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Falsche Anreize durch Netzentgeltnachlässe Eine Analyse von BET Aachen

Falsche Anreize durch Netzentgeltnachlässe

Hohe Netzentgeltnachlässe für einzelne Kundengruppen auf Kosten der übrigen Stromverbraucher behindern zugleich den Einsatz von dringend benötigten flexiblen Lasten. Eine kritische Analyse der Stromnetzentgeltnachlässe veröffentlichen nachfolgend Dr. Wolfgang Zander und Dr. Elfried Evers vom energiewirtschaftlichen Beratungshaus BET Aachen.

(3. April 2015) In den letzten Jahren mussten die Stromverbraucher stetig steigende Strompreise hinnehmen, weshalb mittlerweile etwa 25 Prozent des Strompreises durch Umlagen verursacht wird. Auf wenig Verständnis bei den meisten Verbrauchern stößt dabei der Umstand, dass gleichzeitig einzelnen Netznutzern und Nutzergruppen erhebliche Nachlässe bei ihren Netzentgelten gewährt werden. Ein besonderes Ärgernis in diesem Zusammenhang ist die sogenannte §19-StromNEV-Umlage, die bei den einfachen Haushalts- und Gewerbekunden mittlerweile rund 0,25 Cent je Kilowattstunde ausmacht. Insgesamt sorgt diese Umlage derzeit für ein Umverteilungsvolumen von 800 Millionen Euro. Der Gesetzgeber sieht das Verbrauchsverhalten dieser Kunden als systemstabilisierend an und begründet hiermit die Netzentgeltnachlässe. Für die Öffentlichkeit ist es weitgehend intransparent, inwieweit diese Begründung stichhaltig ist, weshalb wir im Folgenden die Hintergründe dieser Regelungen näher beleuchten wollen.

370 Warnschild Vorsicht Spannung / Foto: Pixelio.de/Kurt Michel

Wer wird begünstigt?

Die Entgelte für die Nutzung der Stromnetze beinhalten zwei Hauptkomponenten: Einen Arbeitspreis für jede aus dem Netz gezogene Kilowattstunde sowie bei Kleinkunden einen von der Entnahme unabhängigen Grundpreis. Bei größeren Kunden mit einer Messung der viertelstündlichen Leistungsentnahme wird statt des Grundpreises ein Leistungspreis für die höchste Entnahme in einem Jahr in Rechnung gestellt. Die Sonderentgelte nach § 19 StromNEV betreffen nur Kunden mit Leistungsmessung. Unter zwei unterschiedlichen Voraussetzungen können diese Netzkunden erhebliche Nachlässe auf ihre Netzentgelte erhalten:

Der erste Fall ist die atypische Netznutzung, bei der die überwiegende Nutzung des Netzes zu Zeiten mit niedriger Netzbelastung stattfindet. Der Netzbetreiber definiert hierzu Zeitfenster, in der das Netz in der Spannungsebene, an die der Kunde angeschlossen ist, besonders hoch ausgelastet ist. Nutzt ein Kunde das Netz während dieser sogenannte Hochlastzeitfenster im Vergleich zu seiner maximalen Abnahme nur sehr wenig, spricht man von der atypischen Netznutzung. Normalerweise ist für den Leistungspreis die höchste Leistung im kompletten Jahr maßgeblich. Kunden mit atypischer Netznutzung zahlen nur die von ihnen entnommene Leistung während des vom Netzbetreiber definierten Hochlastzeitfensters, mindestens aber 20 Prozent des normalen Entgeltes. Der Netzbetreiber muss diese Hochlastzeitfenster im Herbst des Vorjahres festlegen.

§ 19 StromNEV-Umlage.

Nach der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) können bestimmte Stromabnehmer bei der Bundesnetzagentur reduzierte Netzentgelte beantragen. Die Netzbetreiber legen diese entgangenen Netzentgelte im Volumen von rund 800 Mio. Euro auf alle Letztverbraucher um. Die Umlage beträgt 2015 für Haushalts- und Gewerbekunden 0,227 ct/kWh und für Stromgroßverbraucher einen reduzierten Betrag von 0,05 ct/kWh.

