ED 04/21 Windkraftzubau: NRW bremst Energiewende (S.19)

Neue Meldungen zu Windenergie

Windkraftzubau

NRW bremst Energiewende

Windkraftzubau: NRW bremst Energiewende

Von Louis-F. Stahl

(15. Dezember 2021) Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am 1. Juli 2021 eine neue Abstandregel für Windkraftanlagen zu bestehender Wohnbebauung geschaffen. Zukünftig müssen neue Windkraftanlagen und auch die Erneuerung von alten Windkraftstandorten (Repowering) einen Abstand von einem Kilometer zu Wohnbebauungen einhalten. Ausnahmen von diesem Grundsatz können auf kommunaler Ebene getroffen werden.

130 Windräder / Foto: Halfpoint / stock.adobe.com

Laut dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) stehe mit dieser Verschärfung rund die Hälfte der derzeit geplanten Windkraftprojekte vor dem Aus. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert die neue Regelung zur Verhinderung von Windkraftanlagen auf das Schärfste: „Die Regierung Laschet will fast ganz Nordrhein-Westfalen zu einer Windenergie-Verbotszone machen“, konstatiert Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des BUND.

Infraschall

Bundesanstalt mit Rechenschwäche

Infraschall: Bundesanstalt mit Rechenschwäche

Von Louis-F. Stahl

(13. September 2021) Windkraftgegner aber auch Behörden und Politiker haben sich bei der Argumentation um Abstandsregelungen in den letzten Jahren vermehrt auf eine Studie mit dem Titel „Der unhörbare Lärm von Windkraftanlagen“ der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2005 bezogen. Die BGR warnte damals vor den Auswirkungen von sogenanntem „Infraschall“, der für den Menschen unhörbar ist, aber angeblich erhebliche Auswirkungen habe. Zu den auf Basis dieser Studie konkret festgelegten Abständen zählen unter anderem 15-Kilometer-Abstände zu Mikrobarometer-Messstationen. Aber auch viele andere Abstandsregelungen wurden unter Berücksichtigung der vermeintlich hohen Infraschallemissionen durch Windräder erlassen.

130 Symbolbild: Rechnen wie früher mit Abakus und  Stift mit Zettel  / Foto: alphaspirit / stock.adobe.com

Wie sich kürzlich herausstellte, sind diese Studienergebnisse der BGR in mehrfacher Hinsicht grob fehlerhaft. Von einer deutlich abweichenden Leistung des Windrades bis zu Rechenfehlern fanden Wissenschaftler der Universität Bayreuth und der Physikalisch-Technische Bundesanstalt diverse handwerkliche Fehler. Initiiert hatte die Untersuchung Dr. Stefan Holzheu, der die BGR nach eigenen Angaben bereits vor drei Jahren erstmals auf Ungereimtheiten angesprochen haben will. Im Sommer 2020 machte er seine Bedenken erstmals im Internet öffentlich. Über ein Jahr hinweg stimmten ihm immer mehr Wissenschaftler und Einrichtungen zu. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk zeigte sich der Erlanger Physik-Professor Martin Hundhausen entrüstet: „Ich habe da draufgeguckt, und innerhalb von zwei Stunden wusste ich, das ist falsch.“ Wie falsch die BGR lag, darüber sind die Wissenschaftler noch uneins. Der reine Rechenfehler führt in etwa zu einer Übertreibung der Infraschallemissionen von Windrädern um den Faktor 1.000. Dr. Holzheu bezieht sich hingegen nicht nur auf den offensichtlichen Rechenfehler: „Insgesamt schätze ich den Faktor auf 10.000, weil auch die Windradleistung falsch angesetzt war.“

Die BGR selbst versuchte in einer am 27. April 2021 veröffentlichten Erklärung die eigenen Fehler zu kaschieren und spricht lediglich von „neuen Erkenntnissen“ aus „fachlich-wissenschaftlichen Diskursen“. Der für die BGR verantwortliche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier findet deutlichere Worte: „Es tut mir sehr leid, dass falsche Zahlen über einen langen Zeitraum im Raum standen.“ Es liegt jetzt an Politik und Verwaltung, sämtliche unter Bezugnahme auf die übertriebenen Infraschallzahlen zustande gekommenen Abstandsregelungen für Windkraftanlagen auf den Prüfstand zu stellen.

