ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Neuigkeiten zur Energiewende

Der Wunsiedler Weg

Früher galt Wunsiedel als »Bayerisch Sibirien« und litt unter Abwanderung. Dann setzte die Kleinstadt auf eine lokale Energiewende. Heute studieren Delegationen aus aller Welt das Erfolgsmodell. Ein Besuch im Fichtelgebirge.

Der Wunsiedler Weg

Früher galt Wunsiedel als »Bayerisch Sibirien« und litt unter Abwanderung. Dann setzte die Kleinstadt auf eine lokale Energiewende. Heute studieren Delegationen aus aller Welt das Erfolgsmodell. Ein Besuch im Fichtelgebirge.
Von Julia Graven

(18. August 2025) Zwei Pärchen sitzen beim Kuchen in der Bäckerei. Nebenan schlecken Kinder Eis in der Sonne. Ruhig und beschaulich ist es auf dem Marktplatz von Wunsiedel. Nur ein Schlagbohrer stört die Idylle.

Doch Wunsiedels Bürgermeister Nicolas Lahovnik ist heilfroh über den Lärm. Denn er zeigt, dass wieder Leben in der Stadt herrscht. »Vor ein paar Jahren stand die gesamte Ostseite des Marktplatzes leer«, erinnert sich der 35-Jährige. Nun wird das letzte der klassizistischen Bürgerhäuser kernsaniert. Im Erdgeschoss soll eine Gastwirtschaft entstehen, darüber Apartments. »Es geht aufwärts«, sagt der CSU-Politiker. »Und dafür ist zu einem ganz erheblichen Teil der Wunsiedler Weg verantwortlich. Ohne ihn wäre die Stadt nicht so attraktiv.«

 ED 02/2025 Der Wunsiedler Weg (S.16-19) 

Biomasse-Heizkraftwerk: Die Stadt nutzt ihre natürlichen Ressourcen.

Der Wunsiedler Weg? Die Leute hier im Fichtelgebirge wissen, was das ist. Manche können es schon nicht mehr hören, doch die meisten sind stolz darauf. Es ist der Weg in eine neue Energiezukunft, den die Stadt vor einem Vierteljahrhundert begonnen hat. Er soll sie günstig, effizient und sicher mit nachhaltigem Strom und Wärme versorgen, unabhängig von Energiekonzernen mit ihren Großkraftwerken und unabhängig von politischen Weltlagen, die Preise in die Höhe treiben oder Versorgungskrisen auslösen.

Wunsiedel erzeugt Strom im Überschuss – und speichert ihn lokal

Das Konzept hat ein Mann geschmiedet, der an diesem Nachmittag mit einem Elektro-Smart durch die Stadt flitzt. Vor dem Energiepark im Osten der Stadt kommt er zum Stehen. Marco Krasser, Geschäftsführer der Stadtwerke Wunsiedel, steigt aus und marschiert zum Einfahrtstor, wo die Zukunft der dezentralen Energieversorgung beginnt.

Was hier zwischen Ausläufern des Fichtelgebirges und Getreidefeldern entstanden ist, ist ein komplexes Gesamtsystem. Es geht zum einen um die Produktion von möglichst viel grünem Strom. Zum anderen geht es aber um die weitaus schwierigere Frage, wie sich der Strom aus Wind, Sonne und Biomasse sinnvoll speichern lässt. Solarstrom-Überschüsse an Sommertagen, unter denen die Netze ächzen, und Dunkelflauten im November sind bislang ungelöste Probleme.

Der Stadtwerke-Chef ist von der dezentralen Lösung überzeugt: »Strom und Wärme, die lokal erzeugt, gespeichert und genutzt werden, müssen nicht über weite Strecken transportiert werden«, sagt Krasser. Das spart CO, senkt Kosten und vermeidet unnötigen Netzausbau. Vielleicht könnte es sogar große Stromtrassen überflüssig machen. So oder ähnlich könne es überall funktionieren, sagt der Elektroingenieur.

 ED 02/2025 Der Wunsiedler Weg (S.16-19) 

„Als ob die ganze Welt auf uns schaut“:  Stadtwerke-Chef Marco Krasser (Mitte) mit Bürgermeister Nicolas Lahovnik (rechts) und Stadtwerke-Mitarbeiter Thomas Ködel in der Power-to-Heat-Anlage. 