Der zweite, wesentlich bedeutendere Netzentgeltnachlass bezieht sich auf Großkunden mit sehr konstantem Verbrauch. Betroffen sind hiervon Kunden mit einem Stromverbrauch von mehr als zehn Millionen Kilowattstunden, den sie so gleichmäßig aus dem Netz ziehen, dass eine sogenannte Benutzungsstundenzahl von 7.000 Stunden erreicht oder überschritten wird. Ein Kunde, der diese Bedingungen erfüllt, kann bis zu 80 Prozent der regulären Netzentgelte einsparen. Bei 8.000 oder mehr Benutzungsstunden können sogar 90 Prozent der regulären Netzentgelte eingespart werden.

Die derzeitige Netzentgeltsystematik sieht hinsichtlich der anteiligen Nutzung der Übertragungskapazitäten der Netze und dem Ort der Netzentnahme Pauschalierungen vor. So ist es für das pauschale Netzentgelt unerheblich, ob ein Großkunde ganz in der Nähe eines Kraftwerkes oder weit entfernt davon liegt.

Sachlich zu rechtfertigen ist, dass Kunden, die die Netze nachweislich geringer belasten oder sogar entlasten, so dass die im Entgeltsystem vorgenommenen Pauschalierungen zu einer unsachgemäßen Kostenzuordnung führen, auch in entsprechendem Maße eine Netzentgeltreduktion erfahren können. Dieses ist aber in den vorliegenden Fällen der Sache und Höhe nach zu hinterfragen.

Bei der geschilderten atypischen Netznutzung lässt sich durchaus noch eine sinnvolle Begründung für eine Entgeltreduktion finden: Da Netze im Wesentlichen auf ihre maximale Last ausgelegt sein müssen, belastet ein Kunde außerhalb der Zeiten höchster Belastung ein Netz auch nur wenig. Es lässt sich trefflich darüber streiten, in welcher Höhe eine Entlastung der Netze durch die atypische Netznutzung tatsächlich stattfindet. Eine Reduktion um bis zu 80 Prozent lässt sich netzwirtschaftlich jedoch nur schwer begründen.

Kaum noch nachvollziehbar ist die Entgeltreduktion in dem zweiten geschilderten Fall, der gleichmäßigen Last großer Kunden. Bereits die Preisformel mit dem recht hohen Leistungspreisanteil führt bei gleichmäßigem Verbrauch zu verhältnismäßig geringen spezifischen Netzentgelten. Gerade bei hohen Benutzungsstunden bildet die aktuelle Entgeltsystematik über einen Gleichzeitigkeitsgrad den Leistungsanteil an der Jahreshöchstleistung zu Starklastzeiten sachgerecht ab. Gegen eine Reduktion um bis zu 90 Prozent sprechen auch folgende Gründe:

  • Bei der besonders gleichmäßigen Netznutzung findet diese auch zu Zeiten hoher Netzbelastung statt.
  • Die zunehmende fluktuierende Erzeugung braucht als Ausgleich möglichst flexible Lasten. Wenn es im Netz eng wird zum Beispiel wegen hoher erneuerbarer Erzeugung helfen möglichst hohe Abnahmen, insbesondere in den Netzgebieten, wo die Erneuerbaren einspeisen. Umgekehrt ist eher eine Lastminderung wünschenswert, wenn zu wenig erneuerbare Erzeugung im Netz ist.

Dieser objektive Bedarf an flexibler Last wird durch die Regelungen des § 19 Abs. 2 StromNEV konterkariert. Die Betriebe werden angehalten, ihre Last gerade nicht flexibel zu gestalten. Diese Entgeltreduktion belastet daher die übrigen Netzkunden in doppelter Weise: Zum einen müssen die verbleibenden Kunden die gewährten Entgeltreduktionen tragen und zum andern ist diese Form der Netznutzung ineffizient, mit der Folge, dass Kosteneinsparpotenziale zum Beispiel durch flexible Lasten nicht genutzt werden.