Windkraft

Wunderwaffe zum Vogelschutz

Wunderwaffe zum Vogelschutz

Von Louis-F. Stahl

(27. August 2021) Seltene Vogelarten haben sich in den letzten Jahren zum Joker von Windkraftgegnern zur Verhinderung neuer Windparks etabliert. Werden Rotmilane oder Seeadler beobachtet, bedeutete dies bisher ein beinahe sicheres Verbot für Windkraftvorhaben oder sorgte zumindest für Abschaltzwänge zu bestimmten Zeiten zum Schutz der seltenen Vögel. Die mit dem Vogelschutz verbundenen Stillstandszeiten führen nicht selten zur Unwirtschaftlichkeit und damit ebenfalls zu einem Aus für Windparkvorhaben. Zwei ganz ähnlich funktionierende Erfindungen könnten zukünftig eine sichere Koexistenz von Vögeln und Windkraftanlagen ermöglichen.

In Fuchstal bei Landsberg am Lech wurde in einem aktiven Rotmilanbrutgebiet eine Windkraftanlage mit acht Kameras ausgestattet, die auf 300 Meter Entfernung anfliegende Vögel erkennen können. Steuern Vögel auf das Windrad zu, wird es abgeschaltet. Das sogenannte „Vogelmonitoringprojekt“ kostet rund 1,2 Millionen Euro und wird als Pilotprojekt vom Freistaat Bayern bezahlt.

130 Windrad Vogelschutz mit Weitwinkelkameras / Foto: IdentiFlight

Mit acht Weitwinkelkameras beobachtet das Identiflight-System rundum potenzielle Vogelbewegungen. Wird eine Bewegung erkannt, erfassen die zwei darüber dreh- sowie schwenkbar montieren Zoomkameras das Objekt und bestimmen Flugrichtung sowie Geschwindigkeit. Besteht Gefahr, schaltet das System Windräder zum Schutz der Vögel zeitweise ab.

Ein weiteres Projekt untersucht erstmals in Deutschland das bereits seit drei Jahren in den USA bewährte System „IdentiFlight“ des Herstellers Boulder Imaging, das nicht an einem Windrad, sondern auf einem separaten Mast installiert wird. Auch dieses System setzt primär auf acht Weitwinkelkameras zur Rundumüberwachung, verfügt aber zusätzlich über zwei motorgesteuerte Zoomkameras, die bereits auf bis zu 1.000 Meter Entfernung anfliegende Vögel erkennen und die Vogelart bestimmen können. Das System kann durch die höhere Leistungsfähigkeit ganze Windparks beobachten und zielgerichtet diejenigen Anlagen abschalten, auf die einzelne Vögel zufliegen. Verlassen die Vögel den Gefahrenbereich, werden die von der Abschaltung betroffenen Windräder wieder gestartet.

Windkraftflaute hält an

Von Louis-F. Stahl

(15. Oktober 2019) Der Zubau von Windkraftanlagen ist im ersten Halbjahr des Jahres 2019 nahezu zum Erliegen gekommen. In den drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin sowie in den Bundesländern Bayern, Hessen und Saarland wurde keine einzige Windkraftanlage neu errichtet. In Baden-Württemberg und Thüringen ging jeweils nur eine Anlage und in Schleswig-Holstein zwei Windkraftanlagen neu ans Netz.

In den übrigen Bundesländern sah es nur wenig besser aus. Der Bau neuer Windkraftanlagen an Land hat damit einen historischen Tiefststand erreicht.

130 Wind- und Solarpark / Foto: lovelyday12 / stock.adobe.com

Seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 wurden noch in keinem Halbjahr weniger Windkraftanlagen neu errichtet als im ersten Halbjahr dieses Jahres. Obwohl sich dieser dramatische Einbruch seit Jahresanfang abgezeichnet hat und bereits die Zahlen des ersten Quartals große Aufmerksamkeit erregten (siehe „Flaute beim Windkraftzubau“), zeichnet sich nicht ab, dass die politischen Entscheider die Rahmenbedingungen für die Windkraft zu verbessern gedenken. Nachdem die deutsche Solarindustrie durch politische Fehlentscheidungen im Jahr 2012 vernichtet wurde, droht jetzt mit der Windkraftbranche der nächste Jobmotor abgewürgt zu werden. Die Gewerkschaft IG Metall hat ermittelt, dass in den letzten Monaten bereits rund 10.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden.

Der Anlagenbauer Senvion mit rund 4.000 Arbeitsplätzen musste im April Insolvenz anmelden und ist in den Zahlen der IG Metall noch nicht enthalten. Andere Anlagenbauer sind zuletzt tief in die roten Zahlen gerutscht. Viele Zulieferer, wie beispielsweise Aero Ems in Haren mit einstmals 600 Mitarbeitern und der zweitgrößten Produktionshalle des Emslandes, wurden in den letzten Monaten bereits abgewickelt. Zehntausende weitere Arbeitsplätze stehen mit der Windkraftbranche auf der Kippe und die Politik schaut tatenlos zu.

