gifhorn Protestzug

News zum Energiepreis-Protest

Nach Urteil am Europäischen Gerichtshof

Verbraucher gewinnt Klage durch Billigkeitseinwand

Nach Urteil am Europäischen Gerichtshof: Verbraucher gewinnt Klage durch Billigkeitseinwand

Von Leonora Holling

(29. Juni 2023) Vor ungefähr zehn Jahren waren Zahlungsklagen von Energieversorgungsunternehmen gegen Verbraucherinnen und Verbraucher, die Preiserhöhungen bei Strom- und Gasgrundversorgungen nach § 315 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) widersprochen hatten, noch gang und gäbe. Obsiegte die Verbraucherseite zunächst überwiegend, änderte sich das Bild durch die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.10.2015 (Az. VIII 158/11; VIII ZR 13/11) und 6.6.2018 (Az. VIII ZR 247/17) grundlegend. Zwar hatte der BGH auch dort zunächst angenommen, dass die deutschen Grundversorgungsverordnungen keine wirksame Rechtsgrundlage für Preiserhöhungen enthalten. Gerade hierauf hatten sich die Versorger berufen. Der BGH legte dann aber die ihm zur Entscheidung übertragenen Fälle dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Überprüfung im Hinblick auf europäisches Recht vor. 

Der EuGH bestätigte, dass europäische Verbraucherschutzrichtlinien verletzt seien. Mit der Aussage, das deutsche Recht habe in der Grundversorgung keine wirksamen Preiserhöhungen, schickte er die Verfahren nach Karlsruhe zurück. Statt die Zahlungsklagen der Versorger nunmehr konsequent abzuweisen, nutzte der BGH aber einen juristischen Kniff, den Versorgern doch noch Recht zu geben.

Da in den Verordnungen laut EuGH kein Preiserhöhungsmechanismus wirksam vorhanden sei, Beschaffungskosten aber nun einmal steigen könnten, habe der Verordnungsgeber dieses Problem schlicht übersehen. Deshalb bestehe eine rechtliche „Lücke“, die der jeweilige nationale Richter durch Auslegung schließen müsse. Insoweit sei es Aufgabe des Richters, im Einzelfall zu prüfen, ob seitens des Versorgers die Preiserhöhung durch Beschaffungskostenanstiege hinreichend belegt sei.

Einen solchen hinreichenden Beleg seitens des Versorgers für angeblich gestiegene und weitergegebene Beschaffungskosten konnte das Amtsgericht Auerbach in dem Verfahren Az. 1 C 510/20 nicht ausmachen. Mit Urteil vom 19.4.2023 hat es daher die Klage des Versorgers gegen einen Preisprotestkunden bei Strom und Gas abgewiesen. Hierbei ging es um den Zeitraum 2017 bis 2019. Eine andere Abteilung des gleichen Amtsgerichts hatte bereits für den Zeitraum 2010 bis 2016 (Az. 2 C 723/14) entschieden. Dieses Verfahren ist in der Berufungsinstanz.

Das Amtsgericht hat in seinen Urteilsgründen ausgeführt, dass die ihm durch den Versorger vorgelegten Unterlagen nicht so klar seien, dass sich hieraus die Steigerung der Beschaffungskosten ableiten lasse. Auch eine zuverlässige Schätzung sei so durch das Gericht nicht möglich. Die durch den Versorger angebotenen Zeugen hat das Gericht nicht vernommen. Hier war dem Gericht offenbar unklar, was zu welchem Thema diese Zeugen bekunden könnten. Es glaubte daher, es handele sich um eine prozessual zuverlässige Ausforschung.

Ein mutiges Urteil in einer Zeit, in der regelmäßig Verfahren wegen Zahlungsverzugs aufgrund Unbilligkeitseinwandes negativ für Verbraucherinnen und Verbraucher enden. Die meisten Gerichte begnügen sich mit dem oft undurchsichtigen Zahlenmaterial der Versorger, um erhöhte Beschaffungskosten anzunehmen.

Verarmung und Supergewinne: Protestbewegungen

Die Energiepreissteigerungen treiben trotz Preisbremse viele Menschen in Not und Verzweiflung. Dabei stiegen die Gewinne der fünf großen Ölkonzerne 2022 auf einen Rekordwert von 195 Milliarden Dollar. Gegen dieses Ungleichgewicht werden nun Proteste laut: in Deutschland und europaweit.
Von Dr. Aribert Peters

(5. Mai 2023) Inzwischen werden auch branchenunabhängig unter Berufung auf die Energiekrise mitunter fast beliebige Preiserhöhungen durchgesetzt, ob sie nun eine wirtschaftliche Grundlage haben oder nicht. Gleichzeitig sanken die Reallöhne 2022 um durchschnittlich 4,1 % gegenüber dem Vorjahr und damit das dritte Jahr in Folge, so das Statistische Bundesamt.

