ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Brennstoff-Armut: Schutzbedürftige Verbraucher

Video: report MÜNCHEN Abgeschaltet Wenn Strom zum Luxusgut wird

"Die Kommission ist der Auffassung, dass die Mitgliedsstaaten das Problem der schutzbedürftigen Verbraucher nicht hinreichend angegangen sind " (Mitteilung der Kommission, KOM(2007)386 endgültig), 05. Juli 2007).

Weiteres: Europäische Charta für Energieverbraucher und die Stellungnahme des Bundes der Energieverbraucher

Sozialstaat schützt vor Energiearmut

Wer durch eine sehr hohe Gas- oder Wärmerechnung in die Armut abzurutschen droht, der hat Anspruch auf staatliche Hilfe. Weil das vielfach unbekannt ist, klären wir nachfolgend auf.
Von Leonora Holling

(9. Januar 2023) Strom- und Gaspreiserhöhungen treffen vor allem finanziell schwache Familien besonders hart. Meist fehlen Rücklagen, die plötzliche Nachzahlungsverlangen von Energieversorgungsunternehmen ausgleichen könnten. In vielen Fällen besteht ein Anspruch auf staatliche Unterstützung, von dem die Betroffenen selbst nichts wissen. Anspruchsberechtigt sind sowohl Beschäftigte als auch Rentner, unabhängig davon, ob bereits Sozialleistungen (Arbeitslosengeld (Hartz IV, demnächst Bürgergeld) oder Sozialhilfe) bezogen werden. Ausschlaggebend ist, ob die Nachzahlung die finanzielle Leistungsfähigkeit des Betroffenen übersteigt.
Rechtsgrundlagen für derartige Ansprüche sind für Beschäftigte der § 22 Abs. 1 des SGB II und für Rentner der § 35 Abs. 1 des SGB XII.

2397 Familie im Wartebereich / Foto: Andreas Koch / stock.adobe.com

Strom: Nur Darlehen möglich

Im Bereich Strom gilt dabei für die Bezieher von Grundsicherung, dass deren Bedarf bereits im Regelsatz enthalten ist. Hier kann also kein weiterer Ausgleich für erhöhte Stromkosten verlangt werden. Allerdings kann bei einer erheblichen Nachzahlung ein Darlehen durch den Sozialhilfeträger zu deren Begleichung gewährt werden. Der Mehrbedarf sollte auf jeden Fall angemeldet werden, damit Ansprüche nicht verloren gehen. Gerade die Umstellung auf das Bürgergeld zum 1.1.2023 mag den Gesetzgeber nämlich noch zu rückwirkenden Änderungen veranlassen.

Wärmeversorgung: Kosten werden ggf. übernommen

Anders stellt sich die Situation im Bereich der Wärmeversorgung mit Gas oder in Mietverhältnissen Wärme dar. Die Kosten werden für Sozialleistungsbezieher über die eigentliche Sozialleistung hinaus komplett übernommen, soweit diese Kosten angemessen sind. Dabei gehen die Hilfesätze von Kosten von 1 EUR je qm Wohnung aus. Bei Hartz IV bedeutet das beim Erwachsenen einen pauschalen Betrag von 10,33 EUR/Monat. Auch höhere Beträge werden auf Antrag übernommen. Hierzu sind etwa Rechnung oder Vorauszahlungsschreiben des Versorgers vorzulegen. Wird eine Übernahme der Kosten abgelehnt, kann man das Sozialgericht anrufen.

„Einmalbedarf“ für Geringverdiener

Auch eine einmalige Übernahme hoher Energiekosten bei Gas und Wärme kommen in Betracht. Einen solchen Anspruch auf sogenannte „Aufstockung“ haben auch Personen, die ansonsten keinen Anspruch auf Sozialleistungen besitzen, zugleich aber nur über ein sehr geringes Einkommen verfügen. Eine hohe Gasnachforderung, etwa für die Abrechnungsperiode 2021/2022, die die eigenen Mittel übersteigt, wäre dann ein Einmalbedarf. Diesen kann man isoliert als Sozialleistung geltend machen. Wichtig ist, diesen Bedarf im Monat der Fälligkeit der Forderung geltend zu machen. Danach verfällt ein Anspruch auf Übernahme. Genau prüfen sollte man zudem, wer richtiger Ansprechpartner für einen solchen Anspruch ist. Wenn man dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht, wie es etwa bei Rentnerinnen und Rentnern der Fall ist, muss man sich an das Sozialamt wenden. Geringverdiener, Krankengeldbezieher oder Studierende im Haushalt der Eltern wenden sich an das Jobcenter.

Beratung

Sozialamt und Jobcenter müssen alle Bürger beraten. Aber leider zeigt die Erfahrung, dass es oft an den Kapazitäten mangelt. Deshalb sollte man sich von Sozialverbänden wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder den Paritätischen Wohlfahrtsverband beraten lassen. In größeren Städten gibt es zudem Seniorenanlaufstellen. Bei einem Klageverfahren sollte der Gang zum Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin auf jeden Fall gewählt werden.

Rechtliche Auseinandersetzung

Sollte sich eine gerichtliche Auseinandersetzung abzeichnen, ist der Gang zum Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin angezeigt. Nur diese sind befugt ein gerichtliches Verfahren für den Betroffenen zu führen. Eine Selbstvertretung sollte, obwohl zulässig, vor dem Sozialgericht nicht erfolgen. Denn auch wenn das Gericht von Amts wegen Hinweise zur Rechtslage erteilen muss, sind diese für den Laien schwer verständlich. Dadurch alleine droht Rechtsverlust. Wer sich zunächst hinsichtlich seiner rechtlichen Chancen informieren möchte, kann sich beim Amtsgericht seines Wohnsitzes einen sogenannten Beratungshilfeschein ausstellen lassen. Dafür muss man persönlich dort auf der Rechtsberatungsstelle vorsprechen und seine Einkommensverhältnisse mit Belegen offenlegen. Beratungshilfe erhalten dann solche Personen, welche die Kosten eines Rechtsanwalts für eine Beratung nicht tragen können und auch nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen. Mit dem Original (!) des Beratungshilfescheins kann man sich dann gegen eine Gebühr von 10 EUR bei einem Rechtsanwalt beraten lassen. Es empfiehlt sich einen Fachanwalt für Sozialrecht zu wählen.

Bundessozialgericht

Heizöl auch ohne Hartz IV

Bundessozialgericht: Heizöl auch ohne Hartz IV

Von Louis-F. Stahl

(7. Februar 2020) Das Bundessozialgericht hat am 8. Mai 2019 entschieden, dass auch ohne den Bezug von Hartz IV ein Anspruch auf die Zahlung eines „Heizkostenzuschusses“ durch das Jobcenter bestehen kann (Az. B 14 AS 20/18 R). Die Kasseler Richter stärkten damit die Rechte von Arbeitnehmern mit geringem Einkommen.

Der Entscheidung ging der Antrag einer fünfköpfigen Familie auf Heizkostenzuschuss im Jahr 2013 voraus, deren Einkommen nur knapp über dem Hartz-IV-Satz liegt. Im Monat der jährlichen Brennstoffbeschaffung reichte das knappe Einkommen der Familie nicht zur Deckung des Bedarfes. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab, da nach Auffassung der Behörde die Familie in der Pflicht sei, das gesamte Jahr über Monat für Monat das jeweils über dem Hartz-IV-Satz liegende Einkommen anzusparen, um mit diesem Geld den Heizbedarf zu decken.

