Verbraucher gewinnt Klage durch Billigkeitseinwand

Nach Urteil am Europäischen Gerichtshof: Verbraucher gewinnt Klage durch Billigkeitseinwand

Von Leonora Holling

(29. Juni 2023) Vor ungefähr zehn Jahren waren Zahlungsklagen von Energieversorgungsunternehmen gegen Verbraucherinnen und Verbraucher, die Preiserhöhungen bei Strom- und Gasgrundversorgungen nach § 315 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) widersprochen hatten, noch gang und gäbe. Obsiegte die Verbraucherseite zunächst überwiegend, änderte sich das Bild durch die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.10.2015 (Az. VIII 158/11; VIII ZR 13/11) und 6.6.2018 (Az. VIII ZR 247/17) grundlegend. Zwar hatte der BGH auch dort zunächst angenommen, dass die deutschen Grundversorgungsverordnungen keine wirksame Rechtsgrundlage für Preiserhöhungen enthalten. Gerade hierauf hatten sich die Versorger berufen. Der BGH legte dann aber die ihm zur Entscheidung übertragenen Fälle dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Überprüfung im Hinblick auf europäisches Recht vor. 

Der EuGH bestätigte, dass europäische Verbraucherschutzrichtlinien verletzt seien. Mit der Aussage, das deutsche Recht habe in der Grundversorgung keine wirksamen Preiserhöhungen, schickte er die Verfahren nach Karlsruhe zurück. Statt die Zahlungsklagen der Versorger nunmehr konsequent abzuweisen, nutzte der BGH aber einen juristischen Kniff, den Versorgern doch noch Recht zu geben.

Da in den Verordnungen laut EuGH kein Preiserhöhungsmechanismus wirksam vorhanden sei, Beschaffungskosten aber nun einmal steigen könnten, habe der Verordnungsgeber dieses Problem schlicht übersehen. Deshalb bestehe eine rechtliche „Lücke“, die der jeweilige nationale Richter durch Auslegung schließen müsse. Insoweit sei es Aufgabe des Richters, im Einzelfall zu prüfen, ob seitens des Versorgers die Preiserhöhung durch Beschaffungskostenanstiege hinreichend belegt sei.

Einen solchen hinreichenden Beleg seitens des Versorgers für angeblich gestiegene und weitergegebene Beschaffungskosten konnte das Amtsgericht Auerbach in dem Verfahren Az. 1 C 510/20 nicht ausmachen. Mit Urteil vom 19.4.2023 hat es daher die Klage des Versorgers gegen einen Preisprotestkunden bei Strom und Gas abgewiesen. Hierbei ging es um den Zeitraum 2017 bis 2019. Eine andere Abteilung des gleichen Amtsgerichts hatte bereits für den Zeitraum 2010 bis 2016 (Az. 2 C 723/14) entschieden. Dieses Verfahren ist in der Berufungsinstanz.

Das Amtsgericht hat in seinen Urteilsgründen ausgeführt, dass die ihm durch den Versorger vorgelegten Unterlagen nicht so klar seien, dass sich hieraus die Steigerung der Beschaffungskosten ableiten lasse. Auch eine zuverlässige Schätzung sei so durch das Gericht nicht möglich. Die durch den Versorger angebotenen Zeugen hat das Gericht nicht vernommen. Hier war dem Gericht offenbar unklar, was zu welchem Thema diese Zeugen bekunden könnten. Es glaubte daher, es handele sich um eine prozessual zuverlässige Ausforschung.

Ein mutiges Urteil in einer Zeit, in der regelmäßig Verfahren wegen Zahlungsverzugs aufgrund Unbilligkeitseinwandes negativ für Verbraucherinnen und Verbraucher enden. Die meisten Gerichte begnügen sich mit dem oft undurchsichtigen Zahlenmaterial der Versorger, um erhöhte Beschaffungskosten anzunehmen.

letzte Änderung: 27.06.2013