Themenbereich Windkraft beim NDR: bdev.de/ndrwindkraft

Windenergie: Planungssicherheit oder Wildwuchs?

Im Kanon der erneuerbaren Energien ist die Onshore Windenergie ein wichtiger Teil der Versorgungsstruktur. Gleichzeitig stellt die Windenergie bei den Erneuerbaren die wohl umstrittenste Energiegewinnungsmöglichkeit dar. So bringt die Umsetzung von konkreten Windenergieprojekten häufig Protest und Widerstand von Anwohnern und Naturschützern mit sich.

Windenergie: Planungssicherheit oder Wildwuchs?

Im Kanon der erneuerbaren Energien ist die Onshore Windenergie ein wichtiger Teil der Versorgungsstruktur. Gleichzeitig stellt die Windenergie bei den Erneuerbaren die wohl umstrittenste Energiegewinnungsmöglichkeit dar. So bringt die Umsetzung von konkreten Windenergieprojekten häufig Protest und Widerstand von Anwohnern und Naturschützern mit sich.
Von Leonora Holling

(10. April 2018) Sowohl staatliche Stellen, als auch die Projektentwickler für Windparks, verschließen sich inzwischen den teilweise durchaus berechtigten Sorgen nicht mehr, sondern versuchen Modelle zu entwickeln, die eine höhere Akzeptanz für die Windenergie herbeiführen sollen. So bezweifelt heute niemand mehr, dass große Windmühlen etwa erhebliche Geräusche emittieren.

130 Windräder Windpark / Foto: distel2610 (CC0)

Akzeptanzdialog

Im Rahmen eines am 3. November 2017 in Würzburg durch die Stiftung Umweltenergierecht unter dem Thema „Wie lässt sich Akzeptanz für Windenergie organisieren“ durchgeführten Expertenworkshops wurde dies ausführlich beleuchtet. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie Windparkprojektierer diskutierten, wie zum einen die dringend notwendige Windenergie weiter ausgebaut und zum anderen gleichzeitig Aspekte des Umwelt- und Nachbarschutzes Rechnung getragen werden kann.

Vorgestellt wurde dabei etwa das Modell des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, wo ein Beteiligungsgesetz erlassen wurde, aufgrund dessen Windpark-Entwickler betroffenen Gemeinden und Anwohnern mindestens 20 Prozent der Anteile des Windparks zum Eigenerwerb anbieten müssen. Damit soll erreicht werden, dass eine gewisse Identifizierung zwischen Windpark als örtlichem Projekt und den betroffenen Anwohnern herbeigeführt werden kann. Da dieses Gesetz derzeit mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, ist aber noch nicht sicher, inwieweit eine gesetzliche Regelung der Pflicht zur Bürgerbeteiligung Schule machen wird.

In anderen Bundesländern, wie etwa in Thüringen, bemüht sich eine staatliche „Servicestelle für Windenergie“ durch die Vergabe eines „Siegels Windenergie“ ebenfalls für eine höhere Akzeptanz von Windparks vor Ort zu werben. Ein ähnliches Siegel wird ebenfalls durch eine private Initiative in Schleswig-Holstein vergeben. Kriterien für eine Vergabe derartiger Siegel sollen sein, dass Projektentwickler Bürger und Gemeinden bereits in der Planungsphase aktiv beteiligen, die Belange des Umweltschutzes besonders achten und auch weitere Beteiligungsmöglichkeiten in finanzieller Hinsicht bieten.

Finanzielle Beruhigungspille

Kritisch wurde in diesem Zusammenhang jedoch geäußert, dass nicht allein ein finanzieller Vorteil an einer Windenergieanlage die Akzeptanz vor Ort zu steigern vermag. Auch der insoweit oft bemühte Begriff der „Bürgerenergiegesellschaft“, also einer erheblichen Beteiligung von Bürgern an örtlichen Energieprojekten, wurde kritisch hinterfragt. Dies deckt sich mit Erkenntnissen der Leuphana Universität Lüneburg, die trotz Initiativen von Bürgern an Windprojekten einen erheblichen, versteckten Einfluss der professionellen Projektierer zu erkennen glaubt.

Deshalb ist gerade in Mecklenburg-Vorpommern die Idee entstanden, den Bürgerprojektierern von vornherein eine bestimmte Quote an den Projekten zuzubilligen, um Planungssicherheit für diese zu schaffen. Aus dieser Überlegung stammt auch die Idee des Siegels, um eine Überprüfung vorzunehmen, ob tatsächlich Bürger an dem Projekt beteiligt sind oder diese lediglich als Alibi durch einen professionellen Projektierer vorgeschoben werden.