Dieser Auffassung des Jobcenters erteilte bereits das Sozialgericht erster Instanz im Jahr 2014 eine Absage und sprach der Familie unter Verweis auf das „Monatsprinzip“ den beantragten Heizkostenzuschuss zu. Jeder Bedarf müsse in dem Monat gedeckt werden, in welchem er entsteht – auch wenn der konkrete Bedarf eine Brennstoffbevorratung für das gesamte Jahr ist, so die Richter damals. Gegen dieses Urteil zog das Jobcenter durch alle Instanzen bis zum Bundessozialgericht. Sowohl das Landessozialgericht im Jahr 2018 als auch jetzt das Bundessozialgericht bestätigten jedoch das Monatsprinzip sowie den Anspruch auf einen Heizkostenzuschuss für Geringverdienende.

Energiearmut: Die tickende Zeitbombe

Fast eine Million Menschen bekommen in Deutschland jährlich den Strom gesperrt, darunter viele Kranke, Hochbetagte und Familien mit Kindern – unübersehbarer Ausdruck von Energiearmut. Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehören Heizung und Stromversorgung zu den unveräußerbaren Grundrechten.

Energiearmut: Die tickende Zeitbombe

Fast eine Million Menschen bekommen in Deutschland jährlich den Strom gesperrt, darunter viele Kranke, Hochbetagte und Familien mit Kindern – unübersehbarer Ausdruck von Energiearmut. Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehören Heizung und Stromversorgung zu den unveräußerbaren Grundrechten.
Von Aribert Peters

(15. März 2017) Wenn es Abend wird, kann Julia S. das Licht nicht anschalten. Denn der Familie wurde vor drei Tagen der Strom abgestellt, obwohl Julia S. die ausstehenden Stromschulden per Ratenzahlungen abstottern wollte. Das kleine Kind der Familie bekommt seither keine warmen Mahlzeiten mehr, die Lebensmittel lagern in den Kühlschränken der Nachbarn. Die Fernsehsendung Report München berichtete am 29. Juli 2014 über nur eine von jährlich 360.000 Stromsperren in Deutschland. Es könnten viele weitere Geschichten angefügt werden, in denen Kranken und Hilflosen der Strom gesperrt wird, obwohl dem Versorger die besondere Not der Betroffenen bekannt war. Deshalb betreibt der Bund der Energieverbraucher e.V. seit dem Jahr 2009 in Hamburg das „Erfassungsbüro für Energieunrecht“.

2059 2397 2416 Kerzenlicht

Energiearmut und Gerechtigkeit

Ausgangspunkt der Debatte über Energiearmut in Großbritannien und auch in Deutschland ist die wachsende Zahl von Haushalten, die sich keinen Strom und keine warme Wohnung mehr leisten können, also ohne Strom oder in kalten Wohnungen sitzen. Energiearmut ist eine bestimmte Ausprägung von Armut ähnlich der Obdachlosigkeit.

Der Begriff der Energiearmut eignet sich dazu, das Problem der gerechten Verteilung der Energiekosten zu thematisieren: Gerade arme Haushalte bezahlen besonders hohe Stromkosten, weil ihnen der Wechsel zu Billiganbietern unmöglich ist (oft kein Girokonto, negative Schufa-Auskunft, kein Computer). Die energiekostensenkende Wirkung hoher Energieeffizienz bleibt gerade armen Haushalten vorenthalten, sei es bei der Geräteausstattung oder hocheffizienten Gebäuden mit geringen Heizkosten. Hinzu kommt, dass arme Haushalte einen höheren Anteil ihrer Ausgaben für Energie aufwenden. Die Lobby der Großindustrie hat Strompreisrabatte bei Netzentgelten, Steuern und Abgaben durchsetzen können, die von allen anderen Stromkunden zusätzlich aufgebracht werden müssen (EEG-Umlage, Offshore-Haftungsumlage, Netzentgelte) und deren Strompreise beträchtlich in die Höhe treiben.

Energiearmut in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es Energiearmut: hochgerechnet saßen 2011 an kalten Tagen 6,2 Millionen Deutsche mit Pullovern und Stiefeln in der Wohnung, um sich warm zu halten und weniger zu heizen. 16 Millionen wärmten sich in der Wohnung mit Decken. Ein Viertel derjenigen, die sich in Wolldecken kuschelten, um nicht zu frieren, ist zwischen 14 und 29 Jahre alt.

Im Jahr 2015 wurde rund 360.000 Haushalten der Strom abgestellt -(Monitoringbericht der Bundesnetzagentur für 2016, Seite 197), fast eine Million Menschen waren davon unmittelbar betroffen. Zehn Prozent davon wurden sogar innerhalb eines Jahres mehrfach gesperrt. Für das Jahr 2011 berichtete die Bundesnetzagentur von 312.000 Stromsperren. Viele dieser Haushalte gehören zur Gruppe der schutzbedürftigen Verbraucher, bei denen nach EU-Recht eine Versorgungsunterbrechung unzulässig ist.

In den vergangenen Jahren sind die Strompreise deutlich gestiegen, Öl- und Gaspreise dagegen gesunken. Daher manifestiert sich Energiearmut derzeit vorrangig durch Stromsperren. Mit künftig steigenden Gas- und Ölpreisen werden auch wieder die für viele unbezahlbaren Heizkosten zum Thema werden.

Energiearmut zwischen Energie- und Sozialpolitik

Energiearmut verknüpft zwei unterschiedliche Politikfelder mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und Sichtweisen: Die Energiepolitik und die Sozialpolitik. Energiepolitik muss ihre sozialen Folgen erkennen und berücksichtigen. Und Sozialpolitik muss für ihre Schutzbefohlenen eine ausreichende Energieversorgung sicherstellen. Derzeit entziehen sich beide Bereiche ihrer Verantwortung mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit des jeweils anderen. Die Betroffenen bleiben hilflos zurück, weil weder Sozialbehörden noch Energieversorger sich für das Problem zuständig erklären. Dabei sind beide in der Verantwortung. Eine bundesweit übergreifende Lösung des Problems steht aus. Das Bewusstsein fehlt dafür, dass hier ein gravierendes und ungelöstes Problem vorliegt.

Politische Behandlung von Energiearmut in Deutschland

In Deutschland vertritt die Bundesregierung die Meinung, Energiearmut sei durch das Sozialsystem im Griff, es gebe kein gesondertes Problem der Energiearmut. Ignoriert wird dabei, dass immerhin die Hälfte der von Stromsperren Betroffenen überhaupt keine Unterstützungszahlungen erhält, also durch die Maschen des Sozialsystems gefallen ist.

Dass Energiearmut ein gravierendes und vom Grundsatz her ungelöstes Problem in Deutschland ist, dafür braucht man keine Definition und keinen Streit darüber, ob eine, fünf oder zehn Millionen Menschen betroffen sind. Laut einer WHO-Studie aus dem Jahr 2011 sind 30 Prozent der Wintertoten (im Winter sterben statistisch betrachtet mehr Menschen als im Sommer) in Europa – und das sind 75.000 – auf unterkühlte Innenräume zurückzuführen, die hauptsächlich durch Energiearmut verursacht werden. Auch wenn die kausale Beziehung zwischen Sterben und Unterkühlung diskussionswürdig ist, kann ein Zusammenhang grundsätzlich kaum geleugnet werden.

Das Mess- und Definitionsproblem von Energiearmut

Durch die amtlich festgestellte Zahl der jährlichen Stromsperren in Deutschland hat man einen Ausgangspunkt, wie verbreitet Energiearmut ist. Die Zahl der Stromsperren beziffert allerdings nur höchst unzureichend die Energiearmut. Denn nicht jeder von einer Stromsperre Betroffene gehört zu den Energiearmen – es kann auch die Stromrechnung aus Versehen unbezahlt bleiben oder weil sie falsch adressiert war oder ein längerer Urlaub anstand. Und es gibt sehr viele Energiearme, die in der Zahl der Stromsperren überhaupt nicht enthalten sind – weil sie den Winter in einer kalten Wohnung verbringen, weil sie die Heizkosten nicht zahlen können, ohne dass der Strom gesperrt wurde, oder weil sie ihre sonstigen Ausgaben unzumutbar reduziert haben, um einer Stromsperre zu entgehen.

