Verbraucherrechte in Gefahr
Die Rechte der 40 Millionen Strom- und Gaskunden sollen von einer Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums gravierend beschnitten werden. Der Verordnungsentwurf des Ministeriums nimmt sehr einseitig zugunsten der Energieversorger Partei und ist mit dem gesetzlichen Gebot einer verbraucherfreundlichen Energieversorgung unvereinbar. Jeder einzelne Verbraucher ist aufgerufen, den Erlass dieser Verordnung zu verhindern.
(22. Februar 2006) Die Gas- und Stromlieferung an Haushalte wird durch Verordnungen geregelt, die AVBEltV beziehungsweise AVBGasV. Diese Verordnungen werden derzeit vom Bundeswirtschaftsministerium novelliert. Alle 40 Millionen Haushalte sind davon unmittelbar betroffen. Keine andere Verordnung greift derartig gravierend in das Leben einer so hohen Zahl von Verbrauchern so unmittelbar ein.
Kalte Schauer
Die vorliegenden Verordnungsentwürfe können jedem Verbraucher kalte Schauer über den Rücken jagen. Denn sie berauben ihn einiger seiner sicher geglaubten Rechte. Die Verordnungen sind eindeutig parteilich zugunsten der wirtschaftlich ungleich stärkeren Versorgungsunternehmen. Der Verbraucherschutz bleibt hinter den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurück. Die geplanten Verordnungen widersprechen geltendem EU-Recht, insbesondere der Richtlinie 93/13 EWG. Besonders kritisch sind folgende Regelungen der neuen Verordnung:
- Eine Einstellung der Versorgung mit Strom und Gas soll zulässig sein, auch wenn dies unverhältnismäßig ist.
- Der Versorger haftet für Schäden durch eine Versorgungsunterbrechung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit und damit praktisch nie.
- Das Anschalten eines Lichtschalters darf als Zustimmung zu einer ganzen Reihe von Vertragsbedingungen gewertet werden, die der Verbraucher nicht kennt.
- Durch Pauschalierung können Versorger willkürlich Kosten festlegen, die sich jeglicher Kontrolle und Nachprüfung entziehen.
- Verbraucher müssen ihre Grundstücke für Leitungsmasten und Transformatoren unentgeltlich zur Verfügung stellen.
- Durch Baukostenzuschüsse können sich Versorger über die Tarife hinaus 50 Prozent der Kosten ihrer Leitungsnetze von den Kunden finanzieren lassen.
- Die Versorgungsunternehmen erhalten Zutrittsrecht zu den Verbraucherwohnungen.
- Kundenanlagen können vom Versorger willkürlich geprüft und bei Mängeln stillgelegt werden.
Das neue Energiewirtschaftsgesetz macht für die Verordnungen die Vorgaben, dass die beiderseitigen Rechte von Verbrauchern und Versorgern angemessen zu berücksichtigen sind. Davon kann in den Verordnungsentwürfen nicht die Rede sein.
Einseitige Begünstigungen
Der Bund der Energieverbraucher kritisiert, dass die Verordnungsentwürfe einseitig die Interessen der Versorger schützen. Dagegen liefern sie Verbraucher schutzlos den Versorgern aus. Die Versorger bekommen Sonderrechte eingeräumt, die der übrigen Rechts- und Wirtschaftsordnung fremd sind und die als unangemessen gelten. Der Bund der Energieverbraucher lehnt die Verordnung insgesamt ab, weil die Verbraucherrechte durch die allgemeinen Regelungen zum Beispiel des Bürgerlichen Gesetzbuches besser geschützt sind. Auch in anderen Bereichen mit Massengeschäft, zum Beispiel Banken und Versicherungen, kommt man ohne spezielle Rechtsvorschriften aus. Aus der Fülle der Kritikpunkte sollen hier nur die Regelungen zur Versorgungseinstellung und zur Haftung dargestellt werden.