Offene Kritik wird auch daran geübt, dass nach dem EEG Bürgerenergiegenossenschaften bisher schon bei einer Größe von 10 Personen anzunehmen sind. Die Vorgabe, dass dabei zudem lediglich zwei Jahre lang Bürger an einem solchen Windpark tatsächlich beteiligt sein müssen und lediglich in dieser Zeit die Gesellschaft den Windpark nicht an einen Dritten verkaufen darf, reicht nicht aus, um die Verankerung eines solchen Projektes in der örtlichen Bevölkerung zu garantierten.

Gleichzeitig ist verständlich, dass Bürger ungern ein finanzielles Risiko bei der Projektierung eines Windparks eingehen wollen. Hierzu muss man wissen, dass ein Windpark ausgeschrieben wird und Projektierer ihre Vorschläge einzureichen haben. Dies gilt auch für die Bürgergenossenschaften, die dann möglicherweise nachher beim Bieterverfahren keinen Zuschlag für die Durchführung „ihres“ Objektplanes erhalten. Können finanzstarke Projektierer einen solchen Rückschlag und den Verlust von Kapital verschmerzen, können dies Bürger regelmäßig nicht.

Externe Auditierungen zum Anreiz zur Einhaltung von Bürgerbeteiligungs- und Umweltschutz-Mindeststandards und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für betroffene Anwohner sind gute Bausteine für mehr Akzeptanz der Energiewende mittels Windenergie zu sorgen – aber keine Patentlösung um berechtigte Interessen beiseite zu wischen.

Wind und PV auf dem Hochhaus

Konzept des schweizer Startups Anerdgy

Wind und PV auf dem Hochhaus

(30. März 2017) Kleinwindkraftanlagen auf Gebäuden kämpfen bislang noch mit mehreren Problemen. Eines davon ist die Ästhetik, ein zweites die Rentabilität, ein drittes die Stabilität bei Winddruck. Bei allen dreien setzt die schweizer Erfindung Windrail an. Das hat ihnen eine Urkunde beim Greentec Award eingebracht.

130 Windrail-Anlage / Foto: www.flickr.com/Berliner Stadtwerke/Katja Lohse

Eigentlich trifft die Bezeichnung Windkraftanlage das Konzept des schweizer Startups Anerdgy gar nicht richtig, denn die Schweizer nutzen nicht nur Windkraft, sondern auch Druckunterschiede am Gebäude. Außerdem ernten sie mit ihren Systemen auch noch PV-Energie.

Die Anlagen sind nicht auf dem Dach, sondern fast bündig mit der Fassade am First montiert. Sie sehen ähnlich aus wie eine Lüftungsanlage, die über die Dachkante hinausragt. Der Wind durchströmt eine waagrecht laufende Turbine, die extrem leise sein soll. Durch die waagrechte Montage fällt sie weniger auf, und sie kann nicht nur „normalen“ Wind, sondern auch Strömungen an der Fassade nutzen. Oben drauf sind PV-Module, die mit dem Wind gekühlt werden und deshalb bessere Erträge bringen. Der schweizer Anbieter wirbt mit einer Lebensdauer von 40 Jahren und Stromerzeugungskosten unter 15 Cent/kWh.

In Berlin-Spandau ist bereits eine solche Anlage in Betrieb.

Die große Einigkeit von Lauterstein

Im württembergischen Landkreis Göppingen entsteht der größte Windpark des südlichen Bundeslandes

Die große Einigkeit von Lauterstein

Im württembergischen Landkreis Göppingen entsteht der größte Windpark des südlichen Bundeslandes – und niemand hat etwas dagegen einzuwenden, berichtet Bernward Janzing.

(23. Juni 2016) Michael Lenz spricht gerne von „Tuchfühlung“, und das sagt viel darüber aus, wie er Kommunalpolitik versteht: „Man muss immer auf Tuchfühlung zur Bürgerschaft sein“. Schließlich treffe man die Menschen der Stadt beim Bäcker und auch im Schwimmbad. Im persönlichen Gespräch könne man sehr genau heraushören, wo der Schuh drückt.

130 2136 Bernward Janzing

Bernward Janzing | Freier Autor aus Freiburg, schreibt u. a. für taz, Spiegel, Stern und Die Zeit.

