ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)
Die Energiepolitik der Gemeinschaft: die Kunden können nicht warten Deshalb hat auf Bitten von Rat und Europäischem Parlament die Kommission am 10. Januar 2007 eine Europäische Energiepolitik entworfen und der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Energiepolitik der Gemeinschaft: die Kunden können nicht warten

EU-Kommissar für Energie, Andris Piebalgs auf der Handelsblatt-Energietagung am 24. Januar 2007 in Berlin

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Die weltweite Energienachfrage wird nach Prognosen der internationalen Energieagentur bis 2030 um mehr als 50 Prozent ansteigen, allein die Erdölnachfrage wächst um 41 Prozent. Einen solchen Anstieg gab es noch nie zuvor. Die Abhängigkeit der EU von Öl- und Gasimporten wächst von derzeit 50 Prozent auf 65 Prozent 2030, wenn wir jetzt nicht handeln. Bis 2030 werden die CO2-Emissionen weltweit um 55 Prozent zunehmen, in Europa um fünf Prozent. Die Kosten für Energie steigen ständig weiter an.

Der europäische Binnenmarkt ist unabdingbare Voraussetzung für wettbewerbsfähige Preise. Obwohl die EU aus einer Zusammenarbeit im Energiebereich heraus entstanden ist, enthält der heutige EU-Vertrag keine einzige spezifische Regelung für den Energiebereich. Deshalb hat auf Bitten von Rat und Europäischem Parlament die Kommission am 10. Januar 2007 eine Europäische Energiepolitik entworfen und der Öffentlichkeit vorgestellt. Hauptziel war eine Senkung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bis 2020. Diese Emissionsminderung Versorgungssicherheit. Die Wirtschaft wird umgewandelt in eine CO2 arme und energieeffiziente Wirtschaft. Das bedeutet nicht weniger als eine neue industrielle Revolution. Die Kommission hat auch einen kohärenten Aktionsplan vorgelegt, der aus sieben miteinander verzahnten Maßnahmepaketen besteht.

Erstes Maßnahmepaket: Der Energiebinnenmarkt

Ohne einen wettbewerblich bestimmten Energiebinnenmarkt lässt sich keines der energiepolitischen Ziele der Union verwirklichen. Es wird keine fairen Preise geben und die notwendigen Investitionen werden ausbleiben. Die Sektoruntersuchung der Kommission hat gezeigt, dass die derzeitigen Massnahmen nicht ausreichen.

Als erste Maßnahme schlägt die Kommission eine wirksame Trennung von Netz und Vertrieb vor. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: - die völlige Unabhängigkeit des Netzbetreibers ohne Eigentumswechsel, wobei der Netzbesitzer nicht mehr für Betrieb, Wartung und Netzausbau verantwortlich ist oder - eine eigentumsrechtliche Entflechtung.

Die Kommission favorisiert die zweite Variante, weil sie ohne ein umfangreiches Regulierungswerk auskommt.

Die Regulierung im Energiebereich muss verbessert werden. Die Regulierer in den Einzelstaaten arbeiten derzeit höchst unterschiedlich. Eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reicht nicht aus, um einen Binnenmarkt zu schaffen. Der größte gemeinsame Nenner bringt die nationalen Märkte voran und lässt die Märkte zusammenwachsen. Wir brauchen länderübergreifende technische Standards für die Qualität der Versorgung. Eine gemeinsame Einrichtung muss geschaffen und mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden. Die nationalen Regulierungsaufgaben würden auch weiterhin den nationalen Behörden obliegen. Es sollte eine "Energieverbraucher Charta" ausgearbeitet werden.

Die Kommission wird noch im Jahr 2007 auf der Grundlage einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse zu Richtlinienvorschlägen kommen.

Zweites Maßnahmepaket: Solidarität zwischen Mitgliedsländern und Versorgungssicherheit

Im Fall von Energiekrisen muss die Solidarität und Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten gewährleistet sein. Die kürzlich umgesetzte Richtlinie zur Gasversorgungssicherheit wird zu prüfen sein. Die Gemeinschaft sollte ähnlich wie bei Öl strategische Gasvorräte anlegen und verwalten, um die Versorgungssicherheit beim Ausfall einer Leitung zu erhöhen.

Drittes Maßnahmepaket: Energieeffizienz

Die Kommission schlägt einen ehrgeizigen Plan zur Erhöhung der Energieeffizienz vor, auf lokaler, nationaler und auf Gemeinschaftsebene. Davon ist der größte Beitrag zur Erhöhung von Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu erwarten. Am 19. Oktober 2006 hat die Kommission einen entsprechenden Aktionsplan vorgestellt. Bis 2020 soll die Effizienz um 20 Prozent erhöht werden. Das bewirkt Einsparungen von 100 Milliarden Euro. Die Kommission will im ersten Halbjahr 2007 dazu Vorschläge präsentieren, die dann im Rahmen einer großen internationalen Konferenz im Rahmen der deutschen G8 Vorsitzes weiterentwickelt werden. Als Ziel sollten wir die Unterzeichnung eines Abkommens anlässlich der Olympischen Spiele in Peking ins Auge fassen. Jeder heute in Effizienz investierter Euro spart spätere Aufwendungen in Höhe von zwei Euro.

