Elektronische Zähler in Bedrängnis
Eine niederländische Studie hat gezeigt, dass einige elektronische Stromzähler bis zu 586 Prozent zu viel messen. Bis zu sechs Millionen Stromzähler in Deutschland könnten betroffen sein. Wir haben die Studie näher betrachtet und Hersteller wie Behörden um Stellungnahme gebeten.
Von Louis-F. Stahl
(24. Januar 2018) Eigentlich sollten moderne digitale Stromzähler genauer messen, als die bisher gebräuchlichen mechanischen Ferraris-Zähler mit Drehscheibe und Rollenzählwerk. Dass dies nicht unbedingt so sein muss, zeigten bereits in den Jahren 2007 bis 2010 massenhaft fehlerhafte Messungen der Erträge von Photovoltaikanlagen. Die damaligen Messfehler traten aufgrund nicht sinusförmiger Ströme mit hochfrequenten Impulsen einiger Wechselrichter auf, die man bei den Prüfnormen für elektronische Zähler schlicht nicht bedacht hatte. Die Normen wurden 2011 schließlich korrigiert.
Die jetzigen Funde der Universität Twente und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Amsterdam traten jedoch nicht bei PV-Anlagen, sondern bei der Messung von Stromverbräuchen auf. In den Tests der Forscher zeigte sich, dass Stromzähler mit Hallsensoren bis zu 46 Prozent zu wenig Strom messen können und Zähler mit Rogowskispulen bis zu 586 Prozent zu viel Verbrauch anzeigen können (siehe Wer falsch misst, misst Mist).
Unrealistische Bedingungen?
Von den Zählerherstellern Iskraemeco und Landis + Gyr wurde gegenüber der Energiedepesche jetzt kritisiert, dass die Messfehler von Zählern mit Rogowskispulen und Hallsensoren nur unter Laborbedingungen auftreten würden und die Messungen in Twente unrealistisch gewesen seien.
Messaufbau der Universität Twente: Alle elektronischen Zähler sowie auch die beiden analogen Kontrollzähler wurden in Reihe geschaltet. Dementsprechend müssten alle Zähler, wenn sie richtig messen, den gleichen Verbrauch ermitteln – was jedoch nicht der Fall war.
Tatsächlich wurden von den niederländischen Forschern über 30 Messreihen mit verschiedensten Szenarien durchgeführt. Einige der Messreihen sind, wie die Kritiker zutreffend anmerken, eher wenig praxisnah. Dazu gehören beispielsweise Messungen von 50 gedimmten LED und Leuchtstofflampen, die ausdrücklich nicht dimmbar sind. Diese werden bei einer Dimmung nicht dunkler oder beginnen derart zu flackern, dass kein Verbraucher diese Lampen so betreiben würde. Durch das Flackern könnten die Lampen zudem Netzstörungen erzeugen, die sich auf das desaströse Messergebnis ausgewirkt haben könnten. Für diese Testreihen ist die vorgebrachte Kritik der Zählerhersteller durchaus nachvollziehbar.
Es finden sich aber auch sehr praxisnahe Messreihen in den Veröffentlichungen aus Twente: So beispielsweise die Dimmung eines ohmschen Verbrauchers auf 25 Prozent Leistung (siehe Kasten „Twente-Phänomen für Techniker“). Diese Konstellation wäre beispielsweise mit Halogenlampen keineswegs unrealistisch, sondern der wohl typische Anwendungsfall für Dimmer in deutschen Haushalten.
„Twente-Phänomen“ für Techniker
In der Grafik sind links von der roten Linie die normalen Spannungs- und Stromverlaufskurven eines ungedimmten ohmschen Verbrauchers geplottet. Rechts von der roten Linie ist der Einsatz eines Phasenanschnittdimmers zu sehen, der so eingestellt ist, dass für den Zeitraum von einem Nulldurchgang zum nächsten die ersten 75 Prozent der Zeit der Stromfluss verhindert wird. Nur in den letzten 25 Prozent der Zeit kann der Strom fließen. Das Ergebnis ist eine 75-prozentige Dimmung des angeschlossenen Verbrauchers. Ein Zähler mit Rogowskispulen hat bei diesem konkreten und praxisnahen Versuch 121 Prozent zu viel gemessen.