»Es geht darum, möglichst 100 Prozent der Primärenergie zu nutzen und damit Kosten zu senken«
Marco Krasser, Chef der Stadtwerke Wunsiedel

Viele Gemeinden haben ihre Stadtwerke verkauft. Wunsiedel nicht 

Früher lief es in Wunsiedel wie in den meisten anderen Kommunen auch: Die Stadtwerke kauften den Strom von einem der großen Energiekonzerne und verteilten ihn bloß an ihre Kunden. Dann kam die Liberalisierung der Strommärkte, und viele Kommunen dachten darüber nach, ihre Stadtwerke zu verkaufen.

Auch Wunsiedel hätte das Geld gebrauchen können, die Stadt war und ist bis heute hoch verschuldet. Als Textilfabriken und Porzellanhersteller pleitegingen und viele Jobs über die Grenze nach Tschechien wanderten, erlebte der Landkreis einen Absturz. Nichts wie weg, hieß es im Fichtelgebirge, auch Bayerisch Sibirien genannt. Wunsiedel verlor jeden zehnten Einwohner, es gingen vor allem die Jungen.

Für den damaligen Bürgermeister Karl-Willi Beck kam ein Verkauf der Stadtwerke jedoch nicht infrage. Wunsiedel sollte sich wehren gegen den Abstieg, aus eigener Kraft und mit den eigenen Möglichkeiten. Die bäuerliche Herkunft habe ihm den Weg zu den Erneuerbaren geebnet. »Du musst säen, wenn du ernten willst«, erzählt Beck in einem Video zum Wunsiedler Weg. Also nahm der mittlerweile verstorbene CSU-Politiker den gerade erst mit nicht einmal 30 Jahren zum Geschäftsführer gewordenen Marco Krasser in die Pflicht: »Bis 2025 wollen wir energieautark sein«, forderte der Bürgermeister. »Sie haben 14 Tage Zeit, sich eine Strategie zu überlegen. Wenn die Strategie gut ist, dürfen sie Ihren Job behalten.«

Krassers Konzept überzeugte den Bürgermeister mit der intelligenten Vernetzung der Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie. Der erste Meilenstein des Wunsiedler Wegs war 2004 eine kleine Bürgersolaranlage. Sie warf 20 Jahre lang sieben Prozent Zinsen im Jahr für die Bürger ab, die sich an der Anlage der Stadtwerke finanziell beteiligt hatten. Nach Ablauf der EEG-Förderung ist sie nun im alleinigen Besitz der Stadtwerke und produziert immer noch günstigen Strom.

Auch mit Investorengeld entstanden Windräder, Blockheizkraftwerke, Stromspeicher und noch mehr Solaranlagen. Nicht alle waren begeistert. Doch die Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 ließ die Kritik verstummen. Auf einmal wollten alle weg vom Atomstrom. »Uns kam es damals so vor, als ob die ganze Welt auf uns schaut«, erinnert sich Krasser. Bald kamen erste Delegationen aus Marokko, China, Australien und ganz Deutschland.
Mittlerweile leitet Krasser die Stadtwerke seit fast einem Vierteljahrhundert. Routiniert rauscht er durch den Energiepark, öffnet schwere Türen zu lärmenden Turbinen, erläutert den Leitstand mit seinen Computermonitoren und zeigt die Container mit Batteriespeichern. Die Grundidee ist es, erneuerbare Energie aus Sonne, Wind und Biomasse vor Ort zu produzieren, zu speichern und zu nutzen.

 ED 02/2025 Der Wunsiedler Weg (S.16-19) 

Andreas Schmuderer (links) und Marco Krasser im Batteriespeicher von Wunsiedel: Die Kleinstadt ist vom Verkehr abgesehen praktisch CO2-neutral.