Der Bürgermeister kann zuhören

Lenz ist Bürgermeister der schwäbischen Stadt Lauterstein. Gerade Ende Dreißig ist er und schon seit zehn Jahren im Amt – ein Mann, der gerne redet, Fragen ausführlich beantwortet, aber eben auch zuhören kann. Einer, der die Sprache der Menschen am Fuße des Albtraufs spricht, ist er doch im Nachbarort aufgewachsen. Der gleiche Dialekt schafft Vertrautheit – das ist oft wichtig in der Kommunalpolitik.

Und so sitzt er im Besprechungsraum des Rathauses der 2600-Seelen-Gemeinde und erzählt, wie Lauterstein es schaffte, den derzeit größten Windpark Baden-Württembergs auf den Weg zu bringen, ohne dass es „erkennbaren Bürgerprotest“ gab, wie er es formuliert. Dann spricht er vom Zuhören, vom Suchen nach Kompromissen und davon, die richtigen Partner mit ins Boot zu nehmen. Als eine Mischung aus „Diakon, Controller und Eigenheimverkäufer“ hat ihn die Wochenzeitschrift „die Zeit“ einmal beschrieben.

130 Erster Spatenstich Lauterstein / Foto: wpd

Erster Spatenstich für den Windpark September 2016

Manchmal sind es die scheinbar kleinen Dinge, mit denen man Vertrauen schaffen kann. Im Rahmen der Genehmigung des Windparks war es vorgesehen, die Unterlagen in Göppingen zur Einsicht auszulegen. Doch die Kreisstadt liegt
20 Kilometer von Lauterstein entfernt. So holte der Bürgermeister die Akten kurzerhand auch ins örtliche Rathaus. Ganze vier Einwendungen habe es gegeben, und die seien auch noch „höchst konstruktiv“ gewesen. Die anschließende Bürgerversammlung sei in gelassener Atmosphäre verlaufen, und der Gemeinderat habe den Windpark einstimmig befürwortet.

Vielleicht hänge es ja außerdem damit zusammen, das man hier im Ort, vor der landschaftlich reizvollen Kulisse der Alb, die politischen Kontroversen traditionell sehr sachlich austrage, fügt der Bürgermeister noch hinzu. Der Gemeinderat dort kennt schließlich keine Fraktionen, er konstituiert sich auf der Basis von zwei Bürgerlisten. Das führe auch dazu, dass man sich mehr auf die Sachfragen als auf parteipolitisches Geplänkel konzentriere. Ländlicher Pragmatismus eben.

Vorläuferprojekt scheiterte in den 1990er Jahren

Und dennoch: Man ist in dieser Stadt nicht immer so begeistert gewesen von der Windkraft. Als in den neunziger Jahren ein Vorläuferprojekt geplant war, stemmte sich der damalige Bürgermeister dagegen. Unseriöse Argumente wurden vorgebracht, etwa, dass die Anlagen die Quellen am Ort vergiften würden. Und weil auch auf Landesebene Ministerpräsident Erwin Teufel die Windkraft nach Kräften torpedierte, scheiterte das Projekt an Behörden und Gerichten. So kann der Windpark Lauterstein heute – neben seiner Größe – noch ein zweites Superlativ für sich in Anspruch nehmen: Derart lange hat kaum ein Projektierer auf einen Park hingearbeitet. Es sind nun genau 20 Jahre.

130 Hartmut Brösamle / Foto: wpd

Projektentwickler Hartmut Brösamle: Tief im Herzen ein richtiger Öko

Der Mann, der das Projekt so hartnäckig vorantrieb, ist Hartmut Brösamle. Sein Büro liegt etwa 70 Kilometer Luftlinie von Lauterstein entfernt, in Bietigheim-Bissingen. 1996 hieß seine Firma noch Enersys, vor zehn Jahren ging sie im wpd-Konzern auf. Das Projekt Lauterstein war für ihn immer ein ganz besonderes – es war sein erstes.

Dass Brösamle nun in der zweiten Runde zum Zuge kam, nachdem im Jahr 2011 auch in Lauterstein die Menschen umdachten – Fukushima und der erste grüne Ministerpräsident hatten ihren Anteil daran – war allerdings nicht ganz selbstverständlich. Denn der Standort war heißbegehrt.

„Es waren unendlich viele konkurrierende Projektierer da“, sagt der Bürgermeister und erklärt auch gleich warum. Mit sehr guten Windverhältnissen, von Siedlungen ausreichend entfernt und zudem aus Sicht des Artenschutzes weitgehend unproblematisch, erfüllt Lauterstein wichtige Kriterien für ein Erfolgsprojekt.