Nicole Lindner vom Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen klagt über „Existenzangst, die handlungsunfähig und krank macht“. Ihr Monatsabschlag für Gas sei von 85 auf 245 Euro gestiegen, der Preis für Strom von 29 auf 49 Cent pro Kilowattstunde. Für viele Menschen reiche das Geld nicht einmal zum Kauf von Lebensmitteln, die Verdoppelung der Stromkosten sei da nicht mehr zu verkraften. An den Tafeln in Deutschland steht eine Rekordzahl von zwei Millionen Menschen Schlange. Ein Drittel aller Tafeln hat Aufnahmestopp.

„Solange ganz normale Menschen in unserem Land – und das sind die meisten – schon jetzt nicht mehr ruhig schlafen können, weil sie sich vor der Gasrechnung im Winter fürchten, empfinde ich die mit der Energiepreisexplosion eingefahrenen Riesengewinne der Energiekonzerne als unmoralisch und inakzeptabel“, schreibt Ulrich Breulmann in den Ruhr Nachrichten. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Der Gewinnzuwachs der einen wird ermöglicht durch das, auf das die anderen verzichten müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Die Politik reagiert nur unzureichend mit Energiegeld, Energiepreisbremse und Übergewinnsteuer.

Kampagne „Wir zahlen nicht“

Gegen dieses Ungleichgewicht regt sich nun Widerstand: Nach dem Vorbild der Initiative „Don’t pay“ in Großbritannien und Italien hat sich auch in Deutschland eine Bewegung „Wir zahlen nicht“ gegründet. Sie fordert den Schutz vor Stromsperren, einen Festpreis für Strom, 100 % erneuerbare Energie und die Vergesellschaftung der Energiekonzerne. Die Bewegung setzt auf eine Million Mitstreiter und will nach Erreichen dieser Unterstützerzahl nur noch 15 Ct/kWh für Strom zahlen. Bisher werden Absichtserklärungen gesammelt.

Die Initiatoren erinnern an erfolgreiche Proteste: In den 1970ern weigerten sich Hunderte niederländische Haushalte, neue Atomkraftwerke zu finanzieren, und die Gebühr wurde abgeschafft. Ein anderes Beispiel: 1974 zahlten in der italienischen Lombardei viele Arbeiter die Hälfte ihrer Stromrechnung nicht und verminderten die Erhöhungen durch Verhandlungen mit der Regierung.

Europaweit für mehr Gerechtigkeit

In Europa hat sich die Gruppe „Power to the People“ zusammengefunden, um über Grenzen hinweg gemeinsam für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Mit dazu gehören die Organisationen European Alternatives, European University Institute, Europe Calling, Mehr Demokratie, Another Europe is Possible und Citiziens Take Over Europe. An der ersten Online-Versammlung nahmen über 250 Menschen aus 16 verschiedenen Ländern teil. Als Ergebnis der Diskussionen wurden folgende politische Empfehlungen formuliert:

  • Begrenzung der Energiekosten: Ob nun bei Gas, Benzin oder Strom, die Preise sollten je nach Inflationsrate gedeckelt werden mit schnell umsetzbaren Mechanismen, die jedoch nicht zu großen Schwankungen oder Instabilität bei den globalen Preisen führen dürfen.
  • Die aktuelle Energiekostenkrise als Chance nutzen, um den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen, was auch die Energiesicherheit der EU gegenüber anderen Regionen der Welt unterstützen wird.
  • Schutz der am stärksten gefährdeten Bevölkerung: ein „Energiekosten“-Sicherheitsfonds für die am stärksten benachteiligten Menschen, um extreme Armut und Obdachlosigkeit zu verhindern.