Sonne, Wind, Biomasse, Abwärme: Die Stadt nutzt all ihre Ressourcen

An diesem sonnigen, aber kühlen Nachmittag haben die PV-Anlagen in und um Wunsiedel schon mehr Energie erzeugt, als Haushalte und Firmenkunden verbrauchen. Damit solche Überschüsse rund ums Jahr verfügbar sind, speichern die Stadtwerke sie: kurzfristig in Batteriespeichern oder langfristig Wasserstoff, den ein Elektrolyseur im Energiepark herstellt. »Es geht darum, möglichst 100 Prozent der Primärenergie zu nutzen und damit Kosten zu senken«, so Krasser. »Unser Vorbild ist die Natur. Klimaschutz ist dabei eigentlich nur ein Nebenprodukt.«

Für kühle Tage ohne Sonne und Wind produziert eine Anlage im Energiepark zudem Holzpellets. Lastwagen liefern bis in die späten Abendstunden tonnenweise nicht genutzte Baumspitzen und Zweige aus dem benachbarten Sägewerk an. Die Biomasse wird in einem Heizkraftwerk verbrannt und produziert Strom. Die Abwärme aus diesem Prozess trocknet in einem nächsten Schritt Sägespäne, die zu Pellets gepresst werden. Sie sind quasi ein Langzeitspeicher für überschüssige Energie. Im Winter kommen die Pellets dann in kleinen Blockheizkraftwerken zum Einsatz. Diese liefern Wohngebieten Strom und Nahwärme, genau so viel, wie die Familien dort gerade brauchen.

Gäbe es in ganz Deutschland solche Systeme, könnten negative Strompreise bei viel Sonnenschein oder hohe Preise bei Dunkelflaute der Vergangenheit angehören. Anderswo funktioniere es laut Krasser vielleicht mit mehr Wind und weniger Holz, mit Geothermie oder auch mit Wasserkraft. In der Großstadt wäre ein Pelletwerk wenig sinnvoll. Aber ein dezentrales System, das alle Ressourcen nutzt und Energieerzeuger und -verbraucher verbindet, ließe sich überall umsetzen, davon ist Krasser überzeugt.

Auch der Weltkonzern Siemens glaubt an die Idee. Andreas Schmuderer, der 2015 zum ersten Mal ins Fichtelgebirge kam, war beeindruckt, »wie aus Visionen und Pioniertätigkeiten nachhaltige, sichere und zukunftsorientierte Vorhaben entstehen.« Der Siemens-Ingenieur begleitet das wundersame Geschehen in Wunsiedel seither intensiv. Aktuell arbeitet er an Prognosesystemen und digitalen Lösungen für die permanente Vernetzung von Strom, Wärme und Mobilität in Wunsiedel. Für seinen Arbeitgeber ist es »eine der größten grünen Referenzen« geworden, so Schmuderer.

Der Konzern hat sogar einen aufwendigen Film finanziert, der auf Youtube und in der Mediathek von Amazon das Projekt und seine Macher wie Kinohelden feiert. Ist das nicht etwas zu dick aufgetragen? Nö, sagt Krasser. Die Wunsiedler seien stolz darauf.

Er plant bereits das nächste Zukunftsprojekt: Aus Restholz und überschüssigem Elektrolysesauerstoff aus der Wasserstoffproduktion soll synthetischer Flüssigkraftstoff entstehen. »Wastewood to Fuel« heißt das vom Bund geförderte Projekt. Es ist nur eines von vielen Projekten im neuen Future Energy Lab.

 ED 02/2025 Der Wunsiedler Weg (S.16-19) 

Anlage zur Wasserstoffproduktion: Die Stadt und ihre Einwohner profitieren von der Energiewende.

Auch am Wunsiedler Weg, der bisher 250 Millionen Euro gekostet hat, wird weitergebaut. Seit vergangenem Sommer etwa wird Strom für die dunkle Winterzeit auch auf dem ehemaligen Acker von Landwirtin Ute Frohring geerntet. Wo früher Mais und Getreide wuchsen, produziert nun eine 30-Megawatt-Anlage Sonnenstrom.

Weil die Module entlang der gewundenen Straße bis zum Waldrand etwas höher aufgeständert sind als üblich, kann die Landwirtin die umzäunten Flächen sogar weiter nutzen. Agri-PV nennt sich das Konzept. Sobald das Gras wieder wächst, wird dort eine Herde mit rund 70 Schafen weiden. Ein anderer Teil der Anlage wird von einer Schar schnatternder Gänse abgegrast. »Die laufen nebeneinanderher von links nach rechts wie ein großer Rasenmäher«, erzählt Frohring lachend. Die Landwirtin sitzt nach dem Mittagessen gemütlich am Küchentisch. Die PV-Anlage sei ein Segen für sie, sagt Frohring, »ich könnte mit Getreide allein nie so viel erwirtschaften.« 