Die britische Armutsforscherin Brenda Boardman weist auf ein zirkuläres Definitionsproblem hin: Ob jemand von Energiearmut betroffen ist, hängt von der zugrundegelegten Definition von Energiearmut ab. Diese Definition hängt aber ihrerseits davon ab, welches Problem man mit der Begrifflichkeit der Energiearmut angehen möchte und ist eine politische Entscheidung.

Die 2010 von Brenda Boardman formulierte klassische Definition lautet: Wer mit zehn Prozent seines Einkommens keine adäquate Energieversorgung erzielen kann, ist von Energiearmut betroffen. Allerdings wäre dann auch der Vielverdiener, der sehr hohe Energieausgaben hat, von Energiearmut betroffen. Nach allgemeinem Verständnis gehört jemand mit ausreichend Geld nicht zu den Energiearmen, selbst dann nicht, wenn er hohe Energiekosten hat.

Energiearm kann demnach nur sein, wer ein geringes Einkommen und zugleich auch hohe Energiekosten hat (Hills: Low Income – High Cost, kurz LIHC). Für diesen Personenkreis ist kennzeichnend, dass er es nur durch deutliche Einschnitte in anderen Ausgabenbereichen (Essen, Wohnen, Mobilität oder Bildung) warm und hell haben kann. Oder die Stromrechnung wird nicht bezahlt, was eine Stromsperre verursacht, beziehungsweise die Wohnung kann nicht mehr geheizt werden: „heat or eat“.

Wie auch immer man Energiearmut definiert: Die Betroffenen leiden nicht, weil sie einer bestimmten Definition entsprechen, zum Beispiel mehr als zehn Prozent ihres Geldes für Energie ausgeben. Sondern weil ihnen der Strom gesperrt wurde. Oder weil sie hungern oder ihr Leben unzumutbar einschränken, um den Strom bezahlen zu können und einer Sperre zu entgehen. Oder weil sie frieren, weil sie die Heizung der Wohnung nicht bezahlen können. Die vielen Versuche, mit vorhandenen Statistiken Energiearmut zu identifizieren und so deren Ursachen zu erkennen, greifen zu kurz. Empirische Forschung lässt sich durch Definitionen und Sekundäranalysen nicht ersetzen. Und genau daran fehlt es.

Keine empirische Forschung zur Energiearmut

Nach wie vor fehlt es Deutschland an einer empirischen Untersuchung der Ursachen, Dauer und Folgen von Energiearmut, Stromsperren und kalten Wohnungen. Aus den erwähnten Beratungsprojekten gibt es immerhin Hinweise auf die Ursachen von Energiearmut und Stromsperren.

Schutzbedürftige Verbraucher

Stromsperren sind nicht nur unbequem und stigmatisierend. Weil mit dem Strom auch die Heizung ausfällt, geht von Stromsperren besonders in der Heizperiode eine Gefahr für Gesundheit, Leib und Leben der Betroffenen aus. Hochbetagte, chronisch Kranke, Behinderte und Haushalte mit Kindern sind besonders schwer betroffen, weil sie keine ausreichenden Ressourcen haben, um die von einer Sperre ausgehende Bedrohung zu kompensieren. Das umschreibt der Begriff der „schutzbedürftigen Verbraucher“.

Die EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie von 2009/72/EG schreibt in Erwägungsgrund 53: „Die Mitgliedstaaten sollten in jedem Fall eine ausreichende Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden gewährleisten.“ Die Richtlinie verpflichtet in Art. 3 Abs. 7 RL 2009/79/EG alle Mitglied-staaten zu einer Konkretisierung, wer zu den „schutzbedürftigen Kunden“ gehört. Und für schutzbedürftige Kunden schreibt die Richtlinie einen besonderen Schutz vor Versorgungsunterbrechungen vor.  Die deutsche Regierung hat sich seit 2009 geweigert, diese EU-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen und schutzbedürftige Kunden vor Versorgungssperren zu schützen. Schutzbedürftige Verbraucher sind eine Teilmenge der von Energiearmut betroffenen Menschen. In Großbritannien sind sie definiert als Ältere, Familien mit Kindern, Familien mit Behinderten oder chronisch Kranken.

Welche Merkmale hat ein energiearmer Haushalt?

Nicht nur Empfänger von Transferleistungen, sondern insbesondere auch Bezieher geringer Einkommen sind von den steigenden Energiekosten besonders betroffen, berichtet die Verbraucherzentrale NRW. Zwei weitere Studien bestätigen diese Feststellung: Etwa die Hälfte der Stromsperren betreffen Haushalte mit Grundsicherung, die andere Hälfte bezieht keine Leistungen der Grundsicherung (Heindl Löschel, 2016). Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung (Christoph Strünck: Energiearmut als neues soziales Risiko?) stellt folgende zwei Merkmale von energiearmen Haushalten heraus: arbeitslos, alleinerziehend mit Kindern. Im Gegensatz dazu sind in Großbritannien 54 Prozent aller alleinstehenden Rentner energiearm. 32 Prozent aller Energiearmen sind dort alleinstehende Rentner.

Energiepolitik durch die Brille der Energiearmut betrachtet

Die Energiemarktliberalisierung und die Energiewende müssen im Auge behalten, dass die Lebensumstände gerade materiell benachteiligter Bevölkerungsteile nicht zusätzlich verschlechtert werden oder umgekehrt ein Beitrag geleistet wird, um materielle Benachteiligungen abzubauen. Insofern leistet die Debatte um Energiearmut einen Beitrag dazu, die soziale Gerechtigkeit der Energiewende im Blick zu behalten und die Deprivation durch Stromsperren und kalte Häuser nicht zu ignorieren.

Oft wird die Energiearmut ins Feld geführt, um die Energiewende zu diskreditieren und benachteiligte Bevölkerungsgruppen im Kampf zu instrumentalisieren. Energiearmut gab es schon lange vor der Energiewende. Energiearmut ist also keine Folge der Energiewende. Vielmehr kann und muss die Reform zur Linderung der Energiearmut genutzt werden und darf sie nicht verstärken, wie es gegenwärtig geschieht. Die Energiewende ist nicht gerechter als die Gesellschaft insgesamt und besonders anfällig für Lobbyismus.

Effizienzfortschritte und Preisnachlässe sollten in erster Linie denjenigen zugutekommen, die ansonsten ihre Energierechnung nicht begleichen können. Genau das Gegenteil ist aber derzeit der Fall. Die derzeitige Energiepolitik ignoriert ihre sozialen Folgen. Dagegen regt sich berechtigter Widerstand. Ist die Energiewende sozial gerecht?

Sozialpolitik durch die Brille der Energiearmut betrachtet

Der Staat ist nach dem Grundgesetz verpflichtet, ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Strom und eine warme Wohnung gehören zum Existenzminimum. Die Zahl von rund 360.000 Stromsperren zeigt, dass hier ganz erheblicher und unmittelbarer Handlungsbedarf besteht, die Sozialleistungen so zu erweitern und so auszugestalten, dass Stromsperren zu einer seltenen Ausnahme werden. Das gegenwärtige Sozialsystem wird dem grundgesetzlich garantierten Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben in Bezug auf die Energieversorgung nicht gerecht.

Anders als die Mittel für Wohnen oder Heizen wird der Betrag für die Stromversorgung mit der Grundsicherung ausgezahlt und kann daher in der Regel nicht direkt vom Sozialhilfeträger übernommen werden. Dies muss geändert werden.

