Sozialtarif

Segment-ID: 8212

Prepaidzähler für Strom: Licht- und Schattenseiten

Kurz in den Supermarkt, eine Guthabenkarte kaufen und damit das Mobiltelefon aufladen. Mit der Prepaidkarte funktioniert das schnell, hat sich millionenfach bewährt und viele Verbraucher davor geschützt, dass die Telefonrechnung das Budget überschreitet. Aber ist Prepaid auch ein verbraucherfreundliches Prinzip für Strom? Dies hat Oliver Wagner vom Wuppertal Institut untersucht.

(15. Januar 2018) Prepaidzähler für Strom lassen sich ähnlich wie bei Prepaid-Handys als Tarifmodell für Strom in Haushalten und Unternehmen einsetzen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Man verbraucht nur das, was man vorher per Vorkasse eingezahlt hat. Das Guthaben für den Stromverbrauch kann über ein Display am Zählergerät jederzeit eingesehen werden, wodurch eine Kontrolle über die täglichen Stromkosten möglich ist.

358 2421 Oliver Wagner

Oliver Wagner ist am Wuppertal Institut Projektleiter in der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik. Seit 1995 arbeitet der diplomierte Sozialwissenschaftler zu verschiedenen Fragestellungen rund um das Thema Energieeinsparung.

In Deutschland sind bisher jedoch nur rund 17.000 solcher Prepaidzähler installiert. Doch schon allein vor dem Hintergrund einer breiten Einführung intelligenter Zähler und der jährlich über 300.000 in Deutschland durchgeführten Stromsperren, hat das System großes Potenzial und ist in anderen Ländern teilweise schon weit verbreitet. In Nordirland beispielsweise nutzen bereits über 40 Prozent der Haushalte einen Prepaidzähler. Auch in Großbritannien, Österreich, den USA und vielen weiteren Ländern sind Prepaidzähler relativ weit verbreitet. Insgesamt belegen die Erfahrungen in diesen Ländern, dass Prepaidzähler helfen Energie einzusparen, die Lage von einkommensarmen Haushalten zu stabilisieren und die Versorgungsunternehmen im Inkassobereich zu entlasten. Anders als in Deutschland wurden in anderen Ländern aber auch klare ordnungsrechtliche Vorgaben gemacht.

2421 Kreisdiagramm Stromspareffekt durch Prepaidzähler

In Großbritannien dürfen Versorger keine Stromschulden, die älter als 12 Monate sind, über den Zähler verrechnen. In Österreich sind die Kosten für die Installation eines Vorauskassezählers auf einmalig 24 Euro festgelegt, verbunden mit einem laufenden monatlichen Aufpreis in Höhe von 1,92 Euro. Unsere Studie sollte aufzeigen, welche Erfahrungen Haushalte, die einen solcher Zähler haben, gemacht haben, wie die Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer ist und welche Rahmenbedingungen sinnvoll wären.

Vorbehalte

Zunächst zu den weit verbreiteten Vorurteilen gegen Prepaidzähler für Strom: Ein häufig vorgetragenes Argument gegen solche Zähler ist, dass Menschen durch die Guthabenzahlung „stigmatisiert“ würden. Tatsächlich aber, so das eindeutige Ergebnis unserer Interviews, haben die betroffenen Haushalte gar keine Probleme damit. Im Gegenteil ist es vielmehr so, dass wenn es überhaupt Reaktionen aus dem Umfeld gibt, diese eher positiver Natur sind und die Haushalte uns eher mit Stolz von ihrem modernen Zähler erzählten.

Man ist einfach entspannter mit dem Prepaidzähler. Man hat nicht diese Panik vor der Jahresendabrechnung. Ich habe die Kontrolle über meine Kosten ohne böse Überraschungen.
Berufstätige Frau mittleren Alters

Zwar wird von Kritikern zu Recht angeführt, dass Vorkassezähler die prekären Verhältnisse der betroffenen Haushalte nicht grundsätzlich ändern. Fakt ist allerdings auch, dass durch Prepaidzähler weder neue Stromschulden, noch Mahn- oder Sperrgebühren entstehen. Für die Tilgung der bestehenden Schulden können zwar Sozialbehörden einspringen, die Schulden werden dadurch jedoch nur verlagert. Denn die Betroffenen erhalten einen verringerten ALG-II-Satz bis die Schulden getilgt sind. Die finanzielle Situation der Betroffenen verschlechtert sich also wiederum. Der Prepaidzähler ist daher keine Verschlechterung gegenüber den vielerorts getroffenen Vereinbarungen zwischen Energieversorgern und Sozialbehörden.

Stromsparzähler

Studien aus Großbritannien belegen, dass Prepaidzähler helfen, den Stromverbrauch zu reduzieren, beziehungsweise zu managen und die vulnerablen Nutzergruppen auch dabei unterstützen, Energieverschwendung zu mindern.

