist. Der Klimawandel ist nicht der Elefant im Raum, den wir nicht sehen. Es ist der Elefant in unserem Inneren, den wir nicht wahrhaben wollen. Wir verstummen, statt über den Klimawandel zu reden, weil wir uns mitschuldig fühlen.

It’s already too late, and it’s never too late. - Charles Eisenstein, Philosoph

Geschichten ohne Realitätsbezug

Unser Gehirn erfindet Geschichten, mit denen wir unser klimaschädigendes Verhalten vor uns selbst rechtfertigen. Wir sind damit erfinderisch. Und solche wild erfundenen Geschichten unterliegen im Gehirn keiner Realitätskontrolle. Denn sie finden im emotionalen Teil des Gehirns statt. Dort wird das Verhalten gesteuert und dort geht es um Geschichten. Diese Geschichten werden zwischen sich nahestehenden Menschen geteilt. Sie klaffen weit auseinander in verschiedenen Milieus. Das ist eine Erkenntnis der Verhaltenspsychologie, nachzulesen beim Nobelpreisträger Daniel Kahnemann. In einem anderen, dem analytischen Teil des Gehirns weiß unser Verstand vom Klimawandel. Aber dieses Wissen beeinflusst kaum den emotionalen Teil des Gehirns.
Video: Per Espen Stoknes „How to transform apocalypse fatigue into action on global warming“

Reden über Klimawandel

Wenn man nun über den Klimawandel auf der sachlichen Ebene redet, dann schlägt der emotionale Hirnteil Alarm. Je überzeugender das Argument, umso stärker der Widerstand! Und noch dazu sind die Botschaften der Wissenschaft oft so beängstigend, dass sogar die Wissenschaftler selbst sich scheuen, darüber offen und ehrlich zu reden. Das ist der Grund für den Erfolg der Klimaleugner.
bdev.de/klimafakten

Eine neue Geschichte erzählen

Die Lösung besteht darin, eine andere, bessere Geschichte zu erzählen, die vom Emotionshirn akzeptiert wird und besser passt als die alte Geschichte. Diese neue Geschichte sollte die Spannung auflösen zwischen dem, was wir wissen, und dem was wir tun. Indem sie erstens den Klimawandel wahrnimmt als Realität, statt ihn zu verleugnen. Und zweitens konkrete Handlungsmöglichkeiten anbietet, um einen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems zu liefern. In dieser Geschichte bin ich selbst der Held, der Superman, der mit Erfolg gegen den Klimawandel kämpft. Und nicht mehr der Bösewicht. Und das ist eine Traumrolle, in der sich jeder wohlfühlt: Der James Bond der Klimarettung!

Die emotionale Kraft

George Marshall schreibt: „Wir haben keinen stärkeren Instinkt, als unsere gemeinsamen Interessen als Spezies und die unserer Nachfahren zu verteidigen. Der Klimawandel bedroht uns existenziell in jeder Hinsicht und berührt unsere tiefsten Instinkte für den Schutz unserer Art, unserer Nachkommen und unserer Gemeinschaft. Wir haben praktisch unbeschränkte Fähigkeiten, Vorstellungen zu akzeptieren, die sonst unakzeptabel sind, sobald sie eine gemeinsame Überzeugung sind. Verstärkt durch soziale Normen werden sie zu ‚heiligen Werten‘.

Es gibt keinen einfachen Weg, um aus Informationen Überzeugungen zu formen. Dieselben Mechanismen, die den Klimawandel entfernt, unsicher oder hoffnungslos erscheinen lassen, können wir nutzen, um den Kampf dagegen zu einem sozial geprüften und legitimierten Handeln zu machen. Aktionen gegen den Klimawandel werden belohnt durch das Gefühl, zu einem gemeinsamen großen Projekt beizutragen. Die Bezwingung des Klimawandels ist das Projekt, das uns als Menschheit vereint und das uns befähigt, unsere historisch gewachsenen Unterschiedlichkeiten zu überwinden.“

Eine Anleitung zum Gespräch

Wie sollte man unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse idealerweise über den Klimawandel mit Klimaskeptikern reden? Die Alliance for Climate Education gibt dazu Hilfestellung in einem vierminütigen Video.