Die hohe Zahl der Stromsperren gegenüber Verbrauchern, die keinerlei Unterstützung beziehen, belegt einen gewaltigen „blinden Fleck“ des Sozialsystems. Es muss vermutet werden, dass die betroffenen Haushalte auch beim Heizkostenzuschuss und Wohngeld übergangen werden. Die Gesetzeslage muss diesem Problem angepasst werden.

Ansätze zur Minderung der Armut

Energiearmut ist ein gemeinsames Auftreten von geringem Einkommen, hohen Energiepreisen und geringer Energieeffizienz (Boardman 2010, S. 21). Hinzu kommen oft Defizite bei Sprache, Bildung, Gesundheit oder Handlungsfähigkeit. Entsprechend kann Energiearmut gemindert werden durch Senkung von Energiepreisen, höhere Effizienz, höheres Einkommen (Hills, Seite 96) oder Beratung. Wenn Stromsperren praktisch unmöglich werden, dann ist dadurch zwar der akute Problemdruck genommen, das Problem aber weiter ungelöst. Denn Versorger haben einen berechtigten Anspruch darauf, dass der gelieferte Strom auch bezahlt wird.

1. Schutz durch weitere EU-Vorschriften

Die EU hat den besseren Schutz vor den Folgen von Energiearmut zu einem erklärten Ziel gemacht und plant neue Richtlinien zu erlassen, um Stromsperren zu erschweren und Effizienzverbesserungen gezielt energiearmen Haushalten zugutekommen zu lassen. (siehe Paukenschlag aus Brüssel)

2. Schuldnerberatung

In Beratungsprojekten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sitzen Versorger und Sozialbehörden mit Verbraucherschützern an einem Tisch, um in Einzelfällen Lösungen zu finden. Die Erfahrungen aus Beratungen von Verbrauchern mit Energieschulden zeigen, dass es oft besondere Lebensumstände wie Jobverlust, Scheidung oder Krankheit sind, die zu einem finanziellen Problem führen. Auch sind die Betroffenen oft nicht in der Lage, das Problem rechtzeitig zu erkennen und sich der Situation anzupassen.

Die Schuldnerberatung stellt den Kontakt zum Sozialhilfeträger her und verhilft den Betroffenen zu der ihnen zustehenden staatlichen Unterstützung. Mit der Abwehr unrechtmäßiger Strom- und Gassperren ist sie überfordert, die Wartezeiten sind sehr lang. Und nur 30 Prozent der Verbraucher mit Energieschulden sind allgemein verschuldet. Der flächendeckende Ausbau der Schuldnerberatung ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Energiearmut.

3. Datenaustausch zwischen Netzbetreiber und Sozialbehörde

Es wäre höchst sinnvoll, wenn Sozialbehörden über bevorstehende Stromsperren vom Netzbetreiber informiert würden. Dieses Vorgehen hatte bereits der Verbraucherausschuss des Bundesrates gefordert. Praktisch stößt das auf datenschutzrechtliche Probleme, weil der Stromversorger solche Daten nicht ohne Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Eine pragmatische Lösung bietet das Saarbrücker-4-Punkte-Modell. Der Sozialleistungsempfänger stimmt hier vorab für den Fall einer drohenden Versorgungssperre der Weitergabe seiner Daten vom Versorger an das Jobcenter zu. Viele Behörden handeln aber auch dann nicht, wenn sie über eine drohende Sperre informiert sind und verweisen auf die Verantwortlichkeit der Betroffenen.

4. Ansatzpunkt: Energiepreise – Sozialtarife und Freimengen

Im Jahr 2008 waren Sozialtarife in der politischen Diskussion und wurden von CDU sowie SPD gefordert, gerieten dann aber in Vergessenheit, ohne dass etwas geschah. Die Verbraucherzentrale NRW forderte einen um 15 Prozent verbilligten Stromspartarif und der Bund der Energieverbraucher eine unsperrbare Freimenge von 1.000 kWh für jeden Haushalt, dessen Kosten bei höheren Verbräuchen aufgeschlagen werden. Ein solcher progressiver Tarif verstärkt zudem die Anreize zum Energiesparen. In Italien, Kalifornien und Ägypten gibt es seit den 1970er-Jahren progressive Tarife. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen favorisiert in seinem Jahresgutachten 2016 Verbrauchsfreimengen, progressive Arbeitspreise und sogenannte Inklusivkontingente – im Grundpreis enthaltene Freimengen. Die Struktur des Stromtarifes

5. Vorkassezähler

In Großbritannien sind 3,7 Millionen Vorkassezähler installiert: Strom und Gas gibt es dann nur gegen Münzeinwurf oder Aufladung von Chipkarten. Die Preise sind entsprechend hoch und ein Anbieterwechsel unmöglich: Die Stromkosten liegen um jährlich 85 bis 200 Euro höher. Dort gibt es öffentliche Proteste gegen Vorkassezähler. bdev.de/gbaction

Stromversorger dürfen einerseits den Strom nicht abstellen, sind aber andererseits auch nicht zur kostenlosen Lieferung verpflichtet. Ein Vorkassezähler verschiebt das Problem fehlenden Stroms auf das Problem fehlenden Geldes. Sie lösen also für die Betroffenen nicht das Problem der Energiearmut („eat or heat“).

Während durch Stromsperren die Not der Betroffenen zu einem statistisch erfassbaren Fakt wird, ist die „stille Stromabschaltung“ durch fehlendes Geld nicht mehr erfassbar und bleibt damit im Dunklen.

Durch Vorkassezähler dürfen Verbraucher nicht entrechtet werden. Die Akzeptanz von Vorkassezählern hängt also entscheidend von der konkreten Ausgestaltung ab.

Für die Stromversorger haben Vorkassemodelle viele Vorteile:

  • Die Versorger brauchen nicht mehr über Stromsperren diskutieren und sind den damit verbundenen schlechten Ruf los.
  • Die Versorger haben keine säumigen Zahler mehr und sparen die damit verbundenen Kosten.
  • Die Versorger legen für Vorkassezähler fest, ob und zu welchen Bedingungen Strom fließt und können dies ständig ändern, ohne dass der betroffene Verbraucher etwas davon mitbekommt. Während Stromsperren der Kontrolle durch Gerichte zugänglich sind, ist das bei Vorkassezählern nicht der Fall. Auch eine korrekte Zuordnung von Bezug und Zahlung ist nicht mehr kontrollier- und nachvollziehbar.

In Deutschland waren im Jahr 2015 etwa 20.000 Vorkassezähler installiert, das sind 0,04 Prozent aller Zähler (BNetzA-Monitoringbericht 2016). Die Beschaffungskosten für einen elektronischen Prepaid-Zähler liegen in Deutschland einmalig zwischen 200 und 400 Euro (IKEM/BBH). Es ist gesetzlich nicht geregelt, ob diese Kosten vom Kunden oder vom Versorger zu tragen sind.

Der Versorger spart durch Vorkassezähler die Kosten für das Forderungsmanagment in Höhe von rund 270 Euro jährlich (IKEM/BBH). Deshalb erscheint es fair, wenn der überwiegende Teil der Kosten vom Grundversorger übernommen wird. Mit der Verbreitung von Smart-Metern eröffnet sich die Möglichkeit, dem Smart-Meter eine Prepaid-Funktionalität zuzufügen. Die ist wesentlich kostengünstiger als der Einbau eines Vorkassezählers. Die komplette IT-Intelligenz ist beim Vorkassezähler Bestandteil des Zählers, während beim Smart-Meter der Versorger einen direkten  Zugriff auf die Versorgung erlangt.