Auch unsere in NRW durchgeführte Befragung kam zu dem erfreulichen Ergebnis, dass der Prepaidzähler, dem subjektiven Empfinden der Befragten nach, auch wirklich einen Stromspareffekt hat. Eine überwältigende Mehrzahl von 85 Prozent der befragten Haushalte gab an, dass der Zähler bei ihnen zu Stromeinsparungen geführt habe. Dabei haben die Haushalte eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, ihren Stromverbrauch zu senken. Vielfach wurde das Nutzerverhalten geändert. Zudem wurden viele kleinere Maßnahmen ergriffen, um mit geringen Investitionen – etwa für abschaltbare Steckerleisten – den Verbrauch zu reduzieren. Bei der Neuanschaffung von Geräten wird bewusst auf den Energieverbrauch geachtet. Vor diesem Hintergrund kann man sehr berechtigt sagen, dass Prepaidzähler einen Spareffekt haben.

2421 Diagramm Veränderung der Verhaltensgewohnheiten

Hohe Zufriedenheit trotz hoher Arbeitspreise

Es wurde allerdings auch sehr deutlich, dass es in diesem Segment sehr dringend eines regelnden Ordnungsrahmens bedarf. Bislang ist der Prepaidmarkt in Deutschland völlig unreguliert. In der Folge können über den Stromzähler horrende Arbeitspreise in Euro pro Kilowattstunde verlangt werden, mit denen unbegrenzt Altschulden – auch für andere Medien wie Gas – abbezahlt werden. Oft ist der Arbeitspreis sogar mehr als doppelt so hoch wie der übliche Grundversorgertarif. In einem Extrembeispiel wurden über den Stromzähler 11.000 Euro Altschulden für Gas abgerechnet, was zu täglichen (!) Kosten für Strom in Höhe von 45 Euro für einen Fünfpersonenhaushalt führte.

Ein Drittel von meinem Hartz IV kassiert der Stromversorger. Ich finde das nicht in Ordnung.
Stromkunde in einem Privatinsolvenzverfahren

Dass dennoch rund 80 Prozent der Befragten zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit dem System sind, liegt vor allem an der ansonsten unausweichlichen Stromsperre mit weitaus schlimmeren Folgen für die betroffenen Personen, die dann längere Zeit ohne Stromversorgung sind und hohe Kosten für Sperrung und Entsperrung zu tragen haben. Für Haushalte mit Energieschulden ergibt sich durch Prepaidzähler hingegen die Möglichkeit, ihre Energiekosten besser in den Griff zu bekommen. Wenn aufgrund von Zahlungsausfällen die Unterbrechung der Stromversorgung droht, können Prepaidzähler daher eine sinnvolle Alternative darstellen und den betroffenen Haushalten helfen, weitere Energieschulden zu vermeiden.

Doch insgesamt offenbart das Fehlen eines Ordnungsrahmens für Prepaidzähler, dass es ein asymmetrisches Kräfteverhältnis zwischen Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten und Versorgungsunternehmen gibt. Die Bereitstellung der für menschliche Aktivitäten notwendigen Energie ist ein zentraler Aspekt der Daseinsvorsorge, der momentan für den Bereich Prepaid kaum geregelt ist. Und das, obwohl die betroffenen Haushalte in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Energieversorgungsunternehmen stehen, weil sie aufgrund der Schuldensituation oft den Energieversorger nicht wechseln können.

Ich weiß jetzt, dass ein Weihnachtsessen mit Gans und so weiter acht Euro an Strom kostet. Ich koche häufiger mal eine Suppe, die braucht nicht so lange wie Fleisch.
Rentnerin, die bereits drei Stromsperren hatte

Handlungsempfehlungen für Prepaidzähler

Es ist somit offensichtlich, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Insbesondere hinsichtlich der Tarife ist eine Rahmenvorgabe nötig, die den Umgang mit Altschulden regelt und eine Preisobergrenze festlegt. Der Einbau eines solchen Zählers sollte nur mit Einverständnis der Verbraucher erfolgen und ein Tarifwechsel zu günstigen Tarifen sollte jederzeit möglich sein. Zudem muss die weit verbreitete Kopplung mit der Abrechnung für andere Medien (wie Gas) verboten werden und Selbstsperren (Abschaltungen durch den Zähler wegen aufgebrauchtem Guthaben) nur in vorab definierten Zeiträumen und nicht an Wochenenden oder Feiertagen erlaubt werden. Zur Kundenfreundlichkeit würde beitragen, wenn es mehr und bessere Möglichkeiten der Aufladung gäbe. Denn bislang ist meist eine Aufladung nur in den Kundencentern möglich. Wenn der Verbrauch jederzeit sichtbar wäre, beispielsweise durch eine Displaylösung im Wohnbereich oder per Handy-App, würde dies ebenso einen Beitrag zur Kundenfreundlichkeit leisten.

Weitere Informatioen:

  • Guthabenzahlung für Strom: bdev.de/wiprojekt
  • Studie im Auftrag des NRW Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz „Guthabenzahlung für Strom“ zum Download: bdev.de/prepaidstudie
Segment-ID: 17556

Die 1.000-Watt Lösung von Köln

In Köln-Meschenich installiert die Rheinenergie ab Februar 2013 660 kluge Stromzähler. Gerät einer dieser Kunden in Zahlungsverzug, so kann er weiter eine geringe Strommenge beziehen.
Jörg Detjen berichtet über dieses wegweisende Pilotprojekt.

