Industriestromsubventionen wirkungslos, unnötig und schädlich
Der von Wirtschaftsminister Habeck geplante Strompreisdeckel für Industriebetriebe stößt bei Verbraucherinnen und Wirtschaftswissenschaftlern auf Kritik. Auch vier der fünf von der Regierung ernannten Wirtschaftsweisen raten von der Subvention ab.
Von Aribert Peters
(11. September 2023) Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat ein Konzept für einen subventionierten Industriestrompreis vorgelegt. Bis 2030 soll ein ermäßigter „Brückenstrompreis“ von 6 ct/kWh energieintensive Branchen stützen. Profitieren würden Firmen im internationalen Wettbewerb, so das Konzept. Der vergünstigte Tarif gelte für 80 % des Basisverbrauchs entsprechender Betriebe. Die Kosten für den Staat lägen bei 25 bis 30 Milliarden Euro und sollten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bezahlt werden. Sie werden also von Verbrauchern und dem Mittelstand getragen.
Der Bund der Energieverbraucher hat dazu in einem Brief an Minister Habeck Stellung genommen, den wir hier gekürzt wiedergeben:
Lieber Herr Minister Habeck,
Ihre Sorge um die energieintensive Industrie respektieren wir als ernsthaftes Bemühen um das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft.
Sie sind aber durch Ihren Amtseid dem deutschen Volk und nicht der deutschen Wirtschaft verpflichtet. ...
Sie sind als Wirtschafts- und Klimaschutzminister umgeben von Menschen, die gut davon leben, Sie als Minister davon zu überzeugen, dass Milliardengeschenke an die Industrie sachlich gerechtfertigt oder sogar geboten erscheinen. Die Rede ist hier von Lobbyisten der großen Industrieunternehmen.
Milliardensubventionen für die Strompreise der Industrie sind nicht neu, sondern haben eine unselige und lange Tradition. Für das Jahr 2016 wurden sie auf 17 Milliarden Euro beziffert.
Bedenken gegen Subventionen
Wir möchte in ein paar kurzen Stichworten unsere Bedenken zusammenfassen:
- In den vergangenen fünf Jahren sind die Einkommen der Arbeitnehmer gesunken, die Gewinne der Unternehmen aber gestiegen. Wenn nun die Regierung viele Unternehmen zusätzlich und auch grundlos subventioniert, dann entsteht der Eindruck, sie handele im Interesse der so Begünstigten.
- Höhere Strompreise für die Industrie belohnen eine energieeffizientere Produktionsweise und führen zur Erschließung von Stromsparpotenzialen in der Industrie. Dies wirkt sich positiv auf die Energiewende aus und erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bei weiter steigendenden Strom- und Energiepreisen. Nach dem Ölpreisschock der 1970er-Jahre verteuerte Japan die Energiepreise mit dem Ergebnis, dass Japan die leistungsfähigste Industrie und die effizientesten Technologien hervorgebracht hat. Eine aktuelle Untersuchung von 840 europäischen Firmen hat ergeben, dass CO2-Einsparungen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöht und die Umsätze ansteigen lässt. bdev.de/cdp
- Begünstigte Branchen haben nur geringe Bedeutung für Wirtschaft und Beschäftigung: Die Sektoren, die besonders von den Strompreissubventionen profitieren – Chemie, Aluminium, Stahl, Papier und Kupfer zusammen – haben laut einer Studie nur einen Anteil von 2,5 Prozent an der Bruttowertschöpfung und einen Beschäftigungsanteil von 1,4 Prozent. bdev.de/wettisi
- Sowohl die Regeln des Welthandelsabkommens als auch die Regeln für den gemeinsamen EU-Binnenmarkt verbieten grundsätzlich staatliche Subventionen und erlauben diese nur in eng umschriebenen Ausnahmefällen. In einer Welt, die durch Krieg und Handelskrieg geprägt ist, verstärkt der Vorschlag neuer Subventionen nicht das Vertrauen anderer Länder in die Handelsfairness von Deutschland. bdev.de/wto
- Wir plädieren für eine völlige Abschaffung jeglicher Strompreissubventionen für Industriebetriebe. Wenn beispielsweise Chlor und Aluminium im Ausland günstiger herzustellen sind, dann ist es vorteilhafter für Deutschland, diese Produkte günstig zu importieren, als sich eine hochsubventionierte deutsche Produktion zu leisten. Das Gesetz der komparativen Vorteile ist ein Grundprinzip der Wirtschaftswissenschaften und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom britischen Ökonomen David Ricardo formuliert. Es zeigt, wie Länder oder Individuen durch Spezialisierung und Handel voneinander profitieren können, selbst wenn ein Land in der Herstellung jedes Gutes absolut effizienter ist.