Die Redaktion der Energiedepesche hat Beispiele für genehmigte verminderte Netzentgelte wegen „atyptischer Netznutzung“ gefunden:

Sparkasse Worms-Alzey-Ried (BK4 12-2574), DRK-Kreisverband Worms (BK4 12-2563), Mundschenk Vermögensverwaltung (BK4 12-3827), Seecafé Kratzmühle (BK4 12-2694), Wohnanlage Sophienhof gGmbH (BK4 12-1989), Edeka Aktiv Markt (BK4 12-2321), Camping-Platz Hohes Ufer (BK4 12-3541), AWO-Wohnpark Großfehn (BK4 12-3902), Hotel Seelust Cuxhaven (BK4 12-1964), AWO Seniorenheim Riegelsburg (BK4 12-2510), Württembergische Gemeindeversicherung (BK4 12-1870), Schuhhaus Zumsande (BK4 12-1706).

Geradezu grotesk ist, dass dieser Fehlanreiz teilweise auch die von der Netzentgeltreduktion Begünstigten behindert: Sie können die bei ihnen bestehenden Flexibilitätsoptionen nicht oder nur sehr eingeschränkt im Markt einsetzen, weil sie dadurch unter Umständen ihren Status bezüglich der Netzentgeltreduktion gefährden würden.

Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für die atypische Netznutzung. Derzeit müssen die relevanten Hochlastzeitfenster ausschließlich aus Netzsicht und im Vorjahr festgelegt werden. Dieser starre Festlegungszeitraum wird den Anforderungen der Energiewende bei zunehmender fluktuierender Erzeugung, die ja gerade nicht ein Jahr im Voraus prognostiziert werden kann, natürlich nicht gerecht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Netzentgeltnachlässe nach dem § 19 Abs. 2 StromNEV von der Höhe der Reduzierung überzogen erscheinen, für den Ausgleich von Erzeugung und Entnahme kontraproduktiv wirken und einer effizienten Netznutzung entgegenstehen. Sie erhöhen die Kosten für die überwiegende Mehrheit der Netzkunden, ohne dass sie für das Gesamtsystem adäquate Vorteile bieten.

Sie sind in vielen Fällen auch für die Begünstigten kontraproduktiv, weil sie diese bei der Bereitstellung von Lastverschiebungspotentialen behindern.

Aus industriepolitischer Sicht heraus kann es durchaus sinnvoll sein, im internationalen Wettbewerb stehende, stromintensive Industriezweige gezielt von Kosten der Energiewende zu entlasten. Dies kann jedoch nicht Aufgabe und Bestandteil der Netzentgeltsystematik sein, sondern muss anderweitig geregelt werden. Die hier vorgenommenen Netzentgeltreduktionen treffen zudem in weiten Teilen Netznutzer, die nachweislich nicht im internationalen Wettbewerb stehen.

Fazit

Die gebotene verursachungsgerechte Verteilung der Netzkosten auf die verschiedenen Netznutzer sollte nicht durch Sonderregeln verzerrt und konterkariert werden. Die bestehende Netzentgeltsystematik stammt noch aus der Zeit der dominierenden zentralen Stromerzeugung. Neben diesen fehlerhaften Sonderregelungen muss die Netzentgeltsystematik auch in vielen anderen Punkten grundlegend überarbeitet werden, um den zukünftigen Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden. Im Vordergrund sollte dabei stehen, die Netznutzer durch zielgerichtete Anreize zu einem effizienten, systemverträglichen Verhalten anzuregen. Dies betrifft insbesondere Anreize für eine Flexibilisierung der Last zur Stabilisierung der Netze und zum Ausgleich der fluktuierenden dezentralen Erzeugung. Industriepolitisch motivierte Kostenentlastungen von stromintensiven Industriebereichen, die tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen, sollten nicht über die Netzentgeltsystematik erfolgen.

letzte Änderung: 14.07.2022