Versorgungseinstellung
Eine Versorgungseinstellung bedeutet stets eine besondere Härte für die von ihr Betroffenen. "Die Stromversorgung ist nach heutigem Verständnis eine grundlegende Voraussetzung der Teilhabe am Leben der Gesellschaft und notwendig für ein menschenwürdiges Wohnen im Sinnen von Art. 33 GG iVm §§ 1,70 SGB XII" (Urteil des Landessozialgerichts NRW L 1 B 7/05 SO ER vom 15. Juli 2005). Selbst wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen, soll laut Regierungsentwurf (StromGVV § 21, Abs. 2, Satz 2) künftig wie auch bisher eine Versorgungseinstellung zulässig sein, sofern keine hinreichende Aussicht auf Zahlung besteht. Diese Regelung legitimiert die Selbstjustiz der Monopolisten. Sie würde das Prinzip der Verhältnismäßigkeit außer Kraft setzen. Das steht in Widerspruch zum Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Darüber hinaus ergibt sich ein Widerspruch zu den Binnenmarktrichtlinien der EU. Die EU-Richtlinien 2003/54 und 2003/55 schreiben den Mitgliedsstaaten ausdrücklich besondere Maßnahmen zum Schutz von Verbrauchern vor, um einen Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. Die vorgesehene Regelung stellt eine gravierende Benachteiligung von Verbrauchern dar, die der durch die Verordnungsermächtigung § 39 Abs. (2) EnWG vorgeschriebenen angemessene Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen widerspricht. Sie erlaubt den Versorgern die Durchsetzung auch strittiger oder unberechtigter Forderungen. Auch hierdurch entstünde eine durch nichts zur rechtfertigende faktische Bevorzugung gegenüber allen anderen Teilnehmern am Wirtschaftsleben. Alle Verbraucher haben ein elementares Recht darauf, mit Wärme, Strom und Licht versorgt zu werden. Kein Faustrecht Es gibt keinen Grund, warum Stromversorger gegenüber anderen Gläubigern durch die Möglichkeit der Versorgungseinstellung gemäß Art. 3 GG ein Privileg bei der Durchsetzung offenstehender Forderungen beanspruchen dürfen. Insbesondere darf die Versorgungseinstellung nicht als Druckmittel verwendet werden, um Entgelte aus der Vergangenheit ohne den sonst üblichen Weg einzutreiben. Das Versorgungsunternehmen ist selbst dafür verantwortlich, dass keine allzu hohen Zahlungsrückstände entstehen. Es ist dazu auch ohne Weiteres in der Lage.
Kein Gratisstrom
Das bedeutet nicht, dass Versorger künftig verpflichtet sein sollen, für den Notfall bedürftiger Kunden zu sorgen. Der Versorger kann jedoch durch geeignete Maßnahmen sicher stellen, dass bei künftigen Lieferungen die Bezahlung sofort erfolgt, zum Beispiel durch kürzere Abrechnungszeiträume oder Einbau eines Münz- oder elektronischen Kartenzählers. Bei Vorinkassozählern fließen dem Energieversorger die Entgelte vor dem tatsächlichen Verbrauch zu. Dieser wirtschaftliche Vorteil dürfte auf die Dauer die höheren Kosten des Vorinkassozählers ausgleichen. In Großbritannien sind bereits über ein Million solcher Münzzähler im Einsatz. Künftige Preissteigerungen treffen Behinderte, Alte und Kranke am härtesten, weil sie in der Regel keinen finanzielle Spielraum haben und die Energiekosten einen Anteil von über zwölf Prozent an den Gesamtausgaben ausmachen. Dem von der Gesellschaft eingeräumten Privileg, ein sicheres Geschäft mit einer großen Zahl von Verbrauchern zu machen, steht für die Versorger auch eine Verpflichtung der Gesellschaft und den Verbrauchern gegenüber. Die im Privatrecht üblichen Maßstäbe müssen an diese Situation angepasst werden.