(28. März 2013) Im April 2007 beschlossen SPD, Grüne und DIE LINKE gemeinsam im Stadtrat Köln, künftig Stromsperren zu vermeiden, einen Sozialtarif zu prüfen und sich auf Bundesebene für einen Tarif einzusetzen, der sich „an dem belgischen Modell oder dem des Bundes der Energieverbraucher orientiert“ (Mindestmenge Strom). Dieser Beschluss löste überall im Land Diskussionen aus, aber in Köln passierte erst einmal gar nichts.

2421 Jörg Detjen

Jörg Detjen | Fraktionssprecher DIE LINKE im Rat der Stadt Köln und Mitglied im Aufsichtsrat der Stadtwerke GmbH

StromsparCheck in Köln

Schließlich startete 2010 endlich auch in Köln das Projekt StromsparCheck vom Caritas-Verband, unterstützt von der kommunalen Stadtwerke-Tochter RheinEnergie. Hartz-IV-Bezieher wurden ausgebildet und suchten Haushalte mit wenig Einkommen auf, um sie über Möglichkeiten von Energieeinsparungen konkret vor Ort in ihrer Wohnung zu beraten. Bedürftige Haushalten bekamen kostenlos Energiesparlampen zur Verfügung gestellt – im Durchschnitt für 52 Euro. Das Projekt wurde ein Erfolg. Bis heute wurden 1.088 Haushalte beraten. Sie sparten im Durchschnitt 141 Euro jährlich an Strom und Wasserkosten. Seit Herbst letzten Jahres wurde dieses Projekt auf das Doppelte aufgestockt. Insgesamt acht Personen sind heute in Sachen StromsparCheck täglich in Köln unterwegs.

Beratung für Energiearmut

In den letzten Jahren entwickelte sich aber auch die Zusammenarbeit zwischen dem örtlichen Beirat der Verbraucherzentrale und der kommunalen RheinEnergie. Seit kurzem gibt es eine Erstberatung für Energiearmut bei der Kölner Verbraucherzentrale, die von der RheinEnergie und der Landesregierung finanziert wird. Die Gesamtaufwendungen der RheinEnergie für alle Energiesparmaßnahmen belaufen sich auf ca. 400.000 Euro im Jahr.

10.000 Stromsperren in Köln

Im Sommer 2012 fragten wir im Sozialausschuss im Kölner Stadtrat, wie viel Stromsperren es in Köln gibt. Antwort: Jedes Jahr etwa 10.000 Stromsperren in Köln. Das setzte eine neue Diskussion in Gang. Es darf doch nicht sein, dass Menschen im Dunkeln sitzen. Rund 60 Prozent aller Stromsperren trifft Rentner, die oft nur geringe finanzielle Spielräume haben.

Pilotprojekt Strommindestmenge

Der Grundgedanke – jeder Mensch braucht eine Mindestmenge Strom – führte dann zu einem weiteren neuen Pilot-Projekt: In drei Hochhäusern mit insgesamt 660 Haushalten in Köln-Meschenich (ca. 1.300 Haushalte) wurden intelligente Stromzähler installiert. Die Investitionskosten betrugen über 100.000 Euro. Für die Kunden vor Ort entstanden keine zusätzlichen Kosten. Diese Stromzähler können von dem Energieunternehmen aus der Zentrale den Befehl erhalten, die Leistung zu begrenzen.

1845 2421 Smart Meter

Smarte Zähler machen komplette Stromsperren überflüssig.

Im Fall einer Stromsperre wird dem Haushalt nicht einfach der Strom gekappt, sondern die Leistung auf höchstens 1.000 Watt reduziert. Das reicht aus, um die notwendigste Versorgung sicherzustellen. Eine Herdplatte auf kleinster Stufe verbraucht rund 400 Watt. Der Haushalt kann also auf zwei Herdplatten kochen und hat noch 200 Watt für Licht etc. zur Verfügung. Würde aber dann noch ein stromfressender Fön betätigt, würde die gesamte Stromzufuhr unterbrochen. Der Stromzähler kann dann nur über den Hausmeister manuell wieder angestellt werden. Inzwischen gibt es noch modernere Stromzähler, wo das nicht mehr nötig wäre.

Leistungsreduzierung statt Sperre

Diese Leistungsreduzierung findet dann statt, wenn der Haushalt nach dreimaliger Mahnung Schulden von über 150 Euro nicht beglichen hat. Statt der vierten Mahnung kommt dann der Hinweis auf die Leistungsreduzierung, verbunden mit dem Angebot einer Schuldnerberatung durch den Caritasverband.

Dieses Projekt begann am 1. Februar 2013 und wird wissenschaftlich begleitet durch die FH Düsseldorf,  Forschungsschwerpunkt Wohlfahrtsverbände, unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Münch.

Sollte das Pilotprojekt erfolgreich sein, würden weitere intelligente Stromzähler in sozialen Brennpunkten installiert. Zum Vorteil der Kunden und des Energieversorgers, der seine Aufwendungen reduzieren könnte.

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