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Eine neue Studie hat zu Tage gefördert, dass bis zu 6 Millionen Stromzähler in Deutschland möglicherweise viel zu viel messen.

Wer falsch misst, misst Mist

Energieverbraucher wie Energieversorger verlassen sich gleichermaßen darauf, dass Stromzähler richtig messen. Eine neue Studie hat jedoch zu Tage gefördert, dass bis zu 6 Millionen Stromzähler in Deutschland möglicherweise viel zu viel messen – trotz Zulassung und Eichung.
Von Louis-F. Stahl

(25. Oktober 2017) Forscher der Universität Twente und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Amsterdam haben elektronischen Stromzählern auf den Zahn gefühlt: In zwei Testreihen wurden elektronische Stromzählermodelle der Baujahre 2004 bis 2014 mit Zulassung für Abrechnungszwecke untersucht. Die Ergebnisse sind schockierend! Während einige Stromzähler unter bestimmten Bedingungen bis zu 46 Prozent zu wenig Strom gemessen hatten, haben andere Modelle bis zu 586 Prozent zu viel Verbrauch angezeigt.

1845 Rollmaßband / Foto: pixabay.com/EME

Mangelhafte Berichterstattung

Die skandalösen Funde wurden in der deutschen Tagespresse schnell aufgenommen. Aber berichtet wurde ausschließlich über falsch messende „Smart Meter“. Betroffen sind prinzipiell jedoch alle „elektronischen Stromzähler“. Daher Stromzähler, die nicht mittels Ferraris-Prinzip elektromagnetisch über eine Drehscheibe messen. Nach Erhebungen der Bundesnetzagentur sind in Deutschland derzeit 6.161.352 solcher Stromzähler im Einsatz (Monitoringbericht 2016). Ob diese elektronischen Zähler „smart“ sind, spielt für die Messfehlerproblematik keine Rolle.

Ursachenforschung

In mehreren unterschiedlichen Versuchen konnte nicht nur die Ursache der Messfehler gefunden, sondern auch deren Reproduzierbarkeit bewiesen werden. Bei gewöhnlichen ohmschen Verbrauchern wie Herdplatten, Heizlüftern oder Glühlampen haben alle Zähler richtig gemessen. Dies ist kein Wunder, denn dieses Verbrauchsmuster wird für die Eichprüfung verwendet. Bei elektronischen Verbrauchern mit nichtlinearen Lasten wie sie bei geregelten Netzteilen, Computern, PV-Wechselrichtern oder Leuchtstofflampen sowie LED auftreten, zeigten sich erste Messfehler außerhalb der zulässigen Toleranz. Zu den besonders heftigen Abweichungen kam es beim Einsatz von Dimmern, wie sie für Beleuchtungszwecke häufig verwendet werden.

Fehler mit System

Um die Ursache zu finden, wurden die Stromzähler zerlegt. Es zeigte sich, dass die einzigen richtig messenden Zähler im Testfeld eine Shunt-Messung verwendeten. Die Zähler mit Hall-Sensoren ermittelten zu niedrige Werte und Zähler mit Rogowski-Spulen maßen durchweg einen viel zu hohen Stromverbrauch.

Betroffene Modelle

Hat ihr Stromzähler ein Display, so ist er potenziell von dem Problem betroffen. Leider machen die meisten Zählerhersteller auf Typenschildern und Datenblättern keine Angabe zu dem verwendeten Messverfahren, so dass man als Verbraucher im Dunkeln tappt. Die Zählerhersteller EMH metering, Kamstrup und EasyMeter (Produzent der Smart Meter von Discovergy) haben inzwischen mitgeteilt, dass bei deren Geräten ausschließlich das korrekt messende Shunt-Verfahren zum Einsatz kommt. Der zum japanischen Toshiba-Konzern gehörende Hersteller Landis+Gyr hingegen kritisierte die Ergebnisse der Forscher zunächst pauschal als „praxisfremd“, nur um kurz darauf einzuräumen, potenziell betroffene Hall-Sensoren zu verwenden. Dem niederländischen Rundfunksender Avrotros zu Folge, sollen zudem Zähler der Hersteller Echelon, Iskra und Enermet die kritisierten Messverfahren verwenden.

Problemlösung fehlgeschlagen

Die betroffenen Zählerhersteller und Messstellenbetreiber können sich aktuell zurücklehnen: Die Zähler halten die zum Zulassungszeitpunkt der Zähler geltenden Normen ein. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) als zuständige Aufsichtsbehörde sowie auch der Verband der Elektrotechnik (VDE) haben das Problem inzwischen anerkannt. Laut einer Pressemitteilung der PTB soll der Messfehler aufgrund einer Normänderung für Zähler mit Baujahren ab 2011 generell nicht mehr bestehen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Funden bei Zählern mit den Baujahren 2013 und 2014 (+566 sowie +475 Prozent).

Es braucht einen Aufschrei

Verbrauchern mit betroffenen Stromzählern bleibt nur, bei ihrem Messstellenbetreiber – in der Regel der örtliche Stromnetzbetreiber – hartnäckig einen Austausch von falsch messenden Zählern zu verlangen und im Zweifel den Messstellenbetreiber zu wechseln. Auch sollten Verbraucher mit einem potenziell betroffenen Stromzähler den Abrechnungen ihres Energieversorgers unter Verweis auf die Problematik widersprechen, wenn die Rechnungen unplausibel hoch erscheinen. Der Bund der Energieverbraucher hat die zuständigen Bundesministerien für Verbraucherschutz und Wirtschaft sowie die Bundesnetzagentur angeschrieben und darauf gedrungen, dass betroffene Verbraucher vor den Folgen falscher Messungen geschützt werden.

letzte Änderung: 19.04.2023