Reichtum maßstabsgerecht: bdev.de/reichtum

Widerspruch nach § 315 BGB nur in der Grundversorgung möglich

Von Leonora Holling

(25. April 2023) Energieverbraucherinnen und -verbraucher sehen sich derzeit mit einer erheblichen Anzahl von Preiserhöhungsverlangen ihrer Versorger konfrontiert. Bereits im letzten Jahr hatte der Bund der Energieverbraucher daher seine Musterschreiben zu einem Widerspruch gegen die Preiserhöhungsverlangen neu aufgelegt und angepasst. Viele haben von diesen Musterschreiben Gebrauch gemacht. Teilweise wurde von den Betroffenen aber nicht darauf geachtet, dass ein Widerspruch nach § 315 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) grundsätzlich nur im Rahmen eines bestehenden Grundversorgungsvertrags möglich ist. Nur in der Grundversorgung setzt der Versorger nämlich die Preise aufgrund der Ermächtigung in der Grundversorgungsverordnung einseitig fest.

1700 Stromzähler / Foto: Evgen / stock.adobe.com

Besteht hingegen ein Sondervertrag, haben sich Endverbraucher und Versorger auf ein Recht der Preisänderung in Form einer Preisänderungsklausel vertraglich geeinigt. Nach der Rechtsprechung muss darin der Versorger deshalb dem Verbraucher im Falle der Preiserhöhung ein Sonderkündigungsrecht auf den Zeitpunkt der Preiserhöhung einräumen. Auf dieses Sonderkündigungsrecht muss im Preiserhöhungsschreiben ausdrücklich hingewiesen werden. Der Verbraucher hat dann nur die Möglichkeit, den Vertrag außerordentlich zu kündigen oder die Preiserhöhung zu akzeptieren. Ein Widerspruch ist hingegen unbeachtlich und würde den bestehenden Vertrag mit der Preiserhöhung fortführen.

Preisanhebungen 2023 verboten?

Die geplante Strom- und Gaspreisbremse 2023 erlaubt Preisanhebungen nur in engen Grenzen. Wie wirksam können diese Bestimmungen sein? Und wer kontrolliert sie? In der Grundversorgung gilt der § 315 BGB.
Von Leonora Holling

(11. Januar 2023) Durch die ab dem 1.1.2023 geltenden Gas- und Strompreisbremsen der Bundesregierung wird es Versorgern untersagt, ihre Preise gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern im gesamten Jahr 2023 anzuheben. Eine Preiserhöhung sei, so die Diktion der Regierung, „illegal“. Dies gilt aber leider nur grundsätzlich. Versorgern wird es nämlich zugleich gestattet, ihre Arbeitspreise anzuheben, wenn sie damit gestiegene, eigene Beschaffungskosten weitergeben. Ob tatsächlich gestiegene Beschaffungskosten vorliegen, soll dann das Bundeskartellamt prüfen. Die Regierung betont, dass den jeweiligen Versorger in möglicherweise anstehenden Verfahren die Darlegungs- und Beweislast treffen würde.

1700 Symbolbid Geld Verbrauchszähler / Foto: K.-U. Häßler / stock.adobe.com

Detailregelungen unklar

Dass mit dieser Prüfungsregelung der große Wurf gegen unangemessene Preiserhöhungen gelungen ist, darf allerdings bezweifelt werden. Unklar ist bereits, ob es für die Prüfung durch das Bundeskartellamt eines Antrages dort bedarf und wenn ja, wer diesen stellen muss. Möglicherweise wird das Bundeskartellamt aber auch von Amts wegen tätig. Dann stellt sich angesichts der erwartbaren Menge von Preisänderungen, die bereits früher mit steigenden Beschaffungskosten begründet wurden, die Kapazitätsfrage beim Kartellamt. Wie verhält es sich zudem mit der Zeit zwischen Preiserhöhungszeitraum und Prüfungsende? Ist in dieser Zeitspanne, die durchaus nach Wochen bemessen werden dürfte, die Preisänderung nicht wirksam? Oder ist sie wirksam und müssen dann im Fall eines negativen Urteils des Kartellamtes gezahlte Abschläge durch den Versorger zurückgezahlt werden? Offen ist zudem, wie Versorger ihrer Darlegungs- und Beweislast zur Angemessenheit ihres Preiserhöhungsverlangens nachkommen müssen.

172 1700 Leonora Holling

Leonora Holling | Rechtsanwältin mit Kanzlei in Düsseldorf, erste Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher

Unabhängige Prüfung wichtig

Verbraucherinnen und Verbraucher, die bereits seit Jahren gegen steigende Preise protestiert haben, kennen die Versuche der Versorgungswirtschaft Preiserhöhungen „plausibel“ erscheinen zu lassen. Gerade zu Anfang des Preisprotestes wurden private Wirtschaftsprüfergutachten vorgelegt, die dem Versorger jeweils bescheinigten, selbstverständlich nur erhöhte Beschaffungskosten weitergegeben zu haben. Bei genauerer Prüfung ergab sich dann, dass jene Wirtschaftsprüfer ihre Testate auf solche Unterlagen gestützt hatten, die ihnen der jeweilige Versorger überlassen hatte. Eine unabhängige Prüfung sieht völlig anders aus. So urteilten auch die Gerichte und erkannten diese Wirtschaftsprüfergutachten für die Prüfung der Angemessenheit von Preiserhöhungen nicht an.

