ED 01/20 Einladung zur Prosumertagung des Vereins (S.33)
Dezentrale Eigenerzeugung und Stromvermarktung an Mieter und Nachbarn.

Vom Hausbesitzer zum Hausnetzbetreiber

Die Strompreise für Endverbraucher nähern sich der Schwelle von 30 Cent je Kilowattstunde. Gleichzeitig sinken die Einspeisevergütungen für dezentral erzeugten Strom. Die passende Antwort auf diese paradoxe Entwicklung liegt auf der Hand: Dezentrale Eigenerzeugung und Stromvermarktung an Mieter und Nachbarn. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beitrag von Louis-F. Stahl.

(12. Dezember 2013) Die für 20 Jahre garantierte Vergütung für PV-Anlagen sank von über 55 Cent im Jahr 2005 auf derzeit etwa 13 Cent je Kilowattstunde. Der Preis für die Einspeisung aus Blockheizkraftwerke (BHKW) ist hingegen an den durchschnittlichen Börsenpreis für Grundlaststrom aus dem vorangegangenen Quartal an der Strombörse gekoppelt. Dieser Großhandelspreis halbierte sich  jedoch von über 7 Cent je Kilowattstunde auf derzeit etwa 3,5 Cent je Kilowattstunde. Trotz dieses Preisverfalls für Strom sind die Endverbraucherpreise im gleichen Zeitraum von 19 Cent auf gegenwärtig fast 30 Cent je Kilowattstunde geklettert. Nichts liegt daher näher, als selbst erzeugten Strom nicht nur selbst zu verbrauchen, sondern auch im eigenen Haus oder in der Nachbarschaft zu vermarkten.

754 2110 Louis-F. Stahl

Louis-F. Stahl | Herausgeber des BHKW-Branchenportals www.bhkw-infothek.de und Vorsitzender der Betreibervereinigung BHKW-Forum e. V.

Am Anfang stand der Eigenverbrauch

Bedingt durch die große Differenz zwischen einer niedrigen Einspeisevergütung und hohen Strombezugskosten wurden BHKW im Wohngebäudebereich von Anfang an für einen vorrangigen Eigenverbrauch entwickelt. Durch eine Anpassung der Vergütungsregelungen wurde der vorrangige Eigenverbrauch ab 2009 auch für die Besitzer von PV-Anlagen interessant.

Messtechnisch sind diese beiden Anwendungsfälle des Eigenverbrauches einfach zu handhaben: An Stelle des bisherigen Strombezugszählers des Anlagenbetreibers wird ein Zwei-Richtungs-Zähler installiert, der Einspeisung und Strombezug mit zwei separaten Zählwerken erfasst. Wenn die Eigenerzeugungsanlage keinen Strom erzeugt oder der aktuelle Strombedarf die Erzeugungsleistung übersteigt, wird Strom aus dem Netz bezogen und mit dem Bezugszählwerk erfasst. Wenn die Eigenerzeugungsanlage in Betrieb ist, wird der selbst erzeugte Strom vorrangig selbst verbraucht und nur der Überschuss in das Netz eingespeist, was vom Einspeisezählwerk des Zwei-Richtungs-Zählers erfasst wird.

Der Weg zu einem gemeinsamen Stromzähler

In einem Wohnhaus mit mehreren Wohneinheiten verfügt in der Regel jede Partei über einen Stromzähler. Aufgrund dieses direkten Netzzugangs ist auch der Wechsel des Stromlieferanten problemlos möglich. Da hinter den vom örtlichen Netzbetreiber installierten Verbrauchszählern jedoch auch das öffentliche Netz beginnt, ist eine direkte Weitergabe von Strom vom Anlagenbetreiber an die Letztverbraucher nicht möglich. Die Lösung ist das Summenzählermodell: Ein Zwei-Richtungs-Summenzähler verbindet die gesamte Kundenanlage, also Erzeugungsanlage und Hausnetz, mit dem öffentlichen Stromnetz. So kann hinter dieser neuen abrechnungsrelevanten Grenze Strom weitergegeben werden, ohne dass Netzentgelte anfallen. Der Anlagenbetreiber kann seinen Stromabnehmern somit für beide Seiten wirtschaftlich vorteilhafte Preise anbieten.

