Fristenlösung unzulässig?
(3. September 2015) Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 15. April 2015 seine sogenannte Fristenlösung erneut bekräftigt (Az. VIII ZR 59/14). Damit verstößt er nach Ansicht namhafter Juristen sowohl gegen deutsches, als auch europäisches Recht. Der Streit behandelt, welcher Strom- oder Gaspreis für Verbraucher gilt. Die meisten Preiserhöhungsklauseln waren in der Vergangenheit nichtig. Die Folge: Es gilt der ursprünglich vereinbarte Preis vor der Erhöhung. Die EU-Richtlinie 93/13 schreibt in Art. 6 Abs. 1, Satz 1 vor, dass nichtige Klauseln schlicht unangewendet bleiben müssen (3. Amtl. Leitsatz, Fußnote a) und Randnummern 24 ff.). Der EuGH hat auch ausdrücklich bestätigt, dass nationale Gerichte missbräuchliche Klauseln nicht abändern dürfen (14. Juni 2012, Az.: C-618/10, Randziffern 65 ff.).
Die sogenannte „Fristenlösung“ des BGH verhilft der nichtigen Klausel dagegen zu einer eingeschränkten Wirksamkeit. Juristen bezeichnen dies als „geltungserhaltende Reduktion“. Statt dem ursprünglichen Preis gilt nach Ansicht des BGH der unzulässig erhöhte Preis, der drei Jahre vor dem Zeitpunkt galt, in dem der Kunde den Preis erstmalig beanstandet hat. Kritik an der europarechtlichen Zulässigkeit dieser versorgerfreundlichen Auslegung wird in der juristischen Fachliteratur vielfach geäußert (Versorgungswirtschaft, Jahrgang 2015, S. 208; LMK Jahrgang 2012, 339740; Betriebs Berater Jahrgang 2013, S. 1861).
Angesichts dieser Zweifel hätte der BGH diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Das hat der BGH ausdrücklich nicht getan und er wird es wohl auch künftig nicht tun. Jedoch kann auch jedes andere Gericht diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen. In einer ähnlichen Frage hatte der BGH erst den EuGH eingeschaltet, nachdem das OLG Oldenburg dies getan hatte. Bekanntlich hat der EuGH die Ansicht des BGH zugunsten einer verbraucherfreundlichen und EU-rechtskonformen Auslegung verworfen (Entscheidung vom 23. Oktober 2014).