- Die auf Exporte fixierte deutsche Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat der Bevölkerung geschadet. Denn hohe Exportüberschüsse sind Folge einer zu schwachen Binnennachfrage einschließlich der geringen Investitionstätigkeit und der daraus resultierenden Importschwäche. Wenn die Menschen mehr Geld in der Tasche haben, kurbeln sie auch die Nachfrage an. Es macht deshalb keinen Sinn, die Binnennachfrage durch Strompreissubventionen zu drosseln.
- Strukturpolitisch falsche Anreize: Die nicht begünstigten Betriebe haben durch die Subventionen höhere Strompreise und somit Wettbewerbsnachteile. Die Subventionen begünstigen große Industriekonglomerate zu Lasten der innovativen und arbeitsplatzschaffenden mittelständischen Industrie.
- Strompreise sind kein Standortfaktor und deshalb auch kein Grund für Abwanderung (Quellen siehe Langfassung des Papiers ).
- Die betroffenen Industrien operieren europaweit und haben Zugang zu den Strombeschaffungsmärkten in ganz Europa. Insoweit lässt sich das vermeintliche Problem nicht durch Subventionen in Deutschland lösen.
- Subventionen lassen sich leicht einführen. Jedoch ist es so gut wie unmöglich, sie wieder abzuschaffen, da sie als Besitzstand verteidigt werden. So verhält es sich auch mit der Befreiung energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage, der sogenannten besonderen Ausgleichsabgabe, einem milliardenschweren Geschenk an die Großindustrie. Mit sehr durchsichtigen Argumenten sollen diese Industriegeschenke jetzt wieder zum Leben erweckt werden.
Aus den genannten Gründen empfiehlt der Bund der Energieverbraucher, von einer Subventionierung von Industriestrompreisen abzusehen. Eine solche Subvention wäre wirkungslos, unnötig und hätte eine Folge von gravierenden negativen Folgen.
Download Brief vom 04.09.2023 an Habeck Subventionen Industriestrompreis
Stellungnahme der Wirtschaftsweisen im Handelsblatt: bdev.de/weisehb
Milliarden, damit die Industrie im Land bleibt? Wie glaubwürdig sind die Drohungen? Und wer zahlt die Milliarden?
Gesetz der komparativen Vorteile
Das Gesetz der komparativen Vorteile ist ein Grundprinzip der Wirtschaftswissenschaften und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom britischen Ökonomen David Ricardo formuliert. Es zeigt, wie Länder oder Individuen durch Spezialisierung und Handel voneinander profitieren können, selbst wenn ein Land in der Herstellung jedes Gutes absolut effizienter ist. Um das Konzept zu veranschaulichen, nehmen wir ein einfaches Beispiel mit zwei Ländern und zwei Produkten:
Länder: A und B; Produkte: Tuch und Wein
Angenommen Land A kann ein Tuch in 10 Arbeitsstunden und 1 Liter Wein in 5 Arbeitsstunden herstellen. Land B hingegen benötigt 15 Arbeitsstunden für ein Tuch und 20 Arbeitsstunden für 1 Liter Wein.
Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Land A in beiden Produkten einen absoluten Vorteil hat, weil es weniger Zeit benötigt, beide Produkte herzustellen. Aber das Gesetz der komparativen Vorteile schaut auf die Opportunitätskosten:
Wenn Land A ein Tuch produziert, gibt es 2 Liter Wein auf, die es hätte produzieren können (10 Stunden / 5 Stunden pro Liter = 2 Liter). Umgekehrt gibt Land B 0,75 Liter Wein auf, um ein Tuch zu produzieren (15 Stunden / 20 Stunden pro Liter = 0,75 Liter). Daher hat Land A einen komparativen Vorteil bei der Weinproduktion und Land B einen komparativen Vorteil bei der Tuchproduktion, trotz des absoluten Vorteils von Land A in beiden Produkten.
Durch Spezialisierung und Handel können beide Länder von ihren komparativen Vorteilen profitieren und insgesamt mehr Tuch und Wein produzieren, als wenn jedes Land versucht, beide Produkte selbst herzustellen.
Dieses Prinzip fördert den internationalen Handel und zeigt, dass Länder durch Spezialisierung und Austausch von Gütern und Dienstleistungen Wohlstandsgewinne erzielen können, selbst wenn ein Land in der Produktion aller Güter effizienter ist.