Mieter als Geisel
Ist der Vermieter der Vertragspartner des Versorgers, so ist nach derzeitiger Rechtssprechung eine Versorgungseinstellung bei Zahlungsrückständen rechtens, obwohl der Mieter für die Energie bezahlt hat. Die Mieter könnten ja die Energiezahlungen mit ihrer Miete verrechnen. Da in der Regel die Insolvenz des Vermieters bevorsteht, geht diese Regelung faktisch ins Leere. Die Versorgungseinstellung bringt die Mieter in eine Zwangslage. Wollen sie nicht im Dunklen sitzen, müssen sie die Schulden des Vermieters beim Versorger begleichen. Deshalb ist eine Regelung aufzunehmen, nach der die Versorgungseinstellung unzulässig ist, wenn der Betroffene nicht selbst der Kunde ist. Fehlt eine solche Regelung, so wird das Risiko der Vermieterinsolvenz vom Energieversorger auf den Mieter verlagert.
14-Tagesfrist zu kurz
Die Einstellung der Versorgung 14 Tage nach der Ankündigung (Strom GVV § 21, Abs. 2, Satz 1) ist angesichts von üblichen sechs Wochen Jahresurlaub nicht mehr zeitgemäß und im Hinblick auf die Bedeutung der Stromversorgung auch nicht mehr angemessen. Eine Frist von vier Wochen ist stattdessen vorzusehen.
Haftung bei Stromausfall
Versorgungsunterbrechungen und Versorgungsstörungen beeinträchtigen Verbraucher. Sie haben kein Licht, keine Wärme, keine Möglichkeit der Kommunikation. Darüber hinaus können infolge von Versorgungsstörungen Schäden und zusätzliche Kosten entstehen, etwa durch Frost, Wärme, Wasser, notwendige Transporte, Notstromaggregate. Da die Verbraucher an der Versorgungsunterbrechung kein Verschulden trifft, sind sie für die erlittene Unbill zu entschädigen. Entstandene Schäden und Aufwendungen sind zu ersetzen. Schadensersatzpflichtig ist der Verursacher, also der Versorger. Die Verpflichtung zum Schadensersatz ist die zwangsläufige Entsprechung zur Möglichkeit der Gewinnerzielung im Monopolbereich. Es ist im höchsten Maße unmoralisch, dass die Versorger das geschäftsübliche Risiko nicht selbst tragen, sondern auf die Kunden abwälzen wollen.
Verursacherprinzip: Schädiger haftet voll
Soweit keine höhere Gewalt vorliegt, trifft den Versorger ein Verschulden an jeder Versorgungsunterbrechung. Menschliches und technisches Versagen ist nirgends auszuschließen. Aber es ist im Geschäftsleben grundsätzlich so, dass ein Schaden vom Schadensverursacher zu ersetzen ist. Das ist mit gutem Grund so. Denn nur so hat der Versorger auch ein materielles und ernsthaftes Interesse daran, jede Schädigung und jede Versorgungsunterbrechung zu verhindern und für jeden denkbaren Fall Vorkehrungen zu treffen. Ohne eine Haftung unterlässt der Verursacher verständlicherweise notwendige Investitionen, Überprüfungen oder Ähnliches (vgl. Seite 14). Es gibt keinen Grund, vom Prinzip der Verschuldenshaftung bei der Energieversorgung abzuweichen. Im Gegenteil gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass die in der Vergangenheit gesetzlich sanktionierte Haftungsfreistellung äußerst nachteilige Folgen für die Versorgungssicherheit gehabt hat. Dieser Ansicht war auch das Bundeswirtschaftsministerium. Im Verordnungsentwurf des BMWA vom 30. April 2002 war die Haftungsbeschränkung weitgehend aufgehoben worden. Lediglich die Höchstschadenssumme je Schadensereignis war noch begrenzt und ein Selbstbehalt von 200 Euro war eingeführt worden. Umso bedauerlicher ist es, dass der aktuelle Verordnungsentwurf zu Ungunsten der Verbraucher die Haftung der Stromversorger wieder weitestgehend abschafft. Offensichtlich hat sich die Lobby der Versorger hier wieder durchsetzen können. Eine Fortschreibung der Haftungsfreistellung würde das wirtschaftliche Risiko von Versorgungsstörungen vom Verursacher auf den Geschädigten verlagern. Der Verbraucher zahlt mit seinem Energiekosten auch für die Vorsorge vor Versorgungsstörungen.
