ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Bund der Exergieverbraucher

Die Unterscheidung zwischen Exergie und Energie führt zu neuen Einsichten: Nicht mit Energie, die bleibt erhalten, sondern mit Exergie muss sparsam umgegangen werden. Wir geben eine einfache Einführung in dieses wichtige Konzept.

(4. April 2015) Liebe Leser, der Bund der Energieverbraucher e. V. beruht auf einem Schwindel. Das habe ich Ihnen ganze 27 Jahre lang verschwiegen. Doch im Folgenden will ich Ihnen die Wahrheit sagen: Energie kann gar nicht verbraucht, erzeugt oder eingespart werden. Sie bleibt immer erhalten und kann höchstens in eine andere Energieart umgewandelt werden. Das sind die Kernaussagen eines der wichtigsten Gesetze der Physik – des Energieerhaltungssatzes oder des ersten Hauptsatzes der Wärmelehre. Die Konsequenz daraus ist, dass die Energie nach einer Umwandlung zwar weiterhin vorhanden ist, aber ein Teil aufgrund verminderter Wertigkeit beziehungsweise Arbeitsfähigkeit nicht mehr genutzt werden kann.

1017 Exergieanteil und Temperatur

Relativer Exergie-Gehalt von Wärme in Abhängigkeit von der Temperatur. Die Werte beziehen sich auf eine Umgebungstemperatur von 0 °C.

Was ist Exergie?

Wenn Sie Wasser in einem Behälter zum Kochen bringen und dann längere Zeit stehen lassen, kühlen sich Behälter und Wasser ab. Gleichzeitig – aber eventuell kaum merklich – wird der umgebende Raum wärmer. Wenn Sie lange genug warten, erreicht das Wasser Raumtemperatur. Was ist passiert?

  • Die im kochenden Wasser enthaltene Wärmeenergie hoher Temperatur war umgeben von Luft niedriger Temperatur. Und ebenso, wie ein Stein von einem hohen auf ein niedrigeres Höhenniveau herunterfällt, strömt Wärmeenergie immer von einem hohen auf ein niedrigeres Niveau.
  • Diese Wärmeenergie ist dann in der geringfügig erhöhten Raumlufttemperatur vorhanden. Sie kann nur genutzt werden, wenn ein weiteres Gefälle zu einem noch niedrigeren Temperaturniveau zur Verfügung gestellt wird. Wird nun ein Eisblock in den Raum gelegt, strömt wieder Wärme vom höheren zum niedrigeren Niveau, also von der Raumluft zum Eisblock. Wenn dieser schmilzt, sinkt die Raumlufttemperatur.

So gibt es immer einen Energieanteil, der bei der Energiewandlung in nutzbare Arbeit gewandelt und einen Anteil, der nicht weiter genutzt werden kann. In der technischen Wärmelehre wird der nutzbare Teil „Exergie“ genannt und der nicht nutzbare Teil „Anergie“. Und die Summe aus beiden ist die „Energie“.

Energie bleibt immer erhalten, wie uns der erste Hauptsatz der Wärmelehre sagt. Exergie jedoch bleibt nicht erhalten, sondern verwandelt sich nach und nach in Anergie, das ist der zweite Hauptsatz der Wärmelehre. Am Schluss besteht die ganze Energie der Welt nur noch aus Anergie, es gibt keine Exergie mehr. Dann geht nichts mehr, es gibt nichts mehr, was Arbeit verrichten könnte. Das ist der sogenannte Wärmetod, den das gesamte Universum in einigen Milliarden Jahren erleben wird, weil dann überall die gleiche Temperatur herrscht.

Womit wir also sparsam umgehen müssen, ist nicht Energie, sondern Exergie. Statt Bund der Energieverbraucher hätten wir uns Bund der Energiesparer oder genauer: Bund der Exergiesparer nennen sollen. Aber wer hätte das verstanden? Mal Hand aufs Herz: Wären Sie diesem Bund beigetreten?

Ist das alles nur Wortklauberei, oder gewinnen wir dadurch neue Erkenntnisse? Durch die schärfere und bessere Formulierung werden wir künftig nicht mehr darauf achten, dass möglichst wenig Energie verloren geht. Nein, wir werden stärker auf die Exergie achten und mit ihr möglichst sparsam umgehen. Die Betrachtung der Exergie macht oft deutlicher, warum gewisse Energieumwandlungen ineffizient sind: Wirkungs- und Nutzungsgrade sagen nicht die ganze Wahrheit. Zur Erzeugung einer Raumtemperatur von circa 20 °C werden in Öl- oder Gasheizungen Verbrennungstemperaturen von über 800 °C erzeugt. Die exergetischen Verluste sind dabei immens. Sie können deutlich reduziert werden, wenn der Wärmebedarf verringert wird: Aus 400 Liter Heizöl mit einem Exergiegehalt von etwa 4.000 kWh können Materialien für die thermische Dämmung eines Einfamilienhauses herstellt werden, durch deren Verwendung bei einer Lebensdauer von etwa 40 Jahren Heizexergie in Höhe von insgesamt 400.000 kWh eingespart werden kann.