Der Bund der Energieverbraucher e.V. fordert für Vorkassezähler die folgenden Punkte und wird auf deren gesetzliche Fixierung drängen:

  • Die Bedingungen für Vorkassezähler müssen dem Kunden vor seiner Installation schriftlich und verständlich dargestellt werden, damit er sich auf dieser Basis frei entscheiden kann.
  • Die Kosten für Anschaffung und Installation trägt überwiegend der Versorger.
  • Die Stromtarife bleiben durch einen Vorkassezähler unverändert und ein Versorgerwechsel bleibt möglich.
  • Die Abtragung von Altschulden durch Vorkassezähler bedarf einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Versorger und Verbraucher. Zu den Altforderungen muss der Versorger vierteljährlich eine Abrechnung über geleistete Zahlungen und den aktuellen Schuldenstand übermitteln.
  • Zu Zeiten, zu denen ein Guthabenerwerb nicht möglich ist (zum Beispiel außerhalb von Geschäftszeiten) unterbleibt eine Sperre, selbst wenn das Guthaben aufgebraucht ist.
  • Der Versorger wird verpflichtet, die Tarife nicht ohne vorherige schriftliche Information des Verbrauchers zu ändern.

Die Stadtwerke Kassel haben einen einfachen Vorkassezähler für rund 50 Euro projektiert, den sogenannten „Sparzähler“. Er misst den bezogenen Strom hinter dem amtlichen Zähler und braucht deshalb keine Eichung. Durch Eingabe eines Zahlencodes auf dem Zähler wird der Strombezug freigegeben. Den einzugebenden Zahlencode bekommt man im Internet von den Städtischen Werken, nachdem man dort Geld bar oder elektronisch bezahlt hat. Im Code ist die Strommenge und die Kundennummer verschlüsselt. Der Vorkassezähler prüft den Code, schaltet die bezahlte Strommenge frei und sperrt den Strombezug, wenn das Guthaben aufgebraucht ist.
Kontakt: wacholder.kai@sw-kassel.de

6. Ansatzpunkt Energieeffizienz: Caritas-Aktion

Effizienzberatungen für einkommensschwache Haushalte führen Energieagentur und Caritas bundesweit mit öffentlicher Förderung durch.

Eine Reihe von Studien hat sich in jüngster Zeit intensiv mit Stromsperren befasst:

Katrin Großmann, Andre Schaffrin, Christian Smigiel (Hrsg): Energie und soziale Ungleichheit, 732 Seiten, August 2016, ISBN: 3658117222

Peter Heindl, Andreas Löchel (ZEW): Analyse der Unterbrechungen der Stromversorgung nach § 19 Abs. 2. StromGVV (Zum Download)

Christoph Strünck/Hans-Böckler-Stiftung: Energiearmut als neues soziales Risiko

BBH/ikem: Studie zur Höhe der Kosten im Forderungsmanagement von Grundversorgern im Zusammenhang mit drohenden Versorgungssperren. November 2015 bdev.de/bbhikem

Consumer vulnerability across key markets in the European Union, Studie der EU-Kommission bdev.de/euvuln

enercity: Der Härtefonds wirkt

Effektiver Helfer in der Not

enercity: Der Härtefonds wirkt

(5. Mai 2014) Der im April 2011 von der Stadt Hannover und enercity gegründete enercity-Härtefonds erweise sich als effektiver Helfer in der Not, so die Stadtwerke Hannover AG, die den Fond voll finanziert. In den letzten drei Jahren seien im Netzgebiet über 3000 Sperrfälle in sozialer Notsituation hinfällig geworden. enercity stellt dem Verein 150.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Diese Mittel wurden in den letzten beiden Jahren zu rund 50% ausgeschöpft.

Das Engagement richtet sich an unverschuldet in finanzielle Not geratene private Energie- und Wasserkunden von enercity, die zur Abwendung oder Aufhebung von Versorgungsunterbrechungen von Strom, Gas- und Wasser unterstützt werden, wenn sie dafür keine Leistungen vom Jobcenter oder dem Fachbereich Soziales erhalten bzw. bekämen. Es gebe immer mehre Anfragen interessierter Vertreter von Städten, Kommunen oder Energieversorgern sowie Gewerkschaften, hieß es.

Heat or eat

Britische Regierung hilft sozial schwachen Haushalten

Heat or eat

(9. Oktober 2008) Viele englische Haushalte können Strom und Gas nicht mehr bezahlen. 2,4 Mio Rentner-Haushalte geben aktuell mehr als 10% ihres Geldes dafür aus. Nun startet die Regierung ein milliardenschweres Hilfspaket.

Sozialschwache, Rentner und arbeitslose Familien mit einem Kind unter fünf Jahren, insgesamt 7,5 Mio Familien, erhalten einen Kostenzuschuss für ihre Heizkostenrechnungen.

Es gibt "Schlecht-Wetter-Zahlungen" von 8,50 Pfund pro Woche bei Temperaturen ab 0 Grad. Sinkt die Temperaturen sieben Tage hintereinander auf 0 Grad oder niedriger ab, wird auf 25 Pfund aufgestockt. Die Heizöl-Rechnungen von 60.000 zahlungsunfähigen Kunden werden eingefroren.

Außerdem will die Regierung die Wärmedämmung in Häusern vorantreiben. Dazu müssen Energieunternehmen in den nächsten drei Jahren umgerechnet über 1,1 Mrd Euro zusätzlich in einen Fonds einzahlen. Daraus erhalten bis zu 10 Mio Haushalte die Kosten für Wärmedämmung oder effizientere Heizsysteme voll oder halb erstattet.

Die Stromrechnungen für rund eine halbe Million Briten werden in diesem Jahr gedeckelt, außerdem müssen Stromversorger neue Sozialtarife für Niedrigverdiener einführen.

Daneben denkt die Regierung über die Abschaffung der "Prepayment-Meters" mit Münzeinwurf nach, für die einkommensschwache Kunden bis zu 500 Pfund mehr zahlen als Kunden mit Lastschriftverfahren.

Die sechs britischen Energieversorger haben in diesem Jahr in zwei Preisrunden die Gaspreise um 38% bis 56% und die Strompreise um 24% bis 36% erhöht und ihre Dividenden 2007 um 16% auf 1,64 Mrd Pfund gesteigert.

Kommentar des Branchenblattes TAM:"Hierzulande bringt man höchstens die Banken ins Warme".

Bericht über Sozialtarife in Großbritannien

Die britische Energy Watch hat in einem umfassenden Bericht alle Aspekte von Sozialtarifen erörtert.

Bericht über Sozialtarife in Großbritannien

(6. Mai 2008) Die britische Energy Watch hat in einem umfassenden Bericht alle Aspekte von Sozialtarifen erörtert.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber die Energieversorger verpflichten sollte, ein "Energy Assistance Package" anzubieten, zu dem auch vergünstigte Tarife gehören. Die Kosten sollten von den Versorger auf die übrigen Verbraucher umgelegt werden. Auch wenn dies keine optimale Lösung sei, ergibt sich dadurch die einzige realistische Finanzierungsmöglichkeit.

Studie zu sozialen Folgen des Energiekostenanstiegs

Ifeu-Institut im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung

Studie zu sozialen Folgen des Energiekostenanstiegs

(10. April 2008) Das Ifeu-Institut hat eine Studie zu Energiekostenanstieg und sozialen Folgen durchgeführt. Auftraggeber war die Hans-Böckler-Stiftung.

Britische Regierung akzeptiert Gewinnzuwächse der Energieriesen nicht

Regierung hat die Chefs der größten Strom- und Gasfirmen zu sich beordert

Britische Regierung akzeptiert Gewinnzuwächse der Energieriesen nicht

(15. März 2008) Wie die britische Zeitung Telegraph am 3.3.2008 meldete, hat die Regierung die Chefs der größten Strom- und Gasfirmen zu sich beordert, um ihnen entweder ein Teil ihrer vielen Milliarden Gewinne abzunehmen und eine neue Steuer auf Gewinne einzuführen.