Handeln aus Überzeugung

Aufgrund dieser günstigen Bedingungen hätten Interessenten aus ganz Deutschland damals „eine Goldgräberstimmung verbreitet“, abenteuerliche Renditen seien versprochen worden. Aber der Bürgermeister wollte keinen Projektierer, der aus der Ferne kommt, der mal eben auf einen fahrenden Zug aufspringt, weil es irgendwo Geld zu verdienen gibt. Lieber einen, der die Region kennt, auch den Menschenschlag hier und natürlich das Windgeschäft.

Der Windkraftpionier ist um die fünfzig und man traut ihm zu, die Menschen auf dem Land zu gewinnen. Denn Brösamle ist jemand, der aus Überzeugung handelt, kein schnöseliger Geschäftemacher, das merken die Menschen schnell. In der Presse hat er sich schon damit zitieren lassen, „tief im Herzen ein richtiger Öko“ zu sein. Kaum wundert es, dass er vom Autofahren wenig hält. Im Gespräch lässt er einfließen, dass er Vegetarier ist; er hat die Figur eines Langstreckenläufers.

Kompromissbereitschaft zahlte sich aus

Tatsächlich war beim Windpark Lauterstein jede Menge Durchhaltevermögen nötig. Doch im Rückblick hat sich das erzwungene Warten durchaus gelohnt. Statt 2,4 Megawatt werden nun auf der Alb bei Lauterstein 44 Megawatt realisiert, mit 16 Anlagen zu je 2,75 Megawatt. Die oberste Flügelspitze reicht knapp an die 200 Meter heran. Ursprünglich waren sogar 27 Anlagen geplant, doch im Gespräch mit Segelfliegern verzichteten die Planer auf einige Anlagen. Auch wegen Fledermäusen und Rotmilanen wurden bestimmte Bereiche freigehalten. Als die Kirchengemeinde dann auch noch einen Kilometer Abstand von einer Kapelle wünschte, weil diese einmal jährlich zahlreiche Pilger anzieht, gingen die Planer auch darauf ein und nahmen Änderungen am Standort vor. Es war diese ständige Kompromissbereitschaft, die dem Projekt viele Sympathien brachte.

Zumal auch die neue Platzierung aus Sicht der Talgemeinde Lauterstein viel besser ist als jene aus den Neunzigern. Zwischenzeitlich sind die Anlagen so groß geworden, dass man sie auch mitten in den Wald bauen kann. Also konnten die Rotoren von der Freifläche an der Hangkante der Lützelalb zurückweichen und sind nun vom Tal aus deutlich weniger sichtbar.

Örtliche Bürger beteiligen sich finanziell

Auch die Einbindung lokaler Akteure dürfte stark zum dörflichen Frieden beigetragen haben. Drei der 16 Anlagen übernimmt das örtliche Alb-Elektrizitätswerk. „Das Albwerk ist selbst eine Genossenschaft“, hebt Bürgermeister Lenz hervor – und es scheint in diesem Moment, als liege den Menschen in Schwaben die Genossenschaft nochmal ein Stückchen näher als in manchen anderen Teilen der Republik. Das Albwerk seinerseits wird eine der drei Anlagen über eine Genossenschaft den örtlichen Bürgern anbieten.

Indem das Albwerk nun darauf verweist, „als regional verwurzelter Energieversorger eine entscheidende Rolle bei der Energiewende“ zu spielen, wird deutlich, wie sehr auch dieses Unternehmen seine Einstellung geändert hat. Vor der Jahrtausendwende warnte der Energieversorger noch – in Presseartikeln jener Zeit ist es dokumentiert – vor möglichen Auswirkungen der Rotoren auf die Lebensdauer elektrischer Geräte. Und man verbreitete die Befürchtung, die Aufnahme solcher Strommengen ins Netz sei technisch nicht möglich.

Heute ist davon nichts mehr zu hören, es hat sich eine realistische Sicht der Dinge durchgesetzt. Das Netz ist eben doch stark genug; ein eigenes Umspannwerk wird dafür sorgen, dass die erzeugte Strommenge – rund 120 Millionen Kilowattstunden pro Jahr – direkt ins Hochspannungsnetz fließen kann.

Stromerzeugung

Stillstehendes Windrad

Stillstehendes Windrad

(24. August 2015) Es sieht aus, wie Zauberei: Statt eines Windrades ragt nur ein Turm in die Luft. Und dieser Turm erzeugt aus Windenergie Strom.

130 Stillstehendes Windrad

Das Prinzip der sogenannten „Vortex Bladeless“ ist einfach: An dem Turm lässt der Wind Luftwirbel entstehen. Sie versetzen den gesamten Turm in Schwin­gung. Diese Schwingung bedeutet mechanische Energie und kann in Strom umgewandelt werden. Die Schwingungen können so stark sein, dass sie sogar Gebäude zum Einsturz bringen, so zum Beispiel die Tacoma Narrows Bridge im Jahr 1940.