Ihr Vater Ernst, der sich in Gummistiefeln mit an den Tisch setzt, ergänzt im breiten Oberfränkisch, dass die extensive Nutzung auch für die Natur besser sei als Maisanbau mit Dünger und Pflanzenschutz. „Für Feldhamster, Feldlerche und die Wiesenbrüter ist das ideal. Sie haben dort ihre Ruhe vor den Menschen – und Wolf und Fuchs kommen nicht rein.«

Das Geld für die Großanlagen bringt die Gemeinde nicht allein auf. An den verschiedenen Gesellschaften für Solarparks, Stromspeicher, Bioenergie, Wasserstoff und Pelletwerk sind auch Konzerne wie die Baywa und Siemens beteiligt. Die Zukunftsenergie Nordostbayern GmbH (ZENOB) mit derzeit 27 Kommunen oder kommunalen Unternehmen überträgt das Modell auf die Region. Laut Stadtwerke-Chef Krasser stehen noch 23 Nachbarkommunen auf der Warteliste und wollen den Weg mit Wunsiedel zusammen gehen. 

Die Investitionen waren hoch. Doch inzwischen profitiert die Stadtkasse

Doch nicht alle in der Region sind davon begeistert. Im benachbarten Kirchenlamitz entschieden sich die Bürger gegen die Ausweisung eines weiteren Wind-Vorranggebietes.  Wunsiedels Stadtrat dagegen steht geschlossen hinter der lokalen Energiewende. Er hat im Januar mitten im aufgeheizten Bundestagswahlkampf einstimmig eine Resolution beschlossen, die sich gegen eine »Rolle rückwärts in der Energiepolitik« ausspricht.

Was die Zukunft Wunsiedels betrifft, ist Bürgermeister Lahovnik optimistisch, »auch wenn wir aus einem wirklich tiefen Tal kommen.« Die finanzielle Situation der hoch verschuldeten Kommune war so desolat, dass Wunsiedel seit 2013 nur noch das Nötigste ausgeben durfte. Zu den Schulden der Stadt kommen hohe Investitionen in das Anlagevermögen der Stadtwerke hinzu. Allerdings erwirtschaften die Stadtwerke mittlerweile Gewinne, die den Haushalt der Stadt sanieren. 2023 waren es rund 1,5 Millionen Euro. »Die extrem schlechten Prognosen bei der Einwohnerentwicklung sind überwunden«, sagt Lahovnik. Die Einwohnerzahl ist stabil und die Nachfrage nach Wohnraum so groß, dass die Stadt sogar ein Neubaugebiet plant.

Vor Kurzem machte der Landkreis Schlagzeilen, als er in einer Kaufkraft-Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft mit Starnberg, Sylt, München und dem Tegernsee in der Spitzengruppe landete. Die niedrigen Lebenshaltungskosten sind ein wichtiger Faktor. Daneben entstehen attraktive Arbeitsplätze im Bereich der regenerativen Energien, und das Gewerbesteuervolumen habe sich mehr als vervierfacht, sagt der Bürgermeister. Die Stadtwerke, die Wunsiedel zur Jahrtausendwende nicht verkaufte, sind heute mit ihren Beteiligungen einer der großen Gewerbesteuerzahler. Der Wunsiedler Weg, er hat sich bewährt.

Treffen Sie die richtige Wahl!

(4. Februar 2025) Der #wählbar25-Wahlcheck gibt Wähler:innen Orientierung, wie sich ihre Wahlkreis-Kandidat:innen bei Klimaschutz-Themen wie Strom- und CO2-Preisen positionieren. Getragen wird die Initiative von den fünf zivilgesellschaftlichen Organisationen Klimaschutz im Bundestag, Bürgerlobby Klimaschutz, GermanZero, Bund der Energieverbraucher und Together for Future. Zum Stand 3.2.2025 hatten bereits 162 Kandidierende reagiert.