Downing Street verlangte von den Chefs die Unterstützung eines nationalen Programms zur Bekämpfung der Brennstoff-Armut der 4,5 Millionen ärmsten Haushalte. Die zunehmend exzessiven Gewinne der Versorgungsfirmen würden von den Haushaltskunden mit ihren Strom- und Gasrechnungen bezahlt.

Die "National right to Fuel Campaign" hat die Gewinne als obszön bezeichnet. Allan Asher von Energywatch begrüsste die Aktion, sie käme aber viel zu spät. Die Energiefirmen hätten die Verbraucher viel zu lange mißbraucht und die Regierung hätte den Kopf in den Sand gesteckt. Firmen, die von den Armen profitieren handeln verbrecherisch und unmoralisch. Zehntausende von Menschen stürben jeden Winter an Unterkühlung und Atemwegserkrankungen, weil sie sich keine vernünftige Heizung leisten können.

Bedauerlicherweise schwächte die Regierung wenige Tage später ihre Drohung ab und plant jetzt statt einer Gewinnsteuer eine Verschärfung der Regulierung.

Die Armen werden durch die überhöhten Kosten für Münzzähler nochmals über den Tisch gezogen. Auch dagegen will die Regierung vorgehen.

Der Bund der Energieverbraucher konstatiert in Großbritannien ein weitaus höheres Problembewusstsein für die Energiearmut als in Deutschland. Weitere Informationen zur Brennstoffarmut in Großbritannien hier.

Stromsperren

Das Ende des großen Schweigens?

Stromsperren: Das Ende des großen Schweigens?

(28. Januar 2008) Sozialtarife für Strom- und Gas sind angesichts von jährlich einer Millionen Strom- und Gassperren topaktuell auf Bundesebene, aber auch in den Kommunen. "Die Energiepolitik ist offensichtlich unfähig, den Energiepreisanstieg zu bremsen. Und auch die Sozialpolitik ist nicht in der Lage, die grosse Zahl von Strom- und Gassperren zu verhindern" kritisierte der Vereinsvorsitzende Aribert Peters. Dieses doppelte Versagen dürften man nun nicht die Betroffenen ausbaden lassen. Denn eine minimale Versorgung mit Licht- und Wärme ist Teil des von der Verfassung garantierten menschenwürdigen Lebens. Dem kann sich die Politik und die Energiewirtschaft nicht entziehen. Bisher habe man das Problem ignoriert und verschwiegen. Diese Zeit sei nun endlich vorbei.

SPD-Bundestagsfraktion beschliesst Verhandlungsauftrag

Der Arbeitskreis Energie des SPD-Bundestagsfraktion hat am 24. Januar 2008 die Bundesregierung zu Verhandlungen mit der Versorgungswirtschaft über Sozialtarife aufgefordert. Dabei wird vorgeschlagen, eine Grundmenge an Strom- und Gas besonders günstig anzubieten und dafür höhere Verbrauchsmengen höher zu bepreisen. Dadurch wird ein Anreiz zu einem sparsameren Umgang mit Energie gegeben. Eine Prüfung der Bedürftigkeit der Haushalte ist unnötig.

Der Vorschlag der Energieverbraucher

Der Bund der Energieverbraucher e.V. hat diesen Beschluss begrüßt. Der Verein hatte vorgeschlagen, 1.000 Kilowattstunden Strom jedem Haushalt umsonst zur Verfügung zu stellen, um so einen Anreiz zum Energiesparen zu geben. Bei gravierenden Zahlungsrückständen wird die Versorgung nicht völlig unterbrochen wird, sondern eine Minimalversorgung bleibt erhalten, die dieser jährlichen Freimenge entspricht. Entsprechende Zähler könnten ohne grossen Aufwand installiert werden.

Der finanzielle Mehraufwand für die Energieversorger durch die Einführung dieses Sozialtarifs ist nur gering, da nur wenige Haushalte so geringe Mengen verbrauchen. Wenn die Versorger die geringen Mehrkosten auf die grosse Menge der übrigen Verbraucher umlegen, dann ergeben sich daraus kaum merkbare Preisanstiege.

Die Politik kann auf die Preisgestaltung der Versorger zwar keinen direkten Einfluss nehmen. Jedoch könnte eine bestimmte Freimenge als gemeinsame Verpflichtung allen Versorgern auferlegt werden. Das EU-Recht schreibt sogar ausdrücklich vor, dass die Mitgliedsstaaten schutzbedürftige Verbraucher vor dem Ausschluss der Stromversorgung angemessen schützen (Richtlinie 2003/54/EG, Art. 3, Abs. (5)). Die sei in Deutschland bisher unterblieben, so der Verbraucherverein.

Glos blockiert

Der Bundeswirtschaftsminister hat Sozialtarife kategorisch abgelehnt. Es müsste Preissenkungen für alle Verbraucher geben. Wenn die Versorger Geld zu verschenken hätten, dann stünde ihnen auch zu, über die Verwendung zu entscheiden.

Gabriel fordert

Angesichts stark gestiegener Energiepreise forderte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die Versorger auf, flächendeckend und dauerhaft einen Sozialtarif anzubieten. In einem so reichen Land wie Deutschland dürfe es keine Energie- oder Brennstoffarmut geben, so Gabriel. Solche Sozialtarife würden bereits von einzelnen E.ON-Regionalgesellschaften angeboten, allerdings nur befristet und begrenzt. Der Bund der Energieverbraucher hält die von den Versorgern angebotenen sogenannten Sozialtarife für ein Täuschungsmanöver, um von der eigenen Verantwortung für überhöhte Preise abzulenken. Der Erlaß der Grundgebühr sei keine angemessene Hilfe für die Betroffenen.

Der Bund der Energieverbraucher hatte bereits vor Wochen Beschwerde bei der EU Kommission dagegen eingelegt, dass Deutschland die laut EU Recht verbindlichen Regeln zum Schutz von Verbrauchern nicht in deutsches Recht umgesetzt hat. Er hatte auch eine Bundestagspetition dieses Inhalts auf den Weg gebracht.

Gabriel will Sozialstrom

Himmelschreiender Skandal

Gabriel will Sozialstrom - Himmelschreiender Skandal

(19. Januar 2008) Angesichts stark gestiegener Energiepreise forderte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die Versorger auf, flächendeckend und dauerhaft einen Sozialtarif anzubieten. In einem so reichen Land wie Deutschland dürfe es keine Energie- oder Brennstoffarmut geben, so Gabriel.

Solche Sozialtarife würden bereits von einzelnen E.ON-Regionalgesellschaften angeboten, allerdings nur befristet und begrenzt. Hier müssten weitere Schritte folgen.

Der Bund der Energieverbraucher hatte bereits vor Wochen Beschwerde bei der EU Kommission dagegen eingelegt, dass Deutschland die laut EU Recht verbindlichen Regeln zum Schutz von Verbrauchern nicht in deutsches Recht umgesetzt hat. Er hatte auch eine Bundestagspetition dieses Inhalts auf den Weg gebracht.

Der Bund der Energieverbraucher fordert, dass jeder Stromverbraucher 1000 Kilowattstunden jährlich umsonst verbraucher darf und die Mehrkosten durch Verteuerung höherer Verbräuche ausgeglichen werden. Durch eine geeignete Zähler- und Anschlusstechnik könnte dadurch verhindert werden, dass Haushalte ganz ohne Strom dastehen. Die über 800.000 jährlichen Stromsperren in Deutschland bezeichnete der Verbandsvorsitzende als himmelschreienden Skandal, an dem Stromversorger und Politiker gleichermaßen schuld seien.

