Energiegenossenschaften
Segment-ID: 7138Prokon: EnBW bleibt draußen
(7. Juli 2015) Die Gläubiger des insolventen Windparkentwicklers Prokon Regenerative Energien GmbH, Itzehoe, haben sich für die Fortführung des Unternehmens als Genossenschaft ausgesprochen. Sie stimmten mehrheitlich für das Genossenschaftsmodell unter Beteiligung der bisherigen Genussrechtsinhaber. Insgesamt nahmen an der Abstimmung in Hamburg Gläubiger mit Forderungen von 1,056 Mrd Euro teil. Davon sprachen sich 843 Mio Euro für den Genossenschafts-Insolvenzplan aus. Das entspricht 80% der im Termin vertretenen Forderungen und 50% aller Insolvenzforderungen.
Die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), Karlsruhe, die mit ihrem Übernahmeangebot von 550 Mio Euro bevorzugter Investor war, bedauerte die Entscheidung. Prokon und EnBW hätten gut zusammengepasst und die Windkraft in Deutschland noch stärker voranbringen können, hieß es. EnBW setze den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter fort. Glückwünsche für die Entscheidung kamen von den Befürwortern des Genossenschaftsmodells, den beiden Ökostromversorgern Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und Naturstrom AG, die ein klares Zeichen für eine "Energiewende in Bürgerhand" sehen.
Segment-ID: 16048Politisches Störfeuer gefährdet Energiegenossenschaften
In den vergangenen Jahren boomte das Genossenschaftsmodell. Doch inzwischen stockt die Entwicklung, weil die alte Energiewirtschaft politisch wieder obenauf ist.
Von Bernward Janzing
(26. September 2014) Die Zeiten werden härter für die Energiegenossenschaften: Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wirft Bürgerprojekten Steine in den Weg. Erst wurden die Einspeisevergütungen immer weiter gekürzt. Nun macht die „Sonnensteuer“ auch die Selbstversorgung aus PV-Anlagen und kleinen Blockheizkraftwerken unattraktiver. Unklar ist, ob einzelne Verbraucher und kleine regionale Bürgergenossenschaften überhaupt noch Chancen gegen finanzstarke Konzerne haben, wenn künftig die Projekte ausgeschrieben werden müssen. Und als wäre das alles nicht genug des Störfeuers, verunsichert auch noch die Novelle des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) die Initiativen vor Ort.
Bernward Janzing | Freier Autor aus Freiburg, schreibt u. a. für taz, -Spiegel, Stern und Die Zeit.
Dabei sah es in den letzten Jahren so gut aus; die traditionsreiche Unternehmensform der Genossenschaft erlebte einen neuen Boom. Meistens hatte das Geschäftsmodell mit Energie zu tun: Im Boomjahr 2011 waren in Deutschland zwei Drittel der Neugründungen Energiegenossenschaften. Besonders in Bayern und Baden-Württemberg war die traditionelle Gesellschaftsform in den letzten Jahren sehr beliebt, mehr als die Hälfte aller neuen Energiegenossenschaften hatten ihren Sitz in einem der beiden südlichen Bundesländer.
Ende einer Erfolgsgeschichte
Doch dann ging es langsam bergab. Nachdem im Jahr 2011 bundesweit noch 167 Energiegenossenschaften gegründet wurden, waren es 2012 noch 150 und 2013 nur noch 129. Der große Einbruch aber folgt wohl in diesem Jahr.
Einer Erfolgsgeschichte droht das Ende. In Deutschland wurden seit 2006 unter dem Dach des DGRV 718 Genossenschaften im Sektor der erneuerbaren Energien gegründet. Photovoltaik dominiert weiterhin vor Biomasse und Windenergie. 16 Prozent der Genossenschaften sind im Wärmebereich aktiv, vier Prozent betreiben sogar ein eigenes Stromnetz.
Ein Bekenntnis zu gesellschaftlichen Werten
Die Genossenschaft genießt in der Gesellschaft sehr viel Sympathie, weil sie mehr ist als nur eine Unternehmensform – sie ist auch das Bekenntnis zu gesellschaftlichen Werten und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt von Bürgern. Da ist zum einen das Demokratieprinzip: Unabhängig von der Einlage hat in der Mitgliederversammlung jeder Genosse eine Stimme. Und auch das Solidaritätsprinzip gehört zum Konzept: Zumindest in der Aufbauphase und in Krisenzeiten sind unbezahlte Vorleistungen oder ehrenamtliche Arbeit üblich.
Bürgerbeteiligung und Selbstverwaltung
Dieses Modell wurde in der Vergangenheit häufig aus der Not heraus gewählt. Heute findet es aus anderem Grund wieder Freunde: Der Wunsch nach Bürgerbeteiligung und Selbstverwaltung vor Ort und in der Region wird bei den Menschen immer stärker. Sie suchen eine Alternative zu unbekannten profitfixierten Investoren und der damit einhergehenden Fremdbestimmung. So sind die lokalen Bürgergesellschaften in Zeiten der weltweiten ökonomischen Turbulenzen auch der bewusste Gegenentwurf zu den internationalen Finanzmärkten. Häufig sind zudem Genossenschaftsbanken an der Gründung beteiligt.