Die Säulen produzieren rund ein Drittel des Stroms eines konventionellen Windrades. Dafür lassen sich die Säulen in dichteren Abständen errichten. Zudem sollen die Baukosten laut Herstellerangaben nur halb so hoch wie bei konventionellen Windrädern liegen. Auch Vögel würden nicht beeinträchtigt.

Das junge spanische Unternehmen will drei Modelle auf den Markt bringen: Eine drei Meter hohe Anlage soll 100 Watt Leistung erbringen. Ein 14 Meter hohes Modell soll vier Kilowatt Leistung liefern und ein großes Kraftwerk soll ab 2018 ein Megawatt Leistung bieten.

Versteckter Lobbyismus?

Landauf, landab versuchen Anti-Windkraft-Initiativen den Bau von Anlagen zu verhindern.

Versteckter Lobbyismus?

Landauf, landab versuchen Anti-Windkraft-Initiativen den Bau von Anlagen zu verhindern. Handelt es sich wirklich um einfache Bürger in Sorge? Die Spur führt schnell zu vernetzten Vereinen mit einflussreichen Akteuren. Welches sind die wahren Interessen?
Von Angelika Lange-Etzel

(24. Juni 2015) Wer Vorträge über „Windenergie“ hält, muss mit Mahnwachen und Störungen rechnen. Dazu bekennen sich lokale „Vernunftkraft“-Gruppen, die „das Ende der antisozialen und umweltschädlichen Energiewende sowie die Abschaffung des EEG“ fordern.

130 Angelika Lange-Etzel

Angelika Lange-Etzel, geb. 1948. Arbeitete als Dipl.-Bibliothekarin in Hannover und Rüsselsheim. Seit 2009 Rentnerin. Engagierte sich für den Naturschutz und schloss sich 2010 der „Initiative Atomausstieg Groß-Gerau“ an. Organisiert seither Veranstaltungen und schreibt Hintergrundinformationen zur Energiewende und zum Klimawandel.

Im „Bundesverband Vernunftkraft“ vernetzt

„Vernunftkraft“ nennt sich auch der politisch aktive Bundesverband, der die Basis mit vorgeblich „vernünftigen“  Argumenten und mit Rednern, wie dem Präsidenten des IFO-Instituts Dr. Hans-Werner Sinn, versorgt. Vehement werden angebliche Gesundheitsgefahren durch unhörbaren „Infraschall“ ausgehend von Windrädern angeprangert.

„Vernunftkraft“ fährt zudem einen Frontalkurs gegen die Energiewende, die laut dem Vorsitzenden Dr. Nikolai Ziegler „von einem stimmungsgetriebenen Ausstieg aus einer umstrittenen, aber zuverlässigen und grundlast-fähigen Technologie“ geprägt sei. Erneuerbare Energien brandmarkt er als naturzerstörerisch und unnötig, und er behauptet, das EEG verhindere die Rentabilität der Gaskraftwerke.

130 3078 Windpark / Foto: Pixelio.de/Erich Westendarp

Prominenter Unterstützer ist Freiherr Enoch zu Guttenberg mit großem Familien-Waldbesitz, Vater des ehemaligen Verteidigungsministers. Als Retter der deutschen Natur- und Kulturlandschaften geißelt er die „Geldgier“ der „subventionierten Windkraftindustrie“, ohne jedoch ein Wort zu Radioaktivität oder den Braunkohletagebau zu verschwenden, durch den ganze Landstriche verschwinden.

Verdeckter Lobbyismus im „Bundesverband Landschaftsschutz“ (BLS)

Der BLS ist Mitglied bei „Vernunftkraft“ und verfolgt seit 1994 „Konflikte um Windkraftwerke“. Vorsitzender Ferdinand Fürst zu Hohenlohe-Bartenstein, Waldbesitzer, charakterisiert die Anhänger der Energiewende als „schlecht informierte Gutmenschen und ideologiegesteuerte Umweltretter“.

Die Fachautorin Claudia Peters berichtet, dass Antiwind-Gruppen von BLS-Referenten, wie dem Rechtsanwalt Thomas Mock, „trainiert“ würden. Mock wurde 1998 vom Journalisten Michael Franken und 2004 vom Monitor-Journalisten Sascha Adamek als Vertreter der energieintensiven Aluminium-Industrie enttarnt. Folglich ordnet Peters den BLS als „industriegesponserte Gruppe“ ein. Sascha Adamek beschreibt im Buch „Die Atomlüge“ (2011), wie er Mock als Infraschall-Protestler antraf: “Seit Jahren fällt auf, dass Windkraftgegner mit teils abstrusen Thesen die körperliche Gefährdung durch Windanlagen beschwören und in ihren wirtschaftlichen Argumenten eins zu eins die Argumente der großen Energiekonzerne übernehmen“.