Report aus Österreich zur Energiearmut

Studie die Beziehung zwischen Energieeffizienz und Armut untersuchte

Report aus Österreich zur Energiearmut

(26. November 2007) Das österreichische Forum Nachhaltiges Österreich hat in einer Studie die Beziehung zwischen Energieeffizienz und Armut untersucht. Die lesenswerten Ergebnisse sind hier per Download verfügbar. Die Studie empfiehlt, zu dem Thema empirische Studien durchzuführen, da gesicherte Ergebnisse nur kaum vorlägen.

 Download Trendreport 01: Energieeffizienz im Wohnbereich & Armutsbekämpfung 

In Großbritannien gibt es im Unterschied zu Deutschland zahlreiche empirische Untersuchungen zum Thema Energiearmut, vgl z.B. www.nea.org.uk

Strom und Gas für alle

Das Menschenrecht auf ein würdiges Leben schließt auch die Versorgung mit Strom und Gas ein.

Strom und Gas für alle

Das Menschenrecht auf ein würdiges Leben schließt auch die Versorgung mit Strom und Gas ein. Doch trotz jährlich über 800.000 Strom- und Gassperren in Deutschland bleiben Politik und Medien stumm. Dabei verletzt diese Gleichgültigkeit elementare Menschen- rechte. Der Bund der Energieverbraucher zeigt, wie andere Länder dieses Problem angehen und präsentiert ein eigenes Lösungsmodell.
Großbritannien

(15. Juli 2007) Im Oktober 2003 starben die Eheleute Bates im Alter von 89 und 86 Jahren. Monate zuvor hatte ihr Gasversorger sie vom Netz getrennt. In Großbritannien löste der Tod des alten Ehepaars eine breite öffentliche Diskussion aus. Die Zahl der Versorgungseinstellungen wegen unbezahlter Rechnungen sank von 26.000 Fällen im Jahr 2001 auf nur 3.000 Fälle im Jahr 2005. In den meisten Fällen nimmt der Versorger die Lieferung nach 14 Tagen wieder auf. Etwa 1,2 Millionen Kunden leisten Nachzahlungen für frühere Lieferungen.

Offensichtlich haben viele Verbraucher Zahlungsschwierigkeiten.

Eine Strom- oder Gassperre darf daher nur das allerletzte Mittel darstellen, denn ihre staatliche Versorgungslizenz verpflichtet die Versorger dazu, winterliche Abschaltungen bei Älteren, Behinderten und chronisch Kranken zu vermeiden.

Die Aufsichtsbehörde Ofgem und die Verbraucherschutzorganisation Energy Watch haben konsequent und über Jahre an diesem Problem gearbeitet. Gemeinsam haben sie Richtlinien zur Vermeidung von Schulden und Sperren erstellt. Darin geht es um die sechs Themenfelder:

  • Reduzierung von Abrechnungsfehlern,
  • Identifizierung von in Schwierigkeiten befindlichen Kunden,
  • Verbesserung der Energieeffizienz,
  • flexible Rückzahlungspläne,
  • nachhaltige Lösungen für Kunden in extrem belasteten Lebenssituationen und
  • Hilfe für diejenigen, die unfähig zur Regelung ihrer eigenen Verhältnisse sind.

Die Versorger haben Strategien entwickelt, die auf diesen Richtlinien aufbauen. Zudem hat die Regulierungsbehörde Ofgem folgende Ratschläge veröffentlicht: Versorger sollten die von den Betroffenen angebotenen Rückzahlungssummen akzeptieren. Wenn die zugesagten Raten ausbleiben, dann sollte ein Münzzähler installiert werden. Nur in Fällen, in denen das nicht möglich ist, kommen Versorgungssperren in Frage.

In Großbritannien sind 3,4 Millionen Münzzähler für Strom und 2,1 Millionen Münzzähler für Gas installiert. Die Versorgungswirtschaft hat auf Anregung der Regulierungsbehörde eine gemeinsame Datenbank aufgebaut, in der besonders schutzwürdige Verbraucher erfasst sind.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2005 hat zudem ergeben, dass einige Versorgungsunternehmen Haushalte auf der Basis fehlerhafter Namen, Adressen und Zählerstände sperrten. Einige der Betroffenen hatten gar keine Schulden, andere waren nicht einmal Kunden dieses Versorgers, mussten aber dennoch Tage oder sogar Wochen auf Strom oder Gas verzichten.

Belgien

Belgien hat ein System eingeführt, das die OECD als weltweit bestes Modell sozialen Ressourcen-Managements bezeichnet. In ganz Belgien können sozial Bedürftige eine Strommenge von 500 Kilowattstunden kostenlos beanspruchen. Auch eine Gasmenge von 556 Kilowattstunden zum Kochen gibt es umsonst. Für die Gasheizung und den Strom gelten Sozialtarife, die allerdings nicht immer günstiger sind als die Normaltarife. Darüber hinaus gibt es Hilfszahlungen, um bedürftigen Haushalten die Zahlung der Energierechnung zu ermöglichen. Solche Zuschüsse gibt es auch für den Heizölkauf. Beide Maßnahmen werden durch eine Umlage auf den Energiepreis finanziert.

Daneben gibt es regionale Unterstützung für sozial Schwache. Das sind zum einen Verbote der Lieferunterbrechung in den Wintermonaten. Wenn ein Kunde Zahlungsprobleme hat, kann in Flandern und Wallonien ein Budgetmeter (Geldkartenzähler) oder in Brüssel ein Strombegrenzer installiert werden. Dadurch ist stets eine minimale Strommenge verfügbar. Ist das Guthaben auf der Geldkarte leer, fließt nur noch ein Strom von sechs Ampère. Das reicht für den Fernseher, etwas Licht und Telefon und eine winzige Kochplatte.

Im Jahr 2004 nahmen etwa 180.000 Stromkunden und 145.000 Gaskunden diese Sozialtarife in Anspruch. In Flandern waren Ende 2005 etwa 16.000 Geldkartenzähler für Strom installiert.

USA

In den USA gibt es ein Low Income Home Energy Assistance Program (LIHEAP). Sozial Bedürftige können Zuschüsse aus diesem Energiebeistandprogramm beantragen. Im Haushaltsjahr 2005 wurde über den Hilfsfonds ein Betrag von 3,2 Milliarden US-Dollar bereitgestellt und verausgabt. Insgesamt erhalten 5,8 Millionen Haushalte Unterstützung aus dem Fonds. 15,7 Prozent der antragsberechtigten Gesamtbevölkerung erhält Fondszahlungen. Für das Jahr 2007 rechnet man mit Ausgaben in Höhe von 5,1 Milliarden US-Dollar. Ohne die Hilfszahlungen aus dem Fonds wären etwa 54 Prozent der begünstigten Haushalte vom Netz getrennt worden.

Nahezu alle Bundesstaaten der USA haben Regelungen zum Schutz benachteiligter Energieverbraucher.

Frankreich

Am 6. November 1996 unterzeichneten die französische Regierung, der nationale Stromversorger EdF und Gaz de France eine Charta "Energie-Solidarität". Ziel war es, bei sozialen Problemfällen die Energieversorgung zumindest so lange aufrechtzuerhalten, bis die Sozialdienste intervenieren können. Ein Gesetz aus dem Jahr 1998 legte Folgendes fest: Der Zugang zur öffentlichen Infrastruktur ist notwendig, um eine unwiderufliche Verschlechterung der Situation von Personen zu vermeiden, die von extremen sozialen Problemen betroffen sind.

