Preisbildung mit Grenzkosten führt zu Windfall-Profits
(12. Oktober 2009) Das Bundesumweltministerium hat eine Studie zu fairen Strompreisen veröffentlicht.
Es gebe für den Stromspotmarkt keinerlei Verbotsvorschriften in Bezug auf Insiderhandel, wie dies bei Wertpapiermärkten der Fall ist. Ebenso fehlten jegliche Ad-hoc-Publizitätspflichten für kursrelevante Informationen wie ungeplante Kraftwerksausfälle. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf, da mit Einführung der Strombörsen die frühere Preisbildung, die auf den Durchschnittskosten der Erzeugung basierte, abgelöst wurde durch eine Preisbildung auf Grundlage der Grenzkosten.
Die Preisbildung auf Grundlage des betriebswirtschaftlichen Theorems der Grenzkosten bedeutet, daß der Börsen-Strompreis nicht die Durchschnittskosten der Stromerzeugung widerspiegelt, sondern sich nach den Kosten jenes letzten Kraftwerks bemißt, daß der Erzeugungs-Palette hinzugefügt werden muß, um die aktuelle Nachfrage zu befriedigen. Und das sind nun mal die Anlagen für Spitzenlast wie Pumpspeicher- und Gasturbinenkraftwerke, deren Betrieb besonders teuer ist. Mit der Höhe der Grenzkosten steigt aber die Differenz zu den durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung und damit der Gewinn.
Für marktbeherrschende Kraftwerksbetreiber ergibt sich so die Möglichkeit, durch entsprechende Disposition von Kraftwerkskapazitäten die Grenzkosten und damit die "Windfall-Profits" für sich und andere Erzeuger in die Höhe zu treiben. - Zumindest solange, wie die völlig unterschiedlichen Kosten von Grund-, Mittel- und Spitzenlast ignoriert oder vernachlässigt werden, was die tonangebende Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler bisher in erstaunlicher Weise fertiggebracht hat. Und da es beim Strom noch immer keinen echten Wettbewerb gibt, können die so zustande gekommenen überhöhten Börsenpreise auch nicht vom Markt korrigiert werden. Sie dienen vielmehr als Referenzpreis für den Stromhandel und treiben so das Preisniveau insgesamt nach oben.
"Es sind so gut wie keine Daten über tatsächliche Erzeugungskosten verfügbar"
Möglicherweise setzen die Konzerne sogar ihre Grenzkosten für Spitzenlast zu hoch an. Laut Gutachten des BMU läßt sich das ebenso wenig überprüfen wie die Kosten für Grund- und Mittellast, denn es seien "so gut wie keine Daten über tatsächliche Erzeugungskosten verfügbar". Darunter litten alle Studien, die den Zusammenhang zwischen Marktmacht und Preissteigerung zu durchleuchten versuchen, da sie auf "grobe Annahmen" angewiesen seien.
Eine Ausnahme bilde lediglich eine Studie von London Economics, die im Auftrag der EU-Kommission die enorme Diskrepanz zwischen Kosten und Erlösen der Stromerzeuger untersuchte und im April 2007 veröffentlicht wurde. Hier hätten für die Jahre 2003 bis 2005 die tatsächlichen Erzeugungsdaten zugrunde gelegt werden können. Die Studie zeige, daß es eines immensen Aufwands zur Überprüfung des Stromgroßhandelsmarktes bedürfe. In Deutschland gebe es wohl keine mit dem Energiemarkt befaßte Behörde, die in der Lage wäre, die Komplexität der von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie zu bewältigen. Derartiges Know-how müsse dringend aufgebaut werden.
Besonderheiten der Stromversorgung wurden beim Aufbau der Börsen missachtet
Dass die Strombörsen nicht im Sinne des Wettbewerbs funktionieren, sondern zur Preistreiberei geradezu einladen, ist längst ein offenes Geheimnis und von verschiedener Seite beklagt worden, so der Chronist Udo Leuschner. Ein Grundfehler bestand schon darin, die klassische Produktenbörse einfach in den Bereich der Elektrizitätswirtschaft zu übertragen. Im Unterschied zu Getreide und Kaffee oder auch zu Energieträgern wie Öl und Gas ist Strom nämlich nicht speicherbar. Er muss vielmehr in derselben Sekunde erzeugt werden, in der er verbraucht wird. Außerdem haben Schwankungen des Strompreises keine Auswirkungen auf die Nachfrage.
Damit entfallen zwei ganz wesentliche Faktoren, die an einer herkömmlichen Produktenbörse für das Austarieren von Angebot und Nachfrage sorgen. Die von der Monopolkommission konstatierte "Vermachtung" der Stromwirtschaft ist dagegen eher ein nachrangiger Faktor. Erst im Zusammenwirken mit den technisch-physikalischen Besonderheiten der Stromwirtschaft und den Besonderheiten des computerisierten Strombörsen-Betriebs hat diese Vermachtung besonders fatale Folgen. Sie ermöglicht es den Großstromerzeugern, fast beliebig an der Preisschraube zu drehen.
Unter der relativen Vielzahl von Börsenteilnehmern verfügen sie als einzige über die ganze Palette der Kraftwerkskapazitäten, die erforderlich ist, um die wechselnde Stromnachfrage abzudecken. Vor allem verfügen sie über die Anlagen zur Abdeckung von Spitzenlast. Durch gezielten Einsatz bzw. Nichteinsatz von Kraftwerkskapazitäten können sie so die "Grenzkosten" der Stromerzeugung bestimmen, die für den Börsenpreis maßgeblich sind, und von der enormen Differenz dieses Börsenpreises zu den durchschnittlichen Stromerzeugungskosten profitieren. Hinzu können sie diese Preistreiberei auch noch hinter der Anonymität des Börsengeschehens verstecken, da dieses ja formal korrekt abläuft und sich die Preise scheinbar aus dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage ergeben.