Viertes Maßnahmepaket: Erneuerbare Energien

Erneuerbare Energien vermindern die Importabhängigkeit. Die Kommission schlägt vor, den Anteil Erneuerbarer am Energiemix der EU bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Mit Ausnahme der Wasserkraft sollen alle Erneuerbare Energien ihren derzeitigen Anteil in zwölf Jahren versechsfachen. Das ist eine neue industrielle Revolution.

Für eine konkrete Umsetzung gibt es drei Voraussetzungen:

Alle Mitgliedsstaaten müssen eine verbindliche Verpflichtung eingehen. Die Kosten Erneuerbarer müssen gesenkt werden. Die Mitgliedstaaten brauchen Flexibilität für einen eigenen Mix Erneuerbarer. Biokraftstoffe sollten überall einen Anteil von mindestens zehn Prozent haben.

Fünftes Maßnahmepaket: Energieforschung

Trotz der vorgesehenen Verdoppelung der Forschungsmittel in Europa kommt die Forschung in den USA, Japan und China schneller voran. Europa verpasst damit eine große Chance, weil zuwenig geforscht wird. Ziel könnten Biokraftstoffe der zweiten Generation sein, Kernkraftwerke der vierten Generation oder Fusiontechnologie. Bis 2020 wird es eine Verdoppelung der Kohleverstromung geben. Nur wenn es ab 2020 CO2-freie Kohlekraftwerke gibt, kann Europa sein Treibhausgas-Minderungsziel erreichen.

Sechstes Maßnahmepaket: Kernenergie

Derzeit wird 30 Prozent des Stroms in der EU aus Kernkraft gewonnen. Die Meinung der Mitgliedsstaaten zur Kernenergie gehen weit auseinander. Jeder Mitgliedsstaat muss hier selbst entscheiden. Wenn der Kernkraftstrom in einem Land zurückgeht, muss er durch andere kohlenstoffarme Energieträger ersetzt werden.

Der Rechtsrahmen für Kernkraft sollte in den Ländern weiterentwickelt werden, die sich für Kernkraft entschieden haben. Die Kommission schlägt eine hochrangig besetzte Gruppe zur nuklearen Sicherheit vor und Überwachung vor.

Siebter Maßnahmebereich: Gemeinsame Energie-Außenpolitik der EU

Versorgungssicherheit und Erderwärmung sind globale Probleme, die sich nur durch internationale Kooperation lösen lassen. Die EU kann hier vorangehen, muss zuvor jedoch Überzeugungsarbeit bei den USA, China, Indien, Japan leisten. Europa muss dabei mit einer Stimme sprechen.

Die EU muss treibende Kraft für ein Kyoto-Nachfolgesystem sein und bei der Ausweitung des Emissionshandelssystems. Es muss ein europaweiter Energiemarkt geschaffen werden. 1,6 Milliarden Menschen leben in Energiearmut. Dies kann auf Dauer nicht akzeptiert werden.

Diese sieben Bereiche bilden zusammen einen Aktionsplan und die Grundlage einer neuen europäischen Energiepolitik:

  • Wir müssen einen wettbewerbsorientierten Energiebinnenmarkt schaffen,
  • Wir müssen für alle nützliche Solidaritätsmechanismen schaffen,
  • Wir müssen die Chance der Energieeffizienz für alle Bürger und Unternehmen begreifen,
  • Wir müssen den Energiemix revolutionieren und auf erneuerbare umstellen.
  • Wir müssen mehr in kohlenstoffarme Technologien investieren
  • Wir müssen eine offene Debatte über die Kernenergie führen,
  • Wir müssen international mit einer Stimme sprechen.

Gemeinsames schnelles Handeln ist erforderlich. Wir stehen nicht nur vor einer beispiellosen Herausforderung sondern auch vor einer großen Chance für Europa. Wir müssen die Chance mit großer Entschiedenheit nutzen.

Antworten des Kommissars auf Fragen aus dem Publikum:

"27 Regulatoren sind sich einig, dass die Entflechtung ein "Muss" ist - auch ist das eindeutiges Ergebnis des sektoruntersuchung - das ist klar der nächste Schritt."

Antwort auf die Frage, ob man in Deutschland erst noch das legal Unbundling abwarten sollte vor einer Entflechtung: "Wie lange lange müssen die Kunde noch auf den Wettbewerb warten? Das legal unbundling sollte bereits im Jahr 2004 umgesetzt sein. Wie lange sollen wir noch warten? Wir müssen die Entflechtung machen. Die Kunden können nicht warten".

Wenn er den Stand der Liberalisierung des deutschen Energiemarkts benoten müsse, würde er die Note "unzureichend" vergeben, so Piebalgs. Gegen Deutschland liefen mehrere Vertragsverletzungsverfahren. Deutschland habe seine Hausaufgaben nicht gemacht, andere Länder seien erheblich weiter. Die Niederlande, Finnland, Dänemark und Österreich hätten vorbildliche Arbeit geleistet. Daran könne sich Deutschland ein Beispiel nehmen

letzte Änderung: 12.05.2017