Machtwort der Bundesnetzagentur

Den Austausch aller bisherigen Verbrauchszähler des Netzbetreibers gegen betreibereigene Zähler und dem damit einhergehenden Wegfall von Netzentgelten sowie nicht unerheblichen Grundgebühren wollten viele Netzbetreiber jedoch nicht akzeptieren. Erst ein Beschluss (Az. BK6-06-071) der Bundesnetzagentur im Rahmen eines besonderen Missbrauchsverfahrens gegen einen Netzbetreiber führte 2007 zur allgemeinen Akzeptanz des sogenannten „Summenzählermodells“ (siehe Grafik).

2110 Grafik Summenzähler

Über das Summenzählermodell können mehrere Verbrauchsstellen in einem Haus oder in direkter Nachbarschaft vorrangig selbst erzeugten Strom verbrauchen.
Für Verbraucher, die keinen Strom aus der Eigenerzeugungsanlage beziehen möchten, wird Strom aus dem Netz
bilanziell durchgeleitet.

Das Summenzählermodell im Detail

In der Praxis werden bei der Umstellung auf das Summenzählermodell einfach die alten Zählerschränke weiter genutzt. Nur die bisherigen Verbrauchszähler des Netzbetreibers werden gegen Stromzähler des Anlagenbetreibers ausgetauscht (unterer Teil der Grafik). Zusätzlich wird zwischen den alten Zählerkästen und dem Hausanschlusskasten ein neuer Zählerschrank installiert (oberer Teil der Grafik). Dieser neue Zählerplatz enthält den Zwei-Richtungs-Summenzähler des Netzbetreibers und den im Eigentum des Anlagenbetreibers stehenden Erzeugungszähler. Die interne Abrechnung mit den durch ihn versorgten Letztverbrauchern hinter dem Summenzähler muss der Anlagenbetreiber übernehmen.

Letztverbraucher behalten Wahlfreiheit

Besonderes Augenmerk beanspruchen Letztverbraucher innerhalb einer Kundenanlage, die ihren Strom nicht vom Anlagenbetreiber, sondern von einem dritten Stromlieferanten beziehen wollen. Die freie Wahl eines Stromlieferanten durch Letztverbraucher darf durch lokale Stromvermarktungskonzepte nämlich keinesfalls eingeschränkt werden.

Zur Sicherstellung dieser Wahlmöglichkeit musste früher eine separate Anschlussleitung vom Hausanschluss zu den drittbelieferten Stromzählern gelegt werden. Wechselten diese Letztverbraucher später zum Anlagenbetreiber, wurde deren Stromzähler von einem Elektriker umgeklemmt. Dieser Wechselprozess war nicht nur aufwändig und durch die ständigen Umbaumaßnahmen teuer, sondern führte auch zu einem kurzen Stromausfall während der Neuverlegung der Leitungen. Diesen Geburtsfehler des Summenzählermodells behob der Gesetzgeber 2009 durch den neuen § 4 Abs. 3b KWKG sowie für PV-Anlagen im Jahr 2011 mit § 20 Abs. 1d EnWG: An die Stelle der „doppelten Sammelschiene“ tritt die „bilanzielle Durchleitung“.

2110 Moderner Stromzähler

Moderne Stromzähler sind als Ein-Richtungs-Zähler (oberes Symbol) oder als Zwei-Richtungs-Zähler (unteres Symbol) zur Erfassung von Einspeisung und Bezug erhältlich.