§ 315 BGB bleibt unberührt

Fraglich erscheint, ob die Bestimmungen zur Strom- und Gaspreisbremse die eigenen Rechte von Verbraucherinnen und Verbraucher zum eigenen Preisprotest modifizieren oder sogar aufheben können. Der § 315 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmt ausdrücklich: Wenn ein Preis von einer Partei eines Vertrages vorgeben wird, die andere Vertragspartei den Nachweis der Angemessenheit des Preises verlangen kann. Seit über 15 Jahren ist diese Bestimmung des BGB der absolute Kerngedanke des Preisprotestes. Erbringt der Versorger den Nachweis nicht, was bisher außergerichtlich nie der Fall war, so kann die Zahlung des erhöhten Entgeltes nach Widerspruch hiergegen verweigert werden. Geschuldet ist dann lediglich der Preis, der bisher unwidersprochen gezahlt wurde.

Dieses Recht des einzelnen Verbrauchers kann nach meiner Überzeugung nicht durch das Prüfungsrecht des Bundeskartellamtes ausgehebelt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich natürlich die Feststellungen des Bundeskartellamtes zu einer Preiserhöhung zu eigen machen. Bindend dürften diese Feststellungen jedoch nicht sein. Die verbindliche Feststellung des billigen Preises trifft nämlich nach § 315 Abs. 3 BGB letztinstanzlich ein ordentliches Gericht.

Verbraucherinnen und Verbraucher sind daher gut beraten, selbst bei Preise öhungen in der Grundversorgung durch Widerspruch unbedingt aktiv zu werden und zu prüfen, ob sie die Preiserhöhung tatsächlich zahlen werden/wollen. Hilfe bei der Bewertung gewährt dabei – der Bund der Energieverbraucher.

Die Rückkehr des Preisprotestes

In den Jahren 2004 bis 2013 ließen sich viele Strom- und Gaskunden die dramatischen Preiserhöhungen nicht mehr gefallen und widersprachen ihnen. Sie forderten einen Nachweis der Gründe für den Preisanstieg, den die Versorger nicht liefern wollten. Viele sparten damals Geld durch Kürzung der Entgelte. Jetzt ist es wieder so weit.

Die Rückkehr des Preisprotestes

In den Jahren 2004 bis 2013 ließen sich viele Strom- und Gaskunden die dramatischen Preiserhöhungen nicht mehr gefallen und widersprachen ihnen. Sie forderten einen Nachweis der Gründe für den Preisanstieg, den die Versorger nicht liefern wollten. Viele sparten damals Geld durch Kürzung der Entgelte. Jetzt ist es wieder so weit.
Von Leonora Holling

(29. November 2022, ergänzt 3. Januar 2023) Anfang 2005 wunderten sich viele Kunden der Strom- und Gasgrundversorgung über steigende Vorauszahlungen an ihren Grundversorger. Wie sich bald heraus stellte, hatten die meisten Grundversorger ihre Preise deutlich, teilweise um 100%, erhöht, auch wenn der Anstieg von 2 ct/kWh auf 4 ct/kWh in absoluten Zahlen nach heutigem Maßstab geradezu unbedeutend war. Schon damals hatte der Bund der Energieverbraucher betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher aufgerufen, die Preissteigerungen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu hinterfragen.

Billigkeit nach § 315 BGB fraglich

In der Grundversorgung gilt nämlich der § 315 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, welcher im Kern besagt, dass bei dem Recht eines Vertragspartners, Entgelte für seine Leistung vorzugeben, der andere Vertragspartner einen Nachweis der Angemessenheit dieser Entgeltforderung verlangen kann. Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Urteilen dabei den Begriff der „Angemessenheit“ in der Grundversorgung als zeitnahe Weitergabe steigender Kosten, besonders steigender Beschaffungskosten, des Gasversorgers für die Energiebelieferung definiert. In der Grundversorgung soll damit nicht ein Gewinnstreben des Versorgers im Mittelpunkt stehen, sondern die (Daseins-)Sicherung der Bevölkerung mit bezahlbarer Energie.