Im Gesetz vom 13. August 2004 ist festgehalten: "Jede Person in besonderen Schwierigkeiten hat Anspruch auf Hilfe der Gemeinschaft zur Lieferung von Wasser, Energie und Telefon in der Wohnung. Bei Nichtbezahlung der Rechnung bleibt die Versorgung so lange aufrechterhalten, bis über den Antrag auf Hilfe entschieden worden ist." Eine nationale Hilfseinrichtung hilft Personen und Familien, ihre Wasser-, Elektrizitäts- und Gasausgaben zu decken. Staat, EDF, Gas- und Wasserversorger sind darin gleichermaßen vertreten. Bis zur Entscheidung über Hilfsanträge besteht Anspruch auf den Bezug von drei Kilowatt Strom, genug, um einen Herdplatte oder eine Waschmaschine zu betreiben.

Schiedsstellen

In Belgien und auch in Großbritannien hat man sehr gute Erfahrungen mit neutralen Schiedsstellen gemacht. Sie können rascher und flexibler reagieren als ein teures und langwieriges Gerichtsverfahren dies erlaubt.

Deutschland

Eine allein erziehende Mutter in Sömmerda stand ohnehin mit dem Rücken an der Wand. Dann stellte ihr Versorger zusätzlich noch den Strom ab. Angesichts der Aussicht, mit ihren schreienden Kindern in geschlossenen Räumen im Dunkeln zu hausen, entfloh sie zu einer Freundin und überließ die Kinder ihrem Schicksal. Hat die Stromsperre die Straftat der Mutter und den Tod eines Kindes möglicherweise mit verursacht?

Ist es akzeptabel, dass die GASAG in Berlin - wie geschehen - bei zehn Grad minus Außentemperatur einer alten Frau wochenlang das Gas abstellt, weil sie die Rechnung nicht bezahlen kann? Welche Ausweichmöglichkeiten hat eine derart in die Enge getriebene Frau? Die Scham grenzte ihre Handlungsoptionen enorm ein. Mit welcher plausiblen Begründung könnte sie sich für den Rest des Winters bei Freunden oder Bekannten einquartieren? Wen könnte sie um Zahlung der Schulden bitten? Im Berliner Fall kapselte die Frau sich ab und versuchte, die fehlende Raumwärme durch Hochprozentiges zu ersetzen. Was ist menschenwürdiges Leben?

In Deutschland sperren Strom- und Gasversorger jährlich rund 2,1 Prozent der Anschlüsse. Das ergab eine Befragung von 23 Stadtwerk-Führungskräften durch die Hanseatische Inkasso Treuhand (HIT) und die Unternehmensberatung Nordsan (Energiewirtschaftliche Tagesfragen 56. Jg. 2006, Heft 8, Seite 14 - 16). Hochgerechnet ergeben sich daraus jährlich über rund 840.000 Fälle von Strom- oder Gassperren. Dennoch fehlt das Thema weiterhin auf den Tagesordnungen von Bundestag oder den Landtagen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur verschließen die Augen. Selbst in der sozialwissenschaftlichen Forschung ist das Problem bisher nicht untersucht worden. Doch wie Beispiele aus dem Ausland zeigen, kann man durch eine angemessene Vorgehensweise den Betroffenen sehr wohl helfen und die Zahl der Sperren auf einen Bruchteil reduzieren. Trotz blendender Ertragslage verschließt sich die Versorgungswirtschaft den mit Versorgungssperren verbundenen sozialen Problemen. Im Gegenteil setzt sie ihre Forderung rücksichtslos gegenüber Schwachen und Benachteiligten durch. Die einzige löbliche Ausnahme: das Modellprojekt "soziale Stromtarife" von E.on Bayern.

Die entscheidende Frage ist, ob Verbraucher und Gesetzgeber ein Mindestmaß an Wasser, Elektrizität und Wärme als Teil des Rechts auf menschenwürdiges Leben ansehen, das die Verfassung jedem garantiert.

Obwohl die gesamte deutsche Energiegesetzgebung vor kurzem völlig neu geschrieben wurde, fehlt darin das Recht auf eine Belieferung mit Strom und Gas. Den Stromversorgern wurden keinerlei soziale Pflichten auferlegt, anders als zum Beispiel in Belgien. Die EU-Richtlinie zum Strom- und Gasbinnenmarkt ermöglichen es ausdrücklich, derartige soziale Pflichten zu formulieren und über eine Umlage zu finanzieren.

Die deutsche Gesellschaft hat dieses Problem offenbar bisher völlig ignoriert und verdrängt.

Das Sozialtarifmodell des Bundes der Energieverbraucher

Der Bund der Energieverbraucher schlägt zu Lösung des Problems die Einführung eines Sozialtarifs für alle Strom- und Gaskunden vor. Die derzeit üblichen Strom- und Gastarife bestehen aus einem Grund- und einem Arbeitspreis. Der Grundpreis ist immer zu zahlen, selbst wenn man überhaupt keine Energie verbraucht. Dieser übliche Tarif ist degressiv, das heißt, der Durchschnittspreis je Kilowattstunde ist sehr hoch bei geringem Verbrauch und nimmt mit höherem Verbrauch ab.

Für einen Sozialtarif muss man dieses Modell genau umkehren:

Eine bestimmte Strom- oder Gasmenge, zum Beispiel 1.000 Kilowattstunden jährlich oder drei Kilowattstunden täglich sind für jeden Anschluss kostenlos. Ist diese Menge aufgebraucht, dann kostet jede zusätzliche Kilowattstunde einen Preis, der geringfügig über dem bisherigen Arbeitspreis liegt. Statt ohne Verbrauch zu zahlen, bekommt man die ersten rund 1.000 Kilowattstunden umsonst.

Der Ertrag für den Strom- oder Gasversorger ändert sich nicht, denn man kann die Preise je Kilowattstunde entsprechend anheben. Kann ein Kunde die Rechnung nicht begleichen, begrenzt der Versorger die Stromzufuhr auf eine Leistung von 125 Watt oder 0,6 Ampere. Dann sitzt der Betroffene nicht im Dunklen, sondern kann zumindest noch telefonieren, eine Glühbirne brennen lassen oder die Heizung betreiben. Anders als der degressive Tarif, der Vielverbrauch belohnt, reizt das progressive Tarifmodell zudem zum Energiesparen an. Es bietet eine unbürokratische Lösung für das soziale Problem der Strom- und Gassperren.

Der Sozialtarif könnte künftig für alle Kunden gelten. Dadurch entfällt eine Überprüfung der Bedürftigkeit.
Der Sozialtarif kostet die Energieversorger kein Geld und belastet insgesamt betrachtet die Verbraucher nicht.

AP

USA: Bundesstaaten schützen arme Verbraucher vor dem Abschalten

(25. April 2007) 250 Millionen Dollar gibt Washington aus, um schutzbedürftige Haushalte nicht im Dunklen frieren zu lassen.

Details zum Low Income Home Energy Assistance Program (LIHEAP)

Schuldenfalle Heizkosten

Umfrage des Bielefelder Soko-Instituts

Schuldenfalle Heizkosten

(2. Oktober 2006) Bei einer Umfrage des Bielefelder Soko-Instituts unter über 50 deutschen Schuldnerberatungsstellen befürchteten 75%, dass immer mehr Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten kommen, weil sie ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen können. Diese Erwartung fuße auf einer gestiegenen Zahl von Beratungen, in denen die Heizkosten als Ursache für Überschuldungen thematisiert würden. Die Hauptursache dafür sei, dass kaum ein Haushalt, der sich bei einer der bundesweit 1050 Schuldnerberatungen beraten lasse, steigende Kosten für Heizöl und Erdgas einkalkuliert habe.

Wenn sich dann die Heizkosten drastisch erhöhten, seien sie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe. Die Klienten leisteten dann zwar Ratenzahlungen auf die Heizkostennachforderungen, könnten aber gleichzeitig andere notwendige Ausgaben nicht mehr tätigen. Es drohten Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.

letzte Änderung: 09.01.2023