1017 Energiebedarf Wohnhaus

Energie und Wertigkeit oder Exergie: Grafiken von Ulf Bossel zeigen deren Bedeutung am Beispiel eines Wohnhauses. Nach rechts ist die Energiemenge aufgetragen, nach oben deren Wertigkeit (Temperaturniveau). Die meiste Energie verbraucht die Heizung. Der Verbrauch von Energie mit hoher Wertigkeit ist dagegen nur gering.

1017 Energiebedarf 100% höchstwertiger Netzstrom

Wird der gesamte Energieverbrauch mit hochwertigem Strom gedeckt, dann wird viel Exergie vergeudet.

Wo findet man Exergie?

Der Exergieanteil der Wärme lässt sich einfach berechnen durch ηC = 1 - TU/TO, wobei TO die Temperatur des Wärmereservoirs ist und TU die Umgebungstemperatur, jeweils in Grad Kelvin.

Fachleute bezeichnen diese Größe ηC als Carnot-Wirkungsgrad, also den Anteil mechanischer Energie, der bei idealen Bedingungen aus einer Wärmemenge erzeugbar ist. Sadi Carnot, ein französischer Physiker  aus dem frühen 19. Jahrhundert, gilt als Vater der Wärmelehre und hatte als erster am Beispiel von Dampfmaschinen die Abhängigkeit des Wirkungsgrades von der Temperatur hergeleitet.

Mechanische und elektrische Energie sind reine Exergie. Wärmeenergie enthält hingegen umso mehr Exergie, je mehr sich ihre Temperatur von der Umgebungstemperatur unterscheidet. Alles Ozeanwasser enthält, bezogen auf den Gefrierpunkt von reinem Wasser bei 0 °C, immens viel thermische Energie. Diese kann allerdings für einen Schiffsantrieb nicht genutzt werden, da weder ein überall verfügbares Niedrigtemperaturniveau existiert noch eine effiziente Technik, mit der thermische in mechanische Energie gewandelt werden kann.

Chemische Energie von Brennstoffen ist größtenteils Exergie. Werden Heizöl oder Gas in einem Heizkessel verfeuert, dann geht die Exergie dadurch fast vollständig verloren.

Sichtbares kurzwelliges Licht hat einen hohen Exergieanteil, langwellige Wärmestrahlung hingegen einen geringen Exergieanteil. Die Sonne schickt uns also laufend sehr große Mengen Exergie, wobei die Erde nur wenig Exergie wieder abstrahlt. Erdöl und Erdgas sind über lange Zeiträume zusammengetragene und gespeicherte Sonnenexergie.

Wirtschaftlich gesehen ist Anergie wertlos, weil sie nicht genutzt werden kann. Exergie ist dagegen begehrt und gut nutzbar. Mit der Strom- und Gasrechnung bezahlt man Exergie.

Wenn aus elektrischer oder chemischer Energie lediglich Niedertemperaturwärme erzeugt wird, verschwendet man Exergie, da die Arbeitsfähigkeit elektrischer oder chemischer Energie nur zu einem geringen Teil genutzt wird. Die exergetische Gesamteffizienz eines solchen Systems ist gering. Zum effizientesten Gesamtsystem kommt man, indem man die Exergieverluste bei jedem Schritt so klein wie möglich hält. Mit anderen Worten ausgedrückt, sollte bei jedem Schritt ein möglichst hoher exergetischer Wirkungsgrad erreicht werden. Dies liegt daran, dass ein Verlust von Exergie einen Verlust von Möglichkeiten für weitere Umwandlungen oder Energienutzungen bedeutet.

1017 Energiebedarf 75% Heizöl

Auch die Heizung mit Heizöl oder Erdgas verschwendet große Exergiemengen.

1017 Energiebedarf Dämmung Solarenergie

Wärmebedarf durch Dämmung verringert, Warmwasser durch Solarenergie erzeugt.