Grundversorgung …

… ist die Belieferung mit Energie (Gas und Strom) durch den örtlichen Versorger, der die meisten Endkunden im Netzgebiet beliefert. Zugleich darf kein Sondervertrag mit bestimmten Bedingungen bei diesem oder einem dritten Versorger abgeschlossen worden sein. Der Vertrag kommt bereits durch schlichte Entnahme von Energie aus dem Netz zu Stande.

Verbraucher sparten oft Tausende Euro

Nachdem viele Verbraucherinnen und Verbraucher seinerzeit Widerspruch gegen die angehobenen Preise eingelegt und auch die Entgelte gekürzt hatten, kam es nach einiger Zeit zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Die Verfahren gingen, je nach Methode der Gerichte zur Feststellung der Angemessenheit der Preise, höchst unterschiedlich aus. In praktischem keinen Fall hat ein Grundversorger jedoch seine tatsächliche Preiskalkulation offengelegt. Zig-Tausend Verbraucher haben demgegenüber erhebliche Beträge, oft tausende von Euro gespart, da die verweigerten Entgelte häufig nicht nachgezahlt werden mussten.

Neuer Preisprotest sinnvoll

Angesichts der derzeit weiterhin rasant ansteigenden Strom- und Gaspreise bedarf es eines neuerlichen Preisprotestes. Denn auch heute sind die Behauptungen der Energieversorger zum Grund der steigenden Gaspreise deutlich zu hinterfragen. In den aktuellen Preiserhöhungsverlangen wird als Begründung meist auf den Ukraine-Krieg und den Verlust an billigem russischen Gas abgestellt. Hierzu sollte man sich aber in Erinnerung rufen, dass bereits im Herbst 2021 Verbraucherschützer einen drastischen Anstieg der Preise verzeichneten. Insbesondere Sonderkunden von sog. Billiganbietern waren von fristlosen Kündigungen ihres Versorgers betroffen. Deren Geschäftsmodell – kurzfristige Einkäufe günstigen Gases am Spotmarkt – war nämlich kurz zuvor zusammengebrochen. Auf dem Spotmarkt war billiges Gas nicht mehr erhältlich. Fast ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn und weit vor der Einstellung der Belieferung mit Gas seitens Russlands.

Preisspannen exorbitant

Die Preisspannen in der Grundversorgung sind derzeit exorbitant: Die Arbeitspreise bei Gas liegen für Neukunden zwischen 5,83 ct/kWh und 30,01 ct/kWh. In der Stromgrundversorgung liegt die Preisspanne sogar zwischen 20,77 ct/kWh und 95,14 ct/kWh (Stand November 2022). Diese Preisunterschiede lassen sich nicht mehr durch ungeschicktes Einkaufsverhalten der Grundversorger erklären. Insbesondere beim Gas ist zudem der Kreis der möglichen Lieferanten klar umrissen. Hinzu kommt, dass auf den Strom- und Gasmärkten die Preise seit Wochen für alle sichtbar wieder sinken. Nur bei den meisten Endverbrauchern stehen Preiserhöhungen zum 1.1.2023 bereits wieder an. Der Bund der Energieverbraucher fordert, dass diese Preissenkungen an die Verbraucher weitergegeben werden.

Verbraucherinnern und Verbraucher sind daher gut beraten, erneut Widerspruch gegen die Preiserhöhungsverlangen einzulegen. Unten finden Sie ein Muster für ein Widerspruchsschreiben. Wer Widerspruch einlegt, sollte dann überlegen, ob er nur den bisher akzeptierten Preis fortentrichtet und die Erhöhung nicht zahlt, oder ob er alternativ unter Vorbehalt die Erhöhung zahlt. Aus der Erfahrung hat sich gezeigt, dass nur bei Preiskürzung Verbraucherinnen und Verbraucher die Entgelte auch tatsächlich nicht zahlen mussten. Allerdings besteht das Risiko, dass der Versorger die Forderung gerichtlich geltend macht oder sogar eine Sperre des Anschlusses androht. In diesem Fall sollte man umgehend rechtlichen Rat suchen. Eine Sperre ist zwar eigentlich rechtlich nicht zulässig. Einige Versorger setzen sich aber darüber hinweg und schaffen Fakten. Der Bund der Energieverbraucher hilft betroffenen Verbrauchern und gibt ihnen als Mitglied auch rechtlichen Rat und Hilfe.