Folgende wichtige Empfehlungen lassen sich aus dem englischsprachigen Video mitnehmen: Zuerst überlegt man, was man inhaltlich zum Thema sagen und an Argumenten vorbringen möchte. Und dann sagt man genau das nicht. Das große Geheimnis ist: Zuerst zuhören! Denn das Ziel ist nicht, jemanden von der eigenen Sichtweise zu überzeugen.

Fragen Sie nach den Gedanken und Perspektiven Ihres Gegenübers. Denn es geht um das Gegenüber. Wenn der andere redet, dann sollte man nur zuhören. Man sollte der Versuchung widerstehen, direkt zu antworten. Besonders schwierig ist es, wenn man mit etwas nicht übereinstimmt, was der andere sagt. Gerade dann ist es wichtig, zunächst genau zuzuhören.

Wiederholen Sie, was der andere gesagt hat. Das zeigt, dass Ihnen die Meinung des anderen wichtig ist. Damit gewinnt man das Vertrauen des anderen. Dann sollte man fragen, ob man die eigene Sichtweise mitteilen kann. Ist die Antwort ein „Ja“, dann sind Sie an der Reihe. Widerstehen Sie der Versuchung, den anderen überzeugen zu wollen. Denn das würde sofort eine Gegenreaktion und eine Blockade verursachen. Sondern berichten Sie über ihre persönlichen Überzeugungen. Auch wenn Sie kein Klimaexperte sind, sind Sie ein Experte, was Sie selbst betrifft. Reden Sie über sich, wann und wie sie mit dem Thema konfrontiert wurden, wie sie darauf reagiert haben.

Dann ist der andere wieder dran. Hören Sie zu, was er dazu zu sagen hat! Eine Unterhaltung ist ein Austausch von Ideen in beide Richtungen. Ein positiver Gesprächsabschluss ist besonders wichtig. Versuchen Sie es einmal, es könnte das Wichtigste sein, was Sie jemals gemacht haben.

Vertiefung

Eine umfangreiche Sammlung und Einordnung, wie Wissen und Erfahrungen in Sachen Klimakommunikation zu ordnen sind, hat das Internetportal klimafakten.de in einem eBook zusammengetragen. Das „Handbuch Klimakommunikation“ ist kostenfrei im Internet abrufbar.

Fragen, die zum Nachdenken über die eigenen Überzeugungen und Handlungen anregen können:
  • Halten Sie den weiteren Anstieg der Erdtemperatur für wahrscheinlich oder gar sicher?
  • Glauben Sie, dass die Menschen durch ihre Emissionen dafür wesentliche Verantwortung tragen?
  • Tragen Sie mit Ihrem eigenen Verhalten zum Klimawandel bei?
  • Wissen Sie, welche Länder am meisten CO2 emittieren?
  • Wissen Sie, welche Länder am stärksten unter dem Klimawandel leiden, gegenwärtig und in Zukunft?
  • In welchem Jahr sollten Aktionen gegen den Klimawandel beginnen und mit welcher Intensität?
  • Sind alle Mitverursacher des Klimawandels auch für seine Folgen mitverantwortlich, also beispielsweise die dauerhafte Unbewohnbarkeit der Erde oder das Verhungern oder den Hitzetod von Milliarden von Menschen?
  • Wenn Zentralafrika, Südamerika und Südostasien einen starken Temperaturanstieg erleiden und für Menschen unbewohnbar werden, wären Sie dafür, diese Menschen bei uns aufzunehmen?
  • Wissen Sie, wie viele Menschen davon betroffen sein können?

letzte Änderung: 25.07.2023