Elektrodirektheizungen sind Exergievernichter

Heizkessel sind allerdings auch alles andere als ideal. Die Umwandlung von elektrischer Energie in Niedertemperaturwärme in einer Elektroheizung ist mit einem Wirkungsgrad von 100 Prozent möglich, jedoch liegt der exergetische Wirkungsgrad sehr tief bei nur wenigen Prozent. Der energetische Gesamtwirkungsgrad der Energiekette – Brennstoffförderung, Kraftwerk, Stromtransport, Elektroheizung – liegt ebenfalls tief, weil die Stromerzeugung sehr verlustreich ist. Es ist ineffizient, mit hohen Verlusten Exergie zu gewinnen, ohne deren Qualität dann später zu nutzen. Der größte Verlust an Exergie findet in der Elektroheizung statt, nicht im Kraftwerk.

Wer nur Energie und nicht die Exergie betrachtet, könnte meinen, die Elektroheizung mit Strom aus Wasserkraft sei durchaus effizient, da der energetische Gesamtwirkungsgrad bei über 80 Prozent liegen kann. Dass dies falsch ist, zeigt jedoch das folgende Beispiel:

Mit elektrischer Energie aus beliebigen Quellen kann eine Wärmepumpe betrieben werden. Hiermit lässt sich bei einer Arbeitszahl von vier Niedertemperaturwärme gewinnen. Dies bedeutet, dass vier Kilowattstunden Niedertemperaturwärme aus einer Kilowattstunde elektrischer Exergie und drei Kilowattstunden kostenloser
Anergie (Umgebungswärme ηC = 1 - TU/TO = 1 - 1 = 0 wenn TU = TO) gewonnen werden. Man erhält also viermal so viel Wärme wie mit einer Elektrodirektheizung. Dabei liegt selbst der exergetische Wirkungsgrad einer Wärmepumpe meist deutlich unter dem physikalisch Möglichen.

Kraft-Wärme-Kopplung nutzt die Exergie von Brennstoffen besser, selbst wenn der Gesamtwirkungsgrad geringer ist als der eines Heizkessels.

In einem Heizkessel wird die Exergie des Brennstoffs weitgehend vernichtet, selbst wenn der Kessel kaum Energieverluste hat. Sinnvoller ist es, wenn die Exergie des Brennstoffs zur Stromerzeugung zugleich mit der Wärmeerzeugung genutzt wird, also Kraft-Wärme-Kopplung. Der erzeugte Strom ist reine Exergie, und die Exergie des Brennstoffs geht auf diese Weise nicht völlig verloren.

Ersetzt man eine Zentralheizung mit Heizkörpern durch eine Fußbodenheizung oder vergrößert man die Wärmeübertragungsfläche durch größere Heizkörper, kann man die Vorlauftemperatur der Heizung senken. Der Kessel heizt das Heizungswasser statt auf 90 °C nur noch auf 50 oder 70 °C. Dadurch verringern sich die Wärmeverluste und man spart Energie. Andererseits spart man Exergie, weil geringere Temperaturen geringere Exergien bedeuten. Man kann solche Heizungen dann zum Beispiel mit Solarkollektorwärme oder Abwärme einer Brennstoffzelle mit geringer Temperatur „füttern“.

Die Exergie hilft auch bei der Zuordnung des Brennstoffes auf die Kuppelprodukte Strom und Wärme. Die sogenannte Carnot-Methode weist Wärme und Strom einen Brennstoffanteil zu, der ihrem exergetischen Wert entspricht. Sie hat den Vorteil, dass sie nur anlagenspezifische Parameter benötigt und keine externe Referenzwerte.

Power-to-Heat

Exergie in Wärme umzuwandeln, ist reinste Exergieverschwendung. Hier führt ganz besonders eine rein energetische Betrachtung in die falsche Richtung. Strom ist derzeit und auch in Zukunft nicht im Überfluss vorhanden. Im Gegenteil schädigen und zerstören wir gerade auch in Deutschland durch die Kohleverstromung das Klima in beträchtlichem Ausmaß.

Low-ex

Unter dem Namen Low-ex wird derzeit geforscht, um Exergie besser nutzen können. Es gibt eine Reihe von Verbundvorhaben zwischen Industriepartnern, Forschungseinrichtungen und Universitäten: www.lowex.info.

Fazit

Die Beispiele zeigen, dass die Exergiebetrachtung zu ganz anderen Optimierungen führt als eine Energiebetrachtung. Man lernt, dass die reine Betrachtung energetischer Wirkungsgrade in die Irre führen kann. Den Bund der Energieverbraucher e. V. werden wir dennoch nicht umbenennen.

Material:

Josef Leisen: Energie und Entropie

Video: Energie - Wie verschwendet man etwas, das nicht weniger werden kann?

letzte Änderung: 19.04.2017