Europäischer Gerichtshof

Preiserhöhung ohne Ankündigung

Europäischer Gerichtshof: Preiserhöhung ohne Ankündigung

Von Leonora Holling

(15. August 2020) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich erneut mit den Folgen einer unterbliebenen Mitteilung über eine Preiserhöhung bei grundversorgten Verbrauchern beschäftigen müssen.

In früheren Urteilen hatte der EuGH dabei bisher die Auffassung vertreten, dass aus Gründen des Verbraucherschutzes und des Erfordernisses der Transparenz ein Grundversorger seine Kunden frühzeitig über eine anstehende Preiserhöhung in Kenntnis setzen muss. Gleichzeitig ist der Grundversorger dabei verpflichtet, auf die Möglichkeit der Kündigung hinzuweisen.

1700 339 Stromzähler statt Ziffern Eurozeichen / Foto: Bluedesign / stock.adobe.com

Der EuGH ist jedoch in seiner neusten Entscheidung vom 2. April 2020 (Az. C-765-18) nunmehr überraschend zu dem Ergebnis gelangt, dass eine fehlende Preisänderungsmitteilung nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Preiserhöhung führen müsse. Vielmehr meint der EuGH nun, dass bei einer unterlassenen Mitteilung dem Verbraucher lediglich ein Schadenersatzanspruch entsteht.

Die Höhe dieses Anspruchs berechne sich, so der EuGH, aus dem Mehrpreis, den der Verbraucher wegen der nicht erfolgten Kündigung in der Folgezeit zu zahlen hatte. Aufgrund welchen Maßstabes sich dabei der „Mehrpreis“ errechnen soll, ist völlig unklar. Zudem dürfte sich der Anspruch wohl auf den Zeitraum beschränken, bis zu dem der Verbraucher nach Kenntnis von der Preiserhöhung frühestmöglich zu einem anderen Anbieter hätte wechseln können.

Für Verbraucher ist dieses Urteil doppelt bitter: Einerseits scheint selbst der bisher verbraucherfreundliche EuGH den Verbraucherschutz in der EU nicht mehr hochhalten zu wollen und andererseits ist das Urteil in der praktischen Anwendung für Verbraucher ohne anwaltliche Hilfe kaum umsetzbar. Doch selbst bei einer anwaltlichen Vertretung bleibt offen, wie die nationalen Gerichte den Mehrpreis berechnen werden, sodass für die betroffenen Verbraucher ein besonderes Prozessrisiko besteht, sofern die betroffenen Verbraucher keine Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen können oder über eine andere Absicherung wie den Prozesskostenfonds vom Bund der Energieverbraucher geschützt sind.

Rechtsprechung

Bewegung beim Preisprotest

Rechtsprechung: Bewegung beim Preisprotest

Von Leonora Holling

(28. April 2019) In den letzten Jahren ist es um Gerichtsverfahren wegen gekürzter Entgelte in der Grundversorgung bei Strom und Gas ruhig geworden. Dies überrascht nicht, da die Gerichte bis zum Jahr 2016 viele der laufenden Gerichtsverfahren mit Forderungen aus den Abrechnungszeiträumen 2007 bis 2012 erledigt hatten. Zuletzt hatten Verbraucher dabei mit ihrem Preisprotest nicht mehr durchdringen können.

1700 Justizia / Foto: AJEL (CC0)

Hintergrund der häufig negativen Urteile war eine zuvor ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes zur Berechtigung des Grundversorgers bezüglich Preiserhöhungen. Der BGH hatte mit Urteil vom 28. Oktober 2015 (Az. VIII ZR 158/11) entschieden, dass § 4 Abs. 1 und 2 der Allgemeinen Versorgungsbedingungen beziehungsweise § 5 Abs. 2 der Grundversorgungsverordnung mit Europarecht unvereinbar und damit unwirksam sind. Gleichzeitig meinte der Bundesgerichtshof aber auch, dass dem Versorger im Prozess durch eine ergänzende Vertragsauslegung ein Erhöhungsrecht zuzusprechen sei. Im laufenden Gerichtsverfahren müsse der Versorger deshalb nur gestiegene Kosten plausibel nachweisen. Im Ergebnis wurden daraufhin Preiserhöhungen in der Grundversorgung regelmäßig durch die Gerichte bestätigt.

Jüngst erteilte jedoch das Amtsgericht Lingen mit Beschluss vom 21. Juni 2018 dieser verbraucherunfreundlichen Auffassung eine Absage (Az. 4 C 1/18). Das Amtsgericht bezweifelte, dass die ergänzende Vertragsauslegung des Bundesgerichtshofes seinerseits europarechtskonform ist und hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Eine Entscheidung des EuGH steht aus.