„Europäisches Institut für Klima und Energie e. V.“ (EIKE)

Für EIKE, dem deutschen Ableger der US-Klimaleugner, ist Energiewende Planwirtschaft und Ökodiktatur: „Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit“. Der Präsident von EIKE, Eike Thuss ist auch Gründer von CFACT Europa. CFACT ist eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation mit einem spendenbasierten Umsatz von etwa 2,5 Millionen Dollar pro Jahr. Von 1998 bis 2007 erhielt CFACT etwa 600.000 Dollar vom Ölkonzern ExxonMobil.

EIKE richtet Kongresse aus, gibt sich unabhängig, wissenschaftlich, aggressiv. Die Angst vor Radioaktivität sei Aberglaube, die Gefahren der Fracking-Methode reine Mythen. Hingegen: „Windräder machen krank durch Infraschall“, auch zu lesen auf esoterisch-verschwörungstheoretischen Websites.

Eike unterstützt „Vernunftkraft“, BLS und andere Gruppen, so 2013 beim „Odenwälder Klimagipfel“. Die geladenen Fachreferenten halten an Kernenergie und dem Abbau von Steinkohle fest. Kein Wunder, im Fachbeirat sitzen unter anderem die Professoren und Manager Dr. Dieter Ameling (einst Stahlindustrie und BDI) oder Dr.-Ing. Helmut Alt (1975-2006 bei RWE/BV Düren), Befürworter der Atomenergie. Mitarbeiter ist Fritz Vahrenholt (Shell, später  RWE, auch zuständig für Windkraft-Anlagen). Im Buch „Die kalte Sonne“ (2012) macht er nicht den Menschen für Klimaveränderungen verantwortlich, sondern die Sonne.

Fliegend ernten

Windenergie

Fliegend ernten: Windenergie

(6. April 2015) Während am Boden der Wind oft still steht, weht er in einigen hundert Metern Höhe stärker und auch stetiger, ungehemmt von Gebäuden und Gelände.

130 Flugdrache EnerKite

Der Flugdrache EK30 hat 15 Quadratmeter Flügelfläche und blieb bei einem Probeflug im November 2014 automatisch gesteuert volle 74 Stunden auf luftigen 300 Metern Höhe. In dieser Zeit hat er 170 Kilowattstunden Strom durch den Zug auf das Halteseil produziert. Im Jahr 2017 will die Kleinmachnower Firma EnerKite mit diesem Drachen auf den Markt kommen und hofft auf Stromerzeugungskosten von sieben bis zwölf Cent je Kilowattstunde. Dann sollen auch Start und Landung automatisch möglich sein. Die Firma sucht noch nach Investoren.

Neuer Rekord für Onshore-Wind

Windenergie-Statistik von WindGuard

Neuer Rekord für Onshore-Wind

(31. März 2015, geändert 08. April 2015) Die Windbranche in Deutschland hat im vergangenen Jahr 1.766 Onshore-Windkraftanlagen mit einer Leistung von 4.750 Megawatt (MW) neu installiert, 58 Prozent mehr als im Vorjahr mit 2.998 MW. Das hat die Deutsche WindGuard im Auftrag des Bundesverbandes Windenergie (BWE) und von VDMA Power Systems ermittelt. Mindestens 544 Windenergieanlagen mit 364 MW wurden 2014 abgebaut. Damit liegt der Zubau bei 4.386 MW netto. Auch im Ersatzanlagengeschäft gab es mit weit über 1.000 MW einen neuen Rekord.

Der BWE führt den neuen Rekordzubau auf die großzügige Flächenausweisung in den Bundesländern zurück. Weltweit wurden 2014 nach Angaben des Global Wind Energy Council (GWEC) 50.000 MW neu installiert, 47 Prozent mehr als 2013. GWEC taxiert den chinesischen Markt 2014 auf 23.500 MW und den US-Markt auf 4.800 MW. Ende 2014 waren weltweit Windräder mit einer Gesamtleistung von 370.000 MW in Betrieb, ein Zehntel davon ist hierzulande am Netz. Für Deutschland erwarten Experten in diesem Jahr erneut einen starken Zubau zwischen 3.500 bis 4.000 MW netto.

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letzte Änderung: 15.12.2021