Burghard Flieger ist einer der engagiertesten Verfechter der Genossenschaftsidee in Deutschland. Er arbeitet für die innova eG, die Genossenschaften beim Aufbau unterstützt; sie organisiert Seminare, Tagungen und Lehrveranstaltungen über das Genossenschaftswesen und berät Interessenten. Auf diese Weise hat sie schon zahlreiche andere Genossenschaftsgründungen angestoßen.
Zwei unversöhnliche Gruppen geben ihre Rollen auf
Gerade im Energiesektor, der von starken gesellschaftlichen Debatten und Auseinandersetzungen geprägt ist, könne die Genossenschaft attraktiv sein, auch weil sie Interessenkonflikte auflöst, sagt Flieger.
„Identitätsprinzip“, nennt er das: „Zwei Gruppen, die sich sonst am Markt gegenüberstehen, wie Mieter und Vermieter oder Dienstleistungsanbieter und -nutzer, werden identisch, geben ihre ‚einseitige‘ Rolle auf.“
Die idealtypische Energiegenossenschaft versorgt sich selbst. Eine solche Genossenschaft gründete sich zum Beispiel vor einigen Jahren in St. Peter im Schwarzwald. Dort installierten die Bürger einen Hackschnitzelkessel und verlegten 4.800 Meter Rohrleitungen. Bei diesem reinen Bürgerprojekt taten sich unterschiedliche Akteure aus dem Ort zusammen, die ihr jeweiliges berufliches Wissen einbrachten. Einer der Antreiber war Markus Bohnert, beruflich als Förster tätig. Andere Unterstützer kamen aus dem Heizungsbau oder aus der Bauplanung. Sie investierten zusammen mehr als fünf Millionen Euro in das Heizwerk und die Wärmeleitungen.
Damit ist allen Beteiligten gedient: „Energiegenossenschaften von heute vereinigen gesellschaftliche, wirtschaftliche und kommunale Interessen – gemeinsam organisiert von Bürgern, Kommunen, Stadtwerken und Unternehmen“, sagt Klaus Bellmann, Vorstandsmitglied im Genossenschaftsverband e.V. Die Kommunen könnten maßgeblich zum Erfolg einer Energiegenossenschaft beitragen, indem sie bei der Realisierung von Projekten mit den Bürgern und der lokalen Wirtschaft zusammenarbeiten.
Kommunen steigen mit ein
Mitunter bringen sich auch die Kommunen direkt in die Energiegenossenschaften ein. Es gibt sogar Fälle, in denen die Initiative zur Gründung einer Bürgergenossenschaft von der Stadt ausging – wie zum Beispiel in Aalen bei der „OstalbBürgerEnergie“.
Eine Genossenschaft kann aber auch beim örtlichen Versorger mit einsteigen, wie etwa in Titisee-Neustadt. Dort hat die Stadt zusammen mit den Elektrizitätswerken Schönau (EWS) die Energieversorgung Titisee-Neustadt (EVTN) gegründet. Im Mai 2012 übernahm sie die Netze in der Stadt. Da die Hochschwarzwälder mehr Bürgerbeteiligung im Energiesektor wünschten, gehören zehn Prozent des Unternehmens einer Bürgergenossenschaft. Die Stadt hat mit 60 Prozent die Mehrheit an den Stadtwerken, 30 Prozent der Anteile halten die EWS, die ihrerseits eine Genossenschaft ist. Übrigens eine, die stark wächst und inzwischen mehr als 3.500 Mitglieder hat.
Unweit von Titisee-Neustadt, in Saig im Hochschwarzwald gibt es übrigens eine der ältesten Energiegenossenschaften Deutschlands: Als im Jahr 1918 eine erste Stromleitung durch die Gemeinde gebaut wurde, entschied sich der Gemeinderat gegen einen Anschluss der Gemeinde. Daraufhin brachten Bürger privates Geld auf, und errichteten Strommasten, Leitungen und eine Trafostation. Den Strom bezogen sie fortan vom nahegelegenen Kraftwerk Laufenburg am Hochrhein und gründeten im Jahr 1932 eine Genossenschaft. Diese versorgt noch heute die rund 650 Stromkunden im Ort.
Viele Genossenschaften planen keine neuen Projekte mehr
Die Mehrzahl der Bürgerenergiegenossenschaften in Deutschland dienen bislang aber weniger der eigenen Versorgung, sondern sie agieren ähnlich den typischen Beteiligungsgesellschaften, die oft als GmbH & Co. KG geführt werden: Man sammelt Geld ein, investiert in Wind- oder Solarprojekte und verkauft den Strom an die Netzbetreiber. Der Vorteil der Genossenschaft liegt in diesem Fall vor allem darin, dass sie mit weniger Verwaltungsaufwand geführt werden kann als eine Gesellschaft anderer Rechtsform. Und da es keine Dominanz eines Großanlegers geben kann, verspricht diese Form auch beste Bürgerbeteiligung im demokratischen Sinne.