Praktisch kaum Schäden
Es ist dabei durchaus denkbar, dass Obergrenzen für die Schadenshaftung eingeführt werden. Eine besondere wirtschaftliche Belastung der Stromversorger ist durch Abschaffung der Haftungsfreistellung nicht zu erwarten. Vielmehr sind die Schäden durch Stromausfälle von einer im Verhältnis zu Umsätzen und selbst Gewinnen zu vernachlässigenden Größenordnung. Konkrete Zahlen dazu hat weder die Stromwirtschaft, noch das Bundeswirtschaftsministerium trotz Nachfrage auf der öffentlichen Anhörung am 5. Juni 2002 machen können. Wenn jeder Autobesitzer für die Folgen seiner Handlungen ohne Beschränkung haftet, kann die bestverdienende Branche der Republik davon keine Befreiung erwarten. Bei der Genehmigung der Netzentgelte dürfen die gezahlten Entschädigungen künftig keine Berücksichtigung finden. Andernfalls werden die Entschädigungen lediglich auf die Allgemeinheit der Energiekunden verlagert. Das ist zwar immer noch besser, als wenn die Geschädigten auch noch ihre eigenen Schäden zahlen müssen. Jedoch fehlt dann jeder Anreiz für die Verbesserung der Versorgungssicherheit.
Postkartenaktion: Retten Sie Ihre Bürgerrechte!
Schreiben Sie an Ihren Ministerpräsidenten
Die Verordnungen zur Versorgung mit Strom- und Gas werden derzeit innerhalb der Bundesregierung und der Bundesländer verhandelt. Mischen Sie sich ein und protestieren Sie gegen die geplante Entrechtung.
Ausschneiden und an den Regierungschef Ihres Bundeslandes schicken! (Adressen siehe unten)
Bitte ausreichend frankieren
An den Ministerpräsidenten / Bürgermeister des Landes
Name
Straße
Ort
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die Bundesregierung will meine Bürgerrechte beschneiden. Eine geplante Verordnung soll selbst unverhältnismäßige Versorgungssperren erlauben, die Versorger aus der Verursacherhaftung entlassen und ihnen ein Wohnungsbetretungsrecht einräumen. Wir wollen Strom- und Gas nicht umsonst beziehen. Jedoch dürfen die Versorgen kein Faustrecht praktizieren.
Nehmen Sie uns Verbraucher vor der Willkür der Energieversorger in Schutz und verweigern Sie im Bundesrat Ihre Zustimmung zu den Verordnungsentwürfen des Bundeswirtschaftsministeriums. Sorgen Sie dafür, dass elementare Bürgerrechte auch beim Energiebezug erhalten bleiben. Handeln Sie jetzt! Retten Sie die Bürgerrechte! Vielen Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Anschriften der Ministerpräsidenten
- Günther H. Oettinger Richard-Wagner-Str. 15 70184 Stuttgart
- Dr. Edmund Stoiber Franz-Josef-Strauß-Ring 1 80539 München
- Klaus Wowereit Senatskanzlei 10871 Berlin
- Matthias Platzeck Heinrich-Mann-Allee 197 14473 Potsdam
- Jens Böhrnsen Senatskanzlei 28069 Bremen
- Ole von Beust Senatskanzlei 20038 Hamburg
- Christian Wulff Planckstr. 2 30169 Hannover
- Dr. Jürgen Rüttgers Stadttor 1 40219 Düsseldorf
- Kurt Beck Peter-Altmeier-Allee 1 55116 Mainz
- Roland Koch, Schlossplatz 1-3 65183 Wiesbaden
- Peter Müller Am Ludwigsplatz 14 66117 Saarbrücken
- Professor Dr. Georg Millbradt Archivstr. 1 01097 Dresden
- Professor Dr. Wolfgang Böhmer Domplatz 4 39104 Magdeburg
- Peter-Harry Carstensen Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
- Dieter Althaus Regierungsstr. 73 99084 Erfurt
- Dr. Harald Ringstorff Schlossstr. 2-4 19053 Schwerin