 3493 Wahlkampf-Kampagne währbar25 

„Der Wahlcheck von #wählbar25 hilft, klimafreundliche Politikerinnen und Politiker im eigenen Wahlkreis zu finden und damit eine gute Entscheidung mit der Erststimme zu treffen,“ sagt Mathias von Gemmingen, Projektleiter bei Together von Future. „Das unterscheidet #wählbar25 vom Wahl-o-mat, der Parteiprogramme zu vielen verschiedenen Themen vergleicht, um.” Klarheit für meine Zweitstimme zu bringen

„Bundestagsabgeordnete sind laut Grundgesetz nur ‚ihrem Gewissen unterworfen‘, nicht der Parteilinie“, erklärt Craig Morris, geschäftsführender Vorstand von Klimaschutz im Bundestag. „Wahlkämpfe sind deshalb eine gute Gelegenheit, denn solange es die neue Koalition nicht gibt, können sich einzelne Politiker*innen nicht hinter Parteiprogrammen und Koalitionsvereinbarungen verstecken – sie treten als Individuen hervor. Deshalb ergänzt #wählbar25 andere Wahlchecks optimal.“

Wählende können https://waehlbar25.de außerdem nutzen, um im Wahlkampf selbst aktiv zu werden und ihre Kandidierenden um ihre Antworten zu bitten. Man suche dazu den eigenen Wahlkreis (auch über die Postleitzahl zu finden), und klicke auf „Auffordern“, um eine vorformulierte E-Mail an das Wahlkreisbüro zu schicken.

Frauen in der Energiewende

Klimagerechtigkeit und Umweltschutz

Klimagerechtigkeit und Umweltschutz: Frauen in der Energiewende

(11. Oktober 2024) „Es ist wichtig, die Mitarbeit von Frauen in der Energiewende zu erhöhen, um umfassende und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Ihre Perspektiven und Ressourcen sind unverzichtbar“, so die Initiative „Frauen für die Energiewende“. Dies ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern auch entscheidend für den Erfolg und die soziale Verträglichkeit der Energiewende. Frauen setzen sich stark für Klimagerechtigkeit und Umweltschutz ein und tragen dieses Bewusstsein weiter. Sichtbare Beteiligung von Frauen macht die Mitarbeit auch für andere Frauen attraktiver und fördert die Akzeptanz der Energiewende. Studien zeigen, dass Frauen besonders umweltbewusst handeln. Dennoch sind sie weniger an der Gestaltung der Energiewende beteiligt. Wir können es uns schlicht nicht leisten, die Ressourcen der Hälfte der Bevölkerung nicht zu nutzen.

Die Lösung der Klimakrise: Milliardäre enteignen

(20. April 2024) Eine Sternstunde des Parlamentarismus erlebte das Europaparlament vor einem Jahr durch eine Rede von Nico Semsrott (Grüne/EFA ). In dem nur eine Minute dauernden Statement entwarf der Politiker, der im Privatberuf Kabarettist ist, ein interessantes Modell für die Bewältigung der Klimakrise: „Wir sollten allen Milliardären weltweit ein Ultimatum setzen: Wenn ihr in einem Jahr die Klimakrise nicht gelöst habt, werdet ihr enteignet!“

 ED 01/2024 Die Lösung der Klimakrise: Milliardäre enteignen (S.4) 

Der Europaabgeordnete Nico Semsrott stellt Milliardären ein Ultimatum: Entweder ihr löst die Klimakrise oder ihr werdet enteignet!

Seine Begründung für diesen Ansatz ist schlüssig: „Ihr besitzt alles, was man dafür braucht: die fossilen Unternehmen, Geld, alle Medien, alle sozialen Medien, Millionen Arbeitskräfte und viele Politiker.“ Wichtig sei, dass man Milliardäre nicht so im Stich lassen dürfe, wie sie „uns“ im Stich lassen, führte Semsrott weiter aus. Stattdessen solle man ihre „Geldabhängigkeit“ so behandeln wie andere Süchte auch. „Ich denke zum Beispiel an Fixerstuben, in denen ihnen als Ersatzstoff Spielgeld ausgezahlt wird.“ Was ist Satire, was ist Politik? 

Erderwärmung und Klimaschutz

Deutsche denken grüner als sie es selbst von sich denken

Erderwärmung und Klimaschutz: Deutsche denken grüner als sie es selbst von sich denken

(27. Oktober 2023) Die Deutschen denken weitaus grüner, als sie es selbst von ihren Mitbürgern erwartet hätten. Das hat eine Studie des Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) ergeben. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind 59 % der Befragten dafür, Windkraftanlagen in ihrer Nähe zu errichten, während die Mehrheit annahm, nur 32 % ihrer Landsleute seien dazu bereit. 