Soviel Sympathie die traditionsreichen Genossenschaften nach wie vor erfahren – wenn es um neue Unternehmen geht, prägen in diesen Monaten enorme Unsicherheiten die Branche. 30 Prozent der bestehenden Genossenschaften planen inzwischen keine weiteren Projekte mehr, hat der DGRV in einer Umfrage ermittelt. Der Grund ist für den Verband eindeutig: die „schädlichen Folgen der unsicheren Rahmenbedingungen“.
Denn nicht nur die gesunkenen Vergütungen für Solarstrom machen den Genossenschaften zu schaffen. Bitter ist auch der Wegfall des Grünstromprivilegs, das bisher durch eine reduzierte EEG-Umlage die Lieferung von selbsterzeugtem Ökostrom an Verbraucher begünstigte, etwa die Versorgung von Mietern mit Solarstrom vom Dach. Genossenschaftsexperte Flieger sieht hinter dem Gesamtpaket eine klare Strategie der Politik: „Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel macht mit der EEG-Novelle die PV-Genossenschaften kaputt, und das war auch sein Ziel.“
Auch das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KA-GB) birgt noch Risiken für Genossenschaften. Für die operativen Tätigkeiten sei das KAGB zwar weniger kritisch, sagt Verbandsvertreter Wieg, aber es herrsche „eine große Unsicherheit“, da es um ein sehr komplexes Thema gehe. Und auch das lähmt jedes Engagement.
Und doch bleiben Optionen. Chancen bieten sich den Genossenschaften auch weiterhin im Wärmesektor, darin sind sich alle Beobachter einig: „Nahwärmenetze haben noch großes Potenzial, es gibt noch zahlreiche Biogasanlagen, deren Wärme nicht optimal genutzt wird“, sagt Verbandsvertreter Wieg. Entsprechend planten derzeit 18 Prozent der Genossenschaften Projekte in diesem Bereich – im Vorjahr seien es erst elf Prozent gewesen.
Trotz Gegenwind sich nicht geschlagen geben
Die Freunde der Bürgerbeteiligung wollen sich also trotz des heftigen Gegenwinds aus Berlin nicht geschlagen geben. „Die Modelle werden nun komplexer“, sagt Wieg und gibt sich trotz allem optimistisch. Ein Musterbeispiel sei die Energiegenossenschaft Odenwald (EGO) mit einem breiten Spektrum der Wertschöpfung.
Sie wurde 2009 gegründet und hat ihren Sitz in Michelstadt in Südhessen. Ihr Geschäftsmodell ist zum einen die Nutzung der erneuerbaren Energien im Odenwaldkreis und zum anderen die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Energieeinsparung. 1.800 Mitglieder hat die Genossenschaft inzwischen. Ab 100 Euro konnten die Bürger einsteigen.
Mehr als 60 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als fünf Megawatt hat die EGO im Odenwaldkreis und der näheren Umgebung realisiert, außerdem zwei Windkraftanlagen. Investitionen von 25 Millionen Euro wurden getätigt: „Odenwälder investieren in den Odenwald“, heißt der Slogan. Und eine Rendite von bis zu 3,5 Prozent gab es in den letzten Jahren auch schon.
Seit Jahresbeginn 2013 beliefert die Genossenschaft auch ihre Mitglieder mit Ökostrom. Der Preis des EGO Naturstroms liege unter dem Angebot des regionalen Energieversorgers, heißt es. „Unseren Mitgliedern gewährleisten wir dadurch eine einfache, demokratische und transparente Möglichkeit, sich finanziell und ideell an der Energiewende vor Ort zu beteiligen“, sagt EGO-Vorstandsvorsitzender Christian Breunig.
Hinter allen Ansätzen der Genossenschaften steht vor allem eine Hoffnung: dass sich die Entwicklung zu einer Energiewirtschaft in Händen der Bürger nicht mehr zurückdrehen lässt. Obwohl das in Berlin gerade angestrebt wird.
Energiegenossenschaften in Zahlen
Energiegenossenschaften werden im Durchschnitt von 43 Mitgliedern gegründet, 92 Prozent der Mitglieder sind Privatpersonen. In fast drei Viertel der Genossenschaften kann man schon mit weniger als 500 Euro einsteigen. Im Durchschnitt ist jedes Genossenschaftsmitglied mit 3.298 Euro beteiligt. Energiegenossenschaften verfügen über ein durchschnittliches Startkapital in Höhe von rund 686.000 Euro; sie haben zuletzt eine durchschnittliche Dividende in Höhe von 4,26 Prozent ausgeschüttet.
Die 718 seit 2006 unter dem Dach des DGRV gegründeten Energiegenossenschaften vereinen rund 145.000 Mitglieder, darunter rund 130.000 Privatpersonen. Diese sind mit rund 470 Millionen Euro Eigenkapital engagiert. Die Genossenschaften haben insgesamt rund 1,35 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert. Sie produzieren 830 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich und können somit rund 230.000 Durchschnittshaushalte versorgen. Die Energiegenossenschaften erzeugen also deutlich mehr Strom, als die Haushalte der Mitglieder benötigen.
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