In dieser Situation scheinen sich nunmehr viele Versorger daran zu erinnern, dass eine erhebliche Anzahl von Gerichtsverfahren noch läuft und nur ausgesetzt ist. Diese Verfahren werden erst weiter betrieben, wenn eine der Parteien dies beantragt. Wegen den sich an die Entscheidung des BGH damals anschließenden Verfassungsbeschwerden waren diese ruhenden Verfahren wohl in Vergessenheit geraten.

Versorger gehen nunmehr seit einigen Monaten vermehrt dazu über, Verbraucher wegen einer vergleichsweisen Erledigung dieser Verfahren zu kontaktieren. Möglicherweise befürchten Versorger eine negative Entscheidung des EuGH. Die Idee der ergänzenden Vertragsauslegung des Bundesgerichtshofes könnte dann bald nicht mehr durch die Gerichte anwendbar sein. Verbraucher können also wieder hoffen! Eine Prognose, wie der EuGH urteilen wird, ist dennoch schwierig. Aus diesem Grund sind die durch die Versorger jetzt angebotenen Vergleichsquoten für die betroffenen Verbraucher teilweise durchaus interessant. Zumal darin häufig auf etwaige Zinsen für viele Jahre verzichtet wird.

Wer als Verbraucher noch ein „schlummerndes“ Gerichtsverfahren in seinen Akten hat, sollte deshalb jetzt Rechtsrat einholen, ob ein Vergleich in Betracht kommt.

Neues von der Gaspreisfront

Oldenburger Gericht entscheidet

Neues von der Gaspreisfront: Oldenburger Gericht entscheidet

In den vergangenen Monaten hat sich für Haushaltkunden staatlich beherrschter kommunaler Energieversorgungsunternehmen so einiges getan.
Ein Bericht von Kyrulf Petersen.

(9. Januar 2019) Mit zwei spektakulären Urteilen wies die 9. Kammer des Landgerichts Oldenburg Zahlungsklagen des Delmenhorster Stadtwerks einmal erstinstanzlich und das andere Mal im Wege der Berufung ab (Az. 9 S 561/16 und 9 O 2865/16). In beiden Fällen hatte das Landgericht über Zahlungsklagen zu entscheiden, die die örtlichen Stadtwerke, die sich zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt Delmenhorst befinden, gegen ihre grundversorgten Haushaltskunden für Rechnungszeiträume von 2006 bis 2015 beanspruchten. Die Kunden hatten nur die Arbeits- und Grundpreise des Versorgers gezahlt, die bis zum 1. Juli 2004 noch galten. Spätere Erhöhungen akzeptierten und zahlten sie nicht.

1700 Justizia / Foto: WilliamCho (CC0)

Das Landgericht Oldenburg entschied, dass die kommunalen Stadtwerke aus Delmenhorst die Transparenzanforderungen der EG-Gasrichtlinie nicht eingehalten hatten und demnach sämtliche Preiserhöhungen seit dem 1. Juli 2017 – dem Ende der Umsetzungsfrist der Richtlinie – unwirksam seien.

Gegen die erstgenannte Entscheidung hat der Versorger Revision eingelegt (BGH Az. VIII ZR 80/18). Gegen das zweite Urteil ist am 9. November eine Entscheidung des OLG Oldenburg ergangen (Az. 6 U 39/18). Der 6. Zivilsenat des OLG hat im Rahmen der Berufungsentscheidung das Urteil des Landgerichts Oldenburg aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Begründung liegt leider noch nicht vor. Allerdings hat der Senat im Verhandlungstermin die etwas merkwürdige Auffassung vertreten, ein staatliches Versorgungsunternehmen sei kein Unternehmen, dass sich unmittelbar an die Gasrichtlinie zu halten bräuchte.

Rückzahlungsklage erfolgreich

Das LG Oldenburg gab einer Rückzahlungsklage eines Delmenhorster Haushaltskunden am 10. September in vollem Umfang statt (Az. 9 O 3069/14). Ein Kunde klagte die von ihm bezahlten Beträge zurück, soweit diese Beträge auf Preiserhöhungen seit dem 1. Juli 2014 beruhten.

Der Kunde reichte zudem Ende 2014 die Klage für Überzahlungen von 2004 bis 2011, also für bis zu zehn Jahre zurückliegende Zeitpunkte, ein. Die Klageforderung betrug rund 5.400 Euro.