 ED 03/2023 Erderwärmung und Klimaschutz: Deutsche denken grüner als sie es selbst von sich denken (S. 5) 

Eine ähnliche Diskrepanz zeigt sich auch bei anderen aktuellen Fragen des Klimaschutzes:

  • Solaranlagen auf lokalen Freiflächen? 25 % mehr Befürwortung als angenommen.
  • Ein Tempolimit von 120 km/h auf den Autobahnen? 17 % mehr.
  • Die Absenkung der Raumtemperatur zur Energieeinsparung? Eine um 25 % höhere Zustimmungsrate als vermutet.

Die meisten Deutschen glauben, die Mehrheit ihrer Mitbürger sei gegen solche grünen Maßnahmen, während in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall ist. Laut Ortwin Renn, dem ehemaligen Direktor des RIFS, könnten solche Wahrnehmungsverzerrungen potenzielle grüne Projekte behindern. Er betont: „Eine verzerrte Einschätzung kann Genehmigungen für erneuerbare Energien verkomplizieren und der Politik ein schiefes Bild präsentieren.“

In einer weiteren Studie des Umweltbundesamts und des Bundesumweltministeriums wurde deutlich, dass eine überwältigende Mehrheit der Deutschen die Auswirkungen des Klimawandels bereits spürt. 85 % bemerken Veränderungen wie Trockenheit und Niedrigwasser und 73 % glauben, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit hat – ein Anstieg von 14 % gegenüber 2016.

Energiewende in Deutschland: Energieeffizienzgesetz vorgelegt

Von Dr. Aribert Peters

(5. Juli 2023)  Die Energiewende kann nur gelingen, wenn der Energieverbrauch deutlich sinkt. Doch lange wurden sich die Ampelkoalitionäre in den Details nicht einig. Am 19.4.2023 hat das Bundeskabinett sich nun auf ein Energieeffizienzgesetz (EnEfG) geeinigt, das noch in den Bundestag eingebracht und beschlossen werden muss. Energiesparen erhält damit erstmals einen rechtlichen Rahmen.

Das Gesetz legt Einsparziele fest, die sich für Deutschland aus der EU-Energieeffizienzrichtlinie ergeben. Demnach soll hierzulande der Endenergieverbrauch bis 2030 um 26,6 % sinken, Jahr für Jahr um 2 %. Auch Bund und Länder werden zu Einsparungen verpflichtet. Große Unternehmen müssen Energiemanagementsysteme einführen und wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen durchführen und dies auch in Plänen erfassen und veröffentlichen. Für Rechenzentren werden Effizienzstandards festgelegt. Unternehmen werden zur Vermeidung und Nutzung von Abwärme verpflichtet. Auch wird die Einspeisung von Abwärme in Nahwärmenetze unterstützt.

Koalitionsvertrag durchleuchtet

Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP festgeschrieben, was sie gemeinsam als ­Bundesregierung bis zum Jahr 2025 erreichen wollen. Zu den Kernpunkten zählen „idealer­weise“ ein schnellerer Kohleausstieg bis 2030 und mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren.

Koalitionsvertrag durchleuchtet

Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP festgeschrieben, was sie gemeinsam als ­Bundesregierung bis zum Jahr 2025 erreichen wollen. Zu den Kernpunkten zählen „idealer­weise“ ein schnellerer Kohleausstieg bis 2030 und mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren. Was steht sonst noch drin? Und wie ist das zu bewerten?
Von Dr. Aribert Peters

(16. Mai 2022) Direkt in einem der ersten Absätze der Ver­einbarung steht unmissverständlich: „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität. Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand.“ An dieser Aussage wird sich die neue Regierung zum Ende ihrer Amtszeit messen lassen müssen.

1900 Handzeichen Meineid / Foto: dream@do / stock.adobe.com

Was steht drin?