- Alle Testreihen im Detail: bdev.de/zaehleranalyse
- Zusammenfassung der Ergebnisse: bdev.de/twente
Verlorenes Vertrauen
Nach Einschätzung vom Bund der Energieverbraucher verdient das „Twente-Phänomen“ eine eingehende behördliche Untersuchung mit Offenlegung der Ergebnisse. Es ist für die betroffenen Hersteller leicht zu sagen, dass das „Phänomen“ nur unter Laborbedingungen auftrete und die im Markt befindlichen Zähler aktuelle Normen einhalten. Es ist nach Ansicht vom Bund der Energieverbraucher jedoch unerheblich, ob aktuelle Normen eingehalten werden, wenn Zähler nachweisbar falsch messen und sich die Normen damit als lückenhaft erweisen.
Da das „Phänomen“ nicht nur in praxisfernen Laboranordnungen, sondern auch mit ohmschen Verbrauchern aufgetreten ist, muss überprüft werden, ob die Funde aus Twente reproduzierbar sind – oder nicht. Erst wenn eine solche Überprüfung transparent und nachvollziehbar durchgeführt wurde und dabei keine unzulässigen Abweichungen festgestellt werden, kann das inzwischen verlorene Vertrauen in elektronische Zähler sowie deren Eichung wiederhergestellt werden. Andernfalls sind die Normen für die Eichung elektronischer Zähler zu überarbeiten und alle betroffenen Zähler mit Rogowskispulen und Hallsensoren umgehend aus dem Verkehr zu ziehen.
Blick in einen Stromzähler: Im Vordergrund deutlich zu sehen ist je Phase ein doppelter Aufbau von Rogowskispulen nebst Mess-IC vom Typ STPM01, der die Messdaten (W, VAR, VA, Irms, Vrms, V und I) für seine jeweilige Phase ermittelt und bereits digitalisiert an den zentralen Speicher mit Display im oberen Teil des Zählers weiterleitet.
Eine unter Leitung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt stehende VDE-FNN-Arbeitsgruppe zur „Zuverlässigkeit und Messbeständigkeit von Messsystemen“ soll sich dem „Twente-Phänomen“ annehmen. Der Bund der Energieverbraucher wird sich an dieser Arbeitsgruppe beteiligen.
Lösung für Verbraucher
Verbraucher mit potenziell betroffenen Stromzählern sollten bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit ihres Stromzählers bei ihrem Messstellenbetreiber – in der Regel der örtliche Stromnetzbetreiber – hartnäckig einen Austausch des Zählers verlangen. Sollte der Stromnetzbetreiber dem nicht nachkommen, bleibt Verbrauchern nur, den Messstellenbetreiber zu wechseln. So bietet beispielsweise der freie Messstellenbetreiber Discovergy Smart Meter mit Shunt-Messung an, einem fehlerfreien Messverfahren. Zwar gewährt Discovergy den Mitgliedern im Bund der Energieverbraucher 20 Prozent Rabatt auf den Jahrespreis. Dieser ist jedoch auch rabattiert meist deutlich höher als die Messentgelte des lokalen Netzbetreibers für elektronische Zähler ohne smarte Zusatzfunktionen.
Der Stromzähler am Vereinssitz vom Bund der Energieverbraucher e.V. war bis vor wenigen Wochen ein MT174-Zähler mit Rogowskispulen. Der Verein hat daher den Messstellenbetreiber gewechselt und von Discovergy einen smarten Zähler mit Shunt-Messung einbauen lassen.
Ist mein Zähler betroffen?
In den Untersuchungen der Universität Twente hat sich ein klares Muster abgezeichnet: Elektronische Zähler mit Rogowskispulen maßen bei den Tests der Forscher grundsätzlich zu viel. Zähler mit Hallsensoren zu wenig und nur Zähler mit Shunt-Messung haben – wie auch alte analoge Ferraris-Zähler – keine Auffälligkeiten gezeigt.
Leider kann man einem elektronischen Zähler von außen nicht ansehen, mit welchem Verfahren er misst. Wir haben für Sie recherchiert, was in elektronischen Zählern steckt. Wenn Sie Informationen zu weiteren Zählermodellen haben, schreiben Sie uns: info@energieverbraucher.de
Rogowskispule | Hallsensor | Shunt-Messung | |
EasyMeter (Discovergy) | Alle bekannten Modelle | ||
EMH Metering | Alle bekannten Modelle | ||
Iskraemeco | MT171 MT174 MT175 MT371 MT382 MT681 |
MD300 MT300 |
ME371 ME372 ME382 |
Itron (Actaris) | ACE3000 | EM214 | |
Kamstrup | Alle bekannten Modelle | ||
Landis+Gyr | Alle konventionellen elektronischen Haushaltszähler |
Alle „modernen Messeinrichtungen“ nach MsbG |