Neben den oben genannten Rechtsgründen, aus denen sich die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen ergab, sah das Landgericht die Forderung auch nicht als verjährt an. Mit einer Begründung, die  – nach Auffassung des Verfassers dieser Zeilen – nicht ganz frei von Rechtsfehlern erscheint, sah das Landgericht bis zum Vorlagebeschluss des BGH vom 29. Juni 2011 (Az. VIII ZR 211/10) eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage, die erst mit dem Vorlagebeschluss und nicht mit der Entscheidung vom EuGH vom 23. Oktober 2014 beseitigt worden sei.

Richtig wäre nach meiner Auffassung jedoch vielmehr, erst die Entscheidung des BGH vom 28. Oktober 2015 (Az. VIII ZR 158/11) als Beseitigung der Rechtsunsicherheit einzustufen. Erst dort ließ der 8. Zivilsenat durchklingen, dass die Vorschriften der EG-Gasrichtlinie möglicherweise im Verhältnis zu staatlichen Versorgern unmittelbar anwendbar sein könnten, während er das einstmals als „gesetzliches“ Preisänderungsrecht im Übrigen nunmehr inhaltsgleich mit dem Instrument der „lückenfüllenden und ergänzenden Vertragsauslegung“ auf vertragliche Grundlage stellte sowie auch in zwei weiteren Entscheidungen unter Beteiligung des Delmenhorster Stadtwerks vom 6. April 2016 (Az. VIII ZR 324/12) und vom 26. April 2016 (Az. VIII ZR 76/13) ein Änderungsrecht grundsätzlich bestätigte, freilich ohne konkret auf die Möglichkeit der direkten Richtlinienanwendung einzugehen. Gegen das Urteil des Landgerichts wurde Berufung eingelegt.

Amtsgericht Lingen schaltet EuGH ein

Nicht ganz so weit wie das LG Oldenburg ging das AG Lingen in seinem Beschluss vom 21. Juni 2018 (Az. 4 C 1/18). Auch hier ging es um einen Rechtsstreit zwischen einem Haushaltskunden und dem örtlichen – sich in kommunaler Hand befindlichen – Energieversorger der eine Kaufpreisforderung in Höhe von rund 2.400 Euro für die Jahre 2005 bis 2008 einklagte, die die Beklagte mit Hinweis auf die wegen Verstoßes gegen die Vorschriften der Gasrichtlinie fehlende Preisänderungsbefugnis des Versorgers nicht zahlte.

Das AG Lingen legte die Sache dem EuGH im Rahmen von Artikel 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor. Geklärt werden solle die Frage, ob die vom 8. Zivilsenat in der jüngsten Rechtsprechung seit dem 28. Oktober 2015 vorgenommene „ergänzende Vertragsauslegung“ richtlinienkonform ist, oder, wie das Gericht meint, ihr widerspricht. Ferner möchte das AG Lingen – wie auch das HansOLG Bremen – wissen, ob die Erfüllung, der in der Gasrichtlinie normierten Informationspflichten „Wirksamkeitsvoraussetzung“ für Tarifänderungen ist. Als letzte Vorlagefrage soll der EuGH darüber entscheiden, ob die Vorschriften der EG-Gasrichtlinie 2003/55/EG inhaltlich unbedingt und ohne weiteren Umsetzungsakt umsetzungsfähig sind und dem Bürger Rechte gegenüber einer Organisation einräumen, die trotz ihrer privaten Rechtsform dem Staat untersteht, weil dieser alleiniger oder überwiegender Anteilseigner des Unternehmens sei. Die Beschwerde gegen den Vorlagebeschluss ist durch das LG Osnabrück zurückgewiesen worden.

Lediglich in einem Nebensatz – und daher eigentlich nicht entscheidungsrelevant – äußert das AG Lingen auch Zweifel an der Wirksamkeit der aktuellen Regelung des § 5 Abs. 2 GasGVV, weil zwar der Gasversorger Anlass, Umfang und Voraussetzungen der Tarifänderung anzugeben habe, die Transparenzanforderungen der Richtlinie aber möglicherweise nicht eingehalten würden, wenn überhaupt nicht klar sei, was mit „Voraussetzungen“ gemeint sei.

Ausblick

Jedem betroffenen Kunden sei angeraten, sich bei Streitigkeiten anwaltlicher Hilfe zu bedienen und nicht gleich aufzugeben. Es ist noch viel Bewegung in der Rechtsprechung. Warten wir es ab.

letzte Änderung: 11.07.2023