Durchbruch dank Durchleitung

Statt bei jedem Wechsel die Stromleitungen neu zu verlegen, verpflichtet sich der Anlagenbetreiber, den Strom von drittversorgten Letztverbrauchern kostenfrei durchzuleiten und diesen Verbrauch messtechnisch zu erfassen. In diesem Fall werden alle Zähler unabhängig von dem jeweiligen Lieferanten vom Anlagenbetreiber durch eigene Zähler ersetzt und über den Summenzähler mit dem öffentlichen Netz verbunden.

Zur Abrechnung des Stromverbrauchs von Letztverbrauchern durch außenstehende Lieferanten wird einfach der Verbrauch der drittversorgten Letztverbraucher vom Bezugszählwerk des Summenzählers abgezogen. Dazu ist es erforderlich, den realen Messwert des Summenzählers durch einen virtuellen Zählpunkt zu ersetzen, bei dem der nur durchgeleitete Strom vom tatsächlichen Ablesewert des Zählers abgezogen wird. Der Verbrauchswert dieser fiktiven Zählernummer wird dann dem Bezugsstromlieferanten für den Summenzähler gemeldet, damit dieser den Bezugsstrom mit dem Anlagenbetreiber abrechnen kann.

Diese Methodik klingt zwar kompliziert, doch  § 4 Abs. 4 MessZV verpflichtet den Netzbetreiber, „die Zählpunkte zu verwalten [und] aufbereitete abrechnungsrelevante Messdaten zu übermitteln“. Im Ergebnis muss der Anlagenbetreiber daher lediglich die Ablesewerte seiner Zähler übermitteln und erhält vom Netzbetreiber die abrechnungsrelevanten Verbrauchsdaten. Diesen Aufwand versuchen einige Netzbetreiber zu vermeiden und sperren sich gegen das Einrichtungsverlangen eines Summenzählers mit bilanzieller Durchleitung. Hier hilft den Anlagenbetreibern oftmals die bloße Androhung der Einleitung eines besonderen Missbrauchsverfahrens bei der Bundesnetzagentur.

Der Sprung über den Gartenzaun

Mit dem Summenzählermodell lassen sich nicht nur Wohnungen in einem Gebäude versorgen, sondern auch andere Häuser auf dem gleichen Grundstück sowie an das Grundstück angrenzende Objekte. Erst wenn die eigenen Stromleitungen öffentlichen Grund kreuzen, müssen Sondernutzungsvereinbarungen mit der Gemeinde oder Stadt geschlossen werden. Netzvermaschungen sind jedoch nicht zulässig! Eine mittels Summenzähler versorgte Kundenanlage darf nur einen Netzverknüpfungspunkt haben. Bestehende Hausanschlüsse weiterer Immobilien müssen daher gekappt werden. Wie bereits die Einrichtung einer Summenzählereinrichtung ist allerdings auch die Integration weiterer Häuser in diese Kundenanlage nur durch einen Elektrofachbetrieb zulässig, der auf eine ausreichende Dimensionierung des Gesamtanschlusses, einzelner Leitungen und die Installation geeigneter Sicherheitseinrichtungen achtet.

Ausblick

Der Anlagenbetreiber hat einen Rechtsanspruch auf die Einrichtung eines Summenzählers zur Versorgung der Letztverbraucher innerhalb seiner Kundenanlage. Die Letztverbraucher wiederum behalten ihr Recht auf eine freie Wahl ihres Lieferanten. Die Arbeit durch die Verwaltung virtueller Zählpunkte bei der Durchleitung drittversorgter Letztverbraucher trägt der örtliche Netzbetreiber.

Fortsetzung folgt

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe der Energiedepesche im Artikel „Der Eigenerzeuger als Energieversorger“, welche Vertragskonzepte zur Abrechnung möglich sind, welche Auflagen der Anlagenbetreiber erfüllen muss und warum auch bei der Versorgung innerhalb einer Kundenanlage die EEG-Umlage fällig werden kann.

letzte Änderung: 23.12.2018