Die Koalitionsparteien bekennen sich in der Vereinbarung zur 1,5-Grad-Grenze und wollen „Hürden für den Ausbau erneuerbarer Energien aus dem Weg räumen“. „Schritt für Schritt“ soll das „fossile Zeitalter beendet werden“, auch indem der „Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorgezogen“ wird. Im Verkehrssektor wollen die Koalitionäre „die Technologie des Verbrennungsmotors hinter [sich] lassen“, wobei allerdings ein Verbot von Verbrennerfahrzeugen nicht vorgesehen ist. Auch „ein generelles Tempolimit wird es nicht geben“. „Das Klimaschutzgesetz soll noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickelt und ein Klimaschutzsofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen“ auf den Weg gebracht werden. Vornehmlich sollen „alle geeigneten Dachflächen künftig für Solarenergie genutzt werden“. „Für die Windenergie an Land sollen zwei Prozent der Landfläche ausgewiesen werden.“ Die Koalitionäre wollen im Energiesektor ferner „auf einen steigenden CO2-Preis als wichtiges Instrument, verbunden mit einem starken sozialen Ausgleich [setzen] und dabei insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen unterstützen“. Die Belastung von Energie mit Steuern und Abgaben soll insgesamt neu geregelt werden und ein „neues Strommarktdesign“ geschaffen werden, wobei „Unternehmen insgesamt nicht mehr belastet werden“ sollen.
Zusammenfassend lässt sich folglich festhalten, dass die Energiewende beschleunigt werden soll, ohne Verbraucher oder Unternehmen zu belasten.

Werden die Klimaziele eingehalten?

Gutachter von DIW Econ, das zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gehört, haben im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland eine Analyse des Koalitionsvertrages durchgeführt und kommen zu dem Ergebnis, dass der Koalitionsvertrag „das ambitionierteste Klimaschutzprogramm [enthält], das jemals eine Bundesregierung vorgelegt hat.“ Die Studie des DIW Econ kommt aber gleichwohl auch zu dem Schluss, dass „Deutschland […] das im Koalitionsvertrag festgehaltene 1,5-Grad-Ziel deutlich verfehlen wird, wenn die Ambitionen in den nächsten Jahren nicht über das Niveau des Koalitionsvertrages hinaus erhöht werden.“ Oder anders gesagt: Das wohlklingendste und ambitionierteste Klimaschutzprogramm, das je eine Bundesregierung vorgelegt hat, ist bei Weitem nicht ausreichend, um die bereits bisher im Klimaschutzgesetz definierten Ziele zu erreichen und wird noch viel weniger ausreichen, um die 1,5-Grad-Grenze von Paris einzuhalten.

Q&A: What does the new German coalition government mean for climate change?

Erste Bilanz: Ein Kommentar
Von Louis-F. Stahl

Nach 100 Tagen ist von einer Umsetzung der Ziele aus dem Koalitionsvertrag kaum etwas zu spüren. Ganz im Gegenteil scheinen sich die Koalitionäre stets nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen zu können – oder mit konkreten Einzelmaßnahmen in verschiedene Richtungen zu steuern. Im aktuellen Entwurf zur „großen Novelle“ des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist von einer Beschleunigung der Energiewende wenig zu sehen. Weder beim lange zum Erliegen gekommenen Offshore-Windausbau noch bei der Windkraft an Land oder Photovoltaikanlagen auf Gebäudedächern gibt es weitreichende Verbesserungen. Ganz im Gegenteil: Atom- und Kohlestrom sind an der Strombörse seit Amtsantritt der neuen Regierung teilweise doppelt bis sechsmal so viel wert, wie Hausbesitzer für den Strom aus PV-Anlagen erhalten. Gerechte marktorientierte Vergütung? Anreize zum Ausbau? Anzeichen für eine grundlegende Korrektur? Entbürokratisierung? Nein, das gibt es nicht, aber angehobene „Deckel“, neue „Pfade“ sowie „Ziele“ und die Aussage, dass Erneuerbare jetzt „im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen“. Der letzte Punkt könnte zumindest im Planungsrecht Feldhamster- und Rotmilanblockaden sowie andere Stilblüten beenden. Wie aber die Ziele erreicht werden sollen, wenn am Inhalt des Gesetzes nichts wesentlich verbessert wird? Warum das Gesetz überhaupt noch „Deckel“ für den Ausbau Erneuerbarer definiert, wo wir doch so schnell es nur geht an allen Ecken und Enden ausbauen müssten, um auch nur die in den vergangenen Jahren definierten Ziele ansatzweise erreichen zu können? Unklar!

letzte Änderung: 18.08.2025