Was dürfen Unternehmen?
Wer kollektive Normen verletzt, wird von der Allgemeinheit bestraft. Die Mechanismen von Belohnung und Bestrafung haben wesentlich zur Entwicklung der Zusammenarbeit in der menschlichen Gesellschaft beigetragen. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Firmen können sich mehr oder weniger fair verhalten. Welche Regeln gelten für die Fairness von Unternehmen gegenüber Verbrauchern?
(8. Juli 2014) Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in zahlreichen Befragungen in Kanada in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts untersucht, welche Erwartungen Verbraucher an das Verhalten von Firmen haben. Ein fiktives Beispiel: In einem Baumarkt kosten Schneeschaufeln 15 Euro. Nach einem Schneesturm werden die Preise auf 20 Euro angehoben. Der Baumarkt hat die erhöhte Nachfrage nach einem knappen Gut ökonomisch sinnvoll genutzt. Jedoch beurteilten 82 Prozent der Befragten dies als unfair oder sehr unfair. Der Baumarkt war zur Preiserhöhung durch seine Einkaufskosten nicht gezwungen, er hatte die Preise einfach erhöht, weil die Verbraucher mehr zu zahlen bereit waren. „Wir fanden eine grundlegende Fairnessregel heraus“, so David Kahneman: „Es ist nicht akzeptabel, wenn Firmen ihre Marktmacht zur Gewinnsteigerung missbrauchen und damit ihren Kunden Verluste zumuten.“
Eine Firma hat einen legitimen Anspruch auf Gewinn. Bei drohenden Verlusten darf sie fairerweise gestiegene Kosten auf andere abwälzen. Sie darf aber nicht einfach die Gehälter ihrer Mitarbeiter kürzen.
Bei sinkenden Produktionskosten gebietet die Fairness nicht, den Geldsegen mit Mitarbeitern oder Kunden zu teilen – so die damals in Kanada Befragten. Eine Firma, die dies tut, wird jedoch als sympathischer und fairer geschätzt. Erstaunlich ist die Asymmetrie für die Zu- und Abnahme von Gewinnen. Kostensteigerungen dürfen an die Kunden weitergegeben werden. Kostensenkungen dürfen selbst faire Firmen zur Gewinnsteigerung nutzen. Hier urteilt der Bundesgerichtshof verbraucherfreundlicher.
Kahneman erforschte die Grenzlinie zwischen akzeptablem Verhalten und Handlungsweisen, die zu sozialer Brandmarkung und Bestrafung führen. Arbeitgeber, die gegen die Regeln der Fairness verstoßen, werden mit Produktivitätseinbußen bestraft. Einzelhändler, die eine unfaire Preispolitik betreiben, müssen mit Umsatzeinbußen rechnen. Erfahren Konsumenten durch einen neuen Katalog von einer Preissenkung für ein Produkt, das sie vor kurzem dort gekauft hatten, kauften dort 15 Prozent weniger ein. Der niedrige Preis wurde als der richtige Preis empfunden und der vorher höhere Preis wurde als Verlust angesehen.
Altruistische Bestrafung mit Lustgewinn
Kahneman schlussfolgert: In unfairer Weise Menschen Verluste aufzuerlegen, kann riskant sein, wenn sich die Opfer revanchieren können. Auch Fremde, die unfaires Verhalten beobachten, beteiligen sich oft an der Bestrafung. Eine solche „altruistische Bestrafung“ bringt die Lustzentren zum Schwingen. Die Bestrafer sind dafür sogar bereit, Kosten und Zeit in die Bestrafung zu investieren. Das konnte sogar durch Gehirnuntersuchungen bewiesen werden. Altruistische Bestrafung ist möglicherweise ein Schlüsselelement, um das beispiellos hohe Kooperationsniveau menschlicher Gesellschaften zu erklären (Science, August 2014, Seite 1197). Fairness lässt sich leicht durchsetzen, wenn viele Leute bereit sind, unfaires Verhalten zu bestrafen. Es gibt dann einen Anreiz, fair zu sein, und die Bestrafung muss kaum eingesetzt werden. Es genügen dann relativ schwache Kräfte, zum Beispiel der Wettbewerb zwischen konkurrierenden Gruppen, damit sich Fairness evolutionär entwickeln kann.
Die Regeln der Fairness unterscheiden sich von den Regeln der ökonomischen reinen Lehre, die den Firmen eine Profitmaximierung erlaubt.
Internetplattform „Faire Konzepte“
Die Internetplattform möchte Firmen zusammenbringen, die an grundlegende Werte glauben und gemeinschaftlich denken. Heute ist oft das einzige Ziel der Gewinn, der am Ende von Projekten oder Produkten steht. Doch auf dem Weg dorthin bleiben schnell Ehrlichkeit, Vertrauen und Fairness auf der Strecke. Unterbezahlte Arbeitskraft, herausgezögerte Zahlungsziele und Quantität statt Qualität sind dabei das Ergebnis. Faire Konzepte ist die Plattform für Unternehmer, Freelancer und gemeinnützige Projekte, die nach ihren selbst auferlegten Prinzipien die Geschäftswelt fairer machen möchten.
Faires Verhalten: Kommentar
Der Bund der Energieverbraucher setzt sich dafür ein, dass Energieversorger die Regeln der Fairness gegenüber Verbrauchern einhalten, wie sie zum Beispiel in den Urteilen des Bundesgerichtshofs formuliert wurden.
Die Ausweitung der Unternehmensgewinne der Energieversorger nach der wettbewerblichen Öffnung war ein offen sichtbares unfaires Verhalten. Es provozierte den breiten und bundesweit erfolgreichen Preisprotest.
Die Regeln, die sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den vergangenen 15 Jahren für die Änderung von Energiepreisen herausgebildet haben, können als deutliche Weiterentwicklung der oben ermittelten Regeln fairen wirtschaftlichen Verhaltens gesehen werden.
Aber auch der Gesetzgeber ist moralisch und durch die Verfassung auf Fairness gegenüber Verbrauchern verpflichtet. Bedauerlicherweise werden die Regeln gerade in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung in geradezu obszönem Ausmaß verletzt. Das zeigen die Ausnahmeregelungen für EEG-Umlagen und Netzentgelte, die dem Gesetzgeber wichtiger sind als bezahlbare Preise für Verbraucher.
Die altruistische Bestrafung ist ein mächtiges Instrument zur Durchsetzung von fairem Verhalten.