Nachhilfe beim Stromsparen
Astronomisch hohe Stromrechnungen, sinnlose Stand-By-Verbräuche, allzu sorgloser Umgang mit Stromfressern - die Energiesparexperten an der Basis staunen gelegentlich nicht schlecht, wie mit der Ressource „Strom" umgegangen wird. Ein Praxisbericht.
(3. Januar 2010) Das Wiesbadener Westend gilt als ein lebendiger, aber nicht unproblematischer Stadtteil: Die Arbeitslosenquote hat Rekordniveau, der Ausländeranteil beträgt 45 Prozent.
Ausgerechnet hier eröffnete vor einem halben Jahr der Caritasverband den 60. Standort zum Stromspar-Check. Mit Hilfe umfangreicher kommunaler Mittel entstand hier bundesweit der erste Stromspar-Beratungsladen für einkommensschwache Haushalte. Bewusst ist er nicht in einem ruhigen Büroviertel am Stadtrand platziert, sondern als Anlaufstelle mitten im Problemzentrum.
Hier haben die Menschen kaum Geld für Sparmaßnahmen übrig, obwohl sie unter den steigenden Stromkosten besonders leiden. Zehn Stromsparhelfer sind hier beschäftigt. Trotz offensichtlicher Bedürftigkeit hegen die Betroffenen oft Berührungsängste und Misstrauen gegenüber Hilfsangeboten. Manche vermuten irgendwo einen Haken, andere befürchten Kontrollen und wollen zwei Unbekannte nicht in ihre Wohnung lassen. Aber einige Interessierte gibt es doch, und wo sie einmal waren, spricht es sich schnell bei Nachbarn und Freunden herum.
Kurioses in Deutschland
In der Praxis stoßen die Stromsparhelfer immer wieder auf Beispiele, die umwelt- und preisbewusste Energieverbraucher den Kopf schütteln lassen. So hatte eine Familie gleich zehn elektrische Duftkerzen im Dauereinsatz. Allein der Strom dafür kostete im Jahr 120 Euro. Eine alleinerziehende Mutter betrieb gleich drei Kühlschränke. Zwei davon enthielten jedoch lediglich geschlossene Konserven. Und ein Singlehaushalt überraschte mit seinem Jahresstromverbrauch von stark überdurchschnittlichen 5.000 Kilowattstunden - dank Dauernutzung eines Riesen-Flachbildschirms.

Die Scouts werden für ihren Einsatz gründlich ausgebildet.
Was die beiden Energiesparhelfer in den Haushalten erleben, ist sehr unterschiedlich. Manche Haushalte sind bereits gut informiert. Dort besteht wenig Verbesserungsbedarf. Doch meist zeigt sich ein anderes Bild: Am Stromnetz hängen zahllose Billiggeräte, teilweise schon längst nicht mehr im Einsatz. Der Fernseher flimmert unbeachtet im Hintergrund. Keine leichte Aufgabe, hier einen Bewusstseinswandel zu erreichen.
Kommunikation ist Trumpf
Der Besuch beginnt mit dem Gesprächseinstieg auf der psychologischen Ebene. Ziel ist, mit den richtigen Worten und Gesten eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, um Misstrauen und Skepsis abzubauen. Inhaltlich geht es los mit einem Blick auf die letzte Stromrechnung. Ist diese vergleichsweise hoch, wird der Besuch umso interessanter.
Während des zweistündigen Besuchs gilt es, sich einen Reim auf diesen Jahresverbrauch zu machen. Wie kommt dieser Haushalt auf zwei-, vier- oder sechstausend Kilowattstunden Strom? Für die Stromspar-Scouts eine anspruchsvolle Aufgabe: Sie müssen Stromrechnungen interpretieren, Verbrauchswerte überschlagen und sich in einem sehr unübersichtlichen Gerätemarkt zurechtfinden.

Die Scouts werden auch in Sachen Kommunikation geschult.
Für diese Detektivarbeit haben die Energieberater eine Reihe Hilfswerkzeuge im Gepäck: Energiekostenmessgeräte, Kühlschrankthermometer, Durchflussmessgeräte für Dusche und Wasserhahn und eine lange Frageliste. Gründlich untersuchen sie jedes Zimmer und jedes Gerät. Sie fragen die Bewohner nach Nutzungszeiten und Gewohnheiten. Um in kurzer Zeit einen Haushalt so zu durchkämmen, gehört Erfahrung, Fachwissen und ein gutes Timing dazu. Am Ende des Begutachtungstermins verabschieden sich die Helfer von den Bewohnern und vereinbaren den Folgebesuch.
Auswertung
Um die Vielzahl dieser Daten vernünftig zu interpretieren, übertragen die Stromsparhelfer alle Angaben in ein PC-Programm und überprüfen sie auf Plausibilität. Es gilt, Ungereimtheiten auszuräumen und einige Angaben gegebenenfalls zu berichtigen. Denn viele Kundenangaben sind schlecht geschätzt: Wer weiß schon genau, wie lange er duscht? Und seine Frau und seine Kinder? Steht die Ist-Situation fest, ermitteln die Scouts die Einsparpotentiale und erstellen einen Sanierungsplan. Das erfordert wirtschaftliches Denken, denn manche Maßnahmen bedeuten Investitionen, etwa die Anschaffung von Energiesparlampen. Mit einem begrenzten Budget sollen Maßnahmen dort geplant werden, wo sie eine maximale Einsparung entfalten.
Alles entscheidende Kleinigkeiten
Am einfachsten sind Maßnahmen umzusetzen, bei denen sich der Kunde nicht umgewöhnen muss - etwa der Einbau eines Spar-Duschkopfs. Eine Reihe Maßnahmen machen aber kleine Verhaltensänderungen nötig.
Zum Beispiel, wenn der Fernseher künftig zusätzlich zur Fernbedienung mit einer schaltbaren Steckerleiste ausgeschaltet werden soll. Ob das am Ende praktiziert wird, hängt von der Überzeugungskraft der Helfer ab - und von kleinen Details: Legt man eine schaltbare Steckdosenleiste zur Standby-Abschaltung nur auf den Boden, rutscht sie vielleicht irgendwann beim Staubsaugen nach hinten unter den Tisch. Aus den Augen, aus dem Sinn, und schon wäre es mit dem Stand-By-Stopp vorbei.
Die Stromsparscouts durchkämmen alle Zimmer
Also suchen die Stromsparhelfer nach einer gut zugänglichen Stelle, um die Leiste mit Zustimmung des Kunden fest anzubringen - eigentlich eine banale Kleinigkeit. Dabei hilft Erfahrung: Welcher Sat-Receiver lässt sich komplett ausschalten, ohne dass Voreinstellungen verloren gehen? Bei welchem DSL-Router bleibt die Telefonfunktion beim Ausschalten erhalten? (Bei fast allen). So entsteht für jeden Haushalt ein indi-vidueller Strom-Einspar-Plan.
Taten statt Worte
Beim zweiten Termin sprechen die Stromsparexperten den Strom-Einspar-Plan und die Ratschläge mit den Kunden durch und nennen die zu erwartende jährliche Stromkosteneinsparung in Euro. Und dann geht es in die Praxis: Die Stromsparhelfer sagen nicht nur, was getan werden muss, sondern sie führen die Maßnahmen sofort durch und machen die Kunden damit vertraut.
Neben dem Nutzen für die Umwelt und die öffentliche Hand profitieren auch die Projektteilnehmer. Beim Besuchen der Haushalte müssen die Stromsparhelfer reden und überzeugen. Dadurch lernen sie auch die auf dem Arbeitsmarkt so wichtigen „soft skills".
Immerhin gibt es nun etwa tausend Menschen in Deutschland mehr, die sich um das Verschwendungs-Chaos im Wohnbereich kümmern. Was immer sie nach dem Ende des Projekts tun, sie bleiben Multiplikatoren im Kampf gegen die Stromverschwendung.
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